Düsseldorfs Verkehrspolitik

Straßenkampf

„Umverteilung“, „Vertreibung“, „Vernichtung“, „Kleinkrieg gegen die eigene Bevölkerung“, „Schneisen der Verwüstung“ – in Düsseldorf kochen die Emotionen mal wieder hoch. Worum geht’s? Natürlich um die Verkehrspolitik.

Die Düsseldorfer Ampelkoalition ist 2020 an ihrer Verkehrspolitik gescheitert. Die Umweltspuren, die Autos verbannten, brachten die Volksseele zum Kochen. CDU-Mann Stephan Keller nahm den Ärger in seinem Wahlkampf dankbar auf, forderte auf Plakaten populistisch „Umweltspuren abschaffen!“ und konnte schließlich Thomas Geisel als Oberbürgermeister ablösen. Schwarz-Grün bildete die Rathaus-Mehrheit und nahm sich vor, die Umweltziele auf einem anderen Weg zu erreichen. „[M]it Hilfe intelligenter Lösungen und einem ausgewogenen Management“ wollten die Parteien „die Mobilität der Düsseldorfer*innen und der Ein- und Auspendler*innen erhalten und zukunftsfest machen“. Das Mittel der Wahl dazu: viele Radwege und vor allem intelligente, genauer: „umweltsensitive“ Ampeln. „[D]ie Radfahrer stärken – ohne die Menschen zu benachteiligen, die auf ihr Auto weitgehend angewiesen sind“ – das gab Oberbürgermeister Stephan Keller als Devise aus. Und der Christdemokrat entwickelte durchaus Ehrgeiz. Zur fahrrad-freundlichsten Großstadt Deutschlands sollte Düsseldorf werden, und die Vorlage von Plänen für umfangreiche Radwege-Netze ließen nicht lange auf sich warten.

Schon bei der Vorstellung im Februar 2021 zeigte sich allerdings, dass es alles andere als einfach ist, eine bestimmte Gruppe von Verkehrsteilnehmer*innen zu stärken, ohne eine andere Gruppe zu schwächen, denn der Straßenraum ist nicht beliebig erweiterbar. „[F]ür viele Routen im Radhauptwege-Netz fallen Auto-Spuren weg“, bemerkte die „Rheinische Post“. Das würde nicht reibungslos über die Bühne gehen, prophezeite das Blatt und mahnte ein „Bekenntnis der Politik“ an, was allerdings ausblieb.

Doch schon bevor die Umsetzung konkretere Formen annahm, machte sich Unmut breit, obwohl sich eigentlich nicht viel tat. Hier mal ein bisschen Tempo 30, dort ein paar Parkplätze weg und da ein neuer Radweg – das war alles, aber offenbar schon zuviel. „Geht der Abbau von Parkplätzen zu weit“, fragte die Rheinische Post und veröffentlichte Pro & Contra-Statements. Als der Verkehrsdezernent Jochen Kral seine Pläne für eine Rad-Leitroute dann schließlich vorstellte, war es schon keine Frage mehr. Ein durchgehendes Netz für Radfahrer*innen ohne Gefahren-Quellen von Heerdt über die Innenstadt bis nach Gerresheim schwebte Kral vor, und der RP schwante Schlimmes. „Jetzt zeigt sich, wie grundlegend dieser Gedanke die Straßen in Düsseldorf verändern könnte“, konstatierte die Zeitung und überschrieb den Artikel folgerichtig „Der radikale Radweg“.

