Gegen Null

Interview mit der ZeroCovid-Gruppe Düsseldorf

Die ZeroCovid-Initiative macht sich für einen solidarischen europaweiten Lockdown stark und fordert eine langfristige Perspektive aus der Corona-Pandemie, die Schließung der Betriebe, eine Freigabe der Impfstoff-Patente und die Unterstützung von Menschen in Notlagen. Die Terz sprach mit Jochen von der Düsseldorfer ZeroCovid-Gruppe.

TERZ Was verbirgt sich hinter der ZeroCovid-Initiative?
Jochen Wir sind jetzt seit einem Jahr immer wieder in einem mehr oder minder ernsthaften Lockdown, der zu wenig bringt und den Menschen die Kraft raubt, weil keine Perspektive dahintersteckt. Er bleibt ohne Erfolge. Viele Maßnahmen sind völlig widersprüchlich – so darf mensch abends kein befreundetes Paar treffen, aber morgens in der überfüllten U-Bahn unfreiwillig mit fremden Menschen kuscheln. Die einzige laute Kritik an den Maßnahmen der Regierung gegen die Ausbreitung des Virus‘ kommt von Coronaleugner*innen – also eine Kritik von rechts, die das Virus selbst oder seine Auswirkungen leugnet.
ZeroCovid ist die erste ernstzunehmende koordinierte Antwort von links auf diese Coronapolitik. Ich denke, dass eine solche Perspektive ganz wichtig ist. Große Teile der Linken, insbesondere wenn sie in Regierungen sitzen, und der Gewerkschaften stellen sich bisher hinter die Corona-Politik der Regierung. Die möchte um jeden Preis die Betriebe aufhalten – und die Schulen und Kitas geöffnet halten, damit die Betriebe weiterhin ungestört ihre Gewinne machen können. Das führt ganz einfach dazu, dass Menschen am Virus sterben oder unter dem „Lockdown light“ langsam durchdrehen.

TERZ In der Selbstbeschreibung von ZeroCovid taucht nicht explizit auf, dass die Initiative aus einer linken Ecke kommt – man kann es natürlich an den Schlagworten erkennen. Ihr habt einen Aufruf gestartet, den über 100.000 Menschen unterzeichnet haben. ZeroCovid ist also durchaus auf Breitenwirkung angelegt.
Jochen Ob es uns gelingt, viele Arbeitende, junge Menschen und andere Betroffenen zu erreichen, wird das Schicksal von ZeroCovid entscheiden. 100.000 Unterschriften sind das eine. Wir können 500.000 Unterschriften im Internet haben, aber deswegen entsteht noch kein Druck auf die Regierung und ihre Corona-Politik. Es ist etwas paradox: In Zeiten, in denen wir dafür plädieren, dass wir Sozialkontakte reduzieren und dafür auch die Betriebe zumachen müssen, müssen wir es schaffen, Menschen auf die Straße zu bringen oder dazu, zu streiken. Ohne Druck auf der Straße kann ZeroCovid keinen Erfolg haben.

TERZ Wie gelingt es Euch, Menschen anzusprechen, die nicht politisch sozialisiert sind?
Jochen Auf verschiedene Weise. Zum Beispiel dadurch, dass wir die Frage stellen: Wie geht es denn nach diesem einen Jahr nun weiter? Die Kinder- und Jugendärzt*innen warnen. Menschen fragen uns deswegen: Wie könnt Ihr denn jetzt so wahnsinnig sein und weiter einen Lockdown fordern – die Kinder gehen daran kaputt!? Aber umgekehrt wird ein Schuh daraus: der unendliche „Lockdown light“ ohne Perspektive einer Verbesserung für Kinder- und Jugendliche ist doch viel belastender. Wenn die Schulen weiter aufmachen ohne Luftfilter, ohne Wechselunterricht und vor allem ohne die Aussicht, dass die Inzidenz runtergeht, dann wird es doch nicht besser. Lehrkräfte werden für Abschlussprüfungen eingesetzt und fehlen dann für die Betreuung von Schüler*innen, die es aus vielen Gründen wirklich dringender brauchen. Viele haben Angst, sich oder ihre Familie anzustecken, auch wenn sie ihre Freund*innen vermissen. Oder sie reagieren auf die Inkonsequenz der Coronamaßnahmen, indem sie diese nicht mehr ernst nehmen. Denn in diesem Land werden eher Shoppingmeilen geöffnet als Jugendclubs. Wie lange soll das so weitergehen?

