Das Hochwasser in Düsseldorf

Land unter

Das Hochwasser im Juli hat zahlreiche Menschenleben gekostet und eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Auch Düsseldorf suchte das Sturmtief „Bernd“ heim. Wären die Schutzvorkehrungen hier nicht so weit hinter dem Plan geblieben und eigentlich schon komplett durchgeplante Maßnahmen nicht wieder in der Schublade verschwunden, hätte das Unwetter weniger verheerende Folgen gehabt.

Über 200 Tote, zahllose zerstörte Häuser, Straßen und Brücken – das ist die Bilanz des schweren Unwetters, das im Juli über Mittel- und Westeuropa hinwegfegte. Allein in Nordrhein-Westfalen verloren 47 Menschen durch den Starkregen und das nachfolgende Hochwasser ihr Leben. Auch Düsseldorf blieb nicht verschont. In Vennhausen ertrank ein Mann in seiner Souterrain-Wohnung. Das Wasser drang in Keller ein, überspülte Straßen und ließ Gully-Deckel hochkommen, da das Kanalnetz die Fluten nicht mehr bewältigen konnte. „Das Wasser kam von allen Seiten, da gibt es irgendwann keine Möglichkeit mehr, es aufzuhalten“, so ein Feuerwehr-Mann. Von einem „Jahrtausend-Hochwasser“ sprach Oberbürgermeister Stephan Keller. Der bis zur Ziffer 12 reichende Starkregen-Index zeigte für die Stadt die Stufe 9 an. Einen Pegel von drei Metern erreichte die Düssel, und die Itter schoss mancherorts springflutartig in die Höhe.

Systemversagen

Versäumnisse bei der Vorsorge will sich die Verwaltung jedoch nicht vorwerfen lassen. „Die Wahrscheinlichkeit für ein Hochwasser dieser Art war einfach sehr gering“, sagt Ingo Noppen vom Stadtentwässerungsbetrieb. Ein so intensiver, großflächiger und lang anhaltender Starkregen, so hohe Pegelstände der kleinen Flüsse und gleichzeitig noch Hochwasser auf dem Rhein, das sei zu viel auf einmal gewesen, so Noppen in der Rheinischen Post. Hätte der Rhein nicht so viel Wasser geführt, hätte die Stadt ihn als Ableitung für die Düssel zu nutzen vermocht, so aber musste sie die Schotten dichtmachen, da der große Fluss sonst seine Last in den kleinen gedrängt hätte, erläuterte er. Die Landesumweltministerin Ursula Heinen-Esser (CDU) zeigte sich derweil vor allem überrascht darüber, welche Gefahren von kleineren Gewässern ausgehen können. Im Gegensatz zum nordrhein-westfälischen „Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz“ (LANUV) hatte das rheinland-pfälzische „Landesamt für Umwelt“ das durchaus auf dem Schirm. Während diese Behörde für die Ahr einen Pegelstand von sieben Metern ankündigte, enthielten die „Hydrologischen Lageberichte“ des LANUV keine konkreten Hinweise. Wie denn auch? Die Düssel zum Beispiel ist gar nicht an das Hochwasser-Meldesystem Nordrhein-Westfalens angeschlossen – und dementsprechend auch nicht an das Warn-System. Noch dazu tat sich das Landesamt schwer damit, die Botschaften des „Deutschen Wetterdienstes“ richtig zu verstehen. Die Meldung: „Das Unwetter wird verbreitet erwartet“ begriff die Behörde nicht als eine Angabe zur räumlichen Ausdehnung des Tiefs, sondern als Verweis darauf, dass sich die Vorhersage auf viele unterschiedliche mathematische Wettermodelle stützt und somit solide sei.

Die Landesregierung steht hingegen in der Kritik, weil sie keinen Krisenstab eingerichtet hatte. Aber auch die Bundesregierung und das „Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe“ sehen sich mit massiven Vorwürfen konfrontiert. Das europäische Flut-Warnsystem Efas hatte nämlich bereits vier Tage vor dem Unwetter „extremes Hochwasser (...) durch Starkregen“ prognostiziert, ohne dass eine angemessene Reaktion der zuständigen Stellen erfolgt wäre. Ein „monumentales System-Versagen“ bescheinigte die britische Wissenschaftlerin Hannah Cloke, die das Efas mit aufgebaut hat, den Behörden aus diesem Grund.

Aber nicht nur das unmittelbare Krisenmanagement erwies sich als dysfunktional. Auch die Fehler der Vergangenheit offenbarten sich, denn der Starkregen fiel entgegen der Auffassung des Stadtentwässerers Noppen nicht so einfach vom Himmel. In den letzten 18 Jahren traten in Düsseldorf zwölf Mal heftige Niederschläge der Stufe sieben auf, fünfzehn Mal solche der Stufe sechs und neunzehn Mal solche der Stufe fünf. Dementsprechend nimmt Starkregen im 2017 erstellten Klimaanpassungskonzept der Stadt auch schon einigen Raum ein.

