TERZ 12.20 – COMICS
Puuh, das Buch ist ein Brocken. Der kanadische Comic-Autor Gord Hill jagt durch 100 Jahre Antifaschismus und das auf gerade einmal 116 Seiten. Da ist klar, dass einiges auf der Strecke bleibt und arg verkürzt dargestellt wird. Das tut dem Lesen und vor allem dem Spaß daran aber keinen Abbruch. Es ist vor allem ein Buch über den militanten Antifaschismus. Ausgehend von den 1920er Jahren beschreibt Hill die Entstehung und den Aufstieg des Faschismus in Italien und des Nationalsozialismus in Deutschland – sowie die Kämpfe dagegen. Insbesondere der von militantem Widerstand geprägte Aufstieg von Mussolini und die verhängnisvolle passive Rolle der italienischen Sozialdemokratie dürfte vielen eher unbekannt sein. Ob eine größere militante Bewegung in Italien Mussolini aufgehalten hätte, wie es Hill andeutet, ist schwer zu beurteilen. Es zeigt aber, wie Hill die Sache sieht. Nur mit Gewalt kann der Faschismus aufgehalten werden. Egal ob als Partisan*in während der Nazizeit oder heutzutage auf der Straße. Und immer ist mensch dabei auf sich allein gestellt. Staatlichen Organen wie Polizei und Justiz ist im bürgerlichen Staat nicht zu vertrauen. Antifa ist halt Handarbeit, das war damals so, das ist heute so. Dieses Credo zieht sich durch das gesamte Comic.
In der ersten Hälfte des Buches behandelt er die Zeit bis 1945 und widmet sich neben dem Aufstieg des Faschismus vor allem auch dem Widerstand von Partisan*innen in verschiedenen europäischen Ländern sowie dem spanischen Bürgerkrieg. Dieser mobilisierte damals Zigtausende von Antifaschist*innen aus der ganzen Welt, endete aber mit einer Niederlage, die für viele den Tod bedeutete.
Hill räumt dieser Periode so viel Platz ein, weil er die Bedrohung, die der Faschismus darstellt, plastisch erfahrbar machen und die Traditionen des Widerstands lebendig halten will. Es ist dennoch bedauerlich, dass in der zweiten Hälfte des Comics regelrecht durch die Geschichte gejagt wird und die antifaschistischen Kämpfe in Europa sowie den USA und Kanada meist nur kurz abgehandelt werden. Da kommt es dann auch immer wieder zu kleinen Ungenauigkeiten und Fehlern. Sie stören aber nicht weiter, denn es geht um die Grundaussage, dass wir auf einen militanten Antifaschismus nicht verzichten können. Und Antifa-Arbeit ist kein Spaziergang, das zeigt das Buch deutlich. Dennoch sind immer wieder Menschen bereit, sich der Gefahr auszusetzen, die von Nazis, aber auch von staatlicher Repression ausgeht.
Ein Mangel des Comic ist jedoch, dass es sich fast ausschließlich auf den „Kampf um die Straße“ bezieht. Antifa war schon immer mehr, als „nur“ Nazis zu jagen. Es war und ist auch der ideologische Kampf gegen die Strukturen, die den Faschismus ermöglichen und fördern. Weil das Gesamte in Frage gestellt wird, und die Antifa von der Gegenseite als „Störfaktor“ und Gegner wahrgenommen wird, gibt es das „Feindbild Antifa“, das erst jüngst Donald Trump wieder bediente.
Unter dem Begriff und dem Logo der Antifa finden sich weltweit Menschen zusammen, um gegen faschistische Bewegungen zu kämpfen. Das kommt in dem Buch leider zu kurz, da fast nur Europa und die USA/Kanada auftauchen. Es wird kurz über die internationale Gruppe dargestellt, die in Nord-Syrien an der Seite der kurdischen Kämpfer*innen gegen die Dschihadisten kämpft – unter dem Banner der Antifa.
Informativer ist der Abschnitt über die Kämpfe in den USA und Kanada, die bei uns viel zu wenig bekannt sind. Sie haben gerade in der Ära „Trump“ eine erhebliche Bedeutung gewonnen und werden diese auch so schnell nicht verlieren, denn die faschistische Gefahr ist mit der Abwahl von Trump nicht gebannt.
Hill kommt aus Kanada und hat natürlich einen intensiveren Blick auf Nordamerika. Er ist selbst Aktivist und ist Angehöriger der Kwakwaka’wakw-Nation in British Columbia. Seit 1990 engagiert er sich in der indigenen und der Antiglobalisierungsbewegung. Er hat mehrere Polit-Comics gezeichnet, von denen einige auch auf Deutsch veröffentlicht worden sind. Seine Zeichnungen sind für europäische Augen vielleicht etwas ungewöhnlich. Es ist jedoch ein Zeichenstil, der in der nordamerikanischen Indie-Comic-Szene öfters anzutreffen ist. Die farbigen Zeichnungen wirken etwas hölzern und starr; Bewegung ist wie auf einem Foto in einer Momentaufnahme festgehalten. Überhaupt werden Leser*innen feststellen, dass ihnen die eine oder andere Szene bekannt vorkommt: Hill greift öfters auf bekannte Fotos von Demonstrationen zurück und setzt sie in seinem markanten Stil um. Vor allem aber schreibt und zeichnet Hill nicht einfach über die Antifa, sondern aus deren Perspektive. Das macht das Comic für alle Antifaschist*innen lesenswert und begeistert vielleicht auch andere.
Hill hat ein wirklich starkes Comic geschaffen, das einem Mut macht und den Rücken stärkt. Manchmal hilft ein Blick zurück, um sich zu vergegenwärtigen: Eigentlich war und ist die Antifa doch recht erfolgreich. Hills Buch erinnert die Leser*innen an altbewährte Aktionsformen und lädt dazu ein, diese anzuwenden oder auch weiterzuentwickeln. Aber es gilt in jedem Fall: Antifa bleibt Handarbeit.
Gord Hill: Antifa – Hundert Jahre Widerstand
Aus dem kanadischen Englisch von Alexander Lippmann.
Mit einem Vorwort von Mark Bray, Autor von „Antifa: The Anti-fascist Handbook“.
22 x 30 cm | Hardcover
116 Seiten | € 17,00
bahoe books ist ein kleiner, aber feiner Verlag aus Wien, der in den letzten Jahren eine Vielzahl von Polit-Comics veröffentlicht hat, die sich mit linker Geschichte weltweit beschäftigten. Ein Blick hinein lohnt sich. Die Düsseldorfer Buchhandlung BiBaBuZe hat eine ganze Anzahl davon vorrätig und kann jedes Buch besorgen.