TERZ 11.20 – WAR WORLD
Vor 30 Jahren sorgte eine Ausstellung der „Wandmalgruppe Düsseldorf“ für Aufsehen. Mit der Werkschau „Schöne Bescherung“ thematisierte sie damals die schmutzigen Geschäfte der Rüstungsindustrie und die Außenhandelsdeals deutscher Konzerne und Unternehmen, die ohne Skrupel mit Menschenrechtsverächtern Geschäfte machten. Was 1989/90 mit einem Kaffeeklatsch für Rheinmetall einen skandalträchtigen Höhepunkt hatte, ist 2020 aber noch lange nicht vorbei: Die Kampagne „Rheinmetall entwaffnen“ hat auch in diesem Jahr den Düsseldorfer Waffenkonzern zum Tanz gebeten.
„War starts here“ – „Der Krieg beginnt in Düsseldorf“: Seit über 140 Jahren ist der Kriegsausrüster „Rheinmetall“ Düsseldorfs Konzernperle – seit jeher gepflegt und gehegt von der Stadt- und Landespolitik, mit Auftrags- und Exportgenehmigungen unterstützt von den Bundesregierungen jedweder Couleur.
1914, knapp 25 Jahre nach ihrer Gründung im Jahr 1889, erlebte die „Rheinische Metallwaren- und Maschinenfabrik“ bereits ihren ersten Boom. Sie exportiert Rüstungsgüter in zwölf europäische Länder und in die USA. Vier Jahre später haben Waffen und Munition des Düsseldorfer Unternehmens millionenfach ihre Bestimmung gefunden: In den vier Jahren des Ersten Weltkriegs sterben 10 Millionen Soldaten, 20 Millionen werden verwundet. Auf allen Frontabschnitten töten sich Menschen mit Rheinmetall-Waffen gegenseitig.
„Und nach abermals 20 Jahren / kommen neue Kanonen gefahren“, schreibt Kurt Tucholsky 1919. Er wird recht behalten. Auch in Düsseldorf. 1939, zum 50. Firmenjubiläum, wünscht sich der Konzern – in glühender Verehrung des „geliebten Führers“ – zum „Wohle des großdeutschen Volkes auch in Zukunft“ einen stattlichen Anteil an der „gewaltigen Aufbauleistung“: von Nazi-Deutschland auf dem Weg in den Zweiten Weltkrieg. Die gar nicht „saubere Wehrmacht“ wird in Europa mit den Waffen aus dem Hause Rheinmetall Kriegsverbrechen begehen. Ihre Soldaten werden töten – und sterben, massenhaft.
Nach dem 8. Mai 1945 wird Rheinmetall knapp 10 Jahre lang keine Rüstungsgüter produzieren. Aber es wird auch kaum jemand nach den Zwangsarbeiter*innen fragen, die das Unternehmen bis Kriegsende in seine Sklavendienste genommen hatte. Ab 1956 prosperiert das Geschäft mit dem Tod dann erneut. Nun ist die Bundeswehr Rheinmetalls erster Großkunde im postnationalsozialistischen Deutschland. 2019 sorgte die Rüstungssparte mit rund 3,5 Milliarden Euro für mehr als die Hälfte des Konzern-Umsatzes. Rheinmetall-Produkte töten. Weltweit.
Ende August 2020 störten Aktivist*innen der Initiative „Rheinmetall entwaffnen“ in Kassel den Betriebsablauf der in Hessen ansässigen Rheinmetall-Konzernsparte „Military Vehicles“ und blockierten dort zugleich die Produktionshallen des Rüstungskonzerns „Krauss Maffei Wegmann (KMW)“. An dem Aktionstag beteiligten sich rund 600 Personen. Damit brachten sie die Kriegsgewinn-Unternehmen zum wiederholten Mal in die Negativschlagzeilen von Fernsehen und Presse. Sie sorgten dafür, dass inmitten der SARS-CoV-2-Pandemie kraftvolle Proteste dazu beitrugen, einem Thema Publizität zu verschaffen, das aktuell nicht im Vordergrund politischer und sozialer Kämpfe zu stehen scheint.
