TERZ 11.21 – NOISE OF ART
In einem Selbstbildnis malt sich Max Beckmann 1915 in grauem Militärmantel. Auf dem linken Kragenspiegel – Beckmann hatte im 1. Weltkrieg als Sanitäter gedient – prangt ein Rotes Kreuz. Ist das beuyssche „Braunkreuz“, das wie geronnenes Blut aussieht, eine Anspielung darauf? Mit dem Naziuniform-Beige hat es zumindest keinerlei Ähnlichkeit. Wie Beckmann in dem Bild trug auch Beuys oft – so z. B. bei der Sekretariatsbesetzung 1972 – einen grauen Militärmantel.
Am 15. und 16. Oktober fand das Kolloquium „Das Problem Beuys“ im Haus der Universität statt, Untertitel: „Zur Mentalitäts- und Rezeptionsgeschichte von Joseph Beuys“. Die Themenblöcke: „Zur Medienresonanz“, „Urheberrecht und Zensur?“, „Der Hang zum Esoterischen“, „Zum Rechtsideologischen“.
Hier vereinzelte Impressionen: Barbara Lange, Professorin für Kunstgeschichte an der Universität Tübingen, differenzierte auf dem Podium zum letzten Themenblock: „Wir haben ja nicht mehr den Glauben des 19. Jahrhunderts: Ich muss nur Fakten sammeln, und dann weiß ich, wie es ist.“ Wissenschaft sei nicht neutral und unser Wissenschaftsbegriff partikular, z. B. spiele – sie war die einzige Frau auf diesem letzten Podium – „Geschlecht immer noch eine Rolle“. Faktensammeln sei eine Notwendigkeit, um all das, was wir vergessen haben, in den Blick zu nehmen. Statt über „die Verstrickungen von Beuys in den Faschismus“ zu reden, müssten wir über Faschismus im europäischen Kontext reden. „Was hat das mit Beuys zu tun?“, fiel ihr Hans Peter Riegel ins Wort und trumpfte als „dirty old white man“ auf. Je rüpelhafter der Auftritt – so wissen wir seit Zuckerberg – desto mehr Klicks und desto höher schnellen die Verkaufszahlen von Riegels mittlerweile vierbändiger Beuys-Biographie. Albert Markert, Mitautor von „Flieger, Filz und Vaterland“, hatte sich einst mit allerlei „Skandalthesen“ – das beuyssche „Braunkreuz“ sei ein verkapptes Hakenkreuz; die Kojote-Aktion von 1974 ein Angriff auf das von den Nazis als Sitz des jüdischen Kapitals diffamierte New York – ebenfalls in die erste Liga gespielt. Damit sicherte er sich ebenfalls einen Platz auf einem der Podien.
Fundiertes lieferte der Kunsthistoriker Ron Manheim. In seinem soeben erschienenen Buch „Beim Wort genommen. Joseph Beuys und der Nationalsozialismus“ hat er nicht dessen Nazivergangenheit, sondern wie Beuys nach 1945 über diese sprach, untersucht. Allen, die Beuys weiterhin als Lichtgestalt sehen, hielt Manheim vor die Nase, dass dieser noch 1982(!) vor einer Schulklasse verlauten ließ, heutige Schulen seien „sehr viel eingeengter“ im „Vergleich mit unseren Schulen damals“. Denn: „Da hatten wir eine große Freiheit!“ Wohlgemerkt, Beuys sprach hier von seiner Schulzeit nach 1933! (das Kolloquium ist in Echtzeit – insgesamt 14:42 h – ins Netz gestellt).
Am Sonntag machte ich mich ins Stadtmuseum auf: „Entrechtet und beraubt. Der Kunsthändler Max Stern“. Info auf der Homepage: „1937 wurde er gezwungen, seinen Kunsthandel an der Königsallee zu schließen [...]. Während des 2. Weltkriegs wurde er 1940 als sogenannter ‚feindlicher Ausländer‘ in Großbritannien interniert und im selben Jahr an kanadische Internierungslager übergeben.“ Die Ausstellung hatte ursprünglich 2018 stattfinden sollen. Kurzfristig vom damaligen Oberbürgermeister Thomas Geisel abgesagt, fühlten sich alle an der Ausstellungsplanung Beteiligten brüskiert. Geisels Nachfolger Stephan Keller entschuldigte sich zwar im Namen der Stadt offiziell am Eröffnungstag bei den Nachlassverwaltern Max Sterns, den kanadischen und israelischen Kooperationspartnern von einst, und bot „Gespräche“ an. „Der letzte Stand der Dinge ist, dass alle drei ursprünglichen Initiatoren der Ausstellung nicht mehr dabei sind: Die Jüdische Gemeinde, das Max Stern Art Restitution Project und die Direktorin des Stadtmuseums Susanne Anna, die damals mit involviert war, wollen mit der Neuauflage der Ausstellung nichts zu tun haben“, informierte am 1. September der NDR auf seiner homepage.
