Verlage in den Zeiten der Cholera

- ein kurzer Blick auf die Produkte unabhängiger Verlage im Frühjahr 2021 sowie einiger Local Heroes von der BiBaBuZe

Leicht haben sie es schon seit einiger Zeit nicht, die oft gepriesenen und seltener gelesenen Druckerzeugnisse aus den sogenannten Independent-Verlagen, für die das Label „unabhängig“ zwar inhaltlich, aber sicher nicht materiell zutreffen mag. Hier kann in pandemischen Zeiten nicht aus einem üppigen Werbeetat geschöpft werden, und die Feuilletons der „Qualitätspresse“ gehören im Zweifelsfall immer noch den Hansers und Suhrkamps (nichts gegen diese beiden Verlage!) dieser Papierwelt. Auch die in der Regel zugeneigten Buchhändler*innen können in diesem Frühjahr bei geschlossener Ladentür ihre Lesefrüchte nicht im üblichen Ausmaß an Mann & Frau bringen. Daher werden wir in loser Folge versuchen, hier für informatorischen Ersatz zu sorgen. Heute soll es zunächst um das politische Sachbuch im ersten Halbjahr 2021 gehen.

Mit dem Phänomen der „Querdenker“ befassen sich infolge der Ereignisse 2020 naturgemäß einige Neuerscheinungen. Im Verlag Christoph Links erscheint Andreas Speits „Verqueres Denken – gefährliche Weltbilder in alternativen Milieus“; er deckt rechtes Gedankengut bei Tierschützer*innen, Veganer*innen und Anthroposoph*innen auf. Der Verlag Das Neue Berlin hat „Corona-Krieger – Verschwörungsmythen und die Neuen Rechten“ von Matthias Kamann und Annelie Naumann sowie „Bereit für den Untergang: Prepper“ von Gabriela Keller im Programm. Hingewiesen sei hier der Vollständigkeit halber auf internationale Aspekte des Themas in Cas Muddes „Rechtsaußen – Extreme und radikale Rechte in der heutigen Politik weltweit“ aus dem Herbst 2020 im Verlag J.H.W. Dietz. Das Aktionsbündnis „NSU-Komplex auflösen“ hat jetzt für den Verlag Assoziation A eine Analyse der bisher keineswegs erfolgten „lückenlosen Aufklärung“ in Form eines Tribunals erstellt. In seiner kleinen Reihe „unrast transparent – rechter rand“ legt der gleichnamige Verlag eine Kurzdarstellung des „Rechtsrock – Business, Ideologie und militante Netzwerke“ von Timo Büchner vor.

Zur Geschichte der radikalen Linken in der BRD erscheint in der Edition Assemblage jetzt der zweite Band zur Historie der Zeitschrift „Radikal“ von Frans Scholten „Die Revolte bin ich – 40 Jahre Radikal“. Seit über 20 Jahren wiederum verleiht der Verein „digitalcourage“ die „Big Brother Awards“ – eine Art Negativ-Oscar oder Goldene Himbeere für besonders freche Datenkraken. Mit einer „Laudatio“ auf die Preisträger ist in jedem Jahr der Anwalt und Bürgerrechtler Rolf Gössner vertreten. Seine „Laudatio(nes) auf den präventiven Sicherheits- und Überwachungsstaat“ präsentiert der Papyrossa-Verlag nunmehr in Buchform.

Kultur und Kulturgeschichte sollen in diesem Überblick nicht fehlen. Der Wallstein-Verlag bietet hier gleich drei interessante neue Bücher: „Die Jahre der wahren Empfindung / Die 70er – eine wilde Blütezeit der deutschen Literatur“ von Helmut Böttiger sowie Helga Lüdtkes „Der Bubikopf – männlicher Blick und weiblicher Eigen-Sinn“, „Die Schwarze Botin – Ästhetik, Kritik, Polemik & Satire 1976 bis 1980“ erinnert an die dritte bedeutende feministische Zeitschrift neben Courage und Emma.

Der Titel „Mensch – Maschinen – Musik: Das Gesamtkunstwerk Kraftwerk“ von Uwe Schütte erscheint in erweiterter Neuauflage im C.W. Leske-Verlag und der dem kritischen Sportbuch verpflichtete Verlag Die Werkstatt tritt mit zwei neuen Titeln auf den Plan. Bernd Beyer „71/72 – die Saison der Träumer“, einer Parallelerzählung von Profisport und Politik in der „Mehr-Demokratie-wagen“-Ära der frühen 1970er, und Beyer verantwortet auch zusammen mit Dietrich Schulze-Marmeling den Sammelband „Boykottiert Katar – warum die Fußball-WM nicht stattfinden sollte“.

Und zum guten Schlusse noch weitere frohe Kunde: hier sind autobiographische Texte zweier Menschen, deren Einfluss zu völlig unterschiedlichen Zeiten und in gänzlich unterschiedlichen kulturellen Segmenten hoch einzuschätzen ist. „Chaos, Glück und Höllenfahrten“ versammelt in der Edition Tiamat persönliche Texte des großen Ätzers und Satirikers Wiglaf Droste, der 2019 gestorben ist. Deutlich länger nicht mehr unter uns weilt die Filmhistorikerin Lotte Eisner; dem Verlag Das Wunderhorn ist zu danken für die Neuausgabe der Autobiographie „Ich hatte einst ein schönes Vaterland“ aus Anlass ihres 125. Geburtstags.

Der Wiener Bahoe-Verlag macht seit seinem ersten Auftritt vor noch nicht allzu langer Zeit alles richtig. Schön gestaltete Bücher, zuverlässiger Vertrieb und obendrein auch noch gute und wichtige Themen, zum Teil in Graphic Novels verpackt, wie z. B. in dieser Saison „Muhammad Ali – Kinshasa 1974“ oder „Der Fall Alan Turing“ und „Die Kinder der Resistance II“.

Verlegerische Wagnisse sind die eine Sache und zu loben, Neugierde und das Verlassen ausgetretener Lesepfade seitens der geneigten Leser*innenschaft aber ebenso wichtig!

Local Heroes

Doch, der*die Prophet*in gilt schon im eigenen Lande, er und sie wollen aber auch als solche*r erkannt werden. Hier sind die Erkennungsmerkmale für zwei Romancières aus dem -dorf:

Nach einigen erfolgreichen Sachbüchern hat Mithu M. Sanyal jetzt ihren ersten Roman im Carl Hanser-Verlag veröffentlicht. „Identitti“ ist, wie zu erwarten, ein Buch über Gender und Weis(s)heit.

Salih Jamal versammelt in seinem dritten Roman „Das perfekte Grau“ im Septime-Verlag äußerst schräges Personal („Rofu hat nur ein Ohr und ist übers Meer gekommen, Mimi ist Engländerin und hat ihren Mann umgebracht, Novelle ist noch sehr jung und liebt Mangas und Sauferei...“) auf einem Hausboot.

Leider sind auf mittlere Sicht noch keine virtuellen Buchvorstellungen möglich, aber das gute Buch ist unvergänglich...

Buchladen BiBaBuZe