Ihr Erfolg ist nicht zuletzt auch daran abzulesen, dass am Eingang zum Werksgelände von Rheinmetall am 28.8.2020 schon vor Beginn der angekündigten Protestaktionen alle Firmenschilder abmontiert worden waren. Der Konzern mochte seinen Namen wohl nicht in der Tagesschau sehen. Offenkundig mag die Düsseldorfer Waffenschmiede, die mit Tochtergesellschaften oder mit internationalen Ausgründungen seit jeher die Kunst der Legalisierung illegaler Waffengeschäfte auf die Spitze zu treiben versucht, öffentliche Aufmerksamkeit überhaupt nicht. „Rheinmetall entwaffnen“ hat dem Rüstungskonzern in dieser Hinsicht also auch 2020 zweifellos einen Strich durch die Rechnung gemacht. Selbst unter schwierigen Bedingungen.
Denn 2020, das sollte eigentlich das nun bereits dritte Jahr der großangelegten Aktionen und Proteste gegen die Kriegswaffenindustrie, vor allem gegen den Forschungs- und Entwicklungsstandort von Rheinmetall in Unterlüß werden. Schon 2018 gab es ein Protestcamp dort. 2019, im September, waren dem Aufruf, mit Blockaden den Betriebsablauf am „Rheinmetall“-Standort nahe Celle lahmzulegen, Hunderte gefolgt. Sie sammelten Erfahrungen vor Ort, stärkten ihren Protest in dem jährlich stabiler werdenden, schon jetzt effektiven Warm-Up für künftige, kraftvolle direkte Aktionen.
Die antimilitaristischen Camps waren 2018 und 2019 über mehrere Tage angelegt, schufen Aktions- und Ausdrucks-Räume auch für Themen, die mit der Kriegs- und Waffenindustrie, mit Rüstung und Kriegstreiberei in direktem Zusammenhang stehen: Zwangsarbeit während des Nationalsozialismus; die Kämpfe der kurdischen Bewegung gegen die auch mit Hilfe von Rheinmetall-Produkten verübten Menschenrechtsverbrechen der türkischen Regierung im Südosten des Landes und – seit 2018 – gegen den annexionistischen Einmarsch türkischer Truppen in Nordsyrien.
Dabei holten die Aktivist*innen in den vergangenen zwei Jahren „Rheinmetall Defence“ durchaus an genau dem richtigen Ort aus der vermeintlichen Hinterland-Deckung. Denn an seinem aktuellen Produktions- und Forschungshauptsitz in Unterlüß betreibt der Rüstungskonzern nach eigenen Angaben das größte „private Test- und Versuchsgebiet in Europa“. Auf’s platte Land gestellt, um für „nationale und internationale Kunden“ auf 50 Quadratkilometern wehrtechnische Untersuchungen sowie System- und Komponentenerprobungen durchzuführen. Selbstbewusst rückt der Konzern dabei auch sprachlich nach vorne, was im Aufhübschungsjargon des weltweit tätigen Rüstungsriesen bisweilen sonst scheinbar verschämt als „Defence“, als „Verteidigung“ bezeichnet wird: In Unterlüß, da gibt man sich im Wording ganz offen. Hier ist die „Rheinmetall Waffe Munition GmbH“ am Werk.
… , das sind in den gegenwärtigen Protesten gegen „Rheinmetall“ und Co. die Einmischungsstrategien und Aktionsformen. 2019 stürmten kritische Aktionär*innen der Initiative „Rheinmetall entwaffnen“ das Redner*innen-Podest der Aktionärsversammlung in Berlin, begleitet von antimilitaristischer Straßenpräsenz rund um den Versammlungsort der Konzernbesitzer*innen. Über eine Stunde lief nichts mehr im Versammlungssaal, just da der Vorstandsvorsitzende Armin Papperger ans Mikrofon treten wollte, um die Renditen mit dem Tod zu verkünden.
Den Plan, 2020 an diese Protestformen – das mehrtägige Camp in Unterlüß, Störungen und Blockaden der Aktionärsversammlung – anzuknüpfen, vereitelte dann aber: „Corona“. In der Pandemie-Hochphase schien eine Intervention mit Hilfe der klassischen Protest-Formen der Blockaden oder Raumaneignungen die Aktivist*innen untereinander deutlich zu sehr in Spuck- und Atemreichweite zu bringen, um als politische Praxis auch Schutz-Bedürfnissen genügen zu können. Im Getümmel knackiger Aktionen ist „physical distancing“ schlicht nicht einlösbar.