Tatort Luegallee

Ausgerechnet auf der Luegallee, die in Sachen „Straßenkampf“ schon so einiges erlebt hat – hier übermalte 1999 Joachim Erwin in einer seiner ersten Amtshandlungen als Oberbürgermeister eigenhändig einen Radweg – will der Dezernent eine Fahrspur streichen und linksrheinisch zusätzlich 250 Parkplätze. Da gab es kein Halten mehr. „Der Wegfall von Parkplätzen wird in Düsseldorf zum Massenereignis“ noch dazu „teils aus fadenscheinigen Gründen“, schlug die Zeitung Alarm. Und nicht nur die. „Asozial“ nannte der Hotelier Jörg Lindner den Plan und rief als neues Feindbild unrasierte Lastenfahrrad-Fahrer aus Flingern aus. Die Christdemokrat*innen – vor allem aus den Bezirksvertretungen – grollten ebenfalls. Mirko Rohloff von der FDP warnte: „Wegen einer Umweltspur hat schon mal ein früherer Oberbürgermeister die Wahl verloren“ und „sogar von Spitzengrünen“ vernahm die „Rheinische Post“ Kritisches. Selbst „Die Linke“ stimmte in den Chor mit ein. Von einer „Schneise der Verwüstung“ sprach Monika Klar-Müller und zählte gleichzeitig Fußgänger*innen, Autofahrer*innen und den Öffentlichen Personennahverkehr zu den Leidtragenden.

Das alles verfehlte seine Wirkung nicht. Schwarz-Grün kündigte an, mehr Anwohner*innen-Parkplätze schaffen zu wollen und agierte vorsichtiger. Zum Umbau der Friedrichstraße versicherte die Verwaltung, die Route bleibe trotz des Radweges dank einer „überbreiten Fahrbahn“ eine „leistungsfähige Hauptverkehrsstraße“. Und Jochen Kral wählte seine Worte zum geplanten Radwege-Knotenpunkt am Hofgarten auch mit Bedacht. Von lediglich geringfügig schmaleren Auto-Spuren sprach er, und Anwohner*innen-Parkplätze wären auch nicht unter den Opfern, lediglich eine Bushalte-Bucht, in der das Parken geduldet wurde.

Schwarz-Grün rudert zurück

Das Rathaus geht also in die Defensive. Dabei gäbe es gute Gründe für mehr Durchhaltevermögen und ein klares Bekenntnis zur Notwendigkeit, den Verkehr einzudämmen. Auf der Corneliusstraße überschreitet die Belastung mit Stickstoffdioxiden nach den letzten verfügbaren Mess-Daten nun bereits im 17. Jahr das für die Gesundheit gerade noch erträgliche Maß von 40 Mikrogramm. Im März 2022 lagen die Zahlen ein Mikrogramm über dem von der EU festgelegten Grenzwert. Welche Folgen das haben kann, demonstrierte eine Mitte Mai im Fachblatt „Lancet“ veröffentlichte Studie. Sie macht die Luftverschmutzung als Hauptursache für vorzeitige Todesfälle aus. 2019 starben weltweit 6,7 Millionen Menschen an Feinstaub, Stickstoffen & Co.

Auch der Klimaschutz verlangt nach drastischen Maßnahmen. Um das selbstgesteckte Ziel zu erreichen, bis zum Jahr 2035 klimaneutral zu werden, muss Düsseldorf nach Berechnungen der Verwaltung im Verkehrsbereich 763.000 Tonnen Kohlendioxid einsparen. Auf der Basis dieser Vorgabe entwickelte das „Amt für Verkehrsmanagement gemeinsam mit dem Umweltamt, der Rheinbahn, den Stadtwerken und der P3 Group GmbH einen Plan für die Umsetzung mit 43 Maßnahmen. Dazu zählen der Ausbau des Radwege-Netzes, das 365-Euro-Ticket, Takt-Verdichtung und die Vereinfachung von Tarifangeboten für das Feld „ÖPNV“ sowie Carsharing und Tempo 30. Explizit sieht das Papier auch eine wirksame Parkraum-Bewirtschaftung nebst einer Neustrukturierung des Anwohner*innen-Parkens vor. In einem früheren Entwurf drückten die Autor*innen das alles noch weniger diplomatisch aus. Von einer „Reduzierung der Attraktivität des motorisierten Individualverkehrs“ war da noch die Rede und einer „Parkraum-Verknappung“.

Aber all das reicht nicht. Unter dem Strich bleibt eine Deckungs­lücke von 434.000 Tonnen CO2 zum Zielwert für den Sektor „Verkehr“. Das unterstreicht, wie viele Baustellen die Stadt dort noch hat, wenn sie andere Felder wie „private Haushalte“, „Gewerbe“ oder „städtische Einrichtungen“ nicht über Gebühr belasten will.

Jan