Das Freizeitvirus

TERZ Ja, es wird sehr wenig auf lange Sicht diskutiert. Gerade wenn es jetzt um diese kosmetischen Sachen geht, wie eine Ausgangssperre einzuführen oder mit wem wir uns wie, wann und wo treffen können.
Jochen Es ist der Freizeitbereich, der eingeschränkt wird. Menschen treffen, Oma treffen … Wie viele alte Menschen mussten allein sterben, wie viele konnten sich nicht verabschieden? Jugendliche, die mit 15 Jahren sagen: Mensch, ich würde mich gern mal verlieben, ich würde gern Freund*innen treffen – und wir antworten: Joa, das kannst Du auch mit 18 noch?! Das ist keine Perspektive. Es gibt die Lösung ‚Augen zu und durch‘, indem wir alles offen halten und die Leute dann halt hunderttausendfach sterben lassen. Oder es gibt die Lösung, mit einem solidarischem, konsequenten Lockdown zu reagieren, aber dann müssen wir darüber reden, wie der gestaltet wird.

TERZ Bislang wird der private Bereich überreguliert und im Arbeitsleben wird es den Arbeitgeber*innen überlassen, ob sie vielleicht so nett sind und coronakonforme Arbeitsplätze schaffen und Homeoffice ermöglichen.
Jochen Auf der ZeroCovid-Seite im Netz gibt es die schöne Abteilung ,Schichtgeschichten‘. Die zeigt die Lebenswirklichkeit der Leute, die arbeiten gehen und damit die Absurditäten und die Widersprüchlichkeit der Coronapolitik. Ich sehe ZeroCovid als Prozess. Es ist nicht jede Forderung unverrückbar, ZeroCovid kann sich weiterentwickeln. Aber die Eckpunkte sind klar: Es kann nicht sein, dass wir uns im Freizeitbereich beschränken und jetzt auch noch Ausgangssperren kriegen, während gleichzeitig die Leute morgens mit vollen U-Bahnen in die Büros, in die Betriebe oder in die Schulen fahren. Das Virus ist kein Freizeitvirus, das erst nach 18 Uhr anfängt zu wirken.

TERZ Seit wann gibt es ZeroCovid denn?
Jochen Seit diesem Winter. Die Düsseldorfer Gruppe gibt es seit Anfang des Jahres. Verschiedene linke Gruppen aus Düsseldorf hatten, bevor es hier die ZeroCovid-Stuktur gab, schon Aktionen auf Grundlage von ZeroCovid gemacht. Leider ohne die Meinungsverschiedenheiten untereinander in Bezug auf ZeroCovid abschließend zu klären. Beispielsweise tauchte die interessante Frage auf, ob ZeroCovid zu mehr Überwachung und einem autoritären Staat führe. Dennoch haben die Interventionistische Linke, die Revolutionär-Sozialistische-Organisation (RSO) und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) und andere eine Aktion zur Freigabe von Impfpatenten am Oberbilker Markt gemacht.
Im Januar haben drei Schwestern aus Düsseldorf die Aktion ,Corona-Tote sichtbar machen‘ mit viel Herzblut und Engagement angestoßen. Darüber kamen sie auf ZeroCovid und haben den Düsseldorfer Ableger mitgegründet. Die Zero-Sisters – also die drei Schwestern, die ZeroCovid hier ins Leben gerufen haben – haben sich gefragt: wo bleibt die Perspektive in dieser Pandemie? Später kamen SDS, die Linkspartei-nahe Studierenorganisation, die RSO und die Bezirksschüler*innenvertretung dazu.

TERZ Gibt es auch Menschen, die keiner politischen Gruppe angehören, aber sich trotzdem bei Euch engagieren?
Jochen Ja, es kommen immer wieder Menschen zu den Aktionen dazu. Aber es gibt viel Luft nach oben. Die Erfahrung der politischen Gruppen hilft bei Fragen wie: wie melde ich eine Demo an? Wie schreibe ich eine Presseerklärung? Wie reagiere ich auf eine gewisse Form von Kritik? Wir wollen aber keine linke Organisation sein, in der 20 Gruppen die Wahrheit sagen. Unser Ziel ist, wie bereits angeklungen, einerseits Kontakte zu beschränken, und andererseits, wirklich viele Menschen auf die Straßen zu kriegen, um sich für einen solidarischen Lockdown einzusetzen.

