CrimethInc. ist ein dezentral organisiertes loses Kollektiv mit Wurzeln in der Hardcore- und Anarcho-Punk-Szene Nordamerikas. Dazu gehören unter anderem Aktivist*innengruppen wie Earth First!, Reclaim the Streets, und Food Not Bombs sowie Critical Mass-Bewegungen. CrimethInc. ist stark von Anarchismus und Situationismus beeinflusst und versteht sich sowohl als antikapitalistisch wie auch als antiautoritär.
Der Unrast-Verlag hat Veröffentlichungen von CrimethInc. in dem Buch „Writings on the Wall – Communiqués 2012-2020” versammelt, aus dem die Terz (leicht redaktionell bearbeitet) einen Auszug abdruckt.

Musik ist eine Waffe

Die kontroverse Symbiose von Punkrock und Anarchismus

Von Victor Jara bis hin zu Public Enemy hat Musik eine wichtige Rolle in zahllosen Kulturen des Widerstands gespielt. Viele, die von 1978 bis zum Jahr 2000 an anarchistischen Bewegungen teilgenommen haben, waren früher oder später auch Teil der Punk-Gegenkultur; viele sind erst durch Punk mit anarchistischen Ideen in Berührung gekommen. Dies könnte lediglich ein unbedeutender Zusammenhang sein: vielleicht haben die gleichen Eigenschaften, die Menschen auf die Suche nach anarchistischen Ideen getrieben haben, sie auch dafür anfällig gemacht, aggressive und unabhängig produzierte Musik zu genießen. Es ließe sich aber auch argumentieren, dass Musik, die ästhetische und kulturelle Grenzen überschreitet, ihre Hörer*innenschaft dazu bringen kann, einem breiteren Spektrum an Möglichkeiten auch in anderen Sphären des Lebens gegenüber aufgeschlossen zu sein.

Nun, da wir uns nicht mehr darauf verlassen können, dass die Punk-Subkultur als ein Inkubator für Anarchist*innen fungiert, sollten wir uns daranmachen zu verstehen, wie und warum Punk diese Rolle 30 Jahre lang innehatte.

Als Punk noch ein Rekrutierungsfeld der Anarchie war

»Die Leute reden davon, dass wir nur vor Bekehrten predigen – nun ja, wer zur Hölle hat sie wohl bekehrt?« Penny Rimbaud, Crass

Es gibt zahllose Gründe, warum mensch das Schicksal einer revolutionären Bewegung nicht vom Erfolg einer Musikszene abhängig machen sollte. Menschen, die über Punk zum Anarchismus kamen, neigten dazu, ähnlich an anarchistische Aktivität heranzugehen, wie sie es von ihrem Zugang zu einer Jugendsubkultur her kannten. Dies hatte seinen Anteil an einem anarchistischen Milieu, das eher konsumorientiert, wenig initiativ und eher auf Identität statt auf dynamischer Veränderung konzentriert war. Daraus resultierten Aktivitäten, die sich auf die Freizeit ihrer Teilnehmer*innen beschränkten, ideologische Konflikte, die auf einen Streit über unterschiedliche Geschmäcker hinausliefen und eine Orientierung an der Jugend, die die Bewegung für viele mit dem Eintritt ins Erwachsenenalter überflüssig machte.

Doch während der Jahrzehnte des globalen Widerstands, die auf die 1960er folgten, war der Punk-Underground einer der wichtigsten Katalysatoren des wieder erstarkenden Anarchismus. Gäbe es nicht Punk, würden Antikapitalist*innen in vielen Teilen der Welt wohl immer noch zwischen den muffigen Varianten des autoritären Sozialismus wählen. […]

Punk und Widerstand: Ein zeitlicher Ablauf

Die erste große Welle des politisierten Punk lässt sich vermutlich auf die britische Band Crass zurückführen, die sich beim Dadaismus und anderen Avantgarde-Traditionen bediente und aus dem frühen Punkrock eine Form der kulturellen Agitprop machte. Jahrzehnte später konnte mensch als Besucherin in Großbritannien kleine Kreise von alternden Anarchopunks vorfinden, die durch Crass politisiert worden waren und die immer noch Teil des gleichen unabhängigen Musikundergrounds waren und auch immer noch die gleichen Auseinandersetzungen über The Clash wieder aufgriffen, wann immer sie betrunken waren.

