TERZ 12.21 – §§ VS. ANTIFA
Das neue Versammlungsgesetz NRW könnte noch im Dezember beschlossen werden. Die Landesregierung will es in adventlicher Stille auf den Gabentisch legen – ein Geschenk an die autoritäre Formierung. Das Bündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ ruft erneut zu Protesten auf.
Die Landesregierung in NRW will noch vor Weihnachten einschneidende Verstöße gegen Grund- und Bürger*innenrechte still und leise in eine Geschenkbox packen: „Gesetz zur Einführung eines nordrhein-westfälischen Versammlungsgesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften“ nennt sie ihr Vorhaben. Damit wird sie das grundgesetzlich verbriefte Recht auf Versammlungsfreiheit und freie Meinungsäußerung der Willkür der sogenannte Ordnungs- und Sicherheitsbehörden überlassen und die Veranstaltenden und Teilnehmenden von Versammlungen einschüchtern und einschränken. Für Mitte Dezember ist mit einem Beschluss im Landtagsplenum zu rechnen. Zuvor wird der zuständige Innenausschuss sich mit dem Gesetzes-Entwurf beschäftigen – voraussichtlich am 8. Dezember 2021.[1]
Wenn das Gesetz in der aktuellen Form (Landtags-Drucksache 17/12423) verabschiedet wird, haben Polizei- und zuständige Ordnungsbehörden in Zukunft – dann auch gesetzlich verbrieft – erhebliche Handhabe, willkürlich gegen Anmeldungen, Teilnehmende, Ausdruck, Größe und Routen von Demonstrationen vorzugehen. Für die Teilnahme sowie die Unterstützung bei der Durchführung von sicheren Versammlungen durch Ordner*innen heißt das zudem: Die Anmelder*innen sollen künftig verpflichtet sein, die Namen der Ordner*innen behördlich bekannt zu machen. Mit der Begründung, präventiv für eine ordnungsgemäße Durchführung einer Versammlung Sorge tragen zu müssen, soll es der Polizei darüber hinaus gestattet sein, Versammlungen flächendeckend und anlasslos zu observieren und per Kamera aufzuzeichnen. Auswertungen erlauben dann, Schlüsse zur Identität der Teilnehmenden zu ziehen. Schließlich werden die Möglichkeiten der Auflagen-Vorgabe und der Durchführung (versammlungs)polizeilicher Maßnahmen vor Ort ungeregelt in die Hände von Ordnungsbehörden und Polizei gelegt. Erst nachträglich kann deren Unrechtmäßigkeit durch aufwändige und teure Klageverfahren vor Gericht erstritten werden. Künftig wird sich also gut überlegen, wer Anmelder*in einer Versammlung sein möchte. Denn das Risiko, mit Kriminalisierung und Haftungsverantwortung konfrontiert zu werden, ist groß.
Im Landtag von NRW ist es in den letzten Wochen allerdings verdächtig still geworden um den Entwurf des Versammlungsgesetzes. Wer dessen Text liest, sollte jedoch rasch merken, dass das Gesetz schon auf den ersten Blick in einer Reihe von Aspekten den Grundregeln der Demokratie widerspricht, sie sogar aktiv aushöhlt: Das Recht auf freie Versammlung und die Freiheit der Meinungsäußerung (Artikel 5 und 8 GG) werden massiv und weitreichend angegriffen. Damit liefert das geplante Versammlungsgesetz der Polizei in NRW jede Handlungssicherheit, die sie benötigt, um ihr bereits heute an vielen Stellen fragwürdiges, mitunter rechtswidriges Vorgehen im Versammlungsgeschehen jeder Art ab sofort „rechtssicher“ zu rechtfertigen. Gegen aktuell rechtswidrige Polizeikessel, maßlose Polizeigewalt gegen Demonstrierende, gegen Ingewahrsamnahmen und Personalienfeststellungen, gegen einen Hagel von Strafanzeigen und gegen die heute noch rechtswidrige Einschränkung der Meinungsfreiheit bei Versammlungen wird künftig wenig auszurichten sein. Weder vor Ort, entlang der Demorouten oder gekesselter Versammlungen, noch im Nachhinein.
