Der „Gruppe S“-Prozess in Stuttgart – und was das mit Düsseldorf zu tun hat

Am 13. April 2021 begann vor dem 5. Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart das Staatsschutzverfahren gegen zwölf Männer aus Bayern (3), Baden-Württemberg (2), Niedersachsen (1), NRW (3), Rheinland-Pfalz (1) und Sachsen-Anhalt (2). Sie werden beschuldigt, eine terroristische Gruppe gegründet zu haben und/oder in einer solchen Mitglied gewesen zu sein beziehungsweise – im Falle eines Angeklagten – diese Gruppe unterstützt zu haben. Ihr Ziel: mittels Anschlägen Muslim*innen und politische Gegner*innen zu ermorden. Unter den Angeklagten befindet sich auch ein Aktivist der „Sektion Süddeutschland“ der „Bruderschaft Deutschland“ aus Baden-Württemberg.

Gründung 2019

Die nach ihrem Gründer und Anführer Werner S. (55) aus dem Landkreis Augsburg benannte „Gruppe S“ setzte sich aus extrem rechten Aktivisten zusammen, die überwiegend in bürgerwehrähnlichen Gruppierungen organisiert waren. Laut Erkenntnissen der Anklagebehörde hatte sie sich 2019 auf Betreiben von S. in einem Online-Chat zusammengefunden und sich auf einem Treffen am 28. September 2019 in der Nähe von Stuttgart als Gruppe gegründet. Ein zweites Treffen fand am Rande einer extrem rechten Demonstration am 3. Oktober 2019 in Berlin und ein weiteres am 8. Februar 2020 im ostwestfälischen Minden in der Wohnung des Angeklagten Thomas N. statt – nach Anwerbung weiterer Mitstreiter, die dem „harten Kern“ als vertrauenswürdig sowie gewalt- und sterbebereit erschienen. Hier, beim Treffen in Minden, sei dann deutlich und einvernehmlich das Ziel und die Strategie der Gruppierung formuliert worden: die Herstellung bürgerkriegsähnlicher Zustände, die Initiierung eines bewaffneten Volksaufstandes, die Überwindung der Staats- und Gesellschaftsordnung. Zur Umsetzung seien bei dem Mindener Treffen auch der Ankauf und die Finanzierung (50.000 Euro) von Schusswaffen und Handgranaten organisiert worden. Auf einem nächsten Treffen sollten dann konkrete Anschlagsziele – zuerst Moscheen im ländlichen Raum – festgelegt und Zuständigkeiten geklärt werden.

Hochgenommen im Februar 2020

Doch soweit kam es glücklicherweise nicht. Auf dem Mindener Treffen war einer der Anwesenden und aktuell Angeklagten – Paul-Ludwig U. aus BaWü, Mitgliedsanwärter der BSD-„Sektion Süddeutschland“ und bereits 21 seiner 49 Lebensjahre inhaftiert – in Verdacht geraten, ein Verräter zu sein. Und damit lagen seine ehemaligen „Kameraden“ exakt richtig. Offenbar schon vor dem ersten persönlichen Treffen am 28. September 2019 hatte U. aus bisher unbekannten Motiven von sich aus Kontakt zu Verfassungsschutz und Polizeibehörden aufgenommen und diese fortan auf dem Laufenden gehalten – bis zu seinem Rauswurf aus der Gruppe.

Nachdem nun der Infofluss abgebrochen war, schlugen die Behörden zu und nahmen am 14. Februar 2020 zwölf Personen fest, nur U. blieb auf freiem Fuß. Wieso auch er der Gründung und Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung angeklagt ist, wird der laufende Prozess zeigen. Man kann allerdings in seinem Fall von einer milden Strafe ausgehen.

