Überall Polizei – Nirgendwo Gerechtigkeit

Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ geht Ende Juni 2021 mit Tausenden auf die Straße, um das von der CDU/FDP-Landesregierung geplante Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen als das zu benennen, was es ist: Ein Instrument der autoritären Zurichtung von Staat und Gesellschaft. Seine Einführung: ein Akt gegen Grundrechte und Demokratie. Doch Kritik mag der Staat nicht – und schickt seine Diener*innen zum Angriff. Der Innenminister behauptet hinterher natürlich das Gegenteil.

NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) wollte unbedingt Bilder. Von Riots und „Extremisten“ in Aktion. Sie hätten seinem Gesetzentwurf zur Einführung des NRW-Versammlungsgesetzes zur Rechtfertigung dienen, jegliche Kritik abschmettern und ersticken sollen. Nun hat die Polizei aber beim Angriff auf die Demonstration am 26. Juni einen Journalisten der Deutschen Presse-Agentur (dpa) aus dem Weg geprügelt. Wo sich CDU-Ministerpräsident Armin Laschet mit ‚seinem‘ Gesetz noch einmal als Durchsetzer inszenieren und für das Kanzleramt empfehlen wollte, trendet inzwischen also #laschetverhindern auf allen Social Media-Kanälen. Bundesweit wird über die grundrechtefeindliche und demokratie-untaugliche Politik des NRW-„Landesvaters“ und seines Innenministers geschrieben, die Medien greifen die Kritik am NRW-Versammlungsgesetz auf. Aus guten Gründen.

Versammlungsverhinderungs­gesetz stoppen!

Über 70 Gruppen und Organisationen des Bündnisses „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ hatten seit Wochen eine Demonstration vorbereitet. Der gewählte Termin, Samstag, der 26. Juni 2021, war abgestimmt auf das Timing im Gesetzgebungsverfahren, nicht zu früh, nicht zu spät – mit Zeit und Luft vor allem für etwaige Verschiebungen in der Entscheidungsfindung im NRW-Landtag, der in diesem Jahr ohne Zweifel in jeder Sekunde seiner Arbeit immer auch nach Berlin schielt. Denn mit jeder Ausschuss- und Plenarsitzung in Düsseldorf ist zugleich auch der Bundestagswahlkampf in vollem Gange. Gesetze, die jetzt – im Sommer vor Ende auch der hiesigen Legislaturperiode (Landtagswahlen sind in NRW am 15. Mai 2022) – verabschiedet werden, sind Teil des ganz großen Tamtams, mit dem sich die Parteien der Landtagsfraktionen auch bundesweit zur Wahl in Stellung bringen möchten. Aber es ist nicht alles und nicht immer nur „Show“. Vielmehr werden auch die Zugpferde unter den Themen herausgekramt. Für die CDU, die in NRW gemeinsam mit der FDP das Land „regiert“, ist das immer schon: Innere Sicherheit. Dass wir es bei Laschet und Reul mit Hardlinern in puncto „Ordnung & Sicherheit“ zu tun haben, wissen wir dabei nicht erst seit Kurzem.

So überrascht es nicht, dass die CDU/FDP-geführte Landesregierung jetzt also ein neues Versammlungsgesetz verabschieden will, das man besser „Versammlungsverhinderungsgesetz“ nennen sollte. Die geplanten Be- und Einschränkungen des grundgesetzlich verankerten Rechts auf Versammlung sind massiv (TERZ 04.2021 ff.). Der möglichen Willkür der Polizei wird zukünftig mit der Möglichkeit, auf einen Gesetzestext verweisen zu können, ein noch größerer Raum gegeben.

Schon heute reagieren Polizist*innen immer wieder mit „Klag‘ doch vor Gericht!“, wenn sie sich mit Hinweisen auf ungesetzliche Maßnahmen bei der polizeilichen Begleitung von Demonstrationen konfrontiert sehen. Das können sie aktuell bereits mit den berühmten „vollen Hosen“. Während Polizeibeamt*innen und -behörden nämlich auf dem Klageweg für die Verteidigung ihrer Maßnahmen nicht einen Cent bezahlen müssen (sondern die Steuerzahler*innen), haben Demonstrant*innen, die sich gegen Rechtsbüche durch die Polizei gerichtlich zur Wehr setzen und für ihre Freiheitsrechte kämpfen, ihre Klageverfahren selbst zu tragen. Dieses Ungleichgewicht ist gewollt.

