TERZ 12.20 – NOISE OF ART
Weite Horizonte, knorrige Eichen, Sonnenauf- und Untergänge, mal ruhige, mal aufgewühlte See – und dazwischen immer wieder nebelige Landschaften. Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Maler*innen des Vormärz im Kunstpalast erscheinen recht unspektakulär. Doch zugleich steht die Frage im Raum: War Goethe Antifaschist? Anmerkungen zu dieser Romantik-Schau.
Malerei des 19. Jahrhundert im gediegenen Kunstpalast. Es ist wie beim Betreten eines dunklen Raums. Die Augen müssen sich erst an die neuen Licht-Verhältnisse gewöhnen. „Ach, diese ewig grünen Bäume, warum können sie nicht einmal blau sein“, stöhnte Gotthold Ephraim Lessing im 18. Jahrhundert. Van Gogh malte sie blau. Er verkaufte kein einziges Bild. Im 20. Jahrhundert durften sie dann blau, violett, ja sogar gelb, rot oder orange sein. Und Skandale heizen bekanntlich den Kunstmarkt an: ein geschredderter Banksy ist mehr wert als ein ganzer. Heinrich Heine hatte bereits 1831 die Marktmechanismen treffend analysiert: „Jeder Maler malt jetzt auf eigene Hand und für eigene Rechnung; die Tageslaune, die Grille der Geldreichen oder des eigenen müßigen Herzens giebt ihm den Stoff, die Palette giebt ihm die glänzendsten Farben, und die Leinwand ist geduldig.“ Hinzu komme noch, „daß jetzt bey den französischen Malern die mißverstandene Romantik grassirt, und, nach ihrem Hauptprinzip, jeder sich bestrebt, ganz anders als die Anderen, zu malen, oder wie die cursirende Redensart heißt: seine Eigenthümlichkeit hervortreten zu lassen.“ Originalität bekam Marktwert, zugleich mussten sich Maler*innen aber soweit den Konventionen beugen, dass sich noch ein*e Käufer*in fand. Abweichungen von der akademischen Norm durften deshalb einst nur sehr behutsam erfolgen. Minimale Verstöße verursachten Skandale. Der Rezensent der Berliner Akademieausstellung von 1832 beklagte im „Morgenblatt für gebildete Stände“, dass „kein Jesus, keine Mutter Gottes aus Düsseldorf gekommen ist“, dem Akademiedirektor Wilhelm Schadow wurde vorgeworfen, am Rhein eine Schule gegründet zu haben, die „weit ab vom katholisch-christlichen Geiste, dem sinnlichen Heidenthume huldige.“ Schon 1828 war im „Kunst-Blatt“ polemisiert worden, an der Düsseldorfer Akademie würden „so gänzlich die Goetheschen Kunstideen“ verwirklicht. Worauf damit angespielt wurde: Goethe hatte 1817 zum Feldzug gegen die „neu-deutsch religios-patriotische Kunst“ geblasen. Im zweiten Heft seiner Reihe „Kunst und Alterthum“ druckte er einen Aufsatz ab, in dem gegen den „deutsch-alterthümelnden“ Geschmack und den „neuen alterthümelnden katholisch-christelnden Kunstgeschmack“ Front gemacht wurde. „Rüstet Euch heute zum neuen Kampfe, Teutsche Männer, Heil Euren Waffen“, hatte Caspar David Friedrich 1813 unter eine Fichtenstudie gesetzt. Dieser Dresdener Maler würde „fragwürdige Staffagen“ einführen, „um mystisch religiöse Begriffe in seinen Bildern anzudeuten“, hieß es in dem Aufsatz der „Weimarischen Kunst-Freunde“. Im schrankenlosen Wuchern eines christlich überformten chauvinistischen Patriotimus sahen sie eine Gefahr. (Nicht zu unrecht: wenige Monate später verbrannten Burschenschafter auf dem Wartburgfest Bücher, Karl Ludwig Sand, einer der Festorganisatoren, verübte dann 1819 das tödliche Attentat auf den Lustspieldichter Kotzebue). Goethe war im Februar 1817 überzeugt: „Es ist gerade jetzt die rechte Zeit, ein zwanzigjähriges Unwesen anzugreifen, mit Kraft anzufallen und in seinen Wurzeln zu erschüttern.“ Der Aufsatz der „Weimarischen Kunstfreunde“ solle, so Goethe in einem Privatbrief, „als eine Bombe in den Kreis der nazarenischen Künstler hineinplumpen“.
Der Schuss ging voll nach hinten los. Fürsten- und Königshöfe rissen sich nun förmlich darum, einen „nazarenischen Künstler“ als Hofmaler, Professor oder Akademieleiter an sich zu binden. Bei der Pöstchenvergabe ging Caspar David Friedrich leer aus. Denn er stand außerhalb der gut vernetzten „Nazarener“. Mit seiner antifranzösischen Haltung eckte er zudem in Dresden an. Denn Sachsen war damals an guten Beziehungen zu Frankreich gelegen. Die Weimarer Klassik war im Übrigen seitdem komplett abgemeldet.
