TERZ 04.21 – MUSIC
Am 06.03.2021 ist Lou Ottens, der Erfinder der Kassette, im Alter von 94 Jahren verstorben. Ich selber komme ja noch aus der Generation Tapedeck, Songs aus dem Radio aufnehmen oder Alben auf Tape aufnehmen und dann tauschen. Einen Tag vorher hat der Düsseldorfer Künstler YürkE aka Stefan Jürke ein neues Tape herausgebracht. An einem sonnigen Samstag trafen wir uns also bei Ralf Hitsville im Laden, um über Tapes, Musiksammeln/hören und alles, was dazu gehört, zu reden.
TOB YürkE, was sind eigentlich Deine Beweggründe, wieder auf das alte Medium Tapes zurückzugreifen?
YürkE Tapes sind ja eigentlich völlig bescheuert, ein völlig sinnloses Medium mittlerweile, störanfällig, unpraktisch, die Soundqualität ist schlecht und Tapes verschleißen. Der Verschleiß ist auch sehr viel höher als bei Vinyl. Tapes können reißen, sind eigentlich Ressourcen-Verschwendung, genauso wie Vinyl. Aber ich find sie trotzdem gut. Damals war Tape das Medium der Zeit, ich bin ein Kind der 80er.
In der Punk/Industrial-Szene haben damals alle Tapes gemacht. Es gab Demotapes, komplette Alben auf Tapes, die wurden dann getauscht oder man hat selber Tapes zusammengestellt.
Ralf Hitsville Tapes zusammenstellen war auch eine Kunst, womit fängt man an, was kommt rauf und dann der Abschluss.
YürkE Tape ist ein schnelles Medium, man kann alles einfach und selber machen. Einfacher geht es nicht. Tapes gibt es immer noch zu kaufen, die bespielt man mit seiner eigenen Musik, man kann die selber vervielfältigen, das kann man im Wohnzimmer machen. Das ist zu 100 % DIY und auch ein klein wenig nostalgischer Spleen von mir.
TOB Wie machst Du das mit den Tapes, stellst Du ein Mastertape her?
YürkE Nein, also erstmal nehme ich meine Sounds auf dem Rechner auf, dann wird digital abgemischt, gemixed – klassisches Mastern – und anschließend dann via Soundkarte immer von Hand auf das Tapedeck überspielt, jedes Tape einzeln.
TOB Jedes Tape einzeln?
YürkE Ja, jedes Tape einzeln. Egal, ob ich eine 10er- oder 50er-Auflage herstelle, jedes Tape wird einzeln hergestellt. Ich muss dann auch bei jedem Tape den Anfang reindrehen, das kennt man ja noch von früher, die ersten zwei Sekunden ist das Tape ja blank.
TOB Und hattest Du da schon mal Schwierigkeiten?
YürkE Nein, zum Glück nicht oder besser gesagt: Mir ist nichts aufgefallen. Das Tapedeck hat schon mal gequietscht, aber da war nichts auf dem Tape zu hören.
TOB Und wie sehen Deine Auflagen so aus?
YürkE 10 bis 50 Stück stelle ich immer her, immer mit eigenem Artwork: Butterbrottüten, Plastikbeutel, Pappkartons, handgestempelt, mit Fotos etc. Die Ästhetik kommt vom Industrial her. Jedes Tape ist ein Unikat für sich und sieht individuell aus. Und kosten in der Herstellung wenig Geld, das ist ein schöner Nebeneffekt.
TOB Hast Du das Endlessloop-Tape selber hergestellt?
YürkE Nein, das Enlessloop-Tape habe ich gekauft bei T.A.P.E. Muzik in Leipzig, da kaufe ich alle meine Tapes. Schon auf die Minutenlänge zugeschnitten, wie ich die brauche. Das Endlessloop-Tape ist zum Beispiel 8 Minuten lang.
TOB Das Ding war auch geil, da brauch‘ man den ganzen Tag nicht mehr aufstehen, das läuft ewig durch.
YürkE Das sind alles Unikate in Kleinstauflage, ich lege aber trotzdem immer einen Download-Link bei.
Auch bei den limitierten CD-ROMs die ich selber herstelle, da ist auch immer ein Download-Link dabei. Aber ich bin so ein Typ, der was in den Händen halten muss. Egal ob CD, Vinyl oder Tape, ich mag alle diese Formate.