Um so bemerkenswerter ist, dass die Regierungsfraktion der FDP im Landtag dem Gesetz bislang nicht vehement widersprochen hat.
Für den 30.10.2021 hatte das Kampagnenbündnis „Versammlungsgesetz stoppen – Grundrechte erhalten!“ zur zweiten Großdemonstration gegen das Gesetzesvorhaben aufgerufen. Über 7.000 Menschen schlossen sich dem Aufruf an, gingen trotz massiver Polizeipräsenz in Köln auf die Straße. Keine Selbstverständlichkeit. Denn bei einer ersten Demonstration des Bündnisses waren am 26. Juni 2021 mehrere Tausend Teilnehmende von den eingesetzten Polizeikräften nach allen Regeln der Kunst einer eskalierenden Einsatztaktik schikaniert, provoziert, angegriffen und gezielt kriminalisiert worden (TERZ 07/08.21). Das spürbare Kalkül des Innenministers Herbert Reul (CDU) und seiner Polizeistrateg*innen im Einsatzstab, durch einen harten Kurs im Sommer abschreckende und einschüchternde Wirkung gegen jeden Protest zu entfalten, ging nicht auf. Im Gegenteil.
Im Oktober war der Protest gegen die Einführung des grundgesetzwidrigen Versammlungsgesetzes für NRW kein bisschen leiser – von Einschüchterung keine Spur. Wieder waren Dutzende unterschiedlichste Akteur*innen und Gruppen gemeinsam auf der Straße – darunter erneut ein ausdrucksstarker Block der Ultras des 1. FC Köln, ein Block der Kampagnenstruktur „Nationalismus ist keine Alternative – NIKA NRW“ zusammen mit der Interventionistischen Linken IL. Der „Robenblock“ der Anwält*innen, Antifa- und Klimablock spiegelten zusammen mit einem bunten Block am Ende der Demo wider, dass der Eingriff in die Versammlungs- und Meinungsfreiheit die Rechte ganz unterschiedlicher Menschen und Interessenzusammenschlüsse betreffen wird.
Da es im Sommer nicht gelungen war, die Demo zu spalten und nun, im Oktober, der Schulterschluss gegen das Gesetz erneut kraftvoll war, zeigte sich die regierungsverantwortliche FDP prompt entgegenkommend. Noch während in Köln die Demo lief, ließ die Landes-FDP per Kurznachrichtendienst Twitter den Demoteilnehmenden ein Versprechen ihres Vizeministerpräsidenten von NRW, Joachim Stamp, zukommen: Den Menschen, „die heute gegen das neue #NRW-Versammlungsgesetz demonstrieren, könne er Entwarnung geben“, zitierte der FDP-NRW-Account seinen Minister: Sie bräuchten sich „keine Sorgen zu machen: Wir werden selbstverständlich ein modernes und verfassungsfestes Versammlungsrecht auf den Weg bringen“, so der gezwitscherte Wortlaut im O-Ton des Spitzenpolitikers. Eine Steilvorlage für Kommentierungen, etwa kurz und knapp als Antwort: „BlaBlabla“. #Sohellsichtig.
Denn in den Wochen nach der Demonstration in Köln wäre Zeit gewesen, das Gesetz im Landtag zu diskutieren. Gründe, die „Verfassungsfestigkeit“ der Gesetzesvorlage in Zweifel zu ziehen, gibt es zur Genüge. Doch weder aus den Reihen der FDP noch aus denen der Oppositionsfraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD (beide immerhin neuerdings selbstbewusste Bundestagswahlgewinner*innen) war auch nur ein Mucks der Kritik oder wenigstens der Betriebsamkeit zu vernehmen.