Einer der zwölf Inhaftierten, Ulf R. aus Ostwestfalen, beging in der U-Haft Selbstmord, so dass letztendlich, mit Paul-Ludwig U. als mitangeklagtem „Kronzeugen“, zwölf Personen auf der Anklagebank landeten. Nur eine von ihnen war nicht beim Mindener Treffen dabei: Michael B. (48) aus dem Landkreis Esslingen (BaWü), ein enger Vertrauter von Werner S. Am Tag des Treffens im Februar 2020 war B. mutmaßlich verhindert.

Wer war noch dabei?

Darauf, dass Michael B. nicht das einzige in Minden nicht anwesende „Gruppe S“-Mitglied war, deuten antifaschistische Recherchen wie beispielsweise die der Rechercheplattform EXIF (https://exif-recherche.org) hin, die auf drei fehlende Neonazis aus Norddeutschland verweisen. Auch die Rolle der Führung der von Düsseldorf aus geleiteten „Bruderschaft Deutschland“ (BSD) bedarf einer Aufklärung.

So ist davon auszugehen, dass Richard L., Kai K. und insbesondere der seit März 2020 nicht mehr auf BSD-Aktionen gesichtete Ralf N. nicht nur in Verbindung mit Paul-Ludwig U. standen, sondern auch in einem engen Kontakt zu Tony E. (neben Werner S. der Rädelsführerschaft angeklagt) – und vermutlich auch mit weiteren „Gruppe S“-Mitgliedern. Auch sie dürften zu dem Mindener Treffen eingeladen gewesen sein. Es ist davon auszugehen, dass sich die Führung der „Gruppe S“ um eine Einbindung der BSD und um deren Support bemüht haben dürfte. Sowie davon, dass die BSD-Führung großes Interesse an dem Vorhaben der „Gruppe S“ gezeigt hat, wenn sie nicht sogar zu einer Unterstützung bereit gewesen war oder mitmachen wollte. In einer Stellungnahme des antifaschistischen Bündnisses „Düsseldorf stellt sich quer“ heißt es hierzu vor Prozessbeginn: „DSSQ fordert eine vollumfängliche Aufklärung, ob und in welcher Form von Seiten der genannten Personen und anderen BSD-Akteuren Unterstützungsleistungen für die ‚Gruppe S‘ getätigt, zugesagt oder in Aussicht gestellt wurden. Sowie darüber, wie weit die BSD in die Strukturen der ‚Gruppe S‘ und deren Anschlagsplanungen eingebunden war.“

Langer Staatsschutzprozess

Für den Stuttgarter OLG-Prozess wurden einstweilen 101 Hauptverhandlungstage bis zum 5. Juli 2022 terminiert, eine eventuelle Verlängerung wurde in Aussicht gestellt. Schon an den ersten beiden Prozesstagen am 13. und 14. April 2021 zeichnete sich ab, dass über 100 Prozesstage durchaus realistisch sein könnten.

Von den zwölf Angeklagten, vertreten durch 27 Verteidiger*innen, haben bisher nur zwei signalisiert, dass sie aussagen wollen: Stefan K. aus Sachsen-Anhalt, angeklagt als Mitglied, sowie der Verwaltungsdienstbeamte im Polizeipräsidium Hamm, Thorsten W., angeklagt als Unterstützer der „Gruppe S“. Aus den Reihen der Verteidiger*innen gab es bereits erste Vorstöße, die polizeilichen Aussagen des Kronzeugen Rolf-Ludwig U. zu demontieren und diesen als unglaubwürdig darzustellen. Noch hat U. abgelehnt, eine Aussage im Prozess zu machen, allerdings ist zu einem späteren Zeitpunkt damit zu rechnen. Eigentlich sollten aber die polizeilichen Observationen und Telekommunikationsüberwachungen genügend Belastbares erbracht haben, so dass die Anklagebehörde nicht alleine auf U. angewiesen sein sollte.

Der Prozess wird am 27. und 28. April fortgesetzt und findet einstweilen an jedem Dienstag und Mittwoch statt. Wer sich auf dem Laufenden halten möchte, findet jeweils zwei bis drei Tage nach jedem Prozesstag einen ausführlichen Bericht auf https://prozessbeobachtung.org.