Ist Lützerath tot?

Der heiße Herbst fiel aus, dafür gab es im rheinischen Braunkohle-Revier einen heißen Winter.

Was ist passiert?

Die Räumung des Weilers Lützerath begann in den frühen Morgenstunden des 11. Januar. Es reisten Hundertschaften der Polizei an und besetzten zentrale Punkte rund um und innerhalb des Dorfes. Die Verteidiger*innen hatten sich auf den Angriff vorbereitet. Überall waren Barrikaden aufgebaut, und auf Baumhäusern oder sogenannten Mono- und Tripods hatten sich Aktivist*innen eingerichtet oder angebunden und beobachteten die Vorgänge. Sehr optimistisch äußerten sie sich über ihre Aussichten im Kampf gegen RWE und die Polizei. Es solle der Staatsgewalt nicht so einfach gelingen, ihre Stellungen zu räumen. Wochenlang, prognostizierten sie, werde der Kampf dauern.

Die Polizeiführung mit ihrer Übermacht an Einsatzkräften hatte jedoch auch ihr Konzept. In kleinen Gruppen sprachen sie einzelne Dorfbesetzer*innen an, klärten sie über die Rechtslage auf und begleiteten sie mit der Drohung, bei Weigerung, das Gelände zu verlassen, Gewalt anzuwenden, hinaus aus dem Dorf. Aber wo die Peitsche geschwungen wird, gibt es bekanntlich auch ein Zuckerbrot: Die Polizei versprach den Demonstrant*innen auf die Aufnahme ihrer Personalien zu verzichten, wenn sie sich nicht gegen die polizeiliche Maßnahme wehren. Eine Rückkehr in das Dorf hingegen sei eine Straftat und werde entsprechend verfolgt.

So leerte sich im Verlauf des Vormittags das Dorf, und härtere Geschütze wurden aufgefahren. Die menschlichen, hölzernen und stählernen Barrikaden wurden mit schwerem Gerät weggeräumt. Bis in die Dunkelheit hinein wurde das Dorf fachgerecht auseinandergenommen und Aktivist*innen einer nach dem anderen entfernt.

In Düsseldorf äußerte sich Innenminister Herbert Reul zu den Vorgängen in Lützerath. Mit altbekannter Betroffenheitsmiene bedauerte er die Gewaltexzesse und meinte damit nicht das von der Polizei geschaffene Bürgerkriegsszenarium, sondern Feuerwerkskörper, Molotowcocktails und brennende Barrikaden, durch die die Aktionsfreiheit der demokratisch legitimierten Staatsgewalt – nach seiner Ansicht – behindert wurde. Am Abend kam noch der grüne Polizeipräsident aus Aachen, Dirk Weinspach, als Verantwortlicher für die polizeilichen Maßnahmen zu Wort. Er wusste klar zu differenzieren zwischen seinem rechtmäßigen Auftrag und einem klaren Bekenntnis zur Meinungsfreiheit, die natürlich nur so lange gilt, wie die Meinung keine Geltung hat.

Worte zu den Aktivist*innen

Wenn man von den Aktivist*innen spricht, ist das bestimmt falsch. In Lützerath waren die verschiedensten Gruppen von sog. [1] Klimaschützer*innen unterwegs. Über Umweltgruppen, die sozialdemokratischen oder sogar grünen Parteien nahestehen, kirchliche und andere religiöse Initiativen, die Gottes Werk gefährdet sehen, bis hin zu radikalen Systemgegner*innen reicht das Spektrum der Demonstrant*innen. Sicherlich gab es intern heiße Diskussionen, aber von außen hatte mensch den Eindruck, dass sich hier eine Gemeinschaft gebildet hatte, die ent- und geschlossen [2] ihr Anliegen verteidigen wollte, die Kohleförderung und -verbrennung im Bereich Lützerath zu stoppen.

Dass sie in diesem Falle keinen Erfolg gehabt hat, haben nicht die Lützerather Kämpfer*innen zu verantworten. Es ist die Übermacht des staatlichen Gewaltmonopols, die dem Treiben der Gegner*innen ein Ende bereitet hat. Die Schlussfolgerung der Kritiker*innen der staatlichen Maßnahmen muss also sein, den Kampf in den nächsten Auseinandersetzungen noch effizienter – falls es die Mittel zulassen – im Hinblick auf Agitation und Vorbereitung zu organisieren. Bisweilen wurde auch Häme laut, so etwa wenn den Dorfbesetzer*innen eine vollkommene Überschätzung ihrer Kampfkraft vorgeworfen wurde. Sie ist nicht angebracht. Zwar sollte mensch überschauen können, wann ein Widerstand selbstzerstörerisch ist und man sich rechtzeitig in Sicherheit bringen muss. Aber die gehörige Portion Optimismus beim Vorgehen gegen eine gleichgeschaltete Öffentlichkeit bzw. den hellsichtigen Pessimismus über die verzweifelte Rolle als „Letzte Generation“ sollte mensch den Besetzer*innen nicht zum Vorwurf machen.

