TERZ 01.22 – NOISE OF ART
Das Leverkusener Museum Morsbroich zeigt aktuell „Mischa Kuball. ReferenzRäume“. Insbesondere „Platon’s mirror“ hat mich beeindruckt. Der Raum reinszeniert das Höhlengleichnis des griechischen Philosophen. Vom sprichwörtlichen „White Cube“ – den ästhetisch weißen Wänden – ist hier nichts mehr übrig. Ich wähnte mich in einen Techno-Club versetzt. Die Projektion trifft zunächst auf eine Spiegelfolie, welche verzerrt zuckende Farbkaskaden auf die Wände wirft. Wie im Kunstnebel einer Großraum-Disco erscheinen schemenhaft Menschen an den Wänden. Ich brauchte einige Zeit, bis mir klar wurde, dass die Schatten an der Wand nicht durch Beamerprojektion, sondern allein durch die mit mir im Raum befindlichen Personen, inklusive mir selbst, entstehen. Bei Platon sind die Schatten werfenden Figuren und Gegenstände für die Eingeschlossenen nicht sichtbar. In Kuballs Technohöhle ist dieser Irritationseffekt potenziert. Ich hätte ja den Menschen, deren Schatten sich an der Wand bewegen, direkt in die Augen schauen, sie direkt ansprechen können. Aber wir sind darauf getrimmt, in Kunsträumen „die Wahrheit“ in Kunstobjekten und nicht im Gegenüber zu suchen.
Der unmittelbare Kontakt ist Kuball wichtig. Er ist Marathonläufer. Für ihn sei Laufen mehr als Sport, er sehe darin eine Form „dynamischer Meditation“, erläutert er im WDR-Gespräch. „Also ich erlebe es oft, dass ich so in Gedanken bin, dass ich erst ein paar Kilometer weiter realisiere, an welchem Ort ich jetzt angekommen bin.“ Orte auf diese Weise kennenzulernen, ist ihm wichtig. „Ich benutze es tatsächlich auch als Recherche.“ In manchen Städten sei er „sechzig oder mehr Kilometer gelaufen, um eben einfach zu erfahren, wie so eine Stadt funktioniert.“ Laufen heiße: „Ich bin angreifbar, ich bin ansprechbar, ich bin berührbar – und das ist eben was anderes, als wenn man das mit dem Auto macht“ – oder noch viel schlimmer mit dem Finger auf dem Stadtplan oder mit dem Curser auf dem Desktop. „Man riecht, man schmeckt, man spürt den Raum. Und man hat natürlich auch die Möglichkeit, tatsächlich mal anzuhalten und mit jemandem einen Kaffee zu trinken und zu sprechen. Auch das ist möglich.“ Corona macht ihm Sorgen: „Dieses Verdrängen aus dem öffentlichen Raum in den digitalen Raum, die körperlose Präsenz oder eben Nichtpräsenz hat wirklich fatale Folgen, nicht nur für die direkte Kommunikation zwischen Menschen.“
Als deutschen Beitrag zur 24. Biennale von São Paulo hatte er 1998 das Projekt „Lampentausch“ realisiert. In der brasilianischen Metropole liehen ihm dort Lebende jeweils eine Stehlampe aus, die er im Ausstellungsraum als Ensemble zeigte. Er habe es stets als Defizit empfunden, die zahlreichen Gespräche, die er führte, nicht dokumentiert zu haben. Im Kulturhauptstadtjahr „RUHR.2010“ realisierte er eine Variante des Projekts. Er lichtete 100 Familien mit 100 verschiedenen Nationalitäten ab, Menschen, „die irgendwo im Ruhrgebiet eine neue Heimat gefunden haben.