Gleichzeitig aber ist klar, dass die Waffen von Rheinmetall und Co. nicht deshalb schweigen, weil eine weltweite Pandemie herrscht. Im Gegenteil: Am Fließband zur Herstellung von Panzern und Munition wird ohne Pause im Takt des Kapitalismus produziert. Krieg findet weiterhin statt. So rasselt etwa Recep Tayyip Erdoğan (nur ein(!) Beispiel unter vielen) weiter mit Rheinmetall-Säbeln – neuerdings auch mit seinem mehr als brenzligen Ressourcen-Besitzstands-Angriff gegen Griechenland. Seine für den kommenden Winter aktualisierten Einmarschpläne in die kurdische Region um das selbstverwaltete Rojava wird er ebenfalls mit Panzern der Düsseldorfer Rüstungsschmiede umsetzen. So, wie die türkischen Kriegstreiber bereits im Januar 2018 in ihrem völkerrechtswidrigen Angriff und der anschließenden Besetzung des nordsyrischen Afrîn auf Rheinmetall-„Defence“-Produkte setzen konnten. Vor den Augen der Welt. Der Krieg beginnt also – auch – in Düsseldorf, dem Konzernsitz von „Rheinmetall“. Dass an den EU-Außengrenzen Menschen an Orten wie Moria (nicht nur aber noch mehr in Zeiten von „Corona“) um ihr nacktes Überleben kämpfen müssen, ist eine der Folgen. In direkter Linie der nur an Profit-Maximierung interessierten Rüstungsindustrie, mit deren Waffen Kriege geführt und Menschen zur Flucht gezwungen werden. Und: Die Bundesregierung? Sie stimmt Waffen(teile-)-Exporten zu und schließt ihre Grenzen für Geflüchtete. Sie verabredet dazu an der Seite der EU mit der türkischen Regierung „Flüchtlingsdeals“. Sie verspricht Devisen, die die ansonsten bankrotte Türkei dann wiederum in Düsseldorf ausgeben kann – für Waffen. Das ist die Logik des Imperialismus im 21. Jahrhundert. Das ist Niedertracht 2020.
All das ist aber nicht neu. Wo Krieg ist, gibt es Rüstungsindustrie. Und es gibt Menschen, die sich dagegenstellen. Die Geschichte der Proteste ist lang, getaktet im Rhythmus des Militarismus, gegen den sie in Aktion treten. Dabei sind ihr Ausdruck und ihre Aktionsformen nicht immer „nur“ als Antwort formuliert. Manchmal sind sie den Entwicklungen, die sie prophezeien, auch mehr oder weniger weit voraus, legen den sprichwörtlichen Finger immer einen Tick früher in die Wunde, als es den Rüstungsmagnaten und ihren politischen Fürsprecher*innen lieb ist.
Für ein im Wortsinne plastisches Beispiel ist Düsseldorf inzwischen beinahe historischer Schauplatz. Doch ist das seinerzeit aufsehenerregende antimilitaristische Statement von Düsseldorfer Künstlerinnen und Künstlern heute nahezu in Vergessenheit geraten. Mitsamt der aufgeregten Gegenrede, die auf politischem Parkett und im (Düsseldorfer) Feuilleton folgten.
Seinerzeit, vor nunmehr 30 Jahren, hatte die „Wandmalgruppe Düsseldorf“ bereits seit Jahren von sich reden gemacht. Jener Kreis von Künstler*innen zunächst um Klaus Klinger, Willi Oesterling, Thomas Giese und Gerd Trostmann (später mit Anne Aumann und Dietmar Lindner) war seit 1977/78 zunächst mit großformatigen Bearbeitungen der grauen Hausfassaden an der Gerresheimer Straße, später stadtweit mit Fassadenkunst in Erscheinung getreten. Dann sorgte er mit Straßen-Performances in Masken-Objekten von Klaus Klinger, mit „Kostüm“-Installationen zu Karnevalsumzügen oder mit Agitprop-Interventionen für Irritation im Stadtbild.
