Repressionsschachzug: gescheitert

Am 7. Dezember 2022 erstritt Solîn G. aus Oberhausen vor dem Verwaltungsgericht in Düsseldorf ein Stück Freiheit, wie sie ein Rechtsstaat zu gewähren hat: Sie gewinnt eine Klage gegen die Stadt Oberhausen, die ihr im Sommer 2021 die Personalpapiere entziehen ließ. Solîn G. erhält ihren Personalausweis zurück und kann einen aktuellen Reisepass beantragen.

Damit beendete das Verwaltungsgericht in der Bastionstraße einen aktuellen Repressionsschachzug gegen das Recht, sich (politisch) zu engagieren. Oder, um es zugespitzt zu sagen: Die Innenminister*innen von Bund und Ländern möchten ihre Repressionen und Kriminalisierungsversuche gegen Menschen durchsetzen, die sich für die kurdische Bewegung und für die Freiheit, sich der kurdischen Kultur aktiv anzuschließen, einsetzen. An einem konkreten Beispiel – der rechtswidrigen Grundrechtseinschränkung durch Pass- und Ausweisentziehung – sind die ausführenden Behörden nun allerdings gescheitert.

Dazu musste Solîn G. allerdings erst klagen. Die Beklagte: die Stadt Oberhausen. Per Anordnung von dort war die Polizei Ende August 2021 ausgerückt, um die damals 18-Jährige in ihrer Familienwohnung aufzusuchen, dort die Herausgabe von Ausweisdokumenten einzufordern und die städtische Anordnung der Beschlagnahmung des Personalausweises und des Reisepasses von Solîn G. zu vollstrecken. Der Anordnung voraus ging – wie es der Vorsitzende Richter am Verwaltungsgericht, Ralf Bongen, am 07.12.2022 nannte – ein „Zuruf“ der Staatsschutzabteilung der Kriminalpolizei Oberhausen/Essen. Diese will ermittelt haben, dass sich Solîn G. bei kurdischen Kulturveranstaltungen aufgehalten, bei Kundgebungen Redebeiträge gehalten und das Bild Abdullah Öcalans gezeigt habe. Zwei Reisen nach Istanbul soll Solîn G. nicht zu ihrer Familie, sondern mit Ziel einer Ausbildung für die kurdische Bewegung gemacht haben. Polizeiermittler*innen stützten ihre Einschätzung laut einem Bericht in der Tageszeitung junge Welt (09.12.2022) auf Informationen aus Verfassungsschutzunterlagen. Während der polizeilichen Vollstreckungsmaßnahme in ihrer Wohnung, so berichtete Solîn G. im November der Nachrichtenagentur ANF-NEWS, hätten die Beamt*innen ihr außerdem gesagt, dass sie „unsere Beziehungen zur Türkei“ verderbe.

„Annahmen“ und Weissagung?

Nach „Paßgesetz“ (PaßG) § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 10 kann ein Pass (und gemäß Personalausweisgesetz § 6a mit Verweis auf das Passgesetz auch ein Personalausweis) deutschen Staatsbürger*innen versagt oder entzogen werden. Dafür genügt laut Gesetz, „dass bestimmte Tatsachen die Annahme begründen“, dass die betroffenen Personen eine terroristische Vereinigung im In- oder Ausland unterstützen oder ihr angehörten (§§ 129a und 129b StGB) oder Handlungen zur „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdende Straftat“ (§89a StGB) „vornehmen wird“.

Diese „Annahme“ von Tatsachen (und den prophetischen Superkräften des polizeilichen Staatsschutzes, der ein Handeln in der Zukunft vorhersehen können möchte?) war dem Verwaltungsrichter Ralf Bongen im Klageverfahren gegen die Stadt Oberhausen nun allerdings zu dünn. Die Unterlagen, die der Stadt Oberhausen offenbar gereicht hatten, um das Grundrecht auf Reisefreiheit für Solîn komplett einzuschränken, reichten hinten und vorne nicht. In der mündlichen Verhandlung versuchte Bongen zwar noch, sich mit einer Befragung von Solîn G. zu ihrer Beteiligung an Demonstrationen gegen die Angriffe auf Rojava oder für das Ende der Haft von Abdullah Öcalan zu behelfen. Solîn G. verwies auf ihr Recht, an Demonstrationen teilzunehmen und ihre Meinung frei zu äußern.

Nach dem Gerichtstag formulierte der anwaltliche Beistand von Solîn G., Rechtsanwalt Tim Engels aus Düsseldorf, die Hoffnung, dass sich die Stadt Oberhausen künftig an die Prinzipien der Rechtmäßigkeit von Behördenhandeln halte – und eine Lehre aus der Gerichtsschlappe ziehe. Solîn G., deren Familie Repressionsversuche nicht neu sind (2019 bzw. 2020 hatte ihre Mutter erfolgreich gegen Versuche des Jugendamts geklagt, der politischen Familie das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen), betont am 8. Dezember: Sie werde sich auch weiterhin mit legalen Mitteln an politischen Aktivitäten gegen die Unterdrückung des kurdischen wie auch aller anderen Völker beteiligen.