Dabei ist es der Polizei bislang immer egal gewesen, ob sie bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung verliert oder nicht. Ganz gleich, wie die Rechtsprechung im Einzelfall aussieht: Die Polizei macht trotzdem, was sie will. Das beste Beispiel ist die illegale anlasslose Videoüberwachung von Demonstrationen. Trotz aktuell, eindeutiger Rechtslage wird sie (auch von Düsseldorfer Beamt*innen und Einsatzleitungen) durchgeführt, klage wer wolle.

Das NRW-Versammlungsgesetz wird diese Praxis aus Willkür und Macht noch einmal verschärfen. Mit dem Hinweis darauf, demokratisch im Parlament beschlossen worden zu sein, wird es das in der Verfassung verankerte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit noch einmal mehr verhöhnen, als es die polizeilichen Einsatztaktiken und die Überwachungspraxis auf Demonstrationen ohnehin schon täglich tun. Das sollte wissen, wer im Gesetzgebungsverfahren irgendwann sein „Ja“ gibt.

26. Juni – rechtlich fragwürdig

Bevor allerdings die Oppositionsparteien (SPD und Bündnis 90/Die Grünen) im Landtag von NRW Farbe bekennen müssen für oder gegen den massiven Eingriff in die Versammlungsfreiheit, wird noch der ein oder andere Strauß auf einem alternativen Parkett ausgefochten werden müssen. Denn es wird – einmal mehr: Klagen geben, die sich mit dem Handeln der Polizei während der Demonstration am 26. Juni 2021 beschäftigen werden.

Mehrere Organisationen haben bereits angekündigt, dass sie den Rechtsweg gehen werden. Die Liste dessen, was der Polizei und ihrer Einsatzleitung vorzuwerfen ist, ist lang: Mehrfach griffen Polizeibeamt*innen Demonstrant*innen an. Sie prügelten einen Journalisten aus dem Weg, obgleich dieser deutlich als Vertreter der Presse zu erkennen war. 100 Demonstrationsteilnehmende wurden verletzt. Sieben Mal musste der Krankenwagen geholt werden, mehrere Menschen kamen zur ärztlichen Versorgung ins Krankenhaus.

Laut eigener Aussage setzte die Polizei am 26. Juni rund 900 Beamt*innen ein. Es war klar, dass die Demonstration mehrere Tausend Personen stark sein würde. Zwischen 6.000 und 8.000 Demonstrant*innen waren an diesem Samstag dann auch zum Auftakt an der Oberkasseler Rheinwiese gekommen oder schlossen sich dem Demonstrationszug auf seinem Weg auf die Altstadt-Seite an. Schon beim Aufgang zur Oberkasseler Brücke standen auf beiden Seiten Polizeiketten bereit, die rasch und gezielt den Antifa-Block in engem Spalier zu begleiten begannen. Auf der linken Seite hatten die Polizist*innen von Anfang an Helme auf, was deutlich auf eine geplante Eskalation durch die Beamt*innen hindeutete.

Als Begründung für diese derart enge „Begleitung“ des Blocks gab die Polizei an, dass die Teilnehmenden im Demo-Block vermummt gewesen seien – einige bereits bei der Anreise. Wenig verwunderlich, möchten wir meinen – denn in Zeiten einer globalen Pandemie und diverser Schutzverordnungen zur Eindämmung von COVID-19 ist es Auflage, bei Versammlungen unter freiem Himmel eine Mund-Nase-Bedeckung zu tragen. So auch am 26. Juni 2021. Dass alle Menschen seit Monaten öffentliche Verkehrsmittel nur mit medizinischen Masken nutzen dürfen, sollte auch ein Herbert Reul wissen. Im Herrschaftsduktus ist der Landesspitze, dem Innenminister und seiner Polizei aber selbst das offensichtlich dümmste Argument nicht dumm genug, um es nicht als überzeugend verkaufen zu wollen.