“ Zum Fotoshooting brachte er eine Lampe mit, bestehend aus einer auf einem Ständer stehenden milchig-weißen Kugel, die das jeweilige Wohnzimmer wie ein Vollmond beschien. Die Immigrant*innenfamilien erzählten vor laufender Kamera ihre Geschichte. Die Installation befindet sich heute im Besitz des Duisburger Lehmbruckmuseums. Der Direktor des Museums Morsbroich, Jörg van den Berg, startete sofort eine Leihanfrage. Das Projekt „New Pott. Neue Heimat im Revier“ füllt jetzt das komplette Obergeschoss des Schlosses aus. 100 Wohnzimmer, einmal mit, ein zweites Mal ohne die dort Lebenden abgelichtet – in Schwarz-Weiß. Das war Kuball wichtig. Sachlich-dokumentarisch sollte es sein. Eine Reminiszenz an August Sander. Auf zwei Monitoren sind die Videos, in denen die Familien ihre Migrationsgeschichten erzählen, zu sehen. „Trotz der zehn Jahre Distanz habe ich jetzt bei der Wieder-Installation gemerkt: Sowohl die Interviews als auch die Fotografien selber haben nichts an Aktualität verloren“, so Kuball im WDR-Gespräch. „Denn die Fragen, wie Menschen zusammenleben wollen, in dieser Gesellschaft, die sich aus verschiedenen kulturellen Identitäten und Praktiken zusammensetzt, die sind ja virulenter und brisanter denn je.“ Mit allen Familien seien die Gespräche – die Aufnahmen entstanden, als Thilo Sarrazin mit „Deutschland schafft sich ab“ die Sprachkompetenz in Frage stellte – in deutsch geführt worden. „Das haben wir gar nicht thematisiert.“ Das sei sozusagen der rote Faden, der sich durch alle Gespräche ziehe. „Und wir hören Menschen, die aus wirtschaftlichen, aus Bildungsgründen [sic!], wir hören von Menschen, die Foltererfahrungen gemacht haben oder medizinische Unterversorgung erlebt haben.“ Dass diese Arbeit jetzt wieder zu sehen ist, hält Kuball für wichtig. „Dieses Ankommen und Neudefinieren, etwas in diesen gesamtgesellschaftlichen Prozess einzuspeisen – das war ganz zentral und lässt sich wieder an dieser Arbeit neu ablesen.“
Mit der Kuball-Ausstellung knüpft der Direktor Jörg van den Berg an das Projekt „Duett mit Künstler_in. Partizipation als künstlerisches Prinzip“ aus dem Jahr 2017 an. Damals stand die Schließung des Museums im Raum. Namhafte Künstler*innen, so z.B. Gerhard Richter, spendeten Werke. „In diesem Zusammenhang hatte ich die Idee“, erinnert sich Kuball im WDR-Gespräch, „das Duett nicht interpersonell zu verstehen, sondern die Orte miteinander in Beziehung zu setzen, nämlich den historischen Ort des Museums mit der Rathausgalerie, die ein klassisches Neubauprojekt der 70er/80er Jahre ist.“ Seine Idee war, „genau vor diesen politischen Raum einen Grundriss aus dem Museum sozusagen wie eine Rochade in den öffentlichen Raum zu verschieben, die Spuren des Alltags der Bürgerinnen und Bürger einzusammeln, und diesen Boden wieder zurück ins Museum zu verlegen.“ Vor der Rathausgalerie sollte es ins Bewusstsein heben, „dass es drei Kilometer entfernt ein Museum gibt.“ Ein wichtiger Punkt. Tatsächlich ist das Museum in der Kölner und Düsseldorfer Kunstszene bekannter als in Leverkusen selbst. Wenn die Notwendigkeit des Museums behauptet werden soll, dann müsse es „auch einen Schritt in die Stadt machen“, sagt Kuball. Und der Linoleumboden mit dem Grundriss, darauf die Fahrradspuren von 2017 – sogar die Trittspuren eines Vogels sind zu sehen – bildet nun das Entree zur aktuellen Ausstellung. Immer wieder sind es derartige Interventionen im „public square“, im öffentlichen Raum, die Kuballs Werk auszeichnen.
