Versammeln verboten

Interview zum neuen Versammlungsgesetz

Das Versammlungsgesetz schränkt die im Grundgesetz verankerte Versammlungsfreiheit ein. Bis 2006 war der Bund dafür verantwortlich, danach konnten die Länder eigene Versammlungsgesetze erlassen. Nun will NRW ein eigenes Versammlungsgesetz beschließen. Und das hat es in sich. Es ist geprägt von massiven Einschränkungen der Versammlungsfreiheit und scheint darauf angelegt, Demonstrationen und Proteste nicht nur zu behindern, sondern gleich ganz zu verhindern. Welche Änderungen sind vorgeschlagen und welche Bedeutung haben sie? Wir haben mit dem Düsseldorfer Rechtsanwalt Jasper Prigge gesprochen.

TERZ Die Anmeldung einer Versammlung/Demonstration soll im neuen Gesetz erheblich erschwert werden. Was sind die gravierendsten neuen Hürden?
Jasper Prigge Der Gesetzesentwurf dreht an vielen Stellschrauben. Dabei gibt es nur eine Richtung, nämlich mehr Pflichten für die Versammlungsleitung bei gleichzeitig mehr Kompetenzen für die Polizei. Ein Beispiel ist, dass die Polizei künftig die Namen und Adressen der Ordnerinnen und Ordner, die eingesetzt werden sollen, anfordern können soll. Voraussetzung ist nur, dass von der Versammlung eine Gefahr ausgeht. Das wird man bei jeder Versammlung annehmen können und ich sehe hier das Risiko, dass gerade bei unbequemen Themen eine Gängelung durch die Behörden erleichtert wird. Hinzu kommt, dass es gerade bei größeren Versammlungen kaum möglich sein wird, im Vorfeld eine ausreichende Zahl an Freiwilligen zu finden, die dazu bereit sind, ihre Daten an die Polizei übermitteln zu lassen. Die Frage der Ordnerinnen und Ordner ist aus meiner Sicht besonders problematisch. Aber es gibt auch weitere Hürden, beispielsweise kompliziertere Anmeldefristen, polizeiliche Kontrollstellen oder die Ausweitung des Störungsverbots, um nur einige zu nennen.

TERZ Denkst Du, dass dadurch Menschen davon abgehalten werden, Versammlungen anzumelden?
Jasper Prigge Das ist jedenfalls meine Befürchtung. Wir sehen in der Praxis schon heute, dass die Behörden sehr große Spielräume haben und grundrechtliche Freiheiten zu stark eingeengt werden. Der Gesetzesentwurf setzt auf Verschärfungen. Versammlungen werden vor allem als Gefahr gesehen, zugleich werden der Polizei keine klaren Vorgaben gemacht, um Versammlungen zu ermöglichen. Ein Beispiel: Wir erleben es immer wieder, dass die Polizei über Wochen keine Auflagen erlässt und erst kurz vor der Versammlung kommt dann der Bescheid. In manchen Fällen ist es zu spät, einen Anwalt einzuschalten und vor Gericht zu gehen. Ich hätte mir gewünscht, dass die Landesregierung mal klarstellt, dass effektiver Rechtsschutz, wie ihn das Grundgesetz vorsieht, gewährleistet werden muss. Auflagen kurz vor knapp, obwohl die Behörde genug Zeit hatte, sind für den Rechtsstaat eine Zumutung.

TERZ Aus unserer Sicht wird mit der Gesetzesvorlage insbesondere der in den letzten Jahren aufkommende zivile Ungehorsam kriminalisiert. Wie ist Deine Einschätzung und was sind hier die maßgeblichen Verschärfungen?
Jasper Prigge Der Gesetzesentwurf sieht unter anderem eine Ausweitung des Störungsverbots vor. Damit zielt die Landesregierung, wie sie in der Gesetzesbegründung ganz offen zugibt, auf Blockaden von Naziaufmärschen ab. Auch Blockadetrainings sollen unter das Verbot fallen, wenn sie auf eine bevorstehende Versammlung abzielen. Das steht im Widerspruch zur Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW, das 2012 entschieden hat, dass Blockadetrainings, solange sie Rechte anderer nicht beeinträchtigen, grundrechtlich geschützt sind. Die Regelung ist zudem sehr weit formuliert, sodass nicht ganz abzuschätzen ist, welche Störungen genau von ihr erfasst sein sollen. Das wird zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. Gleiches gilt für das sogenannte Militanzverbot, das auf „den schwarzen Block“ abzielt. Künftig soll es verboten sein, dass eine Versammlung infolge des äußeren Erscheinungsbildes durch das Tragen von uniformähnlichen Kleidungsstücken oder in vergleichbarer Weise Gewaltbereitschaft vermittelt und dadurch einschüchternd wirkt. Das ist in hohem Maße problematisch, weil schwarze Kleidung eben Alltagskleidung ist. Wie viele Personen dürfen dann künftig einen schwarzen Pulli tragen, ohne dem Verbot zu unterfallen? Auf wessen Empfinden stelle ich ab, um zu beurteilen, ob Gewaltbereitschaft „vermittelt“ wird und die Versammlung dadurch „einschüchternd wirkt“? Das alles bleibt viel zu unbestimmt.