Auch unklare Rechtsauslegungen kümmern die große Politik offenkundig nicht. Denn die Kontaktbeamt*innen bemängelten außerdem gegenüber den Anmelder*innen der Demo, dass im Demozug Transparente zu hoch gehalten würden. Jedoch: eine rechtlich verbindliche Vorgabe dazu, wie tief denn tief genug und wie hoch zu hoch ist, um ein Transparent zu tragen, gibt es nicht. Da die Einsatzleitung über den gesamten Tag für die Demo-Anmelder*innen nicht zu sprechen war und die Kontaktbeamt*innen sich auf ihre „Anweisungen“ zurückzogen, blieb die Situation ungeklärt. Das Spalier blieb also eng. Zu eng. Worauf die Anmelder*innen hinwiesen: Wenn die Polizei an einer durch Büsche beengten Kurve am Ende der Rheinbrücke das Spalier weiter so engmaschig ließe, würde der Block zusammengedrückt werden. Und genau so geschah es, begleitet von Tritten und Schlägen, die die Polizeibeamt*innen gegen die Demonstrationsteilnehmenden austeilten. Währenddessen zog die Demospitze bereits an der Ratinger Straße vorbei, unweit der Altstadtwache.

Polizei heißt Gewalt

Inzwischen war die Ratinger Straße von einer Hundertschaft behelmter Polizeibeamt*innen abgesperrt. Diese Einheit griff, wie mehrere Videos belegen, anlasslos erst den Antifa- und dann den internationalistischen Block an. Dabei verletzten die Polizist*innen Dutzende von Demo-Teilnehmenden und griffen den dpa-Journalisten an. Sie raubten und zerstörten unter Gewalteinsatz Transparente, schlugen mit Schlagstöcken auf die Köpfe und Körper der Demonstrant*innen ein, traten um sich und setzten vor allem massiv Pfefferspray ein.

Die Polizeiführung sah die weiträumige Kreuzung aber wohl nicht als ideal dafür an, weitereichende Maßnahmen durchzuführen oder „ihre“ Bilder zu bekommen, auf die sie offenbar schon am Ende der Rheinbrücke spekuliert hatte. Sie ließ die Demonstration also vorläufig weiterziehen. Auf der Heinrich-Heine-Allee drückten sich mehrmals erneut Polizeibeamt*innen in den Antifa-Block rein und griffen sich Einzelne heraus. Auf der Breite Straße/Ecke Bastionstraße warteten weitere Hundertschaften. Sie drängten erneut unter Einsatz von Schlagstock und Pfefferspray in die Demonstration, teilten sie erst und kesselten dann willkürlich einen Teil der Demonstration ein.

Versammlungsfreiheit ausgesetzt

Im Handstreich führte die Polizei wenig später das Versammlungsrecht ad absurdum – sogar das aktuell geltende. Sie erklärte die Teilnehmenden eines ganzen Demo-Abschnitts flott zu „gröblich“ Störenden, und schloss sie von der Versammlung – und damit vom Schutz ihrer Anwesenheit in der Versammlung aus. Der Rest der Demo (die vor und hinter den Ausgeschlossenen und Gekesselten aufgestellten Blöcke) dürften ihre Demonstration fortsetzen. Diesem Angebot wollte jedoch niemand folgen. Stattdessen blieben alle für eine Zwischenkundgebung stehen. Und das über die nächsten 5 ½ Stunden – von 18.10 bis 23.40 Uhr.

Über den gesamten Zeitraum gab es keinen Zugang zu den Eingekesselten. Weder Anwält*innen noch Demosanitäter*innen wurden durchgelassen. Lange blieben die Menschen im Kessel ohne Trinkwasser, mobile Toiletten fehlten bis zum Schluss. Erst nach Stunden begannen die Beamt*innen, den Kessel aufzulösen. Die meisten der 328 Menschen, die über Stunden festgehalten wurden, konnten nach Personalienfeststellung und erkennungsdienstlicher Behandlung den Kessel verlassen. Darunter „Omas gegen Rechts“, der halbe Vorstand des Landesverbandes der Partei Die LINKE, Jüngere und Ältere, die sich dem Antifa-Block angeschlossen hatten oder von den Polizeiketten in ihn hineingedrückt worden waren.

Besonders perfide war der Umgang der Polizei mit den 38 Minderjährigen, die im Kessel waren. Ihnen wurde angedroht, dass sie dem Jugendamt übergeben würden, wenn ihre Eltern sie nicht abholen kämen. Auch ließen die Polizist*innen die Jugendlichen im Unklaren darüber, wohin sie verbracht würden. Die Strategie offenkundig: Mit Drohkulissen und raunenden Andeutungen Angst und Einschüchterungen wirken zu lassen, damit diese bedrohliche Erfahrung die jungen Demoteilnehmenden künftig davon abhält, sich ähnlichen Protesten anzuschließen oder für ihre Sache auf die Straße zu gehen.