Doch nicht alle Arbeiten konnten mich überzeugen. Fünf sich drehende Discokugeln bleiben Discokugeln, auch wenn die Rauminstallation den Titel „Five planets“ trägt. Eine Fahrt durch Moskau, gefilmt durch den Boden eines Bierglases, hätte als Ergebnis eines gymnasialen Kunst-Leistungskurses sicherlich einen Pluspunkt für Originalität bekommen. Doch als Kunst-Installation mangelt es hier dann doch etwas an Substanz. Andererseits hat es zugleich etwas Erfrischendes, zu sehen, dass auch ein Kuball nur mit Wasser kocht. Am stärksten fiel Erzählung und Präsentation bei dem Projekt „Marfa Floater/Berlin Floater“ auseinander. Im Zentrum stehen hier gold- und silber-beschichtete Rettungsfolien. Das sei ja „etwas ganz Wertiges, Gold und Silber, und dann noch in so einem Schloss mit Stuck und hohen Decken“, unterstrich Kornelia Bittmann im Gespräch mit Kuball. Zugleich dienten sie aber auch als Rettungsfolien. „Ja, tatsächlich haben diese Decken sehr verschiedene Funktionen“, bekräftigt Kuball. Sie könnten beispielsweise helfen, „die Körpertemperatur zu halten, wenn es sich z.B. um brandgeschädigte Opfer handelt oder sie sind auch im technologischen Sinne im Einsatz, beispielsweise in der Raumfahrt, als Heatshield, um Hitze abzuwehren.“ Auf der Friedrichstraße in Berlin liegt sie aber „eben auf der Straße und man merkt, wie die Menschen zögerlich um dieses Stück Material herumgehen, das flimmert und schimmert und gleichzeitig trotz aller Reflektion den menschlichen Körper im Stadtraum in einer verletzlichen Art und Weise zeigt.“ In der Reihe „Gespräch am Samstag“ war das Interview am Tag vor der Eröffnung von WDR3 ausgestrahlt worden. Doch das im betreffenden Raum gezeigte Video zeigt das von Kuball so plastisch Beschriebene gerade nicht. Es wurde von einer unmittelbar über der Folie stehenden Drohne aufgenommen. Es sind nur dicht daran vorbeihuschende Fußgänger*innen, Fahrradfahrer*innen und Autos zu sehen. Wie diese sich mühen, dem Stück auszuweichen, wie Rad- und Autofahrer*innen, sobald die Folie in ihr Sichtfeld gerät, langsam die Fahrspur wechseln, ist eben gerade nicht zu sehen. Dazu hätte es einer Kameraperspektive bedurft, welche das ganze Straßenbild erfasst.
Auch wenn die bildnerische Umsetzung nicht in allen Räumen überzeugt, lohnt sich allein schon wegen „New Pott. Neue Heimat im Revier“ der Museumsbesuch. Und ganz unbedingt empfehlenswert ist das „Gespräch am Samstag“ auf WDR3 (als Podcast in der WDR-Mediathek verfügbar), gleichfalls empfehlenswert das Video „Counter-Memories: Mischa Kuball & Paul Holdengräber“ (englisch; im Netz verfügbar). Hier steht die Installation an der Synagoge in Stommeln im Zentrum. Der „Klub M“, die Gruppe von 17- bis 21-Jährigen, die sich am Museum zusammengefunden haben, um es wieder „jung“ zu machen, arbeitet bereits an einem Begleitprojekt zur Ausstellung. „So was finde ich zum Beispiel total wichtig“, sagt Kuball. Ein erstes Treffen fand bereits statt. „Und dann haben wir am Ende einfach mehrere Stunden miteinander verbracht und haben eben Möglichkeiten diskutiert, wie vielleicht die Ausstellung Anregung sein könnte für Interventionen.“ Wir dürfen gespannt sein.
Thomas Giese
Mischa Kuball. ReferenzRäume
bis 24. April im Museum Morsbroich (Schloss Morsbroich), Leverkusen