Unsere Augen dürften jetzt schon etwas klarer sehen. Zwischen den so friedlich im Kunstpalast beieinander hängenden Bildern zeichnen sich erste Frontlinien ab. „Die hiesigen Maler wie sie sich in kirchliche und weltliche teilen, bilden auch in der Politik zwei Parteien“, notiert die Schriftstellerin Fanny Lewald am 3. März 1848 in ihr Reisetagebuch. Auf dem Weg ins revolutionäre Paris hatte sie (gezwungenermaßen) in Düsseldorf einen Zwischenstopp eingelegt. „Die Frommen und die Romantiker halten es mit dem Bestehenden; Lessing, Hübner, Scheuren und viele andere sind ergriffen vom Geiste des Jahrhunderts, und voll freudiger Hoffnung auf eine freie Zukunft.“ Insbesondere Carl Friedrich Lessing, rufe „zu frischem Fortschritt“ auf, so Lewald. Lessing stand ganz in der aufklärerischen Tradition seines berühmten Großonkels. Der hatte 1766 in der Laokoon-Schrift erklärt, er werde nur solche Werke, „in welchen sich der Künstler wirklich als Künstler [hatte] zeigen können“, als Kunstwerke anerkennen. „Alles andere, an dem sich zu merkliche Spuren gottesdienstlicher Verabredungen zeigen, verdienet diesen Namen nicht [...].“ Hermann Püttmann zitiert in seinem 1839 erschienenen Buch über die „Düsseldorfer Malerschule“ diese Passage aus der Laokoon-Schrift und polemisiert gegen Schadows „für das Kloster der barmherzigen Schwestern in Coblenz“ bestimmtes „Votivbild“. Für Gläubige möge ein derartiges Andachtsbild sicherlich recht nützlich sein. „Wie aber der Director einer modernen Malerschule vor seinen kunstreichen Schülern mit einer solchen Reliquie bestehen kann, das ist für uns ein dunkles Räthsel.“ Der Riss ging quer durch die Kunstszene und lässt sich keineswegs auf einen Konflikt „Düsseldorf versus Dresden“ reduzieren. Besser zu passen scheint: „Aufklärung gegen Romantik“ oder „Weltliche“ Kunst gegen Andachtsmalerei. Ich will mich im Folgenden auf den Gegensatz Caspar David Friedrich – Carl Friedrich Lessing beschränken.
„Leere, Mystik und Nebel gehören zu den suggestiven Elementen seiner Kunst“, heißt es auf dem Internetportal „art in words“ zu Caspar David Friedrichs im Kunstpalast ausgestellten Werken. Grabkreuze, die wild auf einem Friedhof im Schnee stecken, sollen uns über Vergänglichkeit sinnieren lassen. Friedrichs Bilder können tatsächlich zu spontaner Hirnvernebelung führen, wie z. B. bei der artinwords-Autorin: „Dichter Nebel verunklärt in diesen Werken die Räumlichkeit und dehnt gleichzeitig die Zeit. Der Vergänglichkeit des menschlichen Lebens wird die Ewigkeit Gottes gegenübergestellt.“ Viele von Friedrichs Bildern sind Andachtsbilder. „Geometrie ist transzendentale Zeichenkunst“, verkündete der Romantiker Novalis. Und: „Reine Mathematik ist Religion“. Viele von Friedrichs Werken sind achsensymmetrisch konstruiert. Es gibt oft einen klaren Bildmittelpunkt auf der Mittelachse. Und es ist im Grunde egal, ob sich da nun eine Eiche, ein Dom oder eine Domruine erhebt, ob unser Blick auf den Mond oder die Sonne („Ostermorgen“, 1835) fällt. Ein typisches Beispiel für ein derartiges „Andachtsbild“ ist Friedrichs „Kreuz und Kathedrale im Gebirge“(1812): Achsensymmetrisch erheben sich rechts und links des Kruzifixes hohe Fichten und gipfeln in der Kathedralenspitze. Der Bildaufbau ähnelt gotischer Kirchenbaukunst. Auf einer Entwurfszeichnung Friedrichs für den Chor der Marienkirche in Stralsund (nicht in der Ausstellung) strebt ebenfalls alles achsensymmetrisch in die Höhe.