„Die Stadt hat sich international weitgehend isoliert“, so der Provenienzforscher Willi Korte am 12. Juli gegenüber dem Deutschlandfunk. „Es sieht nach einem erneuten PR-Desaster für die Stadt Düsseldorf aus.“ Und gegenüber der Deutschen Welle stellte ein Sprecher des „Restitution Projects“ nun klar: „Nach der politisch gesteuerten Entscheidung, die zur Absage der ursprünglichen Ausstellung führte, weigern sich kanadische Wissenschaftler, mit einer Verwaltung in Verbindung gebracht zu werden, die einst ihre akademische Legitimität in Frage stellte.“ Die Ausstellung wurde im Alleingang ohne die einstigen Kooperationspartner zusammengestellt.
Im Stadtmuseum trat ich vor die Werke. Doch „trotz des besten Willens ist es mir dennoch unmöglich, ihre stillen Verdienste ruhig auseinander zu setzen“, wie Heinrich Heine einst bei anderer (Kunst-)Gelegenheit schrieb.
Unversehens saß ich im Zug nach Köln. Dort kamen mir wieder andere Heine-Zeilen in den Sinn, mit denen der Schriftsteller 1854 eine „Raubübersetzung“ eines seiner Texte kommentierte. Diese Übersetzung aus dem Französischen war mit rührenden Zeilen über seinen üblen Gesundheitszustand versehen: „Sie sind keine kalten Verstandesspitzbuben, sondern Schufte von Gefühl. Sie haben Gemüth, sie nehmen den wärmsten Antheil an dem Schicksal derer, die sie bestohlen, und man kann sie nicht los werden.“ Die Begleitzeilen zur Raubübersetzung seien mit einer „Zusammenstellung von allerley Zeitungsartikeln über mein jetziges klägliches Aussehen“ versehen gewesen, „so daß ich hier von Kopf bis zu Fuß beschrieben bin“. Ein „witziger Freund“ habe angemerkt: „Wir leben wirklich in einer verkehrten Welt, und es ist jetzt der Dieb, welcher den Steckbrief des ehrlichen Mannes, den er bestohlen hat, zur öffentlichen Kunde bringt.“ Derartige „historischen“ Analogieschlüsse sind fragwürdig. Denn zu Heines Zeiten war das unautorisierte Übersetzen aus einer anderen Sprache völlig legal. Doch bei Kunstwerken fraglicher Provenienz beginnt sich seit einiger Zeit ein anderes Rechtsverständnis zu etablieren. Seit 2003 gibt es die Limbach-Kommission, die als Reaktion auf die Nummern zehn und elf der Washingtoner Erklärung auf Initiative des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, der Kultusministerkonferenz der Länder und der kommunalen Spitzenverbänden ins Leben gerufen worden war.
Die Nachbarstadt Neuss – um hier nur ein Beispiel zu nennen – folgte der Empfehlung der Limbach-Kommission und zahlte den Erben des Wuppertaler Kunstsammlers und Schriftstellers Paul Westheim 7.000 Euro für das Ringelnatz-Gemälde „Makabre Szene – Dachgarten der Irrsinnigen“. In Düsseldorf ticken die Uhren anders. Die Stadt zeigt sich in Sachen „Rückgabe von Raubkunst“ weit zögerlicher, was sie allerdings nicht als museumsreif ansah und deshalb die ursprüngliche Ausstellung cancelte.
Endlich Ankunft in Köln. Unmittelbar gegenüber dem Eingang zum „Museum Ludwig“ befindet sich das Südportal des Doms mit der von Ewald Mataré gestalteten Bronzetür. Auch Beuys hatte als Meisterschüler von Mataré daran mitgewirkt. Ist es wirklich nur Zufall, dass die Silhouette der von ihm Anfang der 50er Jahre als Mosaik gestalteten Taube auf der Tür vertikal gespiegelt exakt eben jene Picasso-Taube nachzeichnet, die 1949 das Plakat für den Weltfriedenskongress in Paris zierte? Über diesem Domportal erhebt sich das gigantische, von Gerhard Richter gestaltete, bunte Kirchenfenster. Dieses sei etwas für eine Moschee, jedoch nix für eine Kirche, meinte 2007 Kölns damaliger Erzbischof Meisner. Er mahnte: „Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet.“ Das Mittelalter lässt grüßen!