Nach Auflösung des Kessels meldeten sich 56 Personen beim Ermittlungsausschuss mit der Nachricht, dass ihnen Landfriedensbruch vorgeworfen werde. Auch informierten Demonstrationsteilnehmende und Betroffene den Ermittlungsausschuss über insgesamt 14 Personen, die in die Gefangenen-Sammelstelle (Gesa) verbracht wurden. Etwa die Hälfte von ihnen wurde dort bis weit nach Mitternacht festgehalten. Die letzten konnten gegen 3.30 Uhr am frühen Morgen von Freund*innen und Unterstützer*innen, die vor dem Polizeipräsidium auf sie gewartet hatten, in Empfang genommen werden.

Dass ein Teil der Demonstration ausgeschlossen wurde, ein Kessel eingerichtet und die Ausgeschlossenen dann über Stunden festgehalten wurden, wird sicher seinerseits zum Inhalt einer Klage werden. Die Chancen stehen gut, dass das polizeiliche Vorgehen vor Gericht als illegal eingestuft werden wird.

Misslungene Bilder

Dass der Polizeieinsatz mit Gewalt, Rechtsbrüchen und Einschüchterungen zum Nachteil aller geltenden Maßstäbe der Versammlungsfreiheit – wie der Unversehrtheit der Demo-Teinehmenden – dermaßen eskalieren würde, hätte wohl niemand vorhergesagt. Für Innenminister Herbert Reul ist der 26. Juni 2021 allerdings auch nicht sonderlich gut gelaufen. Denn vorgeblich zu hoch getragene Transparente und ein paar harmlose Rauchtöpfe dürften kaum hinreichend sein für die Legitimation massiver Polizeigewalt. Wie also 100 Verletzte Demonstrant*innen erklären? Wie den Angriff auf die Pressefreiheit?

So war es am 26. Juni 2021 bei der „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“-Demo letztendlich der Polizeiübergriff auf den dpa-Journalisten, der für Innenminister Reul und auch den Kanzlerkandidaten Armin Laschet unangenehm werden sollte. Unter Einsatz des Schlagstockes war der Pressevertreter am Ratinger Tor weggedrängt, mehrfach geschlagen oder gestoßen worden. Der Journalist bekam vom attackierenden Beamten noch mit auf den Weg, wie egal es diesem sei, dass er einen Journalisten vor sich habe.

Diesem kurzen Moment des Angriffs auf einen Journalisten haben Reul und Laschet es zu „verdanken“, dass die Demonstration und das geplante Versammlungsgesetz noch Wochen später in aller Munde sind. Printmedien, Fernsehen und Radio greifen das Thema auf, berichten von Polizei-Willkür oder vom offenen Affront gegen die Grundrechte, der von dem Gesetz ausgeht. Ungewohnt kritisch werden die gewalttätigen Ausschreitungen der Polizei am Demo-Tag kommentiert.

Boomerang

Noch am gleichen Abend kritisierte die Düsseldorfer FDP-Kommunalpolitikerin und liberale Bundestagsabgeordnete, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, nicht nur den Einsatz am just vergangenen Demo-Tag – sondern auch das Gesetz. Bliebe es so, wie es als Entwurf ins Parlament eingebracht worden sei, werde ihre Partei ihm nicht zustimmen. Auch wenn derlei Fundamentalkritik angesichts der Unterstützung, die der Koalitionspartner FDP im Land NRW dem Gesetz ganz aktiv mit auf den Weg gibt, als heiße Luft durchrauschen könnte, sind starke Worte dieser Art dennoch durchaus angetan, die Stimmung gegen das Gesetz und seine Macher*innen zu drehen.

Nachdem die Landtagsfraktionen von SPD wie Bündnis 90/Die Grünen eine Sondersitzung im Düsseldorfer Parlament gefordert hatten, stand fest, dass vor allem Innenminister Reul plötzlich unter Druck steht. Er muss sich nicht nur für den Polizeieinsatz, sondern auch für den Gesetzentwurf rechtfertigen. In gewohnt abwiegelnder Weise stellte der Landesinnenminister in der Aktuellen Stunde am 1. Juli 2021 im Landtag fest, dass Demonstrationen für ihn vor allem eines sind: störend. Neben den üblichen Sentenzen gegen „die Antifa“ machte er aber vor allem auch seiner antidemokratischen Haltung Luft, als er in bekannt ungeschickter Formulierung durchblicken ließ, dass der Angriff auf den Journalisten ihn vor allem deshalb störe, weil nur dieser für den „ganzen Ärger“ gesorgt habe. Richtig: Kritische Berichterstattung stört. Ohne sie – und ohne den Angriff auf den Journalisten und seine Arbeit – wäre das Gesetz problemlos durgegangenen. Jetzt müssen Reul und Laschet sich erklären.

