Beobachtung gegen Bodennebel

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss „Kleve“ wird bis Jahresende nur noch wenige Male tagen. Kritische Ausschuss-Beobachtung ist dabei dringender denn je.

Am 29. September 2018 starb Amed Ahmad. Er überlebte die Brandverletzungen, die er sich in der Justizvollzugsanstalt Kleve zugezogen hatte, nicht. Der Brand war zwölf Tage vorher, am 17. September, unter bislang ungeklärten Umständen in seinem Haftraum ausgebrochen. Inhaftiert war er dort grundlos und – wie wir heute wissen: unter Freiheitsberaubung. Im Juli 2018 hatten Polizeibeamt*innen der Klever Kreispolizeibehörde ihn in den Knast gebracht. Später gaben sie an, sie hätten Amed Ahmad verwechselt – allein, weil sie einem angeblich fehlerhaften Datensatz in der NRW-Polizeidatenbank ViVA gefolgt seien. Erst auf Druck von Familienangehörigen, Freund*innen und vor allem der dann auch rasch aufmerksam gewordenen Medienvertreter*innen, etwa des Fernseh-Magazins „Monitor“ und des WDR, konnten sich Behördenvertreter*innen und die Verantwortlichen in den zuständigen Ministerien (dem Innen- und Justizministerium NRW) der Aufmerksamkeit für den „Fall Kleve“ nicht mehr entziehen. In der Folge forderten die Oppositionsfraktionen SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Landtag von NRW die Einsetzung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA).

Aufklärungspolitik

Dieser tagt Ende Oktober in nun 24. Sitzung. Doch es ist inzwischen mehr als deutlich, dass sich hinter dem „Fall Kleve“ und der Geschichte der Inhaftierung und des Todes von Amed Ahmad ein Abgrund strukturell, institutionell und individuell rassistischer Behörden-Praxis auftut, dessen Ausmaße in einem Untersuchungsausschuss kaum zu Tage zu fördern sein dürften.

Das liegt aber nicht nur an den Dimensionen der Niedertracht des rassistischen Normalzustandes eines ‚ganz normalen‘ Polizei- und Justiz-Alltages. Wenngleich Cop Culture und Korpsgeist durchaus ein verdammt sicherer Rückzugsort sind für alle, die sich ihrer Verantwortung im Kreis der Kolleg*innen entledigen möchten. Diese Gruppendynamiken und -strukturen werden verhindern, dass das Gewissen an einer Stelle zu sehr drückt, dass sich ein*e Behördenmitarbeiter*in oder ein*e Polizeimitarbeiter*in das Herz erleichtern möchte.

Weil mit Whistleblower*innen aus den Reihen der konkret Verantwortlichen kaum zu rechnen sein dürfte, lagen mit Einsetzung des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses viele Hoffnungen auf den Ausschussmitgliedern, vor allem denen aus den Reihen der Opposition. Heute, nach 23. Ausschuss-Sitzungen – und mit den Erfahrungen aus der kritischen Beobachtung etwa der sog. NSU-Untersuchungsausschüsse im Bundes- und in den Länderparlamenten – lässt sich aber erahnen, dass ein solcher Ausschuss kaum das richtige Aufklärungsinstrument sein kann. Denn die Ausschussmitglieder vor allem der Regierungsfraktionen sind schlichtweg und ganz offenkundig nicht daran interessiert zu erfahren, wer verantwortlich ist für die unrechtmäßige Inhaftnahme – Freiheitsberaubung –, mit der Amed Ahmad im Juli 2018 zunächst in Geldern, dann in Kleve in Haft gesetzt wurde. Immer deutlicher wird: Es braucht sie nicht zu interessieren. Denn sie wissen es bereits. Verantwortlich sind NRW-Beamt*innen in Krefeld, Geldern, Duisburg, Kleve, Siegen. Beamt*innen und Mitarbeitende der Polizei und Justiz. Polizist*innen und Behördenmitarbeiter*innen im Dienste der Polizeidirektionen und des Landeskriminalamtes.

