TERZ 04.21 – KEIN VERGESSEN
TERZ Guten Abend, Nicola und Marcel! Wir freuen uns, dass wir miteinander sprechen können. Denn wir müssen zugeben: Als Ihr uns im Februar 2021 angesprochen habt mit Eurer Frage, ob wir Euch über die Geschichte des Mordes an Duy-Doan Pham etwas erzählen könnten, mussten wir selbst erst einmal überlegen. Wir hatten den Namen beinahe vergessen – obwohl wir damals, fast ein Jahr nach dem Mord, im Februar 2012 über den Gerichtsprozess gegen die Täter berichtet hatten (TERZ 02.2012). Bevor die Erinnerung vollkommen verblasst ist bei uns, habt Ihr Euch gemeldet. Aber sagt mal, wie seid Ihr denn auf die Geschichte aufmerksam geworden? Über unseren Zeitungsartikel?
Nicola Wir sind durch unser Seminar „Doing Memory – Erinnern statt Vergessen“ auf das Thema gekommen. Hier haben wir uns ausführlich mit unterschiedlichen Fällen rechter Gewalt in Nordrhein-Westfalen beschäftigt und uns dann wegen der Nähe zu Düsseldorf, aber auch wegen der Zeitspanne – im März ist der Mord zehn Jahre her – für diesen Fall entschieden. Ursprünglich aufmerksam auf den Mord an Duy-Doan Pham wurden wir zuvor allerdings über das Online-Portal der Amadeu Antonio Stiftung. Hier wird an 213 Todesopfer rechter und rassistischer Gewalt, seit 1990, erinnert. Duy-Doan Pham ist einer von ihnen.[1] Der Zeitungsartikel der TERZ war erst im Laufe unserer Recherchen ein Teil unseres Projektes.
TERZ Im Seminar geht es um „Doing Memory“. Also darum, dass die Geschichte von Überlebenden, Angehörigen und Opfern rechter und rassistischer Gewalt in der Regel nicht erzählt wird, nicht sichtbar ist oder schnell vergessen wird. Und dass es Menschen braucht, die das aktiv in die Hand nehmen. Ihr habt Euch also auf die Suche danach gemacht, was an Duy-Doan Pham erinnert. Wie seid Ihr da vorgegangen und was habt Ihr gefunden?
Marcel Zunächst haben wir mithilfe einer ausgiebigen Internetrecherche mögliche Anlaufstellen herausgesucht, die sich in den letzten Jahren mit dem Fall auseinandergesetzt haben oder sich in der näheren Umgebung der Tat befanden. Beispielsweise nahmen wir Kontakt zu einem Gymnasium in Hückelhoven auf. Dort haben sich die Schüler*innen in einem Projekt mit verschiedenen Fällen rechter Gewalt auseinandergesetzt. Dann haben wir die lokalen Zeitungen und ihre Redaktionen in Neuss angeschrieben, genauso wie dann auch die Antifa in Neuss oder Thomas Billstein, den Autor von „Kein Vergessen“.[2] Weitere Anlaufstellen waren dabei die „Hin- und Herberge“, also die Unterkunft, in der Duy-Doan Pham vor seinem Tod oft war. Oder die Stadt Neuss. Jedoch konnten wir von keiner dieser Anlaufstellen Informationen erhalten, wie oder ob überhaupt an Duy-Doan Pham erinnert wird. Auch nach einer Begehung der Umgebung hatten wir keine weiteren Informationen gefunden, da dort in keiner Weise an Duy-Doan Pham erinnert wird.
TERZ Und wie interpretiert Ihr das für Euch? Was bedeutet das für die Wahrnehmung von rechter Gewalt?
Nicola Nun, zunächst hatten wir erst einmal den Eindruck, dass die aktuelle Lage in Deutschland – mit Covid19 und den Herausforderungen zum Beispiel für Verwaltungsstrukturen – einfach wenig Spielraum für viele Einrichtungen gibt, sich auf zusätzliche Dinge, wie etwa unsere Anfragen, zurückzumelden.
Was aber grundsätzlich – und besonders in der Geschichte von Duy-Doan Pham – die Wahrnehmung rechter Gewalt betrifft, wirkten die Ergebnisse unserer Spurensuche für uns schon äußerst erschreckend. In unseren Recherchen der einzelnen Artikel zum Beispiel wurde deutlich, dass das Motiv rechter Gewalt nicht anerkannt wurde, trotz mehrerer Indizien, die dafür sprachen. Rechte Gewalt wird heute, wie in diesem Fall, nicht anerkannt, teilweise selbst dann, wenn es dafür handfeste Beweise gibt. Die Geschichten der Betroffenen, die ihres Todes, wird damit regelrecht unter den Tisch gekehrt. Das wäre eine mögliche Schlussfolgerung. Wenn viele Opfer rechter Gewalt eben nicht als solche angesehen werden, wenn das rechte und rassistische Motiv nicht benannt wird, abgeschwächt oder ausgeblendet ist, wird die Geschichte der Opfer auch nicht länger erzählt. Ein öffentlich sichtbares Erinnern gibt es dann nicht.
TERZ Das ist wirklich bitter. Also ist es Zeit, das zu ändern, oder? Habt Ihr eine Idee, wie das aussehen kann?