TERZ In der Begründung des Gesetzes stellt die Landesregierung die Bedeutung von Demonstrationen für die Demokratie insgesamt in Frage. Woran orientiert sich der Entwurf? Kannst Du das kurz erklären?
Jasper Prigge In der Gesetzesbegründung werden lang und breit Meinungen aus der Rechtswissenschaft zitiert, wonach Versammlungen oftmals einer lauten Minderheit zu viel Aufmerksamkeit verschaffen. Das lässt tief blicken, was die Intention des Entwurfs angeht. Auch wenn die Landesregierung sich nicht traut, es ausdrücklich zu sagen: ihr sind Versammlungen offensichtlich ein Dorn im Auge. Der Entwurf ist von dieser Grundeinstellung getragen und das merkt man auch an den beabsichtigten Regelungen.

TERZ Aus deiner Sicht als Anwalt: Ist überhaupt ein Versammlungsgesetz nötig?
Jasper Prigge Ein neues Versammlungsgesetz zu schaffen, muss nicht falsch sein. Es kommt auf den Inhalt an. Auch das bisherige Versammlungsgesetz kann nun wirklich nicht als liberal bezeichnet werden. Besser als das, was da kommen soll, ist es aber allemal. Natürlich würde ich mir ein fortschrittliches Versammlungsgesetz wünschen. Das bedeutet für mich: Weniger formale Zwänge wie Anmeldepflichten, mehr Transparenz und Vorgaben für die Behörden. Aber das ist mit einer Landesregierung von CDU und FDP nicht zu haben.

TERZ Innenminister Reul versteht die Kritik von links am Versammlungsgesetz nicht. Seiner Meinung ist das Gesetz doch gerade gegen Rechte gerichtet. Wie siehst du das?
Jasper Prigge Das ist völliger Unsinn, da muss man nur die Gesetzesbegründung lesen. Sicherlich wird man einige Vorschriften auch gegen Rechte anwenden können, aber sie zielen eben nicht nur darauf ab.

TERZ Du hast in den letzten Jahren immer wieder gegen Videoüberwachung der Polizei bei Versammlungen erfolgreich geklagt. Nun sollen diese umfassend legalisiert werden. Wird da nicht einfach nur eine Praxis legalisiert, die die Polizei sowieso schon ständig macht?
Jasper Prigge Jein, denn wir haben schon festgestellt, dass die Urteile, die wir erstritten haben, dazu geführt haben, dass die Polizei weniger filmt. Es geht der Politik nun darum, den Handlungsspielraum zu erweitern. Künftig wären Klagen wahrscheinlich deutlich schwieriger. Das gilt auch für einen anderen Aspekt, nämlich den verdeckten Einsatz von Zivilbeamt*innen bei Versammlungen. Der ist bislang verboten, die entsprechende Vorschrift soll aber nicht in das neue Versammlungsgesetz übernommen werden.

TERZ Hältst du den Gesetzesentwurf für verfassungswidrig?
Jasper Prigge Es gibt sicher einige Punkte, die sehr kritisch sind und daher beim Verfassungsgericht landen sollten, wenn sie so umgesetzt werden. Dabei sollten wir aber nicht vergessen, dass auch ein verfassungskonformes Gesetz nicht automatisch auch ein gutes Gesetz ist. Selbst wenn also Regelungen juristisch halten, bedeutet das nicht, dass man die Landesregierung politisch schonen müsste.

TERZ Was kann bzw. muss man tun, um das Gesetz zu verhindern?
Jasper Prigge Es gibt ganz viele Möglichkeiten: Sich einbringen, informieren, Veranstaltungen machen, Abgeordneten schreiben – oder auf die Straße gehen. Eine erste Anlaufstelle ist das Bündnis gegen das Versammlungsgesetz NRW. Dort werden vielfältige Aktionen koordiniert. Es kommt nun auf uns alle an, damit dieses Gesetz so nicht verabschiedet wird.

TERZ Vielen Dank für das Gespräch!

Versammlungsgesetz kippen!

Die CDU/FDP NRW-Landesregierung will mit einem neuen Versammlungsgesetz Demonstrationen massiv einschränken bzw. gleich ganz verhindern. Sie behauptet, dass das Gesetz sich gegen rechte Aktivitäten richten würde. Das ist billige Propaganda, denn die Verschärfungen richten sich gegen alle. Aus ihrer Ablehnung von – aus ihrer Sicht – unliebsamen Meinungsäußerungen machen sie keinen Hehl.

Die Versammlungsfreiheit aber ist es, die es uns Bürger*innen ermöglicht, unsere Anliegen auf die Straße zu bringen, Missstände anzuprangern und so zu einer lebendigen Gesellschaft und Demokratie beizutragen, ganz unabhängig von Wahlen. Das neue Versammlungsgesetz knüpft damit an verschiedene autoritäre Gesetzesverschärfungen der letzten Jahre an, wie z. B. die Polizeigesetze von 2018. Das nehmen wir so nicht hin. In NRW hat sich daher ein breites Bündnis von momentan über 50 Gruppen, Parteien und Organisationen gebildet, das massiv gegen die geplante Gesetzesverschärfung mobil macht. Am 6.Mai findet eine Anhörung zu dem Entwurf im Innenausschuss des Landtages statt. Wir rufen deshalb zu einer Kundgebung vor dem Landtag auf am

Do., 06. 05., 15h
Wiese vor dem Landtag


Düsseldorfer Bündnis gegen das Versammlungsgesetz
https://nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de