Zu Gast in fremden Städten

oder
woanders stehen die Plattenkisten auch tief

The Oberbilker feat. Mrs. Cave

Als Sammler*in schaust Du bei Besuchen in anderen Städten natürlich immer, ob es dort auch Schallplattenläden gibt. Wenn ja, ist ein Besuch Pflicht, und wenn Du dann noch Glück hast, dass der oder die Partner*in auch gerne diggert, steht unbeschwerten Stunden vor staubigen Kisten nichts mehr entgegen.

Wobei aber gerade Frauen Wert auf Etiquette legen und bei ihnen in die Bewertung der Läden auch einfließt , wie speziell Sie bedient und wahrgenommen werden. Außerdem ist in Städten wie Straßburg die Erwartung, fündig zu werden, natürlich größer als in Schaffhausen, aber kleine oder auch große Raritäten finden sich unerwarteter Weise oft überall. Nur die Verkäufer –Verkäuferinnen gibt es sehr viel seltener – sind oft sehr unterschiedlich in ihrem Sozialverhalten. Trotz alledem haben Katinka Cave und ich es geschafft, bei einem Aufenthalt von einer Woche in Süddeutschland vier Läden zu besuchen, inklusive zusätzlichen Museumsbesuchen und/oder Wandern sowie Fahrzeiten und längeren Aufenthalten auf Bahnhöfen!

OK, fangen wir an mit Straßburg: Dort haben wir zwei Plattenläden aufgesucht, L’Occase de I’Oncle Tom und 33 & CO, insgesamt soll es wohl fünf Läden dort geben.

Als erstes besuchten wir L’Occase de I’Oncle und dort im ersten Stock bekam Mrs. Cave leuchtende Augen. Kistenweise französische Interpreten mit Musik aller Stilrichtungen … Eingepackt wurde unter anderem das Album Chansons De La Marine En Bois von Marc Ogeret. 12 traditionelle Seemannslieder und ein Großsegler auf dem Cover versetzen sofort an die Atlantikküste, mit einem großen, gut gekühlten Glas Cidre in der Hand. Teils erinnern die Chansons an alte Arbeiterlieder, teils sind sie auch bekannt, wie zum Beispiel Dans Le Port De Tacoma! Ein Song, der vielleicht mal von mir in Düsseldorf gespielt wird!

Jean Gabin hat mit der Kompilation Ses Plus Belles Chansons auch ein neues Zuhause in Oberbilk gefunden. 14 Songs, diesmal fühle ich mich in das Paris der Nachkriegszeit versetzt. Einen Roten, Baguette und Weichkäse auf dem Tisch, und es ist weit nach Mitternacht. Dazu singt der schöne Jean Gabin an der Bar, die Luft ist rauchgeschwängert und der Sieg über Nazi-Deutschland wird gefeiert! Die perfekte Sommerplatte!

Des Weiteren haben wir Tabula Rasa von Arvo Pärt aus einer Kiste gezogen. Seit dem Film That Pärt Feeling von 2020 sind Mrs. Cave und ich große Fans von diesem sympathischen Kauz. Umso mehr haben wir uns gefreut, ein Original-Album von 1984 zu finden, und auch noch in einem adäquaten Zustand! Der gleichnamige Track Tabula Rasa auf diesem Album stand schon länger auf der Suchliste. Der Finne zählt nicht umsonst zu den Meistern der Neo-Klassik, er stimmt uns schon mal auf den Herbst ein und ist ein gern gehörter Gast in Oberbilk.

Natürlich haben wir auch diverse Punk/Metal Alben gefunden, wie zum Beispiel: The Impalers mit Cellar Dweller oder das vierte Kvelertak Album Splid in Schwarz - Goldenem - Swirl Vinyl usw.

Nachdem wir äußerst unfreundlich und unpersönlich an der Kasse abgefertigt wurden, haben wir, ebenfalls in der Grand Rue, 33 & CO aufgesucht. Dort lächelte uns zum Beispiel vom Cover des Albums Burn von Lisa Gerrard und Jules Maxwell ein Elefantenauge an. Das gemeinsame Album erschien 2021 und wird nicht nur Fans von Dead Can Dance begeistern. Dass Lisa Gerrard die Female Voice of Dead Can Dance ist, steht zum Glück auch auf dem Hype-Sticker, der zusätzlich auf dem Cover klebt, so erübrigen sich weitere Erklärungen. Neben Lisa Gerrards voller und doch auch ätherischer Stimme prägen Einflüsse von Ambient Electronica, Folk und Weltmusik das Album. Ein Muss für Fans!

