Zum tödlichen Brand in der JVA Kleve

Im „PUA Kleve“ – dem Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Inhaftierung und zum Tod von Amed Ahmad in der Justizvollzugsanstalt Kleve – häufen sich statt Antworten: Fragen. Manche weisen in unglaubliche Richtungen: Datenfälschung, Vertuschung, merkwürdige Personenzusammenhänge.

In seinen vergangenen Sitzungen, zuletzt am 19. Januar 2021, hat sich der Parlamentarische Untersuchungsausschuss des nordrhein-westfälischen Landtages den offenen Fragen zum Brand-Geschehen in der JVA Kleve am 17.09.2018 zugewandt. Der Ausschuss widmet sich den Ursachen für die rechtswidrige Inhaftnahme von Amed Ahmad im Sommer 2018, seiner Monate währenden Zeit im Knast in Kleve – vorgeblich „verwechselt“ mit einem per Haftbefehl Gesuchten –, dem dann im September 2018 in seiner Zelle ausbrechenden Feuer und den Gründen dafür, dass der zu Unrecht Gefangene nicht deutlich früher aus dem Haftraum gerettet werden konnte. Im Beweisprogramm scheint der Ausschuss nun mit dem Themenwechsel hin zu den Hintergründen für den Zellenbrand den zuvor beleuchteten Komplex „Datenzusammenführung“ endgültig abschließen zu wollen.

Strafanzeige gegen Unbekannt

Das wäre falsch. Denn hier sind, wie zuletzt die Rechtsanwälte der Familie von Amed Ahmad zeigten, noch viele Zusammenhänge ungeklärt. Nach einer Pressemitteilung, die die Anwälte Schön & Reinecke im Dezember 2020 veröffentlichten, gibt es aktuell schwere Zweifel daran, dass die Erklärung von der „tragischen Datenpanne“, die das Innenministerium NRW weiterhin aufrechterhält, richtig ist. Substantiell kann ein solcher Vorgang, der zur Verwechselung der Identitäten geführt haben soll, jedenfalls nicht begründet werden. Denn weder für einen sog. Kreuztreffer in der Polizeidatenbank ViVA, der vorgeblich die Ursache der Datenzusammenführung in den Fahndungs- und Personendatensätzen gewesen sei, noch für das Wie der Datenzusammenführung selbst gibt es nachvollziehbare Begründungszusammenhänge oder Beweise. Mehr noch: Die Anwälte führen in ihrer ausführlichen Erklärung aus, dass das vorgebliche „Beweismaterial“, die Veränderungsprotokolle zur Bearbeitung in der Datenbank, für den fraglichen Zeitraum lückenhaft ist.

Was zu welchem Zeitpunkt an einer Datenbank verändert wird, ist stets im Hintergrund dokumentiert, jeder Klick wird abgebildet. Dabei werden alle Vorgänge die Datensätze betreffend, mögen sie noch so unerheblich sein, automatisch durchnummeriert. So fiel nun auf, dass die Datenprotokolle für genau den Tag nicht vollständig sind, an dem Amed Ahmad vorgeblich eine zweite, aber für ihn vollkommen falsche Alias-Personalie, die des Gesuchten, aus Versehen in seinen Personendatensatz hereingeschrieben bekommen haben soll.

Die Anwälte der Familie Ahmad, die seit 2018 für Aufklärung der Inhaftierung und des Todes ihres Sohnes und Bruders kämpft, machen darauf aufmerksam, dass die Grundlage der Fehler-Analyse, wie das „Landesamt für zentrale polizeiliche Dienste“ (LZPD) sowie das LKA sie in den Ermittlungen zur falschen Inhaftnahme von Amed Ahmad vorgelegt haben, mindestens an dieser Stelle unvollständig ist. Vielleicht geht es aber auch um manipulierte Daten. Denn das LZPD hat seiner Auswertung, auf deren Basis später dann auch das LKA einen Bericht an die Staatsanwaltschaft fertigte, genau diese lückenhafte Dokumentation zugrunde gelegt. Außerdem hat auch der Untersuchungsausschuss für seine eigene Arbeit wiederum nur dieses Auswertungsprotokoll erhalten – mit den fehlenden Protokolldaten.

Wer aber hat diese Löschungen (oder das Herausfiltern bis zur Unsichtbarkeit) im Veränderungsprotokoll zum Personendatensatz von Amed Ahmad vorgenommen? Wer hat sie angeordnet? Was hätten uns die Veränderungsprotokoll-Daten verraten können, wären sie nur vollständig? Und am Ende: Sind hier mutwillig Spuren beseitigt worden?

Die Rechtsanwälte Schön & Reinecke haben im Dezember 2020 Strafanzeige gestellt gegen Unbekannt. Ihr Ansatz: Wenn sich herausstellt, dass die Daten für die Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft Kleve im „Fall Amed A.“ nach dessen Tod führte, schlicht nicht weitergegeben, gewissermaßen herausgefiltert wurden, geht es um die Straftatbestände der Urkundenunterdrückung oder der Strafvereitelung (im Amt). Sollten sie dagegen gelöscht worden sein, gäbe es Menschen, die etwa wegen Urkundenfälschung oder der Fälschung technischer Datenaufzeichnungen bzw. Datenveränderung zur Rechenschaft zu ziehen sind.