Die Polizei macht alles richtig – fast

Wohl eher unbewusst gab Herbert Reul zu, dass die Düsseldorfer Polizeiführung in Bezug auf die angebliche Vermummung, die als Argument für ihren Angriff auf den Antifa-Block herhalten musste, eine brüchige Erklärung geliefert hat. Denn „ob das Ganze“ (der Vorwurf der Vermummung) am Ende „strafrechtlich relevant“ sei, wäre „schwer zu beurteilen“, so Reul am 1. Juli im Landtag.

Darum sollen jetzt, nachträglich, Fakten geschaffen werden. Es wird Druck gemacht. Die ersten Demo-Teilnehmenden haben bereits Post von den Ermittlungsbehörden bekommen, wie die Rechtshilfegruppe Düsseldorf berichtet. Die Vermutung liegt nahe, dass Reul und Laschet der Polizei und Staatsanwaltschaft Dampf machen, um so schnell wie möglich eine Anzahl Verurteilter zu präsentieren. Ein abgekartetes Spiel.

Dem Grunde nach leugnet Reul zwar jede Absprache mit der Polizei, relativiert das aber sogleich und spricht von einem gesprächsweisen Austausch. Die Demonstration sei im Vorfeld behandelt worden wie eine übliche Großlage. Allerdings sprang der CDU-Abgeordnete Gregor Golland an dieser Stelle seinem langjährigen Fraktionskollegen zur Seite – unfreiwillig entlarvend. Er tönte ohne Punkt und Komma von den sogenannten „gewaltbereiten Linksextremisten“, gegen die die Polizei völlig zu Recht vorgegangen sei. In menschenfeindlicher Weise, die Stimme voller Hass, verlor sich Golland schließlich noch in der Formulierung, dass es nicht „Aufgabe des Steuerzahlers“ sei, für die Protestierende im Kessel Trinkwasser und mobile Toiletten zur Verfügung zu stellen.

Wie genau, drängt sich die Frage noch einmal auf, wenn wir zynisch sein wollen, soll die Absprache des CDU-geführten Innenministeriums unter Herbert Reul mit der Polizei nicht ausgesehen haben?

Jetzt erst recht

Dass die Berichterstattung auch Tage nach der Demonstration am letzten Juni-Samstag nicht abreißt, dürfte die schwarz-gelbe Koalition im Landtag nicht freuen. Geht es doch inzwischen auch um die schlechte Figur des CDU-Innenministers, um den Gesetzentwurf in all seinen demokratie- und verfassungsrechtfeindlichen Positionen, um Armin Laschet als Landesvater, dessen Gesetze wiederholt vor dem Bundesverfassungsgericht landen (werden), weil sie gegen die Grundsätze der Freiheit und der grundgesetzlich verbrieften Rechte verstoßen. Die NRW-Regierung hat ein mieses, demokratiefeindliches und verfassungsrechtlich höchst fragwürdiges Gesetz entworfen. Es wird den Ambitionen ihrer CDU- und FDP-Vertreter*innen, allen voran Kanzlerkandidat Laschet, schaden. Und das ist gut so.

Ganz gleich, ob das Innenministerium einen konkreten Plan an die Polizei herausgegeben oder ihr carte blanche für ihr brutales Vorgehen am 26. Juni 2021 erteilt hat: einen Gefallen getan hat es sich damit nicht. Erst jetzt sind alle Augen auf das Gesetz gerichtet – und auf die Proteste dagegen. Inzwischen kommen auch die inhaltlichen Aspekte des Gesetzentwurfs in den Nachrichten-Texten und Leitartikeln der überregionalen Zeitungen zu Geltung. Langsam aber sicher wird bekannt, dass das Gesetz die Versammlungsfreiheit aus politischen Motiven heraus aushebelt – einseitig. Gegen die Rechte von neuen sozialen Bewegungen, gegen vor allem linke Interessen. Wenn sich das Gerücht als stimmig erweist, dass der Gesetzentwurf erst gegen Jahresende zur Abstimmung in den Landtag gelangen soll, kennen wir nun außerdem die Druckpunkte: Laschet und Reul werden das Gesetz nicht vor der Bundestagswahl im September zum Thema machen wollen. Der Kanzlerkandidat fürchtet um seine Stimmen.