Sucht Mrs. Cave einen Plattenladen auf, so steuert sie in der Regel als Erstes die OST/Soundtrack-„Abteilung“ an. Im 33 & CO und wurde sie prompt fündig. Full Metal Jacket von Stanley Kubrick, beim britischen Label Death Waltz erschienen. Ultrarar und ultrateuer! Der Designer Allan Hynes (u. a. Mogwai, Spoon, Jack White) setzte einfach Plastiksoldaten auf das Cover und verdeutlichte so die Absurdität des Krieges. Neben Popsongs von Nancy Sinatra, The Trashmen, Sam The Sham & The Pharaohs und anderen steuerte Kubrick Tochter Vivian unter ihrem Pseudonym Abigail Mead eindrückliche, militärische Sounds bei. Fun Fact: FMJ wurde weitestgehend auf einem verlassenen Fabrikgelände an der Themse gedreht, einige zerzauste Topfpalmen zaubern tropisches Ambiente herbei …

Das bunte Plattenpotpourri wurde mit Garbage und Sunn O))) abgerundet. Schlecht bedient und schwer bepackt strandeten wir schließlich in der Bahnhofskneipe von Kehl auf der deutschen Rheinseite. Gäbe es ein Bahnhofskneipenquartett, diese Kneipe wäre ein Supertrumpf in den Kategorien Gästepanoptikum, Anzahl der Spielautomaten, Zustand der Toiletten (Mrs. Cave holte sich den Toilettenschlüssel an der Bar ab und lief dann an den Spielautomaten vorbei Spalier…) und „Kaffeequalität“.

Ein Zwischenhalt in Freiburg startete mit dem obligatorischen Flight 13-Besuch in der Nähe des Hbfs.

Wie üblich wurden wir vom liebenswerten Götz empfangen inkl. Kaffee und Kaltgetränken. Auch hier füllte sich die Plattentasche mit Vinyl und Tapes.

An dieser Stelle möchte ich euch vier Tapes von Bellerophon Records aus Rommerskirchen vorstellen, die schön verkaufsfördernd auf der Theke lagen. Das Blaue Palais aka Jochen Oberlack präsentiert mit D​-​UF 73 (Dufte) ein klassisches Krautrock-Album in bester Düsseldorfer Tradition. Jochen Oberlack ist auch der Labelinhaber und betreibt Bellerophon Records seit ca. 2010. Er wird dabei von Ex-Grobschnitt-Schlagzeuger Eroc aka Joachim Heinz Ehrig unterstützt. Weiter geht es mit Eberhardt Kranemann und seinen beiden Tapes Klangfarben und Electric Guitar. Während die Songs auf Klangfarben eher Ambient-Elektronisch klingen, finden sich auf Electric Guitar Gitarrenloops, Samples und Noise-Collagen, die Klangfarben in nichts nachstehen, nur nicht so eingänglich sind! Kleine Info am Rande, Eberhardt Kranemann war unter anderem Mitglied bei Neu! & Kraftwerk und der bekanntere Künstlername ist Fritz Müller. Den Abschluss macht dann Franz Bargmann mit Streettape 001. Franz Bargmann ist Gitarrist und Kameramann für Michael Rother, wohnhaft in Berlin und hat sein Tape live in den Berliner U-Bahnhöfen aufgenommen. Ein verspieltes Gitarrenalbum, das teilweise an Brian Eno erinnert. Alle vier Tapes sind Teil des Cassette Store Days 2019. Dass es diesen Tag gibt, wussten wir bis dato auch nicht, aber wir lernen ja nie aus …