Das Entrée zur Ausstellung „Der geteilte Picasso“ ist mit unzähligen von der Decke hängenden Plakaten zu Weltfriedenskongressen bestückt, für die Picasso jeweils eine Variante seiner Taube schuf. Mal mit mal ohne Olivenzweig im Schnabel. Ein aufgelockerter Ausstellungsaufbau, der keinen Parcours von A nach B vorschreibt, lädt ein. Mich überraschte die offene und oft schonungslose Kritik auf den Texttafeln. Über Henri-Georges Clouzot’s Film „Le mystère Picasso“, der 1956 in die westdeutschen Kinos kam, heißt es z. B., der Film zeige „den Künstler als optimal eingestellte Maschine, die Einfall auf Einfall auswirft.“ Und weiter: „In einer Zeit, in der Leistung Leitwert ist, steht das Genie für sagenhafte Produktivität.“ Der Film findet sich auf eine Stellwand projiziert, gleichfalls ein in der DDR entstandener von Stephan Hermlin, der dort jedoch nie zur Aufführung kam. Er verschwand sofort im Giftschrank. Die didaktische Hinführung zu Picassos abstrakter Formensprache war nicht erwünscht. Der eigens für die Ausstellung produzierte Film „Picasso in Vallauris“ findet sich auch auf der Homepage des Museums eingestellt. Picasso hatte sich in dem südfranzösischen Ort mit mehrheitlich kommunistischen Einwohner*innen 1948 niedergelassen. Seine Wandmalerei „Krieg und Frieden“ in der ehemaligen Schlosskapelle des Ortes wird in Köln gezeigt. Auch ist in der Schau dokumentiert, wie Picasso in einer Töpferei des Ortes seine Tierkeramiken und Zierteller schuf. Der Senior der Werkstatt kommt zu Wort. Eine Bäckerin erinnert sich: „Picasso, das ist ein Spanier. Er hat mit der Erde gearbeitet [frz. terre bedeutet zugleich Erde und (Modellier-)Ton]. Dieser Mann kann mit den Händen alles machen. Er war Erdarbeiter da oben in Vallauris. Er hat sich mit Töpferei beschäftigt. Wissen Sie, diese spanischen Arbeiter sind geschickt und können alles Mögliche. Er hat für unser Land viel Gutes getan. Wir kannten ihn gut.“ In der Ausstellung ist auf einem großen Foto zu sehen, wie ihm 1950 Arbeiter des Autoherstellers Renault Unterschriften für den Stockholmer Appell zur Ächtung der Atombombe übergeben, und er überreicht ihnen als Dank einen in Vallauris selbst gefertigten Aschenbecher.
Weder DDR noch Bundesrepublik kommen hier gut weg. Die DDR nicht, weil sie Picassos Kunst skeptisch gegenüber stand, die Bundesrepublik nicht, weil sie sein Engagement für den Kommunismus, Arbeitende und die internationale Gewerkschaftsbewegung totschwieg, zudem mehrfach Ausstellungskurator*innen drängte, Picassos politische Werke nicht zu zeigen. Präsentiert wird ein schier nicht zu bewältigendes Material, aber dies nur als ein Angebot, sich je nach Interesse in die unterschiedlichen Themen zu vertiefen. Weitere Elogen erübrigen sich hier, da auf der WDR-Homepage ein ausgezeichneter und empfehlenswerter Scala-Beitrag eingestellt ist („Der geteilte Picasso“ im Kölner Museum Ludwig, WDR5 24.09.2021).
Noch ein pointiertes Ausstellungsobjekt: Auf einem Plakat aus der Zeit der Berufsverbote ist ein Ausschnitt von „Guernica“ zu sehen, darauf rot gedruckt das Picasso-Zitat: „Mein Beitritt zur kommunistischen Partei ist die logische Folge meines ganzen Lebens und meines ganzen Schaffens“. Darunter steht in fetten Lettern: „Dieser Künstler hätte an einer westdeutschen Schule nicht lehren dürfen.“
Thomas Giese
Der geteilte Picasso.
Der Künstler und sein Bild
in der BRD und der DDR
Museum Ludwig, Köln
Bis 30. Januar 2022