So viel Stille ist kaum verwunderlich. Denn trotz der auf Bundesebene nach der Wahl zum Bundestag im September 2021 neu sortierten Kräfteverhältnisse will die FDP in NRW offenkundig das Unmachbare: Ihr Profil als Partei der Bürger*innen-Rechte wahren – zugleich ihrem Seniorkoalitionspartner CDU nicht allzu wild in die Parade fahren. Schließlich ist im Mai 2022 Landtagswahl – und ein Stamp will sicher weiter mitregieren. Warum SPD und Bündnis 90/Die Grünen sich diese Steilvorlage jedoch nicht gönnen, um aus der Opposition heraus Punkte in Sachen Credibility zu machen, bleibt unklar. Setzt das neue Versammlungsrecht in NRW doch auch deren Wähler*innen unter Druck. Schließlich dürfte es auch für Gewerkschafter*innen oder Akteur*innen der Klimaschutzbewegung mit dem neuen Gesetz deutlich schwerer werden, ihre Interessen auf die Straße zu bringen. Interessen, die durchaus im roten oder grünen Partei- oder Landtagswahlprogramm stehen (werden).
Stattdessen beschäftigten sich die Landtagsfraktionen aller Parteien damit, nicht das Gesetz, wohl aber die Proteste gegen das Gesetz zu erörtern. So hörten die Landtagsabgeordneten in der Sitzung des Rechtsausschusses vom 17.11.2021 den öffentlichen Bericht des Justizministers Peter Biesenbach (CDU), der sein Ministerium Sachverhalte zu „Strafverfahren im Zusammenhang mit einer Versammlung in Köln am 30.10.2021“ hatte sammeln lassen. Demnach ermittle die Kriminalpolizeiinspektion Staatsschutz am Polizeipräsidium Köln im Zusammenhang mit der Demonstration im Oktober derzeit zu Strafanzeigen in 10 Fällen. Das Kampagnenbündnis „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ ordnete sie in einer Pressemitteilung vom Tag der Ausschuss-Sitzung ein: Sechs Strafanzeigen gelten der Veröffentlichung verschiedener Adbusting-Motive, die Politiker*innen der CDU und FDP persiflieren. Mit einer Anzeige verfolge die Ermittlungsbehörde den Straftatbestand der Beleidigung gem. § 185 StGB. Das Innenministerium führt dazu – im Bericht des Justizministers zitiert – aus: Die Strafanzeige sei wegen Beleidigung „zum Nachteil von Herrn Minister Herbert Reul erstattet“ worden. In einem der Demonstrationsblöcke sei „ein Plakat mit dem Wortlaut: ‚Reul ist 1 Pimmel‘ in die Höhe gehalten“ worden. „Noch bevor die Einsatzkräfte einschreiten konnten, wurde das Plakat aus der Versammlung entfernt. Ein Tatverdächtiger konnte nicht mehr festgestellt werden“, zitiert der Bericht weiter.
Eine Einordnung des Sachverhalts lieferte das NRW-Innenministerium nicht. Auch unter den Politiker*innen im Rechtsausschuss, ließe sich annehmen, muss sich „#Pimmelgate“ wohl bereits herumgesprochen haben: jene Strafverfolgungskaskade im Zusammenhang mit einem Twitterpost, in dem ein Mensch aus Hamburg den dortigen Innensenator Andy Grote (SPD) ganz ähnlich bezeichnet hatte. Grotes Polizei hatte seinerzeit den Twitter-User per Hausdurchsuchung heimgesucht zur Beweissicherung für die vorgebliche Gleichsetzung des Innensenators mit dem vulgo-Ausdruck für ein Geschlechtsorgan.