Das LZPD im Fokus

Entlang dieser Sachfragen fällt der Blick hier also im Konkreten: Auf die Arbeit des Landesamtes für polizeiliche Dienste NRW. Viel zu wenig haben die Politiker*innen im Untersuchungsausschuss sich bislang mit diesem Teil der Polizeibehörde von NRW beschäftigt. Ihre Fragen richteten sich gewissermaßen nur an die „Expert*innen“ vom LZPD, die Auskunft über ihre Datenbanksysteme zu geben hatten. Dass die Mitarbeitenden des LZPD mit Sitz in Duisburg dagegen selbst als mögliche Beteiligte befragt werden müssten, war (und ist aktuell) ausgeblendet.

Das sollte sich spätestens mit der klaren Recherche der Rechtsanwälte Schön & Reinecke ändern. Die Fraktionen von Bündnis 90 / Die Grünen und SPD brachten im Ausschuss bislang immer Zweifel an der vorgeblichen „Datenpanne“ und ihrer Folge, der angeblichen „Verwechslung“ zum Ausdruck. Mit den Informationen zur neuen Strafanzeige gegen Unbekannt haben sie nun allen Grund, ihren Blick gezielt noch einmal auf die Mitarbeitenden im LZPD zu richten. Täten sie es nicht, fehlt es an entscheidender Stelle an Aufklärungsbemühen. Auch ginge den Oppositionsparteien im Landtag die Möglichkeit verloren, das gegenwärtig CDU-geführte Innenministerium unter Herbert Reul noch einmal in grundsätzliche Erklärungsnöte zu bringen.

Wo sich bei all dem inzwischen durchaus auch Ideen zu einem verschworenen Vorgehen in den Reihen der Polizei (vom Kripobeamten in Geldern über die IT-Expert*innen im LZPD) beinahe anbieten, hat dieser Erklärungsstrang mit der Ausschuss-Sitzung vom 17. Januar nun noch einen weiteren, beinahe absurden Dreh bekommen.

Der Stadtbrandinspektor

In der 27. Ausschuss-Sitzung des PUA Kleve war mit dem „Stadtbrandinspektor“ B. nämlich ein Zeuge geladen, der für die Freiwillige Feuerwehr der Stadt Kleve am 17.09.2018 in Kleve vor Ort war. Er schilderte aufschlussreich, wie sich ihm als Leiter der Feuerwehr und des Einsatzes in der JVA Kleve, der Brandort darstellte bei Eintreffen der Löschzüge. So ordnete er etwa ein, warum das Waschbecken in der Zelle mit Papier verstopft worden und mit Wasser übergelaufen sein könnte: Vielleicht, weil Amed Ahmad sich während des Brandes durch Kühlung zu retten versucht habe. Oder, möglicherweise, weil er durch die Überschwemmung Aufmerksamkeit auf sich und den Brand habe lenken wollen, in den langen Minuten, in denen er auf eine Antwort auf seinen Lichtruf aus der Zelle gewartet hatte, wie wir heute wissen: vergeblich. Die Zelle 143 brannte, vollkommen verrußt, knapp 20 Minuten lang. Der Feuerwehrmann schilderte vor dem Ausschuss, dass er Amed Ahmad später, nach der Öffnung der Zelle, noch gesehen habe. Im Flur an die Wand gelehnt, an den Armen schwer verbrannt, im „Grenzbereich“ zwischen Leben und Tod.

Die Aussage des Zeugen B. war präzise. Sehr präzise. Es war dem Feuerwehrmann anzumerken, dass ihm Ordnung und sachliche Richtigkeit wichtig sind. Zugleich lässt ein kleiner, beinahe wie hingeworfener Punkt, gleich zu Beginn seiner Zeugenaussage vor dem Ausschuss, aufhorchen. Denn B. arbeitet neben seinem Engagement für die Freiwillige Feuerwehr Kleve, hauptberuflich in Duisburg: Beim Landesamt für polizeiliche Dienste. Was für ein Zufall.

Für jede weitere Aufklärung zur Haft und zum Tod von Amed Ahmad braucht es Aufmerksamkeit für jedes noch so kleine Detail. Die Anwälte der Familie, die sich auf rechtlichem Wege bemühen, die Behörden von der Dringlichkeit der Ermittlungen zu überzeugen, haben hier etliche, begründete Anhaltspunkte vorgelegt, warum die Erzählung von der „tragischen Verwechslung“, der „Datenpanne“ und den unglücklichen Umständen, die zur Inhaftierung von Amed Ahmad führten, falsch ist – vielleicht aber politisch gewünscht. Zugleich müssen sich nun, das wird immer deutlicher, alle Beteiligten eindringlich fragen, ob sie wirklich alles richtig gemacht haben. Öffentlich hat hierzu bisher noch kein*e einzige*r Zeug*in von sich selbst gesprochen, als es um Verantwortung ging. Wenigstens um eine moralische. Wenn eine*r das Schweigen bräche, wäre der Wahrheit geholfen.

Die nächsten Ausschuss-Sitzungen sind am 2.Februar, 9. März und 13. April 2021, jeweils um 14.30 Uhr. Der Besuch der öffentlichen Teile der Sitzungen ist nach wie vor möglich, die Abstands- und Hygieneregelungen sind angemessen. Bitte kommt zu den Ausschuss-Sitzungen – Öffentlichkeit ist wichtig!

Aktualisierung:
Vom Sitzungskalender des Landtage von NRW ist die für den 2. Februar 2021 vorgesehene 28. Ausschuss-Sitzung verschwunden. Für einen nächsten Termin des PUA Kleve ist also der 9. März angegeben. Bitte folgt für aktuelle Informationen den Twitter-Timelines von NSU-Watch NRW (@nsuwatch_nrw) und der Initiative Amed Ahmad (@AmedInitiative).