Dass die CDU-Fraktion im Ausschuss in ihrer Sicht auf „ihre“ unbescholtene Polizei Teil dieser Cop-Culture ist, dürfte jede Aufklärung ungemein erschweren. Es braucht kaum an die Vehemenz erinnert werden, mit der NRW-Innenminister Herbert Reul – wie Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) – eine wissenschaftliche Studie zu rassistischem Polizeiverhalten ablehnt. Auch ohne diese Selbstentblößung dürfte klar sein: Es wird keine Aufklärung geben, solange diejenigen, die zum Gelingen von Aufklärung beitragen müssten, Teil des Problems sind. Anliegen der CDU-Fraktion im Untersuchungsausschuss ist – logischerweise: So lange Bodennebel zu verbreiten, bis die „Sache“ in Vergessenheit geraten ist. Die Oppositionsparteien Bündnis 90/Die Grünen und SPD strampeln sich derweil im Ausschuss die Hacken ab. Ihr Bemühen gleicht indes dem berühmten Paddelschlag auf’s Wasser.

Nicht unbeobachtet

Initiativen wie NSU-Watch NRW rufen trotz dieser bitteren Ausgangslage seit Beginn der Ausschuss-Arbeit unermüdlich dazu auf, als Beobachter*innen und Dokumentar*innen den PUA zu begleiten und an den Sitzungen teilzunehmen. Ihr Argument: Die Menschen, die verantwortlich sind, und die Zusammenhänge und Strukturen, die zur Freiheitsberaubung und zum Tod von Amed Ahmad führten, müssen in der Öffentlichkeit benannt und beschrieben werden – mitsamt aller offenen Fragen. Vor allem aber mit dem Blick auf diejenigen, die augenscheinlich ein Interesse daran haben, dass Gras über die Sache wachsen möge. In der Beobachtung derjenigen, die alles dafür tun, dass die Vermutungen kleingeredet werden, Amed Ahmad sei absichtsvoll inhaftiert und im Knast festgehalten worden. Denn diejenigen, die sich auf „Pannen“ oder eine „tragische Verwechslung“, für die niemand Verantwortung tragen würde, herausreden, tun das öffentlich, im Ausschuss. Je größer die Zahl der Menschen ist, die sie, die stellvertretend verantwortlichen Politiker*innen dabei beobachten, um so größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit ihren Ausreden nicht zur Ruhe kommen. Die Initiative Amed Ahmad hat am 13. Oktober 2020 in Bonn mit einer Gedenkveranstaltung auf dem zentralen Münsterplatz in der Innenstadt an Amed Ahmad erinnert. Die Familie, Amed Ahmads Eltern und Geschwister und seine Freund*innen haben dort öffentlich über ihn und seine Geschichte gesprochen. Sie haben erzählt, wie sie an ihn denken. Sie berichteten von seiner Flucht nach Deutschland und von seiner Hoffnung darauf, endlich sicher zu sein vor Krieg, Folter und Verfolgung in Nordsyrien, in Afrîn. Sie haben sich gezeigt in ihrem Schmerz darüber, dass am Ende dieser Flucht nicht Sicherheit stand, sondern erneut: Repression. Am Ende: der Tod ihres Sohnes, Bruders, Freundes.

Dieser Erinnerung schließt sich die kritische Beobachtung des Untersuchungsausschusses ebenso an – für Amed Ahmad und alle, die in Polizeigewahrsam oder in Haft gestorben sind.

Der „PUA Kleve“ tagt bis Ende des Jahres noch zwei Mal: am 17.11.2020 und am 08.12.2020 – jeweils um 14 Uhr im Landtag von NRW in Düsseldorf. Die Sitzungen sind in der Regel öffentlich. Die kritische Ausschussbeobachtung zeigt immer Wirkung: Mit Publikum ist das Vertuschen schwerer!

Aktuelle Informationen twittert NSU-Watch NRW unter https://twitter.com/nsuwatch_nrw
Die Initiative Amed Ahmad ist über ihren Blog erreichbar unter: https://initiativeamad.blackblogs.org