Wie und warum funktionieren Verschwörungserzählungen?

Eigentlich hätte am 24. November 2020 unter diesem Titel eine Vortragsveranstaltung in der unter anderem vom Antifa-AK an der HSD veranstalteten Reihe INPUT stattfinden sollen. Die Veranstaltung musste leider abgesagt werden. Der Antifa-AK bat deshalb den Referenten Michael Fehrin vom „Antirassistischen Bildungsforum Rheinland“, hier einige seiner Überlegungen zu präsentieren.

Die dunkle Seite der Macht

Verschwörungsmythen haben regen Zulauf, insbesondere in Krisenzeiten. Welchen Kern haben sie? Warum sind sie gefährlich? Es ist einfach, sich über sie lustig zu machen. Wer ernsthaft glaubt, dass Angela Merkel zusammen mit Bill Gates den Faschismus in der BRD wiedereinführen will, landet eben in der Spinner*innenecke. Dort können derartige „Querdenker*innen“ dann zusammen mit Aluhut-Träger*innen und Esoteriker*innen die Wahrheit über die Welt herausfinden. Eigentlich kein Grund zur Besorgnis, oder doch?

Bei vielen Verschwörungserzählungen geht es um eine Umdeutung der Geschichte. Wer das betreibt, trägt enorm zur gesellschaftlichen Verunsicherung bei. Derartige Ideen passen oft wie Bausteine zusammen, stützen sich gegenseitig und ergeben eine neue Historie. Beispiel USA: John F. Kennedy wurde angeblich von den eigenen Geheimdiensten im Auftrag des „militärisch-industriellen Komplexes“ liquidiert, weil er den Vietnam-Krieg nicht wollte. George W. Bush ließ die Twin-Towers zerstören, um einen Grund für den Irakkrieg zu haben. Und Donald Trump wurde ganz aktuell angeblich die Präsidentenwahl gestohlen. Es ist offensichtlich, dass die drei Narrative zwar – oberflächlich gesehen – nichts miteinander zu tun haben, aber sie erwecken zusammen betrachtet den Eindruck, die neuere Geschichte der Vereinigten Staaten würde von geheimen, bösartigen Strukturen dominiert, wodurch sich eine „alternative“ Sicht auf das Geschehene aufdrängt.

Es gibt Fakten, Zufälle und Abläufe, denen Menschen emotional oft ablehnend gegenüberstehen. Dass ein Einzeltäter wie Lee Harvey Oswald mit einem Sonntagsschuss den mächtigsten Mann der Welt töten konnte, erscheint nicht wenigen ebenso schwer vorstellbar wie, dass eine Handvoll Täter am 11. September 2001 eines der Top-Symbole der westlichen Welt zum Einsturz bringen konnte. Dass ein populistischer Autokrat wie Trump einfach abgewählt wird, passt nicht in das Weltbild vieler seiner Anhänger*innen, die in ihm eine geradezu messianische Gestalt erblicken. Viele Menschen versuchen, in solchen Vorfällen ein Muster zu erkennen und wollen außerdem nicht, dass ihre heile Welt und die Sicht darauf gestört wird. Und so bleiben sie den absurdesten Ideen treu, müssen diese allerdings immer weiterspinnen, um der Faktenlage zu entgehen. Das erklärt auch die oft aggressive Ablehnung gegenüber sogenannten „Mainstream-Medien“. Diese werden als Teil der großen Verschwörung angesehen, zuletzt auch immer wieder sichtbar bei den Anti-Corona-Maßnahmen-Protesten.

Erfolgreichste Verschwörungs­idee der Weltgeschichte

Immer deutlicher wurde in den letzten Jahren, dass viele Verschwörungsideen extrem rechtes Denken fördern und antisemitisch sind. Ein Beispiel hierfür ist die „QAnon“-Bewegung. Ihre Agitator*innen verbreiten die These, dass die Welt von dunklen Kräften, dem „deep state“, bedroht sei. Diese Mächte seien das alte, liberale Establishment. Dieses sei pädophil und wolle sich den Planeten untertan machen. Seine dekadenten Mitglieder würden Kinder ermorden, um aus ihrem Blut Hormone zu gewinnen, die sie ewig jung bleiben lassen. Donald Trump wird hingehen als der Garant im Kampf dagegen angesehen. Was klingt, wie aus einem schlechten Horror-Roman entsprungen, ist in den USA zu einem politischen Faktor geworden, und auch in der BRD tragen zahlreiche Pandemie-Leugner*innen „Q“-Symbole zur Schau. Wer sich das etwas genauer anschaut, wird feststellen, dass es hier um eine modernisierte Version der „Protokolle der Weisen von Zion“ handelt, dem folgenschweren Märchen von der „jüdischen Weltverschwörung“. Seit dem Mittelalter werden Jüdinnen und Juden mit dem Vorwurf des rituellen Kindermords verfolgt. Das war zwar schon immer Unsinn, wurde aber bis ins 20. Jahrhundert hinein von so manchen Christ*innen propagiert. Ab da wanderten diese Geschichten in das Repertoire der extremen Rechten. Das antisemitische Pamphlet der „Protokolle“ fügte noch die Idee der Verschwörung zur Erringung der Weltherrschaft durch einflussreiche Jüdinnen und Juden aus Wirtschaft und Politik hinzu. Auch diese lebt bis heute beispielsweise in Form von Agitation gegen George Soros und die Rothschilds fort.

Und nun?

Für Vertreter*innen demokratischer Ideen sollte klar sein, warum derartige Erzählungen nicht auf die leichte Schulter zu nehmen sind. Der Glaube daran, dass unsere Vorfahren durch Götter aus dem Weltraum zivilisiert wurden, ist beispielsweise in seinem spekulativen und unsinnigen Kern nicht weit von der Idee entfernt, „arische Kulturbringer“ aus dem hohen Norden hätten der Welt die ägyptischen Pyramiden geschenkt. Alles Unfug, aber eben nicht ungefährlich. Aber auch eine andere Tatsache sollte beachtet werden: Irrtümer gehören zum menschlichen Denken dazu – und Jede*r fällt schon mal auf eine absurde Erzählung rein. Zudem haben manche Geschichten auch kleine wahre Kerne. So wissen wir bis heute nicht definitiv, ob Lee Harvey Oswald Mittäter hatte. Und schreckliche Verbrechen gegen Kinder mit Verbindungen in die Politik gab es durchaus, wie die Fälle Dutroux in Belgien oder Epstein in den USA belegen. Es ist daher wichtig, sich mit Menschen, die sich von einer rationalen Sicht auf das Geschehen zu verabschieden drohen, auseinanderzusetzen und mit ihnen zu diskutieren, solange eine Diskussion noch möglich ist. Alleine schon deshalb, um es der extremen Rechten nicht zu einfach zu machen, diese Leute allmählich einzubinden.