Tarifvertrag Entlastung

Das Ultimatum läuft

Die Beschäftigten der nordrhein-west­fälischen Unikliniken streiten für bessere Arbeitsbedingungen und fordern einen Tarifvertrag Entlastung.

Sieben Jahre ist es nun her, dass das Berliner Krankenhaus Charité den allerersten Tarifvertrag Entlastung unterschrieben hat. Wenige Jahre zuvor galten die Krankenhaus-Beschäftigten noch als „unorganisierbar“ und „nicht streikfähig“. Dieser Tarifvertrag regelte zum allerersten Mal in der Geschichte eine Personalbemessung und -ausstattung für verschiedene Stationen. Zugegeben, der erste Wurf war noch nicht das Gelbe vom Ei. Aber zum ersten Mal haben die dort arbeitenden Menschen einen – wenn auch kleinen – Zugriff auf die Gestaltung ihrer Arbeit zurückgewinnen können.

In der Folge haben nicht nur Berliner Gesundheitsarbeiter*innen vermocht, ihre unmöglichen Arbeitsbedingungen anzupacken, ihre Arbeit wieder ein kleines Stückchen in die eigenen Hände zu bekommen. 2018 konnten insgesamt 17 weitere Entlastungstarifverträge erkämpft werden. Die Uniklinken Essen und Düsseldorf haben dabei den Vogel abgeschossen: knappe 11 Wochen Erzwingungsstreik mit über 1.000 Streikenden allein in Düsseldorf – und diese aus fast allen Arbeitsbereichen, die zu einem Krankenhaus gehören: Wäscherei, Pflege, Transport, Reinigung, Küche, Sterilisation und Pflege machten mit.

Zur selben Zeit entstanden viele sogenannte „Krankenhaus-Bündnisse“, die mehr oder weniger stark versuchten, die Arbeitskämpfe zu gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu machen. Dabei wirkten verschiedene Ansätze und Perspektiven mit hinein: die Care-Revolution – materiell-feministische sowie klassenpolitische – wenn man das in sehr grobe Schlagworte fassen möchte. In vier Bundesländern wurden Volksbegehren an den Start gebracht, in NRW läuft bis Ende April noch eine Volksinitiative. Die vier Volksbegehren in Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern sind allesamt von den jeweiligen Landesregierungen kassiert worden. Der Volksentscheid läuft in NRW noch bis zum 30.04.2022 (Volksinitiative für gesunde Krankenhäuser in NRW: https://gesunde-krankenhaeuser-nrw.de und Düsseldorfer Bündnis für mehr Personal im Krankenhaus: https://facebook.com/krankenhausbuendnis).

Und dann auch noch Corona

Wenn das Virus etwas gebracht hat, dann, dass jenen, die es immer noch nicht sehen und erkennen wollten, überdeutlich wurde, was das f***ing Profitsystem im Gesundheitssystem anstellen kann. Die Menschen, die in den Krankenhäusern arbeiten, sind noch einmal deutlich ärger in die Scheiße geraten: Fortwährende Überlastung, arbeiten bis zum Geht-nicht-mehr, dabei immer weniger den einfachsten menschlichen Bedürfnissen nachkommen können, immer schlechtere Ausbildung, einspringen vom Frei, weniger Zeit für notwendige Hygiene und Pausen – um nur einige Nebenwirkungen zu nennen. Und noch dazu keinerlei Aussicht auf Verbesserung durch jene, die dafür zuständig sind: Politik und Chefs! Denn der Markt regelt nun mal einen Scheiß! Vor 20 Jahren wurde ein neues Abrechnungssystem für Krankenhäuser – das Fallpauschalensystem DRG (Diagnosis Related Group, die diagnosebezogene Fallgruppierung) – entwickelt und eingeführt. Das hieß: weg vom Selbstkostendeckungsprinzip hin zur Gewinnorientierung.

100-Tage-Ultimatum

Die Uniklinken Essen und Düsseldorf haben schon 2018 Erfahrung mit der Erzwingung eines Tarifvertrag Entlastung machen können. Lange haben sie seinerzeit gestreikt. Tatsächlich verändert hat sich nur wenig, die Entlastung ist spärlich und bleibt ohne wirkliche Konsequenzen, immer noch findet eine Flucht aus dem Beruf statt, insbesondere bei Auszubildenden bzw. frisch Examinierten.

Diesmal aber haben die Aktiven mit ihrer Gewerkschaft ein Ultimatum formuliert. Der Ablauf des Ultimatums ist bewusst in die Zeit vor der NRW-Landtagswahl am 15. Mai gelegt. Damit fordern sie die Landesregierung und den Arbeitgeberverband des Landes (AdL) zu konkreten Maßnahmen auf. Der Tarifvertrag Entlastung soll eine Mindestpersonalausstattung für alle Bereiche der Unikliniken und angemessene Belastungsausgleiche festlegen. Neben der Verbesserung der Arbeitsbedingungen geht es auch um die Qualität der Ausbildung. Dies soll alles mit entlastenden Konsequenzen verbunden werden. Mehr dazu unter notruf-entlastungnrw.de und Notruf NRW – Gemeinsam stark für Entlastung (https://facebook.com/notrufnrw).