Die Erfahrungen der Lützerather Proteste sind wertvoll. Sie haben uns gezeigt, wie mensch effektiv die Öffentlichkeit erobern, moderne Medien nutzen und aus eventuellen Fehlern der Vergangenheit (Dannenröder und Hambacher Forst) lernen kann.

Der Protest und die Grünen

Am 12. Januar besetzten Aktivist*innen das Grünen-Büro in Düsseldorf. Sie wollten ein Gespräch mit NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur über ihr Versprechen, dass Lützerath bestehen bleibe 3, erzwingen. Neubaur erschien nicht, dafür in den frühen Morgenstunden am 13. Januar ein großes Polizeiaufgebot, dass das Büro kurzerhand räumte. Die Protestierenden sind zum Teil schwer enttäuscht von einer Partei, von der sie eine umweltfreundliche und soziale Politik erwartet haben. Dabei machen die Grünen nur das, wofür sie gewählt sind: Sicherung und Ausbau des Standortes Deutschland auf kapitalistischer Grundlage, eben zum Wohle Deutschlands. Und das ist für viele Menschen keine gemütliche Angelegenheit, auch wenn die professionellen Grünen-Vertreter*innen ihre verordneten Maßnahmen gerne mit dem Verweis auf ihre bisherigen ungeheuren Leistungen und Absichten in Sachen „Umweltschutz“ totreden, und deren partielle Rücknahmen mit dem Wörtchen „leider“ verkleiden. Die Politik sei kein Wunschkonzert, ist die Botschaft an die Wähler*innen, zumal in Zeiten, da die Grünen sich führend an der Eskalation des Krieges längs der Ostfront der NATO beteiligen und sich dadurch in eine energiepolitisch prekäre Lage gebracht haben.

Die andere Seite

Die Legitimation für ihr rigides Vorgehen erhielt die Polizei durch den Rechtsstaat. Alle Maßnahmen waren durch politische Beschlüsse, rechtliche Überprüfungen und überlegtes Handeln der Exekutivkräfte abgesichert. Alle drei Gewalten der staatlichen Ordnung haben sich mächtig ins Zeug gelegt, um dem Standort Deutschland und den Eigentümerinteressen von RWE ihre Dienste zu leisten. Abgesichert hat sich die Staatsgewalt durch die Berufung auf die Zustimmung der Mehrheit der Wähler*innen in den demokratischen Wahlen. Dass das Ergebnis des staatlichen Handelns katastrophal für viele Menschen sein kann, ist angesichts der wasserdichten Rechtslage kein Thema mehr. Reul, Habeck und Weinspach stehen für diesen Rechtsstaat, und tausende Polizist*innen setzen besinnungslos, wie es der Dienst verlangt, dessen Anordnungen bewaffnet und mit Schild und Helm beschützt durch – wenn es geht, gewaltlos.

Die Demo

Für den 14. Januar hatte das Lützerather Bündnis zu einer Demonstration gegen die Klimazerstörung nach Keyenberg, dem Nachbarort von Lützerath, aufgerufen. Es kündigte 7.000 Teilnehmer*innen an. Es kamen trotz Kälte und Regen ca. 35.000 nach Veranstalter*innen-Angaben aus ganz Deutschland und Europa (und der Schreiber dieser Zeilen, seit Jahrzehnten demonstrations-erfahren, hätte sogar auf noch mehr Teilnehmer*innen getippt). Es war kein Trauerzug, weil die Kohle unter Lützerath nun den RWE-Baggern zum Fraß überlassen wird. Es war die Kundgabe „Jetzt erst recht!“, die die Menschen von überall her ins rheinische Braunkohlegebiet getrieben hatte.

Die vertretenen Standpunkte waren unterschiedlich bis konträr, aber es zeichnet sich ab, dass der Wille und die Entschlossenheit, gemeinsam den Macher*innen der Klimakatastrophe das Handwerk zu legen, die Grundlage sein könnte, um die noch bestehenden Differenzen zu klären. Denn um erfolgreich einen Kampf aufzunehmen, muss mensch wissen, wer die Gegner*innen sind und wie sie kalkulieren – und darf z. B. nicht die Staatsmacht, die einem gerade „robust“ entgegentritt, als den eigentlich Zuständigen für die endlich zu vollziehende „Energiewende“ adressieren. So hat der alte Spruch von Karl Liebknecht „Erst Klarheit, dann Einheit“ seine Berechtigung: nicht als Dogma, um weniger radikale Klimafreund*innen fernzuhalten, sondern als Aufforderung dazu, durch Auseinandersetzung und Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen in der „Klimabewegung“ weiterzukommen.