Reaktionen in Düsseldorf

TERZ Wie gelingt Euch das? Wie ist die Resonanz in Düsseldorf auf Eure Aktionen? Werdet Ihr manchmal verwechselt mit Coronaleugner*innen?
Jochen Letzteres: ja! Die Lesefähigkeit der Menschen lässt manchmal zu wünschen übrig… Wir haben einige Aktionen gemacht: am Rathaus – da lief aber kaum jemand vorbei. Am Oberbilker Markt war es schon besser und an der Schadowstraße war es erschreckend belebt, dort hatten wir viele Diskussionen. Mit Jugendlichen beispielsweise. Dabei wurde recht gut deutlich, dass ZeroCovid auch eine Antwort für Menschen sein könnte, die nicht in der Villa in Kalkum, auf ihrer Terrasse in Oberkassel oder Flingern-Nord hocken oder im großen Garten ihren Gurkensmoothie trinken, sondern in Garath oder Rath in der kleinen Wohnung leben.

TERZ Werden Eure Ansichten denn von Menschen geteilt, die im Arbeitsbereich konkret mit der Pandemie zu tun haben, weil sie in der Pflege oder im Krankenhaus arbeiten?
Jochen Es gibt bereits Einzelne, die in der Pflege oder im Krankenhaus arbeiten, die uns unterstützen, aber es könnten noch mehr sein. Diese Menschen haben natürlich schon vor Covid die Bedingungen im Krankenhaus kritisiert. Es wäre denkbar, dass wir in Düsseldorf dort noch gezielter vorgehen. So haben wir beispielsweise am 22. April eine Fotoaktion an der Uni-Klinik gemacht. Aber auch hier geht noch mehr.
Oft wird vergessen, dass es nicht nur Pfleger*innen und Ärzt*innen sind, die unter schwierigen Bedingungen in der Pandemie arbeiten. Denn wenn die Reinigung, der Krankentransport, die Sterilisation in der Küche nicht funktionieren, kann niemand mehr arbeiten.
Gerade werden Pfleger*innen dringend gebraucht. Es wäre der Moment, um konkrete Forderungen zu stellen. Meine Erfahrung ist, dass vollausgebildete Pfleger*innen gar nicht unbedingt mehr Geld wollen, sondern verlässliche Schichtpläne, mehr Personal und bessere Arbeitsbedingungen. Bei anderen Arbeitenden im Krankenhaus ist aber auch wirklich mehr Lohn nötig. Im letzten Jahr wurde viel geklatscht und es wurde eine Coronaprämie zugesagt. Viel ist nicht daraus geworden.

TERZ Es ist für Pflegepersonal und Ärzt*innen schlecht möglich, zu streiken.
Jochen Streiks sind in Deutschland auch außerhalb des Krankenhauses eine schwierige Sache, weil hier ein sehr legalistisches Verständnis herrscht. Wilde Streiks wie in den 1970er Jahren gibt es kaum, weil viele Arbeiter*innen auf Ansagen ihrer Gewerkschaft warten. In Italien wurden die Betriebe am Anfang des letzten Jahres wegen einer beginnenden wilden Streikwelle zugemacht. Dort hat die Regierung nicht auf Appelle von Mediziner*innen reagiert. Erst angesichts der Perspektive einer Streikwelle fand sie die Schließung der Betriebe plötzlich sehr sinnvoll.

TERZ Gab es schon Reaktionen auf Eure Ideen aus der Düsseldorfer Lokalpolitik?
Jochen Die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) hat am 12. April bei den Parteien nachgefragt: Die Grünen denken, dass es die richtige Richtung sei; die SPD teilt viele Ziele, empfiehlt aber, die Situation in der Arbeitswelt zu differenzieren; die Linkspartei spricht sich für ZeroCovid aus und die CDU steht wenig überraschend einem solidarischen Lockdown kritisch gegenüber – vielmehr solle das Impfen schneller vorangehen.
Das fordert ZeroCovid ja auch. Aber dafür müssen die Impfpatente freigegeben werden und die Produktion zum Selbstkostenpreis massiv ausgeweitet werden. Das gleiche gilt zum Beispiel für Luftfilteranlagen, die seit einem Jahr in Schulen und Büros dringend gebraucht werden. Die Luftfilter könnte auch ein Unternehmen wie Mercedes herstellen, aber die müssen ja dringend Kleintransporter bauen … Hier erstarren die Politiker*innen vor der Heiligkeit des Kapitals.

