Der Karneval fällt aus

„Trial by combat!“ schreit Trumps persönlicher Rechtsanwalt Rudy Giuliani am 6. Januar ins Mikrofon und „If you don‘t fight like hell, you‘re not gonna have a country anymore“, heizt der US-Präsident die Menge an, die sich in Washington versammelt hat. Cut. Die Meute befindet sich nun im Capitol, Zoom auf ein Sweatshirt: „Camp Auschwitz“. Keine Filmproduktionsfirma hätte ein derartiges Drehbuch angenommen! Der TERZ-Redaktion hatte ich einen Artikel über Karneval versprochen. Ich bin immer noch wie betäubt. Mir will nichts Lustiges einfallen. Heine hatte da ein besseres Standing. Im Jahr nach der Julirevolution war er nach Paris übergesiedelt, ab 1832 arbeitete er als Pariskorrespondent. In die Augsburger Allgemeine vom 13. April lässt er setzen: „Da dieser Winter der erste war, den ich in Paris zubrachte, so kan[n] ich nicht entscheiden, ob der Karneval dieses Jahr so brillant gewesen, wie die Regierung prahlt, oder ob er so trist aussah, wie die Opposition klagt. Sogar bei solchen Außendingen kan[n] man der Wahrheit hier nicht auf die Spur kommen. Alle Parteien suchen zu täuschen, und selbst den eigenen Augen darf man nicht trauen.“

Mardi-gras 1832

„Einer meiner Freunde, ein Justemillionair, hatte die Güte, letzten Mardi-gras mich in Paris herum zu führen, und mir durch den Augenschein zu zeigen, wie glücklich und heiter das Volk sey. Er ließ an jenem Tage auch alle seine Bedienten ausgehen, und befahl ihnen ausdrücklich, sich recht viel Vergnügen zu machen. Vergnügt faßte er meinen Arm und rannte vergnügt mit mir durch die Straßen, und lachte zuweilen recht laut. An der Porte St. Martin, auf dem feuchten Pflaster, lag ein todtblasser, röchelnder Mensch, von welchem die umstehenden Gaffer behaupteten, er sterbe vor Hunger. Mein Begleiter aber versicherte mir, daß dieser Mensch alle Tage auf einer andern Straße vor Hunger sterbe, und daß er davon lebe, indem ihn nemlich die Karlisten [die Königstreuen] dafür bezahlten, durch solches Schauspiel das Volk gegen die Regierung zu verhetzen. Dieses Handwerk muß jedoch schlecht bezahlt werden, da Viele dabei wirklich vor Hunger sterben. Es ist eine eigene Sache mit dem Verhungern; man würde hier täglich viele tausend Menschen in diesem Zustande sehen, wenn sie es nur längere Zeit darin aushalten könnten. So aber, gewöhnlich nach drei Tagen, welche ohne Nahrung verbracht worden, sterben die armen Hungerleider, einer nach dem andern, und sie werden still eingescharrt, und man bemerkt sie kaum.“

Mehr Polizei als nötig

„Sehen Sie, wie glücklich das Volk ist, bemerkte mein Begleiter, indem er mir die vielen Wagen voll Masken zeigte, die laut jubelten, und die lustigsten Narretheyen trieben. [...] Nur wollte es mich bedünken, als sey dabei mehr Gendarmerie aufgestellt, als zu einem harmlosen Vergnügen eben nothwendig gewesen. Ein Republikaner [Anhänger der Republik; nicht zu verwecheln mit den sich „Republikaner“ nennenden Reaktionären oder „les Républicains“ in Frankreich], der mir begegnete, verdarb mir den Spaß, indem er mir versicherte, die meisten Masken, die sich am lustigsten gebärdeten, habe die Polizei eigens dafür bezahlt, damit man nicht klage, das Volk sey nicht mehr vergnügt. In wie weit dieses wahr seyn mag, will ich nicht bestimmen; die maskirten Männer und Weiber schienen sich ganz von Innen heraus zu belustigen, und wenn die Polizei sie noch besonders dafür bezahlte, so war das sehr artig von der Polizei.“

Die Fortsetzung lässt Heine am 14. April 1832 mit den Zeilen beginnen: „Es ist sehr leicht, die Bedeutung der öffentlichen Mummereien einzusehen. Schwerer ist es, die geheime Maskerade zu durchschauen, die hier in allen Verhältnissen zu finden ist. D i e s e r Karneval beginnt mit dem ersten Januar, und endigt mit dem einunddreißigsten December.“ Und er fügt die Erläuterung an: „Nicht blos in der Deputirtenkammer, sondern auch in der Pairskammer [Kammer des Hochadels] und im königlichen Kabinette, spielt man jetzt eine heillose Komödie, die vielleicht tragisch enden wird.“

Am Sonntag (10. Januar 2021) habe ich den ARD-Presseclub gesehen.

Katrin Bennhold, Leiterin des Berliner Büros der New York Times machte „marktfundamentalistische Ideen, die dazu führen, dass viele Leute sich zurückgelassen fühlen“ mit für die Krisen der westlichen Demokratien verantwortlich. „Man muss sagen, dass viele in der Arbeiterklasse, also viele von den blue collar workers, sich von den Demokraten verlassen gefühlt haben, und dies schon lange.“ Auch Obama habe dies nach der Finanzkrise nicht zurechtgerückt. Trump als Milliardär hat es geschafft, sozusagen, dieses ökonomische Element aus seiner Politik fast rauszunehmen, indem er praktisch eine Allianz geschaffen hat, basierend auf Identität und Werten, der Reichen und der Armen, vielleicht kann man das so sagen, und das gab es eigentlich in der Geschichte noch nicht.“ (diesseits des Atlantiks aber schon; genau darauf basierte der Faschismus). „Und ich glaube da korrektiv aktiv zu werden, ist jetzt total wichtig“, glaubt Bennhold. Ein derartiges Statement in einem öffentlich-rechtlichen Sender – und dies sogar vor 23 Uhr! Das ist schon was Besonderes!

Thomas Giese