Neues aus der Plattenkiste

Handverlesen und präsentiert von The Oberbilker

Eine Künstlerin, die mich seit 2017 begleitet ist Phew aka Hiromi Moritani. Kennengelernt habe ich Phew mit dem Album Light Sleep auf Mesk-Key, einem amerikanischen Label. Angesprochen durch das Cover Artwork, das sehr minimalistisch gehalten ist, habe ich mich damals getraut in das Album reinzuhören. Der erste Track „New World“ war noch sehr zugänglich, klassische Elektronik Beats mit „Gesang“, nicht zu schnell, schön anzuhören. Aber der zweite Track „CQ Tokyo“ ging schon anders ab, ein verstörender Noise Beat mit Sprechgesang, der die passende Untermalung zu einem Clive Barker Film sein könnte. Die anderen vier Tracks schlossen sich nahtlos an und Phew hatte mich gepackt.

Man muss dazu sagen das Phew schon seit 1978 aktiv ist. Zuerst in der Avantgarde Punk Band Aunt Sally und seit 1981 auch solo. Phew ist 1959 in Osaka, Japan geboren (laut Wikipedia) und hat in der Zeit diverse Veröffentlichungen auf den verschiedensten Labeln mit den unterschiedlichsten Kollaborationspartner*innen getätigt. Wie zum Beispiel die erste Solo-Single Finale / Urahara, erschienen 1980 auf Pass Records. In Mono aufgenommen erinnert „Finale“ an ein bizarres, alptraumhaftes Kinderlied. Urahara in Stereo auf der anderen Seite kommt aber nicht weniger unfreundlich rüber. Beide Songs sind produziert von Ryuichi Sakamoto und der ist ja mittlerweile nicht nur als Soundtrack Komponist bekannt.

Der Erstling s/t Phew, erschien schließlich 1981 auf Pass Records in Japan. Aufgenommen von Conny Plank in seinem Studio und unterstützt unter anderem von Holger Czukay und Jaki Liebezeit (beide Can), ist das Erstlingswerk ein unbedingtes Must Have! Der Track „Signal“ hätte auch Mitte der 80er Jahre im Zwischenfall laufen können. Dazu kommt wirklich der brillante Sound den Conny Plank dazu geliefert hat. Tipp: „Mapping“.

Das dritte Album Our Likeness, 1992 auf Mute erschienen und auch wieder von Conny Plank in seinem Studio eingespielt. An ihrer Seite hatte Phew auch hier wieder Jaki Liebezeit und Chrislo Haas (DAF / Der Plan) sowie Alexander Hacke (Einstürzende Neubauten). Ein sehr „melodisches“ Album, nicht so experimentell, ambient drone lastig wie die späteren Werke. Die Einflüsse von Can, Neubauten und Der Plan sind stark heraushörbar und lassen das ganze Album wie aus einem Guss erscheinen und das ist keineswegs negativ gemeint! Mein Lieblingssong ist „Being“, sehr Tribal lastig, der geht einfach nur nach vorne weg.

1987 erschien das zweite Album View auf Continental in Japan. Ein sehr poppiges Album, mit dem ich anfangs Schwierigkeiten hatte. Hört euch mal „Dirge“ an, dann wisst ihr was ich meine. Aber trotzdem packte „View“ mich dann auf einmal. Ausgefeilte Songstrukturen, diesmal richtiger Gesang von Phew und kleine elektronische Spielereien lassen „View“ zu einem musikalischen Kleinod heranwachsen! Und darum als eigentlicher Tipp: „Vision“.

Oder ihre 2018 Kollaboration mit Ana da Silva. Ja, Ana da Silva von den Raincoats, die Post Punk Band aus UK. Island erschien als Doppel LP auf Shouting Out Loud!. Ein wenig eingängiger und nicht ganz so verstörend wie Sleep und das Nachfolger Album Voice Hardcore von 2018, ist Island trotz alledem auch ein hervorragendes Album, welches durch ausgefeilte elektronische Skills beeindruckt und mich „wieder“ restlos zufrieden gestellt hat. Hört euch den Titel Track „Islands“ an.