Gut gelaufen?

TERZ Gibt es für Euch Länder oder Regionen, von denen Ihr denkt, dass die es gut gemacht haben?
Jochen Innerhalb des ZeroCovid-Spektrums gibt es Menschen, die von Neuseeland oder Australien begeistert sind oder auch Portugal als ein gutes Beispiel sehen, in relativ kurzer Zeit die Welle zu brechen. Ich bin da ein bisschen skeptischer, weil ich mich mit den genannten Ländern nicht im Detail beschäftigt habe und nicht weiß, inwiefern das mit autoritärer Politik zu tun hatte. Auch wenn die Situation in China etwas ganz anderes als in Portugal ist: hier hatte die autoritäre Politik einer Diktatur den offiziellen Zahlen zufolge ja auch Erfolg. Allerdings um einen Preis, den wir bei ZeroCovid explizit nicht als Vorbild sehen.

TERZ Vor kurzer Zeit habe ich von Alex Demirovic eine Entgegnung zu ZeroCovid gelesen, in der er sich an den Forderungen abarbeitet und sagt: das, das und das ist unrealistisch …
Jochen Ich teile Demirovic im Letzten nicht, aber ich glaube, dass jede*r ZeroCovid-Aktivist*in diesen Artikel gelesen und drüber nachgedacht haben sollte. Wie realistisch ist die ZeroCovid-Strategie? Ob es wirklich die 0 oder 2.5 oder die 7.5 ist – ZeroCovid hat einen Stufenplan, da wird die Inzidenz über 10, dann 10, dann 5 angestrebt. Wenn wir auf 0 zielen und bei 4 rauskommen, sind doch alle zufrieden. Natürlich haben wir von ZeroCovid zugleich die Perspektive, dass wir, wenn wir mit den Infektionszahlen runter wären, anfangen müssen am Gesundheitssystem zu arbeiten und bei einer anderen Politik landen.

TERZ Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, die Inzidenz mache keinen Sinn, sinnvoller wäre es beispielsweise, sich nach der Zahl der freien Intensivbetten zu richten.
Jochen Sicher, die Inzidenz ist auch relativ: vor einem Jahr hieß es noch, dass die Lage bei einer Inzidenz über 50 ganz dramatisch sei, und jetzt haben wir einen Wert über 100. Und die Inzidenzzahl für Schulschließungen (165) ist eine rein willkürliche Größe. Aber es gibt ja einen Zusammenhang zwischen der Inzidenz und freien Intensivbetten – zumal es auch Menschen geben muss, die sich um die Patient*innen in den Intensivbetten kümmern. Betten allein sind also auch nicht alles. Mit der Inzidenz kann über einen Zeitraum die Entwicklung beobachtet und vorhergesehen werden.

TERZ Was sind Eure nächsten Aktionen und Stationen in Düsseldorf?
Jochen Im April werden wir eine Aktion an der Nordstraße und am Oberbilker Markt machen. Am 1. Mai wird es eine Demo geben, die auch ZeroCovid unterstützen wird. Regelmäßig machen wir wöchentliche Zoom-Konferenzen und besprechen von Woche zu Woche, wie wir vorgehen. Wir haben keinen Masterplan. Jede*r ist eingeladen, mitzumachen. Das ist keine Phrase: Wenn die TERZ-Leser*innen sagen: ich finde euch interessant, aber für Kinder macht ihr das Falsche, kann ich nur erwidern: wunderbar, komm vorbei und bring deine Position ein.

TERZ Vielen Dank für das Interview und alles Gute!

Die Petition von ZeroCovid kann hier unterzeichnet werden:
https://weact.campact.de/petitions/zerocovid-fur-einen-solidarischen-europaischen-shutdown

Die Aktionen der Düsseldorfer ZeroCovid-Gruppe könnt Ihr u. a. hier verfolgen:
https://instagram.com/zerocovid.duesseldorf/
Wer mitmachen möchte, kann sich unter duesseldorf.zerocovid[at]mail[dot]de melden.