Neben der damals schon notwendigen Kritik an dem, was später klugsprechend „Gentrifizierung“ genannt wurde, waren „Überwachung“ (so etwa mit den Wandbildern „Auge“ und „Ohr“ am Flingeraner Hellweg, 1979/1980) und vor allem immer wieder „Rüstung“ und „Militarismus“ Themen der Künstler*innengruppe. Im Januar 1991, nur wenige Tage vor Beginn des Zweiten Golfkriegs, eröffnete die „Wandmalgruppe Düsseldorf“ zum Beispiel ihr „Anwerbebüro“ auf dem Düsseldorfer Schadowplatz. Ihre Prophetie, dass „Deutschland“ wieder „wer“ werden wolle in der Welt und bald auch neuerlich Soldaten ins Feld der Ehre schicken würde, war hier enorm nah dran an der dann prompt folgenden Realität. Auch wenn sich deutsche Streitkräfte in den drei Monaten des Kampfeinsatzes der sogenannten Koalitionsstreitkräfte unter Führung der USA aus der Luft, zu Wasser und zu Lande noch nicht direkt einbringen konnten, entsandte die Bundesrepublik im Zweiten Golfkrieg doch immerhin Soldaten und Technik bis an die Grenzen des NATO-Gebietes. Die „Wandmalgruppe“ tat also gut daran, die Rekrutierungen der Bundeswehr im Winter 1991 zum Motiv ihrer Arbeit zu machen.
Dabei konnte sie für ihre antimilitaristischen Inhalte bereits durchaus auf ein gehöriges Maß an Skandal-Potenzial setzen. War doch erst ein knappes Jahr zuvor, im Januar 1990, eine große Werkschau der Wandmalgruppe mit Pauken und Trompeten zum Aufreger-Thema der Düsseldorfer Kulturpolitik geworden. Noch vor dem Jahreswechsel hatte der damalige Direktor des Stadtmuseums Düsseldorf, Wieland Koenig, die Gruppe eingeladen, ihre Arbeiten unter einem städtischen Dach zu präsentieren. Drei Räume hatte Koenig den Künstler*innen freigemacht. Anfang Dezember 1989 konnte die Ausstellung eröffnet werden.
Unter dem jahreszeitengemäßen Titel „Schöne Bescherung“ setzte die Gruppe die Räume als eine Art Geisterbahn in Szene, bewusst überspitzend und damit signalisierend, dass mit gefälliger Kunst oder adventlich-deutscher Gemütlichkeit nicht zu rechnen sein würde. Im Gegenteil. Bereits über dem Gebäudeeingang zum Museum hatten die Wandmaler*innen die Darstellung eines Rentier-Skelettes angebracht, das den Schlitten des Weihnachtsmannes mit Toten-Schädel zog. Das Thema war gesetzt, das Entree wies die Richtung. So rutschten die Besucher*innen auch gleich im ersten Raum auf einem nach rechts driftenden Holzweg in „Latente[r] Schieflage“ (Anne Aumann) auf ein Hakenkreuz zu, bevor sie mit Klaus Klingers Masken-Arbeit „Deutschlandklänge“ in eine „deutschnationale Stammtischrunde“ hineinstolperten. Willi Oesterling zeigte raumfüllend mit „Zerstörung“ die Foto-Reste des 1943 zerstörten Düsseldorfer Opernhauses, spiegelte die Besucher*innen in Körpergröße in die Szene hinein.
Zu Steinen des Anstoßes jedoch wurden die Arbeiten „Kuchen zum Dessert“ und „Südafrika und Co.“ Ihre Motive: Die hemmungslos kapital-süchtige Rüstungsindustrie und die allgemeine Profitgier der Konzerne, die auch dann nicht auf ihre Exportgewinne verzichten mögen, wenn Menschenrechteverächter ihre Produkte ordern.
So bat Klaus Klinger mit „Kuchen zum Dessert“ mit einer menschhohen Schaumstoff-Torte, geschichtet aus Schädeln und Skeletten, zur Kaffeetafel – zunächst mit Tischkärtchen, die konkret benannten Rüstungsfirmen am feist gedeckten Tisch ihren Platz zuwiesen. Der Berichterstattung der Lokalpresse von Dezember 1989 folgend, verschwanden die Platzkarten jedoch nachträglich aus der Installation, wurden ersetzt durch ein Schild mit der Aufschrift „Hier speist die Rüstungsindustrie“. Die Düsseldorfer Nachrichten wussten zu berichten, dass die Entscheidung, das Exponat zu entschärfen, nach dem 30.11.1989 gefallen sei, nach dem tödlichen Anschlag auf den Deutsche Bank-Vorstand Alfred Herrhausen.
