TERZ 11.20 – KAPITAL AKTUELL
Fast zehn Jahre dauert das Monopoly-Spiel um das Gelände der ehemaligen Gerresheimer Glashütte nun schon an. Viele Male wechselte das Areal dabei den Besitzer, ohne dass – wie eigentlich vorgesehen – Wohnungen entstanden. Die Spekulation auf wachsende Grundstückspreise versprach stets mehr Profit. Nun aber kündigt die Glasmacherviertel GmbH einen Bau-Beginn an.
„In der Öffentlichkeit wird immer wieder behauptet, dass die Entwicklung des Glasmacher-Viertels nicht voranschreitet. Dabei wird häufig unterstellt, dass dies durch den neuen Eigentümer verursacht ist und aus der Veränderung der Eigentumsverhältnisse resultiert“, beklagte sich die Glasmacherviertel GmbH in einer Pressemitteilung. In der Rheinischen Post bemühte sich Ulrich Tappe, gemeinsam mit Andreas Mauska Geschäftsführer der Gesellschaft, deshalb um eine Richtigstellung. „Das sind schlichtweg Fake News“, so Tappe. Als Monopoly-Spieler, der das ehemalige Glashütten-Areal als reines Spekulationsobjekt betrachtet, mochte er seinen Arbeitgeber nicht bezeichnet wissen: „Wir haben bereits sieben Millionen Euro in die Planung des ersten Bauabschnitts investiert. Das würden wir wohl kaum machen, wenn wir nicht bauen wollen.“ Er kündigt sogar schon einen konkreten Beginn der Arbeiten an. Bereits im nächsten Jahr soll es losgehen. „Wir haben unsere Arbeit erledigt, jetzt liegt der Ball bei der Stadt“, meint Ulrich Tappe mit Verweis auf den noch ausstehenden Bebauungsplan. Liegt dieser vor, kann die Glasmacherviertel GmbH einen Bauantrag stellen und – nach positivem Bescheid – loslegen. Die Errichtung von 1.500 Wohnungen (plus 200 weiteren auf einem integrierten städtischen Grundstück) visiert die Gesellschaft an. Darüber hinaus beabsichtigt sie, vier Kindertagesstätten, eine Grundschule und Gebäude für ein Einkaufszentrum und andere gewerbliche Nutzungsarten zu bauen.
Käme es dazu, würde eine unendliche Geschichte einen Neuanfang nehmen. Ende 2004 hatte der US-amerikanische Konzern Owens Illinois die Gerresheimer Glashütte übernommen. Noch nicht einmal ein Jahr später machte er sie dicht. 2008 begann schließlich ein Werkstatt-Verfahren zur Überplanung des Geländes, und 2012 erwirbt die Patrizia Projektentwicklung das Grundstück, gerüchteweise für 20 bis 30 Millionen Euro. „Wir freuen uns, ein neues lebendiges Stadtquartier mit einem Park als Herzstück für Gerresheim schaffen zu können“, ließ die Firma verlauten. Ursprünglich plante sie 1.000 Wohnungen, später dann 1.400. Zunächst einmal galt es jedoch, den von Schwermetallen und anderen Giftstoffen kontaminierten Boden zu sanieren. Die Erschließungsarbeiten für Straßen, Wasser und Strom mussten dementsprechend warten. Die Patrizia hatte dafür einen Beginn Anfang 2015 im Auge und gab noch einen weiteren Ausblick: „Bei vorsichtigem Optimismus rechnen wir fürs Jahr 2016 mit dem ersten Spatenstich für die Wohnbebauung im Glasmacherviertel.“
Das Unternehmen rechnete dann aber doch lieber anders: Ende 2017 veräußerte es das immer noch jungfräuliche Areal für 142 Millionen Euro an Brack Capital Partners (BCP). Als erste Amtshandlung gründet der neue Besitzer die Grafental GmbH und bestimmt Ulrich Tappe zum Geschäftsführer. Ansonsten stehen keine großen Veränderungen an, versichert die Gesellschaft. Tappe, der auch einmal Geschäftsführer bei der Landesentwicklungsgesellschaft (LEG) war, spricht lediglich von ein paar Korrekturen die Wege-Führung, die Öffnung der Blocks und die Lärmschutz-Kanten betreffend. Gegenüber der Rheinischen Post stellt er am 21. Dezember 2017 in Aussicht, 2019 zu einem Vertragsabschluss mit der Stadt zu kommen und im gleichen Jahr mit dem Bauen zu beginnen.