Im beschaulichen schweizer Städtchen Schaffhausen am Rheinfall entdeckten wir schließlich durch Zufall Quo Vadis, im ersten Stock eines alten Stadthauses gelegen. Ein Aufsteller „Wir reinigen ihre Platten“ führt uns dorthin. Empfangen wurden wir von einem sehr sympathischen Schweizer, der uns im schönsten Schwyzerdüütsch auf seine Plattenauswahl hinwies. Nachdem er mitbekam, daß Mrs. Cave dies für The Oberbilker ins Hochdeutsch übersetzen musste, schaltet auch er ins schönste Hochdeutsch um. So Körmelig, gemütlich und erstaunlich gut sortiert es im Quo Vadis war, wurden wir natürlich auch dort wieder fündig. Mrs. Cave entdeckte sofort den Antarctica-Soundtrack, den Vangelis 1983 für Koreyoshi Kurahara komponiert hat. Ein toller Soundtrack, der Vangelis-Fans genauso begeistern wird wie Liebhaber*Innen sphärischer, elektronischer Klänge! Das gepflegte Vinyl klingt hervorragend und das exzellente japanische Mastering rundet den Hörgenuss ab! Der einzige Minuspunkt für uns ist, dass der japanischen Pressung leider der OBI fehlt, eine Papier-Banderole mit Informationen zur Platte in der graphisch so hübschen Landessprache.

Abgerundet wurde der Besuch durch das Bootleg Tape Midnight To Midnight von den Psychedelic Furs auf DCM Records, wahrscheinlich aus Thailand oder Malaysia. Pretty in Pink ist ja einer der absoluten Lieblingsfilme von Mrs. Cave, und sie kann bis heute nicht akzeptieren, dass Molly Ringwald sich nicht für „Duckie“ Dale entscheidet, sondern dem schnöseligen Popper den Vorzug gibt! Egal, Pretty In Pink ist ein Song, der auch heute noch funktioniert! Für mich wanderte Veni Vidi Vicious von The Hives in die Plattentasche. Das Album stand auch schon länger auf der Suchliste, so verließ auch ich glücklich Quo Vadis.

Von unserer kleinen Rundreise nach Süddeutschland, ins Elsass und die Dütschchwyz sind wir mit ca. 11 Tapes und 19 Platten zurückgekehrt, keine schlechte Ausbeute für eine Woche, oder?

Nun noch einige Empfehlungen von The Oberbilker:
In der Sommerpause hat sich auch etwas in Düsseldorf getan. Pondskater aka Axel Ganz hat seine Way Out Quest EP auf Hauch veröffentlich. Von der Livequalität der Songs konnte ich mich letztens beim Soli-Konzert für Ärzte ohne Grenzen, welches die Initiative Lama-Musik in ihrem Garten organisiert hatte, überzeugen. Sechs Elektronische Tracks, hervorragend gemastert bei Fat Of Excellence in Köln. Melodisch, klar und einprägsam, weniger Noise als bei Axels Projekt Rotodyne (mit Stefan Jürke). Einfach catchy! Dann haben die Joseph Boys ihr zweites Album Reflektor über Flight 13 veröffentlicht. Wahrscheinlich werden mir jetzt musikaffine Düsseldorfer Voreingenommenheit wg. eines bestimmten Video-Clips vorwerfen, aber das Album macht mir großen Spaß. Zehn Songs, schnell und knackig nach vorne gespielt. Die Presse überschlägt sich sowieso schon mit Lobeshymnen, darum: Liebe Du Schwein, mehr gibt es von mir nicht, doch davon 100 %! Die Release Show findet am Samstag den 20.08.22 im AK47 statt, aber das ist ja vor Druck und somit auch egal (-:
Randnotiz, die Joseph Boys suchen einen neuen Basser!

Zum Schluss widmen wir uns dann den Düsseldorfern 100blumen und ihrem neuem Album Hoffnung halt‘s Maul! Die Jungs sind jetzt auf Rookie Records in Hamburg gelandet, und der Wechsel hat den Blumen gutgetan. Endlich kommt die Brachialität der Liveshows auch auf Platte rüber, dazu ist Akki von Oiro jetzt am Bass dabei, und der bringt – zusammen mit Maltes Schlagzeugspiel – noch mehr Druck rein, das ist so richtig fett! Die aktuelle Single bei You Tube ist Ey, die Vögel aber Alles ist im Arsch, alles, alles packt mich noch mehr. VÖ ist am 23.09.22, die Release-Show findet am 08.10.22 im Ratinger Hof statt. Bis dahin können wir nur hoffen, dass Schlagzeuger Malte seine OP gut überstanden und sein Knie bis dahin auskuriert hat. Gute Besserung, Malte! Als Vorausblick sind für diesen Herbst ein neues Album von Graph auf Krachladen und von Yürke eine EP auf Hauch geplant, darauf bin ich auch sehr gespannt.

Vielen Dank an Mrs. Cave, die mich diesmal auch schreibend unterstützt hat und nicht nur wie sonst Korrektur lesend. „I Love You Honey Bunny“.