Zurück in Düsseldorf meldete sich zur Aussprache zum Bericht Biesenbachs zur Demo am 30.10. laut Sitzungsprotokoll nur Sven Wolf (wie Andy Grote in der SPD) zu Wort. Nach den Medienberichten, so Wolf, habe er bisher den Eindruck gehabt, es sei in Köln zu „schweren Straftaten gekommen“. Das sei doch „deutlich anders“, wie er nun durch den Bericht erfahre.
Mit ihrer Pressemeldung vom 17.11.2021 setzte die Kampagne „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ die absurde Debatte am Rande des Gesetzgebungsverfahrens ins richtige Licht: „Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wird massiv bedroht, aber die Landesregierung redet lieber über Pimmel und Plakate. Provokative Äußerungen und Satire im Rahmen der freien Meinungsausübung beschäftigen den Staatsschutz und Landtagsausschüsse. Die eingeleiteten Ermittlungen zeigen die Empfindlichkeit politischer Entscheidungsträger in Bezug auf die Kritik am geplanten Versammlungsgesetz. Wir lassen nicht zu, dass von dem eigentlichen Skandal abgelenkt wird: dass dieses demokratiefeindliche Versammlungsgesetz immer noch zur Debatte steht!“, kritisiert Bündnissprecherin Sam Gruber.
Jetzt ruft „Versammlungsgesetz NRW stoppen – Grundrechte erhalten!“ zu weiteren Protesten für Dezember auf. Denn die Posse rund um „Pimmel und Plakate“ ist bitterernst. Wenn das Gesetz beschlossen ist, hat die Landesregierung von NRW die größte Schweinerei in Sachen Demokratiefeindlichkeit auf den Weg gebracht, die sich in schlechten Träumen nur vorstellen lässt.
Zugleich bleibt die Politik druckanfällig. „Wir nehmen die FDP beim Wort und fordern sie auf, den jetzigen Gesetzesentwurf unverzüglich vom Tisch zu nehmen. Dieses Gesetz gefährdet unsere Freiheit und gehört in den Papierkorb“, sagt Bündnissprecherin Gizem Koçkaya. „Die FDP wäre gut beraten, ihren eigenen Standpunkt erkennen zu lassen, indem sie sich dafür einsetzt, dass „Freiheitsrechte nicht ausgehöhlt werden“, und „Menschen [...] für ihre Belange demonstrieren [können], ohne Repressionen fürchten zu müssen“. So steht es im Grundsatzprogramm der FDP. So wollen wir leben – auch in der SPD und als GRÜNE. Oder?
[1] Mit Redaktionsschluss am 27.11.2021 waren die Tagesordnungen und Ausschuss- sowie Plenumsunterlagen für die Dezembersitzungen noch nicht auf der Homepage des Landtages von NRW veröffentlicht. Die Ausschuss-Sitzung des Innenausschusses ist dort terminiert für den 08.12.2021, Plenarsitzungen des Landtages sind für den 15. und 16.12.2021 vorgesehen. Ob das Versammlungsgesetz NRW jeweils zur Beratung bzw. zum Beschluss kommt, ist also noch offen.
Aktionstag am 04.12.
Das Bündnis „VERSAMMLUNGSGESETZ NRW STOPPEN!“ ruft für Samstag, den 04.12. zu einem dezentralen Aktionstag gegen das Versammlungsgesetz auf. Kommt zu den Demonstrationen oder organisiert Aktionen in euren Städten. Achtet auf Ankündigungen und werdet kreativ, um auf das Versammlungsgesetz aufmerksam zu machen und euren Protest auf die Straße zu bringen.
Des Weiteren wird es am Mittwoch 08.12. eine Kundgebung vor dem Landtag in Düsseldorf geben. Es gilt dem Innenausschuss unseren breiten zivilgesellschaftlichen Protest direkt vor Augen zu führen. Wir haben einen langen Atem und werden kämpfen, bis dieses Gesetz gestoppt ist!
Versammlungsgesetz NRW stoppen! Grundrechte erhalten!
Infos unter: https://nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de