Wenige Meter weiter konnten die Besucher*innen durch ein Säulentor in den nächsten Raum schreiten, unter dem Schriftzug „Apartheid“ hindurch. Links und rechts der Türstürze hatte Dietmar Lindner auf insgesamt drei Säulen die Namen von Firmen und Konzernen angebracht, die einer Dokumentation der UNO entnommen waren. Sie bezeichneten ausweislich dieser offiziellen Liste jene skrupellosen Unternehmen, die gegen jede Absprache mit den Vereinten Nationen weiterhin Geschäfte mit Südafrika betrieben. Als „tragende Säulen“ garantierten sie, die Konzerne der „Apartheid“, dem Kapitalismus einen stabilen Stand.
Binnen weniger Tage nach der Ausstellungseröffnung waren die Arbeiten der „Wandmalgruppe Düsseldorf“ das Aufreger-Thema der Stadt, lärmend skandalisiert im Blätterwald der Feuilletons. Vor allem die Mitglieder der Düsseldorfer CDU, allen voran jene, die im Bezirk Altstadt für die Union das Sagen hatten, wussten ihren Unmut über die Ausstellung öffentlich zum Ausdruck zu bringen. CDU-Ratsherr Wolfgang Kamper etwa sah durch den Totenschädel in der Weihnachtsmann-Darstellung über dem Eingang des Stadtmuseums „religiöse Gefühle“ verletzt. Ruth Holzwig von der CDU meinte zu wissen, dass „die Namensliste im Südafrika-Raum eine bestürzende Ähnlichkeit mit RAF-Todeslisten“ habe. Der Vorsitzende des Kulturausschusses, CDU-Ratsherr Hubert Werder, bemängelte, dass das Stadtmuseum sich für eine „politisch einseitige Ausstellung“ hergebe. Schuldirektor und CDU-Mitglied im Kulturausschuss Manfred Graff unterstellte der Künstler*innengruppe, mit ihren Verweisen auf die Groß- und Rüstungsindustrie zu Gewalt aufzurufen.
Doch bei Wortmeldungen alleine sollte es nicht bleiben. Vielmehr betrieben Einzelne aus den Reihen der CDU nun aktiv die Absetzung von Wieland Koenig, sammelten – unter prominenter Führung durch den ehemaligen Präsidenten der Industrie- und Handelskammer Düsseldorf, Helmut Conzen sen. – Unterschriften gegen den Direktor des Stadtmuseums. Schließlich erging Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Koenig. Seine Entfernung aus dem Düsseldorfer Kulturbetrieb war ausgemachtes Ziel.
Inzwischen dürfte allen noch so kunst-fernen Bürger*innen in Düsseldorf zu Ohren gekommen sein, worüber so hitzig gesprochen wurde. Ausstellung und Aufsichtsbeschwerde wurden zum Anlass dafür, dass in Düsseldorf auf allen Ebenen, im Büro des Stadtdirektors, im Kulturausschuss, in den Medien und auch in den Leser*innenbrief-Spalten über Rüstungsexporte, über Apartheid und die menschenverächtliche Profitgier der Konzerne debattiert wurde. Die offiziell von den Vereinten Nationen veröffentlichte Liste der in Südafrika unter Bruch internationaler Konventionen aktiven deutschen Konzerne war plötzlich weithin sichtbarer Bezugsrahmen für die Kontroverse. Kaum hätten die Namen der Großunternehmen häufiger genannt werden können, noch dazu in diesem eindeutigen Kontext.