TOB Stimmt, limitierte CDs stellst Du ja auch her. Und eine 7“ hast Du ja auch schon rausgebracht, mit einem brillanten Cove- Artwork, wer war das?
YürkE Das Single-Cover ist von Roberta, das ist die Tochter von einer Freundin. Die hat mir mal ein Wimmelbild gemalt und daraus dann extra etwas neu gezeichnet.
Ralf Hitsville Jedes Release vom Stefan ist eine Kunstedition für sich alleine. Und früher waren Tapes das wichtigste Medium, um Musik zu tauschen oder auch um seine Musik zu verbreiten. Ich habe noch Tapes aus den 80ern, die laufen noch. Ich habe die in Mailand bestellt, die kamen aus besetzten Häusern, da waren dann z. B. Negazione drauf, die kannte in Deutschland damals noch keiner. Das waren die ersten internationalen Tapes, die ich gekriegt habe.
YürkE Ich habe ja leider so um 2004 alle meine Tapes wegeschmissen, 3 bis 5 Kisten, da ärgere ich mich heute noch drüber. Da war richtig geiles Zeug bei, ROIR Sessions, originale Reggae-Tapes, Black Uhuru z. B., Live-Sachen usw. Wenn ich da heute die Preise bei Discogs sehe ...
Ralf Hitsville Die ersten Bootlegs mit Live-Aufnahmen kamen damals alle auf Tape heraus. Die hat man dann getauscht, das war die Möglichkeit, Sachen zu hören, an die man sonst nicht rankam.
YürkE Getauscht haben wir damals auch, zu dritt in den Plattenladen gegangen, jeder hat eine Platte gekauft und dann wurden die Alben auf Tape gezogen, und jeder hatte etwas davon.
TOB Das kenne ich auch noch, Tapes tauschen in der Schule. Ich habe damals leider auch einen Großteil meiner Tapes entsorgt, ärgerlich. Zum Glück habe ich vor ein paar Jahren ein Technics-Tapedeck geschenkt gekriegt, das habe ich auch wieder angeschlossen. Seitdem bin auch wieder auf Tape und nicht nur Vinyl.
YürkE Vor gut 10 Jahren habe ich Tapes und Tapedecks auf dem Sperrmüll gefunden. Zwei, drei Decks habe ich dann auf der Kölner Straße restaurieren lassen. Das war bei mir wieder der Anfang.
TOB Tauscht Du eigentlich jetzt auch Tapes und wo gehen die so überall hin?
YürkE Ja, ich tausche mit einen Typen in Berlin, dann gehen ein paar nach Mönchengladbach und viele an Bekannte, die letzte Edition war innerhalb von ein bis zwei Stunden weg.
TOB Du legst ja auch auf, auch mit Tapes?
YürkE Das bin ich schon mal gefragt worden, aber da habe ich keinen Bock drauf, das Einspielen der Tapes ist mir dabei zu nervig. Ich habe mal Jeff Mills auflegen sehen, der besprüht seine Scheiben mit Parfüm und riecht beim Auflegen daran und findet somit seine Skills und Loops, die er braucht, das war echt beeindruckend.
TOB Und wie ist Deine Sammlung sortiert?
YürkE Die Tapes sind in einem Köfferchen, die LPs nach Genre und Ländern, da habe ich mein eigenes System. Mein Musik Zimmer ist aber auch schon voll, die ersten Scheiben stehen schon im Wohnzimmer. Ich habe mal ein Bild von einer Sammlung gesehen, die war nach Farben sortiert, die ganze Wand ging vom Hellen ins Dunkle über. Das war schon Kunst.
TOB Und zum Schluss, was sind Deine anderen Projekte und kannst Du davon leben?
YürkE Es gibt noch Graph, mit Jens Beyer, Electronic/Freeform. Rotodyne mit Axel Ganz, Noise und natürlich YürkE, Experimental. Leben kann ich natürlich davon nicht, das wird alles querfinanziert.
TERZ Vielen Dank für das Interview Stefan, und an Ralf, dass wir uns bei Dir treffen durften.
https://yrke.bandcamp.com
https://rotodyne.bandcamp.com/album/nonmusic