Akkustan


Mahnwache für Julian Assange

Am 9. Dezember fand vor dem Britischen Generalkonsulat am Düsseldorfer Hauptbahnhof eine Mahnwache für Julian Assange statt, an der sich rund 35 Menschen beteiligten. Initiiert hatte diese Aktion am Vorabend des Tages der Menschenrechte das deutsche PEN-Zentrum, dessen Ehrenmitglied Assange ist. „Seit zwölf Jahren wird Julian Assange in einem kollektiven Akt der Verfolgung als Spion und Verbrecher kriminalisiert und unter Missachtung der Menschenrechte inhaftiert (...) Das alles täuscht nicht darüber hinweg, dass er der Presse- und Informationsfreiheit weltweit und den westlichen Zivilgesellschaften mit der Publikation von Kriegsverbrechen im Irak und in Afghanistan einen wichtigen Dienst erwiesen hat. Unsere Solidarität gilt seinem Mut und seinem Kampf um Gerechtigkeit und Wahrheit. Julian Assange ist unverzüglich freizulassen und darf keinesfalls an die USA ausgeliefert werden, zu groß ist das Risiko für noch mehr Unrecht“, erklärte Cornelia Zetzsche, die Vize-Präsidentin der Schriftsteller*innen-Vereinigung. Und in Düsseldorf konnten die Ortsgruppe um den Krimi-Autoren Horst Eckert sogar einen prominenten Gast begrüßen: Der Autor Ingo Schulze hielt eine Rede. „Es ist ein Präzedenz-Fall, wonach die Veröffentlichung geheimer Dokumente immer strafbar ist, unabhängig vom öffentlichen Interesse. das Schicksal von Assange soll offenbar allen Whistleblowern abschreckend vor Augen stehen“, hieß es darin unter anderem.


Mitteilung der Redaktion

In der TERZ Februar 2022 ist den Autor*innen im Artikel zur Pandemieleugner*innen- und Impfgegner*innen-Bewegung in Düsseldorf auf Seite 11 bei der Identifizierung eines unter Pseudonym aufgetretenen „Corona Rebellen“ ein Fehler unterlaufen, den wir online zwischenzeitlich korrigiert haben. Wir bitten hierfür um Verzeihung.


Genug ist Genug - Ortsgruppe Düsseldorf gegründet

„Genug ist Genug“ ist eine Kampagne, die von Ines Schwertner, der Chefredakteurin der deutschsprachigen Ausgabe des sozialistischen Magazins Jacobin, initiiert wurde. Mittlerweile gibt es in Deutschland 32 Ortsgruppen. Die 33.Ortsgruppe von Genug ist Genug gründete sich am Dienstag, dem 20. Dezember im DGB-Haus auf der Friedrich-Ebert Straße. Die Initiative hat sich als Reaktion auf steigende Preise und unzureichende Maßnahmen der Regierung zur Unterstützung der Bevölkerung gegründet.

„Auch in der reichen Stadt Düsseldorf werden Reiche reicher und die Armut greift weiter um sich. Bis jetzt gibt es keinen kommunalen Schutzschirm, der Menschen, die diese Preissteigerungen nicht mehr bezahlen können, schützt. Stattdessen soll jetzt die Bürgerstiftung einspringen. Es wird Zeit, sich gegen diese Entwicklungen zu wehren“, so Helmut Born im Gründungsaufruf für die Initiative.

Mittlerweile stehen auch die Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst, die im kommenden Frühjahr beginnen, im Fokus. Getragen wird die Initiative von Einzelpersonen aus den Gewerkschaften und dem linken Spektrum Düsseldorfs.

Die Initiative lädt alle, die sich wehren wollenein , sich zu beteiligen: https://wirsagengenug.de


Für Gisa

Am 29.11.2022 protestierten Verkäufer*innen der Straßenzeitung fifty-fifty, die teilweise selbst wegen Schwarzfahrens eingefahren sind, gegen die Inhaftierung ihrer Kollegin Gisa vor dem Justizministerium NRW in Sträflingskleindung und fordern deren Begnadigung.

Nichts Neues kann Streetworker Oliver Ongaro von fifty-fifty mitteilen: der NRW Justizminister Benjamin Limbach (Die Grünen) weigert sich, in dieser Angelegenheit tätig zu werden und verweist auf die Gnadenstelle des Landgerichts, wo das Gnadengesuch eingegangen ist. Von da gibt es bislang keine Reaktion. Und Gisa sitzt weiterhin ein!

Die Kritik an der Kriminalisierung von Schwarzfahrenden nimmt hingegen zu. Immer mehr Menschen fordern die Streichung des Paragraphen 265a aus dem Strafgesetzbuch.

SPD-Ratsherr Martin Volkenrath, der auch im Aufsichtsrat der Rheinbahn sitzt, empfindet es beispielsweise als „zutiefst ungerecht, zutiefst unökonomisch“, dass Schwarzfahren als Straftat behandelt wird. Er weist daraufhin, dass ein Hafttag für Gisa in NRW fast 180 Euro kostet.

Verkehrsbetriebe wie die Rheinbahn stellen sich allerdings bei der Entkriminalisierung des Schwarzfahrens quer. Ein Antrag der Linken im Stadtrat für eine spürbare Absenkung des Preises für ein Sozialticket (zur Zeit 39 Euro monatlich) für das Düsseldorfer Stadtgebiet ist gescheitert. Dass solche Alleingänge trotz Verkehrsverbünden möglich sind, zeigt das Land Berlin: Hier wird ein 29-Euro-Sozialticket auch im Januar weiter gelten. Und das für alle.

Derweil schicken wir Gisa unsere solidarischen Grüße in den Knast. Und wünschen uns vom Christkind, dass Gisa Weihnachten in Freiheit verbringen möge.

#FreeGisa

Michael Flascha