Zugleich hatten die erbitterten Anfeindungen gegen die Arbeiten der Wandmalgruppe dafür gesorgt, dass stadtweit und darüber hinaus über die Motive und Ausdrucksformen von Kunst und über künstlerische Freiheit gesprochen wurde. Bolo Mayweg, dem amtierenden Stadtdirektor, fiel schließlich das vorläufige Schlusswort in der Debatte zu. Er wies die Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Wieland Koenig mit klaren Worten ab: Sicherlich könne man der „Ausstellung kritisch gegenüberstehen“. Doch habe die Stadtgesellschaft die „Pflicht“, sich „dieser Diskussion zu stellen“. Denn die „offene und kritische Auseinandersetzung über Fragen von Rüstung, Rüstungsindustrie und Apartheid“ müsse in einem „freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat geführt werden können“. Die im Stadtmuseum ausgestellten Arbeiten nun aber „in die Nähe der RAF zu stellen“, würde hingegen „die grundrechtlich garantierten Rechte und die künstlerische Freiheit unterlaufen und gefährden.“
Die Wandmalgruppe Düsseldorf konnte von diesem „1.-Klasse-Freispruch“ durch die städtische Verwaltungsspitze nicht profitieren, erinnert sich Thomas Giese heute. Die Ausstellungsinhalte hätten zwar ein unverhofft breites Publikum erreicht – mehr, als sich die Künstler*innengruppe wohl hatte vorstellen können. Insbesondere bei aller Skepsis gegenüber einer Ausstellung der eigenen Werke ausgerechnet in einem Museum, also abseits der ihr sonst eigenen interventionistischen Ausstellungsformen unter freiem Himmel. Doch die Gruppe sei nach dem „Skandal“ zum „heißen Eisen“ geworden. Von da an hätten die Künstler*innen nur noch unter großen Schwierigkeiten freie Wände für ihre Großarbeiten im öffentlichen Raum finden können. Die CDU rächte sich außerdem später durch die Hintertür für ihren Punktverlust. Fünfzehn Monate nach Ende der Ausstellung stimmten die CDU-Ratsmitglieder im Kulturausschuss gegen die Teilfinanzierung des Ausstellungkataloges. Zu diesem Zeitpunkt war der Zweite Golfkrieg, der Mitte Januar 1991 begonnen hatte, beinahe vorbei. Wer daran verdient hatte, wussten alle.
Der Katalog, der die Ausstellung „Schöne Bescherung“ und ihre Geschichte dokumentiert, ist heute nicht mehr zu finden im Museumsshop des Stadtmuseums. Auch der schmale Gang, in dem die Geschichte der sozialen Bewegungen und Proteste in Düsseldorf nach 1945, illustriert in Objekten, Gemälden, Fotografien und Zeitungsartikeln, ihren Platz hatte, ist abgeräumt. Die Themen aber, die bleiben.
Und auch die Konzerne der Rüstungsindustrie sind nicht ins Depot der Geschichte gewandert. Wenn sich Aktivist*innen im Mai 2020 zum Aktionstag im Rahmen der Kampagne „Rheinmetall entwaffnen“ anlässlich der Konzern-Hauptversammlung mit Masken und Straßentheater vor dem Verwaltungshauptsitz des Düsseldorfer Rüstungsbetriebes querstellen, machen ihre Proteste Namen und Gesichter der Konzernspitze sichtbar. Sie weisen auf Strukturen hin und üben Druck auf die Verantwortlichen aus: Keine Granate, kein Sprengkopf und keine Drohne wird mehr ohne den kritischen Blick der Öffentlichkeit den Besitzer wechseln können. Jede Exportgenehmigung der Bundesregierung wird wahrgenommen, ihr Handeln fortwährend kommentiert.
Wenn es gelingt, die aktuellen Aktionsformen zu erweitern, Kunst, Straße, Theater und „Karneval“ an die Seite von Blockaden und Protestformen etwa des zivilen Ungehorsams zu stellen, ist es vielleicht wieder leichter, antimilitaristische Proteste auf die Bühnen der großen Debatten zu tragen. Anders als Kunst hat die direkte Aktion inzwischen aber leider zu selten die Unterstützung kraftvoller Fürsprecher*innen, um ihre Positionen in die Echokammern größerer Kreise zu tragen. Noch weniger ist jeder Protest-Aktion der Zufall vergönnt, auf die Beißreflexe derjenigen zu stoßen, die ihr blitzblankes Image um jeden Preis – auch mit den dümmsten Argumenten – verteidigen wollen. So, wie es seinerzeit bei der CDU der Fall war, die zur Verteidigung des guten Rufes der Stadt Düsseldorf und ihrer Unternehmen gegen Kunstfreiheit und Kulturpolitik ins Feld zog. Sie war es, die am Ende unabsichtlich für Kontroversen und Aufmerksamkeit sorgte. Die Geschichte der Wandmalgruppen-Werkschau mag darum nicht zuletzt ein gutes Beispiel dafür sein, dass es sich lohnt, Kunst wieder politischer gestalten zu wollen. Wir brauchen das. Auch ohne Kunsthochschule und Museum.
Till Jakob