Hervorheben kann man auch die Live Aufnahmen, die im Laufe der Jahre veröffentlicht worden sind. Patience Soup ist eine Live Aufnahme von 2015, aufgenommen im Kitakyushu Performing Arts Center in Japan, veröffentlicht 2019 auf Black Truffle. Unterstützt wird Phew hier von Oren Ambarchi an der Gitarre und Jim O’Rouke am Piano und dem Synthesizer. Jim O’Rouke ist ja bekannt von seiner Zusammenarbeit mit - unter anderem - Sonic Youth. Oren Ambarchi kommt aus Australien und hat schon mit diversen Drone Ambient Künstlern zusammen gearbeitet, wie z. B. Stephen O’Malley von Sunn O))). Und Stephen O’Malley hat hier wiederum das Design für das Album beigesteuert. Der Kreis schließt sich hier und präsentiert werden zwei ultralange Drone-Experimental-Tracks. Ein Set, bei dem ich gerne dabei gewesen wäre und das jetzt zum Glück auf Vinyl erschienen ist. Das andere Live Set ist dann Backfire Of Joy und wurde 1982 in der Hosei Universität in Japan aufgenommen. Unterstützung hat Phew damals von John Duncan und Kondo Tatsuo erhalten. Bei John Duncan weiß ich, dass er auch schon mit Asmus Tietchens zusammengearbeitet hat. Zu Kondo Tatsuo habe ich leider nichts herausgefunden. Aber widmen wir uns der Aufnahme von 1982. Backfire ist ein über 17 Minuten langer Track, der wieder als Soundtrack für einen Horrorfilm geeignet wäre. Und Joy mit knapp 10 Minuten steht dem in nichts nach, Dario Argento hätte seine Freude daran. Bizarre Soundkollagen, Phews Sprechgesang und elektronische Skills, die auch heute noch zeitgemäß sind und einen nicht vermuten lassen, dass die Aufnahmen von 1982 sind.

Das Vertigo KO Album aus dem Jahr 2020 beinhaltet unveröffentlichtes Material von den Light Sleep und Voice Hardcore Sessions sowie ein Raincoats Cover: „The Void“. Alle sieben Tracks sind es wert, nachträglich veröffentlicht zu werden. „The Void“ steht dem Original in nichts nach und rechtfertigt schon alleine den Kauf! Ein treibender Beat der mit Phews Stimme unterlegt ist. Abgerundet wird Vertigo KA diesmal mit einem 20-seitigen Beiheft, das viele Fotos und Liner Notes enthält. Von 2020 ist auch das Vertical Jamming Tape, auch auf Disciples veröffentlicht worden. Zwei extralange Drone Tracks die eigentlich 2016 von Phew als Tour-CD auf ihrem eigenen Label Bereket veröffentlicht wurden. Beim Kauf des Tapes kann man einen Bandcamp Link anfordern und einen zusätzlichen Phew Track herunterladen, der dann passenderweise „Drone“ heißt. Da Tape und auch LP mittlerweile schwer zu kriegen sind, hier der Tipp ausnahmsweise für die CD. Eigentlich sind es sogar zwei CD’s, das Vertigo KO Album und die Vertical Jamming Tour CD. Auf der zweiten CD ist der Song „Drone“ als dritter Track enthalten. Für knappe zwanzig Euro innerhalb Deutschlands erhältlich mit viel Musik für das bisschen Geld. Und als zusätzliche Information, Disciples ist ein Unterlabel von Warp Records, das passt dann auch.

Ende Oktober diesen Jahres erschien schließlich das neue Album von Phew, New Decade auf Mute. Und da schließt sich ein weiterer Kreis, denn das dritte Album Our Likeness von 1992 erschien schon auf Mute. Aber nun zu New Decade. Schon der Opener Snow and Pollen packt einen, der Bass ist nicht schnell, aber super brutal aufgenommen und bringt die gesamte Wohnung zum Beben. Dazu wieder Phews unverwechselbare Stimme, alles in allem fräst sich das gesamte Album in die Gehirnwindungen. Und man merkt den Aufnahmen an, dass sich in den letzten Jahren die Aufnahmequalität extrem gebessert hat. Gerade laufen Feedback Tuning, Rauschen, Fiepen, Nölgesang und bizarre Hintergrundgeräusche, ich lasse heute Nacht beim Schlafen das Licht an.

Fehlen tut mir noch die Phew X Bikke Cassette von 2009, auch auf Ihrem Label Bereket erschienen, da heißt es dann warten, denn CDs interessieren mich nicht. Bikke ist eigentlich Yasuko Mori und der hat wiederum mit Phew zusammen bei Aunt Sally gespielt. Das schon erwähnte Label Mesk-Key wird im Dezember das erste Album s/t (Aunt Sally), von 1979 mit einer Bonus Live Single wiederveröffentlichen. Ich werde das Reissue in einer der nächsten Terz Ausgaben besprechen.

Alles in allem ist Phew für mich eine Ausnahmekünstlerin, die es verdient hat, endlich einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich gemacht und damit hoffentlich auch bekannter zu werden.

So, das war es dann, schöne Weihnachten und einen guten Rutsch. Bis denne …

Euer Oberbilker