Dieses Mal sind die anderen vier Unikliniken in NRW mit am Start: Aachen, Bonn, Köln und Münster. Seit Monaten laufen die Vorbereitungen für eine deftige Auseinandersetzung. Ein starker Akzent wird dabei auf die Aktivierung und Mobilisierung der Öffentlichkeit gelegt. Anfang März fanden an allen sechs Standorten sogenannte Stadtversammlungen statt. Insgesamt nahmen etwa 1.200 Menschen an den Online-Veranstaltungen teil. Dazu wurden auch lokale Politiker*innen eingeladen, damit sich diese den alltäglichen Driss und Frust live und in Farbe anhören konnten. Die Übergabe der mehr als 11.900 Unterschriften – gesammelt unter den Beschäftigten der sechs Klinken in NRW – an die Leitung der Düsseldorfer Uniklinik erfolgte am 15. März, die an die Landespolitiker*innen und den Arbeitgeberverband der Länder am 23. März.

Das Gute ist in diesem Zusammenhang, dass ver.di der gesellschaftliche Tragweite der Auseinandersetzung von Anfang an Rechnung trägt: Die Beteiligung oder Einbeziehung der Zivilgesellschaft kann nur gut sein. Im Vergleich zu vielen anderen Tarif-Auseinandersetzungen läuft diese weder nach einem einstudierten Ritual, noch ist sie eine punktuelle Auseinandersetzung, sondern eine Bewegung, die sich bundesweit aufbaut und zunehmend vernetzt. Und es geht um die Gesundheit – da geht es alle etwas an!

Die Pandemie hat noch einmal deutlich gemacht, dass Gesundheit nichts mit Profit zu tun haben kann, da das schlicht nicht funktioniert. Es sind ja nicht nur die unmöglichen Zustände in der Pflege (in der Altenpflege sowie im Krankenhaus), die einer radikalen (im besten Sinne des Wortes) Veränderung bedürfen. Pflege-Arbeit – im weiteren Sinne betrachtet – ist mit die allergrößte Arbeitsleistung auf dem Globus, die zum größten Teil unbezahlt oder miserabel bezahlt ins System eingespeist wird. Den allergrößten Teil dieser Sorgearbeit leisten Menschen, die sich als Frauen identifizieren oder als solche identifiziert werden. Wie Oxfam 2020 errechnet hat, leisten Frauen weltweit täglich mehr als 12 Milliarden Stunden unbezahlte Sorgearbeit. Man möchte sich gar nicht ausrechnen, was dabei herauskommt, wenn man hier auch nur den Mindestlohn veranschlagen würde.

Ohne diese Arbeit – jeden Tag an jedem Ort – wäre eine Gesellschaft nicht möglich, würden wir alle nicht leben können. Care-Arbeit – für sich, für andere, für die Gesellschaft – ist Grundlage unseres Zusammenlebens. Ohne sie würde das bestehende System zusammenbrechen, auch das kapitalistische. Das Ultimatum läuft daher passenderweise am 1. Mai aus!

Für den Samstag, 07. Mai, laufen bereits die Planungen für eine große Demo in Düsseldorf. Die verschiedenen Krankenhaus-Bündnisse sind in die Planung mit einbezogen und geben der Sache sicher noch einmal ordentlich Drive!

Außerdem veranstaltet d3 und I Furiosi in diesem Zusammenhang am Dienstag, 12. April im Linken Zentrum Hinterhof einen Film- und Diskussionsabend: Das Klatschen ist vorbei. Gezeigt wird die Dokumentation »Der marktgerechte Patient« (2018). Sie beleuchtet die Kommerzialisierung der Krankenhäuser und die katastrophalen Folgen der industriellen Massenabfertigung, die seit der Einführung der Fallpauschalen Einzug ins Gesundheitswesen gehalten hat. Und liefert Argumente für alle, die sich für eine menschenwürdige und soziale Gesundheitsversorgung einsetzen wollen. Zum Filmabend ist eine Aktive aus der Uniklinik eingeladen, die über die aktuelle Situation in den von der Pandemie geplagten Krankenhäusern berichten wird. Und nicht zuletzt soll es an dem Abend darum gehen, wie Solidarität geleistet werden kann.

Start um 19 Uhr, Filmbeginn 20 Uhr – es gibt fantastisches Essen. Einlass: 2G+ (Geimpft, Genesen und aktueller Schnelltest – auch für Geboosterte).

Jimmy