Carl Friedrich Lessings „Klosterhof im Schnee“ (1828) steht dazu in scharfem Kontrast. Das Gemälde wirkt wie ein Schnappschuss, doch ist es gleichfalls konstruiert. Ein Bildzentrum fehlt hier bewusst. Alles ist asymmetrisch angeordnet. Goethes Kommentar zu dem Bild: „Ich friere nicht gerne draußen, warum soll ich mich denn in der Stube erkälten und dazu noch vor einem Kunstwerke.“ Es fröstelt einen tatsächlich. Selbst das Wasser, das vorne rechts aus dem Wasserspeier quillt, ist gefroren. Vor dem Bild hatte ich nur einen Wunsch: Raus aus der Kälte. Dass da im Innenraum ein Toter aufgebahrt ist, nahm ich erst gar nicht wahr. Das Licht im Innern wird vom vielen Gold, das dort die sakralen Gemälde umrahmt, wohlig-warm reflektiert. Ob ein katholischer, ein buddhistischer oder sonst ein Ritus dort zelebriert wird, ist eigentlich wurscht – Nur raus aus dieser eisigen Kälte! Mönchsgesänge könnten beim inneren Aufwärmen jetzt vielleicht auch dienlich sein. Lessings Gemälde ist deutlich ein der Aufklärung verpflichtetes Bild. Denn „gottesdienstliche Verabredungen“ sind hier nicht zu finden. Lessings Bild regt vielmehr zum Nachdenken darüber an, warum Menschen sich so etwas wie Religionen geschaffen haben. Im Vormärz wurde die geistige Verwandtschaft des Malers mit seinem Großonkel oft betont. In „Nathan der Weise“ sind die Bühnenfiguren Jude oder Jüdin, Muslim oder Muslimin, Christ oder Christin. Doch das ist nicht das Wesentliche. Das Thema des Stücks ist nicht der Glauben, sondern das Handeln. Die im vergangenen Monat verstorbene Ruth Klüger unterstrich in einem der in „Katastrophen. Über deutsche Literatur“ versammelten Aufsätze, dass Lessing keineswegs ein „Toleranzdrama“ habe schreiben wollen. Bewusst habe er sein Stück in die Zeit der Kreuzzüge verlegt. Und Carl Friedrich Lessings „Heimkehrender Kreuzritter“ scheint, als käme er uns leibhaftig aus eben jener Zeit, in der das Drama spielt, entgegen, desillusioniert und erschöpft im Sattel hängend. Gemalt hat es C. F. Lessing 1835, als jegliche, mit der Pariser Julirevolution aufgeflammte, Hoffnung bereits wieder zerstieben war. Es ist geradezu grotesk, dass Lessing jetzt im Kunstpalast irgendwie zu den romantischen Mittelalterschwärmern gepackt wird.
Der Gegenwartsbezug von Lessings Gemälden war von Zeitgenoss*innen stets betont worden. Lessings Gemälde, so heißt es bei Püttmann, zeichnen sich durch eine „Vereinigung verschiedenartiger Charaktere und selbst Antithesen“ aus, welche „mit wunderbarem Geschick zur Hervorhebung der Hauptidee angewandt“ wird. Lessing gehöre zu jener jungen Generation Historienmaler, die „frisch und keck in die Ereignisse greifen, die zu dem Leben in unserer Zeit in einer bestimmten Beziehung stehen“, heißt es auch bei Wolfgang Müller von Königswinter, einem seit Anfang der 1840er Jahre in Düsseldorf praktizierende Armenarzt. Weiter schreibt er: Diese Maler „nehmen sich Stoffe und Perioden, wo wirkliche Geschichtsschreibung der Völker und nicht allein der Fürsten, wie im Mittelalter, existirte.“ Das Besondere: „Sie lassen sich von Gedanken inspiriren, deren Lösung auch noch in unsre Tage hinüberspielt“ und „wenden sich in lebendigen Schilderungen den Kämpfen neuer Zeiten zu [...].“
Dieses ist nun alles nichts wesentlich Neues. Der im vergangenen Jahr in Halle verstorbene Kunsthistoriker Wolfgang Hütt hatte bereits in seinem 1964 im VEB E. A Seemann Verlag, Leipzig, erschienenen schmalen Bildband „Die Düsseldorfer Malerschule“ betont, es sei Lessing gewesen, „der weitaus unmittelbarer als alle Zeitgenossen geschichtliche Kunst und politisches Leben verband“. Nicht nur als Landschaftsmaler, „auch als Historienmaler hielt sich Lessing bald von aller romantischen Geschichtsschwärmerei fern.“ Hütt zitiert ausführlich aus den Büchern von H. Püttmann und Wolfgang Müller von Königswinter (beide im Übrigen ebenfalls in Leipzig erschienen; das von Püttmann, wie bereits erwähnt, 1839, das von Müller 1854). Ganz offensichtlich wurde mit der „Wende“ mehr abgeräumt als nur DDR-Geschichte.
Die Ausstellung „Caspar David Friedrich und die Düsseldorfer Romantiker“ dient ganz offensichtlich nicht der Aufklärung, sondern der Gegenaufklärung. An keiner Stelle findet sich der fundamentale Unterschied zwischen den „Andachtsbildern“ Caspar David Friedrichs und jenen der Aufklärung verpflichteten Gemälden Carl Friedrich Lessings herausgearbeitet. Kunstpalastgeneraldirektor Felix Krämer verglich das Verhältnis von Caspar David Friedrich zu den Düsseldorfern mit „Autorenfilm trifft Hollywood“. Wer der eigenen Sammlung das Etikett „Hollywood“ aufpappt, dem mangelt es offensichtlich an Interesse für sein Haus. Ko-Kurator der Romantik-Schau ist Jan Nicolaisen vom Museum der bildenden Künste, Leipzig. Dort wird die Ausstellung ab März kommenden Jahres zu sehen sein.
Thomas Giese