Marcel Meiner Meinung nach ist es definitiv Zeit, dies zu ändern, nachdem der Fall 10 Jahre in Vergessenheit geraten ist. Was ich mir gut vorstellen könnte wäre, dass beispielsweise ein Stolperstein auf dem Gehweg vor dem TÜV-Gelände oder ein Gedenkstein in der Nähe des Tatortes errichtet wird. Zudem gibt es in der heutigen Zeit auch andere Möglichkeiten, um an jemanden zu erinnern: wie zum Beispiel Schweigeminuten am Todestag von Duy-Doan Pham, welche durch die lokalen Radiosender eingeleitet werden.
Nicola Ich finde auch, dass sich etwas ändern sollte! Wir sollten schauen, dass wir die Menschen, die auf grausamste Weise Opfer von rechter Gewalt wurden, achten und ehren und sie nicht vergessen. Dies könnte man zum Beispiel mit einem Artikel tun, in welchem man auch ein bisschen das Leben der Person widerspiegelt. Oder aber, indem wir einen Ort erschaffen, der an die verstorbene Person erinnert. Dies könnte in Form eines Erinnerungssteines am Tatort aber auch durch eine Gedenktafel passieren, das sehe ich auch so.
TERZ Vielen Dank für Eure offenen Worte – und dafür, dass Ihr dafür sorgt, dass Duy-Doan Pham nicht vergessen ist. Danke für das Interview und für Euren Artikel!
Nicola Schulze und Marcel Pooch
[1] https://www.amadeu-antonio-stiftung.de/todesopfer-rechter-gewalt
[2] Thomas Billstein: Kein Vergessen. Todesopfer rechter Gewalt seit 1945, Münster: Unrast (2020)
Der 59 Jahre alte Duy-Doan Pham wurde in der Nacht des 27. März ermordet.
Der damals Wohnungslose hatte sich am Abend für die Nacht auf dem Gelände des TÜV niederlassen wollen, unweit der Unterkunft und Notschlafstelle „Hin- und Herberge“, in der er an diesem Abend keinen Platz zum Schlafen bekommen hatte. So fanden ihn die beiden Täter unter freiem Himmel. Der 18- und der 37-Jährige kannten Duy-Doan Pham aus der Notschlafstelle. Der Ältere war an diesem Abend ebenfalls dort abgewiesen worden.
Bereits Stunden zuvor hatte der Jüngere Duy-Doan Pham ausgeraubt. Von dem Geld seines Opfers hatte er Alkohol gekauft. Als sie ihn später wiedertrafen, erschlugen sie ihn zu zweit mit Hieben mit einem Holzpfahl, prügelten und traten auf ihn ein. Dann sahen sie zu, wie Duy-Doan Pham starb.
Der jüngere der beiden Täter hatte laut eigenen Angaben Kontakte zur Hooligan- und Neonaziszene. Aus der Presseberichterstattung zum Gerichtsprozess, der im Januar 2012 zu Ende ging, wissen wir außerdem, dass er auf der Brust zwei Hakenkreuze tätowiert hatte. Die lokale Neuss-Grevenbroicher Zeitung zitierte ihn mit den Worten, dass „Ausländer“ für ihn „Kanacken“ seien. In seinen Aussagen bei der Polizei hatte der 18-Jährige sein Opfer mit rassistischen Ausdrücken abgewertet, deren Heftigkeit keinen Zweifel daran ließen, dass sein Tatmotiv zutiefst rassistisch war. Aussagen, die im Gerichtsprozess Thema waren.
Trotzdem ist Duy-Doan Pham auch jetzt, 10 Jahre nach der Tat, nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Ganz im Gegenteil: Laut Staatsanwaltschaft habe sich der jüngere Täter erst in Haft extrem rechten Gefangenen angeschlossen. Auch die Tätowierung soll er sich erst nach dem Mord an Duy-Doan Pham habe stechen lassen. Für das Gericht standen bei der Bewertung des Mordes jedoch der Eindruck, der Haupttäter habe eine „dissoziative Persönlichkeitsstörung“ sowie dessen Biographie als wiederholt gewalthaft Auffälliger im Vordergrund. Mit der Tat habe er, zusammen mit dem 37-jährigen Mittäter, den Raub vertuschen wollen. Welche Rolle Rassismus dabei gespielt haben könnte, wurde in der Verhandlung nur nebensächlich erwähnt.
Duy-Doan Pham war in den 1970er Jahren von Vietnam nach Deutschland gekommen, um hier zu studieren. Er hatte eine Frau und war Vater von 3 Kindern. Einige Zeit später wurde er sowohl physisch als auch psychisch krank, wurde alkoholabhängig und verlor seine Wohnung. Regelmäßig kam Duy-Doan Pham aber in der „Hin- und Herberge“ unter. Dort empfanden ihn andere Obdachlose eher als Sonderling und Einzelgänger, der – ohne Freund*innen oder soziales Umfeld – einsam und eher isoliert lebte. Da er mit dem Sammeln von Pfandflaschen seine finanziellen Mittel aufbessern konnte, galt er als vergleichsweise „vermögend“.
Wer Duy-Doan Pham war? Wir wissen es nicht. Denn mit Blick auf die vergangenen zehn Jahre verlieren sich alle Spuren zu seinem Leben. Es wurde nicht an ihn erinnert, seine Geschichte und sein Name gerieten immer mehr in Vergessenheit. Doch das kann sich ändern. Dieser Artikel kann ein Anfang sein, ein Teil einer lebendigen Erinnerung – auch 10 Jahre nach dem Tod von Duy-Doan Pham.