Zunächst aber kam erst einmal Adler Real Estate. Der Konzern verleibte sich Anfang 2018 BCP ein und hatte auch wieder so seine Vorstellungen. Also wieder Änderungen im Konzept und ein neuer Abstimmungsprozess mit der Rathaus-Spitze. Im Juni 2019 war BCP dann schon bei 2021, 2022 als Zeitpunkt für einen Bau-Start. „Spekulanten verhindern den Bau von Wohnungen“ überschrieb die „Wirtschaftswoche“ treffend einen Artikel zum Treiben der Branche in Gerresheim und anderswo. Deren eigentlicher Plan schien nämlich immer zu sein, Gewinne mit den Wertzuwächsen der Grundstücke zu erzielen statt mit dem, was da draufsteht, also „Land Banking“ zu betreiben.
Rund drei Monate später ging es dann weiter im Programm. Adler Real Estate verkaufte 75 Prozent der Anteile der Grundstücksgesellschaft. 25 Prozent hielt sie weiter, um dem Käufer Grunderwerbssteuern zu ersparen. „Share Deal“ nennt sich diese vielgeübte Praxis. Den Namen des Neubesitzers nannte Adler dabei nicht. „Marktberichten zufolge handelt es sich um die Spree Holding, Berlin“, schreibt die „Immobilien-Zeitung“.
Der bei der Transaktion zugrundegelegte Gesamtwert aller Anteile hatte inzwischen mächtig zugelegt. Er stieg auf 375 Millionen Euro. Geflossen sind allerdings bisher nur 36 Millionen Euro, und die auch nicht etwa aus den Taschen des Investors. Dieser nahm für das Geschäft vielmehr einen Kredit auf, mit dem er das Konto seines Neuerwerbs belastete. Die volle Summe erhält Adler Real Estate, das inzwischen mit Ado und Consus fusionierte und so zum drittgrößten börsen-notierten Wohnungskonzern Deutschlands aufstieg, erst, wenn Bebauungsplan und Bau-Genehmigung vorliegen. Und das könnte der Grund sein, warum in Gerresheim vielleicht in absehbarer Zeit wirklich etwas passiert. Eine Garantie dafür bietet das jedoch nicht.
„Am Projekt- und am Zeitplan ändert sich nichts, beteuerte Adler-Sprecher Jürgen Herres Mitte November 2019. Er gab auch eine Bestandsgarantie für das Handlungskonzept Wohnen auf dem Glashütten-Gelände, das den Bau von 20 Prozent öffentlich geförderten und 20 Prozent preisgedämpften Wohnungen vorsieht. Aber wie bisher fast immer bei einem Besitzer-Wechsel steigt parallel zum Kaufpreis auch dieses Mal wieder die Anzahl der geplanten Wohneinheiten, weil sich das Ganze ja irgendwie amortisieren muss. Bei 1.700 liegt sie mittlerweile, was zu einer ziemlichen Verdichtung auf dem Areal führt. Und bei den 60 Prozent, die vom Handlungskonzept Wohnen ausgenommen sind und zur freien Verfügung der Bauherren stehen, ändert sich die Konzeption in Richtung Luxus-Segment. Schon bei einem Kaufpreis für das Glashütten-Grundstück von 120 Millionen veranschlagte die „Wirtschaftswoche“ eine Kaltmiete von 15 Euro pro Quadratmeter, bei den jetzt in Rede stehenden 375 Millionen dürfte es noch mal um einiges nach oben gehen.
Gewohnt freihändig operierte Herres damals mit den Terminen. Erste Bau-Anträge Anfang 2020, das Baurecht Mitte des Jahres und dann los, so stellte er sich das vor. „Wenn alles glatt geht, kann Anfang 2021 gebaut werden“, mit diesen Worten zitiert ihn die „Westdeutsche Zeitung“. Die Stadt wusste es schon damals besser. „Jeder Verkauf des Grundstücks hat bislang Umplanungen erzeugt. Insofern kann ein Grundstücksverkauf oder ein Share Deal zu Verzögerungen in der Projektumsetzung führen“, so ein Sprecher gegenüber der „Immobilien-Zeitung“. Offenbar brauchte es doch etwas länger, die von der Glasmacherviertel GmbH avisierten „Optimierungen“ wie mehr Wohnungen, Freistellung des Wasserturms und Verzicht auf teure Straßen-Erschließungen der Grundstücke von mehreren Seiten aus in den bisherigen Masterplan einzupflegen. Jetzt kündigte Tappe erste Arbeiten am Wasserturm Ende 2021 und an Wohnhäusern im Jahr 2022 an. Dafür aber hat sich das Unternehmen eine vertrauensbildende Maßnahme ausgedacht: Es rief einen Graffiti-Wettbewerb ins Leben und stellte dafür den Bauzaun als Fläche zur Verfügung. Kunst am nicht vorhandenden Bau gibt es also schon.
Jan