TERZ 03.22 – KURDISTAN
Im Januar 2022 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig die Repressionspolitik des Bundesinnenministeriums gegen einen kurdischen Verlag und einen Musikvertrieb aus Neuss. Mit über 100 anderen Medien- und Kulturschaffenden erklärt die TERZ ihre Solidarität mit den Freund*innen von Mir Multimedia und Mezopotamien Verlag.
Seit der Razzia in den Räumlichkeiten des Neusser Mezopotamien Verlagshauses und des Musikverlages Mir Multimedia im März 2018 ist keines der 50.000 Bücher wieder aufgetaucht. Auch das europaweit größte kurdische Musikarchiv ist der Öffentlichkeit weiterhin entzogen. Buchstäblich tonnenweise hatten Beamt*innen der Polizei im Frühjahr 2018 die Verlags- und Medienhäuser leergeräumt. Kinderbücher, Musik-CDs und Tonträger, Lehrbücher für kurdische Sprache, Romane und Weltliteratur: beschlagnahmt. Ebenso wie der kleinste Teil des Verlagsprogramms – die politische Literatur. Auf die Beschlagnahmung folgte im Februar 2019 das Verbot. Der damalige Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) erklärte die Medienhäuser zu Teilorganisationen der in Deutschland verbotenen PKK (Arbeiterpartei Kurdistans), untersagte unter Anwendung des Vereinsgesetzes jede Weiterführung der Verlagsarbeit. Die Medienhäuser klagten gegen das Verbot. Im Januar 2022 verhandelte nun das Leipziger Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich zur Sache.
Anlässlich des bevorstehenden Prozesstermins zeigten bundesweit über 100 Kultur- und Medienschaffende in der Woche vor dem Prozesstermin am 26. Januar 2022 ihre Solidarität mit den beiden Verlagen. Der Vorwurf des Bundesinnenministeriums gehe fehl, heißt es in der Erklärung der Unterstützer*innen. Die Anschuldigungen per Verbotsverfahren als vermeintlich stichhaltig durchzudrücken bedeute, dass die bundesdeutsche Politik dem türkischen Staat und seiner „Repression gegen nicht-türkische Kultur“ in die Hände spiele, sie sogar „massiv unterstützt“. Hatte das Innenministerium sein Verbot 2019 doch damit zu erklären versucht, dass „der Geschäftsbetrieb“ beider Verlagshäuser „allein der Aufrechterhaltung des organisatorischen Zusammenhalts der PKK“ diene. „Mit ihrem wirtschaftlichen Ertrag“ seien „die Aktionsmöglichkeiten der PKK in Deutschland und Europa nachhaltig gestärkt“ worden, hieß es damals in der Verbotsbegründung.
Nachgewiesenermaßen schrieben sowohl der Mezopotamien-Verlag als auch das Musikunternehmen Mir jedoch rote Zahlen. Statt Erträgen: Defizite. Wie bei so vielen Medienhäusern in Deutschland.
Der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat die Klage der Verlagshäuser am 26.01.2022 rechtskräftig abgewiesen. Damit ist das Verbot bestätigt. Die Richter*innen blieben dabei: Die beiden Unternehmen seien als Teilstrukturen der seit 1993 verbotenen PKK zu sehen. Damit drehten sie die zuvor als Begründungslast für das Verbot zusammengedichteten Argumente auf den Kopf. Diente ihnen als Beleg für die Bestätigung des Verbotes doch nun (in 180-Grad-Umkehrung der zuvor herangezogenen vermeintlichen Begründung) die Annahme, dass der Mezopotamien Verlag seinerseits von der PKK finanziell unterstützt werde. Mit dem Vertrieb von Büchern und Zeitschriften betreibe der Verlag nach Annahme des Gerichts außerdem Propaganda für die Arbeiterpartei Kurdistans. Dafür spräche, so das Gericht, daß der Verlag die Herstellung der Bücher selbst in Auftrag gäbe.
Was ein Verlag eben so macht: Er druckt Bücher, ediert Literatur und Sachtexte. Und mit ein wenig Geschick verkauft er seine Produkte sogar, Bücher und Non-Book-Artikel – so, wie jeder andere Verlag auch. Das „Börsenblatt“, das Fachmagazin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels e. V., berichtete am 31. Januar über das Urteil und ergänzte unter Verweis auf die Presseaussendung des BVerwG vom 27.01.2022, daß das Gericht abschließend auch aus „verfassungsrechtlicher Sicht“ keine „Bedenken“ gegen das Verbot geäußert habe. Justizia, so frei, wie Du tust, bist Du nicht, nicht wahr?
Der Verbleib der beschlagnahmten Bücher und Medien ist bis auf weiteres ungeklärt. Das Börsenblatt erinnerte in seiner Berichterstattung zum Prozess aber daran, dass einige Autor*innen und Publikationen des Mezopotamien-Verlages inzwischen durchaus ein vorübergehendes Exil-Zuhause gefunden haben. Der Münsteraner Unrast Verlag, der Mandelbaum Verlag aus Wien und die Schweizer Edition 8 machen mit ihrer „Edition Mezopotamya“ die wichtigsten deutschsprachigen Titel wieder zugänglich. Finanziert wird dieses „Projekt gegen Zensur und für die Publikationsfreiheit“ aus Spenden. „Aus dem Buchverkauf rücklaufendes sowie ggf. überschüssiges Geld wird einem Solidaritätsfonds für die Prozesskosten des Mezopotamien Verlags und des MIR Musikvertriebs zur Verfügung gestellt“, so die Mit-Unterstützer*innen von labournet.de in ihrem Aufruf zur Spendenkampagne. Die Verlagshäuser werden gegen das Urteil des BVerwG Beschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht einlegen.
An der Seite von über 100 Einzelpersonen, Verlagen, Antiquariaten, Buchhändler*innen und Kulturschaffenden – darunter ein Mitglied des Präsidiums des PEN-Zentrums Deutschland und zwei Mitglieder des Bundesvorstandes des Verbandes deutscher Schriftstellerinnen und Schriftsteller – schließt sich die TERZ der Solidaritätserklärung an:
„Wir als Kultur- und Medienschaffende fordern die Aufhebung des Verbots der beiden Medienbetriebe und die Rückgabe des beschlagnahmten Materials, damit die Medienhäuser ihre Arbeit wieder aufnehmen können. Wir fordern die demokratischen Grundrechte der Kunst-, Meinungs-, Presse- und Publikationsfreiheit auch für die kurdischen Menschen in Deutschland ein. Und wir fordern ein Ende der Repression von Bundesregierung und türkischem Staat gegen kurdische Menschen und ihre Kultur.“
Ausführliche Dokumentation:
https://labournet.de – unter dem Suchbegriff „Mezopotamya“
im Seiten-eigenen Suchfenster.
Spendenkonto: Verein zur Förderung kurdischer Kultur e. V.
IBAN: DE78 4306 0967 1011 1214 00
BIC: GENODEM1GLS
Verwendungszweck: Edition Mezopotamya