Ein Jahrzehnt später hatte der DIY-Underground der 1990er in den Vereinigten Staaten einen Anteil an der Intensivierung des Tierrechtsaktivismus und half dabei, den Boden für die Anti-Globalisierungsbewegung zu bereiten. Zeitschriften wie Profane Existence verbreiteten radikale Perspektiven auf alles (vom Feminismus bis hin zu Schusswaffen); DIY-Communitys entstanden, in denen jede*r ein Zine schrieb, in einer Band spielte oder Kellerkonzerte organisierte; selbst in den größten Macho-Szenen sprach die Band das Publikum zwischen den Songs an – und sei es nur, um es dazu zu bringen, brutaler zu tanzen.

Am Vorabend des Beginns der Anti-Globalisierungsbewegung versammelten sich Hunderte Punks Ende April 1999 zum »Millions for Mumia«, einer Demo, die den Staat Pennsylvania davon abbringen sollte, Mumia Abu-Jamal hinzurichten. Für viele war es das erste Mal, dass sie einen längeren Weg zurückgelegt hatten, um zu demonstrieren; und es war auch das erste Mal, dass viele sich in der Öffentlichkeit mit schwarzer Vermummung und schwarzen Sweat-Shirts versammelt hatten, auch wenn es nicht zu größeren Konflikten mit der Polizei kam. Dieser Augenblick, in dem politisierte Punks realisierten, dass es genug von ihnen gab, um eine gesellschaftliche Macht zu sein, bereitete den Weg für das, was folgen sollte: Ein Jahr später standen viele der Teilnehmer*innen Seite an Seite mit anderen Protestler*innen bei den Demonstrationen gegen das Treffen des IWF / der Weltbank im April 2000 in Washington DC. Am Abend nach der Demo versammelten sich viele Zuschauer*innen im Stalag 13, einem DIY-Veranstaltungsort, um His Hero Is Gone zu sehen; viele hatten das Gefühl, dass es keinen großen Unterschied zwischen subkultureller Identität und politischer Aktivität gab. Die im selben Jahr durchgeführte Primate-Freedom-Tour war eine Synthese von Punk und radikalem Aktivismus, indem sie eine Reihe von Shows dazu nutzte, um lokale Demos gegen Labore, die an Primaten experimentierten, zu bewerben.

Der DIY-Boom Mitte der 90er verstärkte die Wucht der Antiglobalisierungsbewegung. Diejenigen, die selbst Teil einer Punk-Band oder ihres Umfelds waren, wussten genau, wie eine Bezugsgruppe funktionierte. In dezentralen Netzwerken zu agieren und autonome Aktionen zu koordinieren, lag ihnen im Blut. Menschen, die schon immer durchs Land gereist waren, um an chaotischen subkulturellen Events teilzunehmen, fiel es leicht, durchs Land zu reisen, um an chaotischen antikapitalistischen Demos teilzunehmen. Das sogenannte ›Summit-Hopping‹ bot oft die gleichen Anreize wie Punk – Risiko, Aufruhr, Zusammenhalt und Möglichkeiten, kreativ zu sein und sich Ungerechtigkeiten entgegenzustellen – zusammen mit der zusätzlichen Verlockung des Gefühls, ein Teil der Frontlinie der Geschichte zu sein.

Im Zeitraum vor dieser Explosion politischer Aktivität war die Punkmusik und -kultur experimenteller geworden, Punks waren auf der Suche nach einer Verbindung von tollkühner Ästhetik und radikaler Rhetorik. Es hat im Punk schon immer eine Spannung gegeben zwischen den einfach gehaltenen Aspekten der Kunst – drei Akkorde und handgefertigte Layouts – und der Sehnsucht nach Innovationen und Herausforderungen. Wo die Subkultur ihren Teilnehmer*innen ein breiteres Spektrum an Varianten aufzeigte, was alles möglich war, begannen einige, Musik zu spielen und Forderungen zu stellen, die die Begrenzungen des Mediums strapazierten. Einerseits könnte innovative Musik radikale Ideen verlockender machen: einer unbekannten, aber anregenden Erfahrung nachzugehen, könnte dabei helfen, dass die Hörer*innen daran glauben, dass eine vollkommen andere Welt möglich ist. Andererseits führten diese Experimente zu einer Fragmentierung der Punk-Subkultur, da die Traditionen aufgegeben wurden und die Standards an Musikalität und Kreativität einen Anspruch erlangten, der für viele unerreichbar war. […]