So hat uns die Demo am 26. Juni einen Hebel frei Haus geliefert. Jetzt wissen wir, wo die Landespolitik angreifbar ist – auch über NRW hinaus. Darum werden wir kein bisschen leiser sein in unseren Protesten gegen das NRW-Versammlungsgesetz. Zusammen mit den jugendlichen Teilnehmenden der Demo vom 26. Juni werden wir weiter auf die Straße gehen. Deren Sorgen und Ängste, von der Polizei angegriffen, drangsaliert und kriminalisiert zu werden, mögen vielleicht nicht weg sein. Unsere Solidarität gegen Repression und Angriffe aber wird uns zusammenschweißen. Jetzt erst recht!

Fanny Schneider / Till Jakob


Unsere Solidarität gegen ihre Repression

Die Demo vom 26. Juni 2021, mit der Tausende gemeinsam mit dem Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen!“ gegen die geplante Einführung des NRW-Versammlungsgesetzes protestierten, wird sicher einige Repressionen nach sich ziehen. Aus unserer Sicht hat sich an diesem Demo-Tag einmal mehr gezeigt, wie wichtig es ist, auf die Straße zu gehen mit unseren Positionen. Und wie weit die Polizei geht – ganz ohne neues Gesetz und ohne Rechtsgrundlage! – , um diese Art der Meinungsäußerung mit fadenscheinigen Argumenten brutal zu unterdrücken!

Nach der Aktion ist es mit der politischen Arbeit natürlich nicht vorbei! Darum informieren Euch die Rechtshilfegruppe Düsseldorf und die Rote Hilfe Düsseldorf-Neuss über mögliche nächste Schritte und über unsere Solidarität gegen ihre Repression:

Hattest Du Stress auf der Demo? Wurden Deine Personalien festgestellt? Ist Dir von der Polizei gesagt worden, dass ein Verfahren gegen Dich angestrengt wird?

Oft folgt auf eine Personalienfeststellung erst einmal gar nichts mehr. Ihr hört über Wochen, Monate oder möglicherweise überhaupt nichts mehr von der Polizei.

Oder hast Du vielleicht schon Post von der Polizei bekommen?

Dann melde Dich schnell bei der Rechtshilfegruppe. Wir können Dich unterstützen. Denn niemand ist mit solchen Repressionen alleine. Wir können Kontakte zu Anwält*innen herstellen und Dich zur Beratung begleiten. Auch finanziell können wir Dir unter die Arme greifen, damit Deine anwaltliche Beratung nicht am Geld scheitert.
Spätestens sobald ein Brief von der Polizei bei Dir eintrifft, ist es Zeit, Kontakt mit uns aufzunehmen. Melde Dich bei uns unter: rhg-duesseldorf[at]riseup[dot]net oder duesseldorf-neuss[at]rote-hilfe[dot]de Wir laden Dich dann zu unserem Rechtshilfe-Treffen ein.
Wichtig ist aber in jedem Fall: Geh‘ nicht zu einer Beschuldigtenanhörung! Die Polizei ermittelt gegen Euch und eine mögliche Entlastung kann nur vor Gericht angebracht werden.
Lass Dich nicht unter Druck setzen, gemeinsam werden wir den besten Weg finden.

Da wir viele Menschen finanziell unterstützen, kannst Du Dir sicher vorstellen, dass wir immer Geld brauchen – es hilft schon ein Dauerauftrag mit 5 oder 10 Euro im Monat.
Damit sorgen wir dann kollektiv dafür, dass niemand die Kosten alleine tragen muss.

Rechtshilfekonto:
Stadtsparkasse Düsseldorf
IBAN DE89300501100063007678

Kommt zum Austausch!

Wir laden alle Leute, die auf der Demo festgenommen wurden, ihre Personalien abgeben mussten und nun nicht wissen, wie es weitergeht, zu einem offenen Treffen ein:
Sonntag, 18. Juli, 15.00 Uhr, Linkes Zentrum, Corneliusstr. 108, Düsseldorf

Wir sehen uns auf der Straße!

Rechtshilfegruppe Düsseldorf (rhg-duesseldorf[at]riseup[dot]net )
und
Rote Hilfe Düsseldorf-Neuss (duesseldorf-neuss[at]rote-hilfe[dot]de )