Und die verwundbarsten Punkte wie die Düssel und die angrenzenden Wohngebiete der Ostpark-Siedlung waren ebenfalls lange bekannt. Die „Rheinische Post“ wies darauf – sich selbst aus früheren Jahren zitierend – hin. „Die Uferbereiche, so heißt es in den Berechnungen der Bezirksregierung, seien in einigen Bereichen nicht hoch genug. Von einer denkbaren Überflutung wären am linken Ufer der Düssel rund 200 Gebäude mit bis zu 900 Einwohnern betroffen, während am rechten Ufer vor allem mehrere Sportanlagen Gefahr liefen, überschwemmt zu werden“, schrieb die Zeitung im Jahr 2016. Bereits 2013 hatte sie konstatiert: „Hochwasserschutz an den Bächen in der Stadt hat Lücken.“

Es sollte sogar schon etwas passieren. Der Bau von Deichen und Mauern stand an. Dazu kam es allerdings nicht, aus Gründen, die heute keine*r der Verantwortlichen mehr kennt. Dementsprechend zerknirscht zeigte sich ein städtischer Mitarbeiter, den es in einer privaten Mission zur Schadensaufnahme auf das Gelände der Graf-Recke-Stiftung trieb. „Es tut mir so leid“, sagte er in Anbetracht der 19 gefluteten Wohnungen des Senioren-Bereichs sowie der ebenfalls heimgesuchten Werkstätten und Praxis-Räume der Ergotherapie. „So unnötig“ sei das gewesen, „die Pläne lagen so weit vor“, es hätte nur noch eine Firma mit den Arbeiten beauftragt werden müssen, klagte er.

Zurück zur Natur

Um das Gefährdungspotenzial der Itter wusste die Stadt ebenfalls. Bereits seit 2007 gilt der Fluss offiziell als Risiko-Gewässer, und auch hier existieren seit Langem Vorschläge zur Gefahrenabwehr. Bereits 2016 legte der zuständige Bergisch-Rheinische Wasserverband ein entsprechendes Konzept vor. Es sah vor, den Hochwasser-Schutz rund um das Benrather Schloss zu verbessern und die ursprüngliche Mündung des Wasserlaufs in den Rhein zu rekonstruieren. Aber die Arbeiten ziehen sich. Auch am Pillebach und am Kittelbach geht es nicht recht voran.

Das „Zurück zur Natur“ erweist sich mitunter als sehr kompliziertes Unterfangen, an dem gleichwohl kein Weg vorbeiführt. Nicht zuletzt sind es nämlich die unzähligen Eingriffe von Menschenhand, die eigentlich beschaulichen Flüsschen die Möglichkeit eröffnet haben, in besonderen Wetter-Situationen zu Sturzbächen zu mutieren. „Denn eine Lehre ist: Die Flüsse suchen sich ihre alten Wege“, wie Ursula Heinen-Esser festhält. Unter anderem deshalb schreibt die EU-Wasserrahmen-Richtlinie vor, alle Gewässer wieder in einen naturnahen Zustand zu überführen und wollte dies schon 2015 erreicht haben. Mittlerweile scheint nicht einmal 2027 als neue Frist haltbar.

Die Itter nahmen sich im 18. Jahrhundert die Bauherr*innen des Benrather Schlosses vor. Seither fließt sie schon in Benrath und nicht erst in Itter selber in den Rhein, und das auch nur durch ein Rohr. Auch die Düssel musste so einiges über sich ergehen lassen. „Am Südlauf in Vennhausen, Eller, Stoffeln, Wersten und Bilk wie auch am Nordlauf in Gerresheim, Grafenberg, Düsseltal und Pempelfort gab es massive Eingriffe in das natürliche Bach-Profil. Über weite Strecken wurde die Düssel vertieft, verbreitert, begradigt, kanalisiert, verlegt – je nach Notwendigkeit“, schreibt Ulrich Brzosa in der „Rheinischen Post“. Dort, wo Renaturierungsmaßnahmen bereits gegriffen haben und der Fluss mehr Platz hat, sich auszudehnen, traten im Juli dann auch weit weniger Schäden auf.

Jetzt ist natürlich allerorts Aktivismus angesagt. Armin Laschet, der just im Frühjahr mit seiner Reform des Landeswassergesetzes noch eine Deregulierungsoffensive gestartet und dabei auch den Hochwasser-Schutz geschliffen hatte, gibt auf einmal den obersten Deichgrafen. „Wir müssen Dämme bauen, Rückhalte-Becken, Wasser-Reservoirs, Flächen renaturieren – Schutz nicht nur am Rhein, sondern auch an den großen und vielen kleinen Flüssen“, tönte er. Düsseldorf krempelt ebenfalls die Arme hoch. Die Ostpark-Siedlung erhält Spundwände und eine Mauerkrone zum Schutz und neue Überflutungsgebiete will die Stadt auch ausweisen. Zudem steht ein Starkregen-Konzept des Stadtentwässerungsbetriebs auf der Agenda. Da muss dieser sich aber sputen, rechnet doch der „Deutsche Wetterdienst“ damit, dass „noch weitere Ereignisse 2021 hinzukommen werden“.

Jan