Vom Punk lernen

Der lange Zeitraum, in dem Punk eine Brutstätte des Anarchismus war, zeigt, wie sehr wir von Aktivitäten profitieren können, die genussvoll und kreativ sind. Indem wir kulturelle Strömungen fördern, können wir soziale Bewegungen schaffen, die nicht von einer einzigen Institution abhängig sind, sondern die sich aus eigener Kraft selbst reproduzieren. Idealerweise sollten sie subversiv sein, ohne sofort Repression zu provozieren – es ist wichtig, Grenzen zu ziehen, aber die Teilnehmenden müssen ausreichend Zeit haben, einen evolutionären Prozess zu durchlaufen, bevor die Bullen ihre Knüppel zücken. Ein nachhaltiger Raum, der langfristige Widerstandsbewegungen fördert, kann letztendlich mehr zu einem militanten Kampf beitragen als die Art der ungeduldigen Aufständischen, die sofort mit der Konfrontation beginnen, anstatt sie in Ruhe aufzubauen.

So sehr Punk auch dafür kritisiert wird, dass er sich abschottet, zeigt doch der Erfolg des Anarcho-Punks, wie effektiv es für Anarchist*innen sein kann, sich langfristig in einem Milieu zu engagieren, mit dessen Dimensionen sie umgehen können. Es ist umso besser, wenn dies in einem politisch diversen Raum geschieht, in dem es zu Debatten und dynamischen Veränderungen kommen kann und in dem neu hinzugekommene Menschen radikalen Ideen begegnen können.

Gleichzeitig ist es jedoch für eine gesellschaftliche Bewegung, die darauf abzielt, das gesamte Leben zu verändern, lähmend, wenn sie nur mit einer einzigen Subkultur assoziiert wird. Wenn wir von den Jahren der anarchistischen, in der Punk-Kultur verwurzelten Organisierung lernen, können wir erkennen, wie wichtig Orte sind, die Menschen aus ganz unterschiedlichen Kontexten auf einer gemeinsamen Basis zusammenbringen. Genauso können wir von den Aspekten lernen, die den Punk gleichzeitig hervorgebracht als auch gelähmt haben, wie beispielsweise seine Hassliebe zu Idolen. Wenn wir innerhalb von Widerstandsbewegungen den Sehnsüchten nacheifern, die vom Kapitalismus genährt werden, können wir rasantes Wachstum erzielen, aber auch fatale Fehler begehen, die erst mit der Zeit offensichtlich werden.

Heutzutage vermissen wir in der anarchistischen Bewegung manchmal den dionysischen Spirit, der den Hardcore-Underground zu seiner Hochzeit kennzeichnete: die gemeinsame gestaltgewordene Erfahrung einer gefährlichen Freiheit. So kann Punk uns in unseren heutigen und zukünftigen anarchistischen Experimenten inspirieren: als ein transformatives Ventil für unsere Wut, unser Leid und unsere Freude, ein positives Beispiel für Gemeinschaft und Selbstbestimmung in unseren sozialen Beziehungen, ein Beispiel dafür, dass ein destruktives Verlangen auch kreativ sein kann – und umgekehrt.

Weiterführendes:

Auf https://crimethinc.bandcamp.com wird sämtliche Musik, bei der CrimethInc. involviert war, kostenlos zur Verfügung gestellt.

Das Buch »Writings on the Wall« ist frisch im Unrast-Verlag erschienen und erhältlich beim Mailorder Black Mosquito oder im Buchladen eures Vertrauens zu 18,- Euro (ISBN 978-3-89771-284-3)