Rätekommunistisches Kollektiv Düsseldorf (RKKD)

[1]  „sogenannte Klimaschützer*innen“ bedeutet nicht, dass ihr Anliegen in Frage gestellt wird. Vielmehr geht bei vielen Beteiligten das Engagement weit hinaus über die Sorge um das Klima. Sie versuchen die Ursachen und Folgen der Klimaveränderungen zu ergründen und kommen dabei zu erstaunlichen Ergebnissen. Einerseits seien sie einer Produktionsweise zu verdanken, die auf der Erwirtschaftung von Profit auf Kosten der arbeitenden Bevölkerung beruht. Andererseits bekäme vor allem die arme Bevölkerung außerhalb der Industrieländer die Folgen zu spüren, wenn ihre Existenz durch Dürre und Überschwemmungen bedroht ist. (siehe auch Terz 1/23 „Lützerath lebt!“) Antikapitalismus und Antiimperialismus gehören also zum Kampf gegen die Klimazerstörung.
[2]  Ungewollt bekam die Entschlossenheit Risse, als die Lützerather Besetzer*innen sich auf ein Gutachten berufen konnten, das die Notwendigkeit der Abbaggerung der Lützerather Kohle für die Energiesicherheit Deutschlands verneinte. Da müssen sich die Besetzer*innen die Frage gefallen lassen, ob sie denn ihren Protest eingestellt hätten, wäre das Gutachten in ihrem Sinne negativ ausgefallen. Und außerdem mutet es auch etwas seltsam an, wenn sich die Besetzer*innen indirekt Sorgen um die Energiesicherheit Deutschlands machen – denn dass es sich hier nicht um ein menschenfreundliches Projekt handelt (siehe „Deutsches Wesen“ von Schadt/Weis in Konkret 1/23), hat sich beim Ökoprotest ja mittlerweile herumgesprochen.
[3]  „Wir stellen hierbei die Menschen, den Klima- und den Naturschutz ins Zentrum unseres Handelns. Damit bleiben nicht nur alle Dörfer im Rheinischen Revier erhalten, sondern wir sorgen auch dafür, dass die geretteten Dörfer neu erblühen und ‚Zukunftsdörfer‘ werden können. Mit einem Abriss- und Rodungsmoratorium werden wir die weitere sinnlose Zerstörung von Infrastruktur und Heimat verhindern.“ (Wahlprogramm der Grünen NRW 2022, S. 8. Argumentationshilfe für grüne Politiker*innen: Lützerath ist kein Dorf, sondern ein Weiler, kann also weggebaggert werden! Und ist im Übrigen auch eine sinnvolle „Zerstörung von Infrastruktur und Heimat“, sie dient ja schließlich der Energiesicherheit Deutschlands in schweren Kriegszeiten.)

SPENDEN REPRESSIONSKOST LÜTZI

Wir unterstützen den Aufruf der Antirepressionsgruppe Rheinisches Revier, ihre Arbeit mit Spenden zu unterstützen. Nach den Aktionstagen rund um Lützerath, benötigen die von Repression betroffenen Gefährt*innen unsere Solidarität.

„Momentan sind mehrere Menschen in 7 Tage-Gewahrsam und 1 Person in U-Haft. Repression betrifft uns alle. Wir wollen auch die finanziellen Auswirkungen solidarisch tragen. Bitte spendet jetzt!

Konto: Spenden & Aktionen
Konto-Nr.: 92881806
BLZ: 513 900 00
IBAN: DE29 5139 0000 0092 8818 06
BIC: VBMHDE5FXXX
Bank: Volksbank Mittelhessen
Betreff: Antirrr
https://antirrr.nirgendwo.info
Solidarische Grüße
Osterholzsoli
https://osterholzsoli.blackblogs.org/2023/01/17/spendenaufruf/

Solidarität mit den Demosanis!
Mehrere Demosanitätsgruppen sicherten die Großdemonstration gegen die Zerstörung des Orts Lützeraths in NRW ab und sind dort auch an den restlichen Räumungstagen im Einsatz gewesen.

Durch Materialverbrauch bei der Patient*innenbehandlung und durch Schlamm nicht mehr benutzbares Verbrauchsmaterial sind aktuell viele ihre Rettungsrucksäcke nicht mehr einsatzbereit.

Die Demosanitäter*innen freuen sich über Unterstützung bei der Wiederbeschaffung.

Kontodaten:
Sanitätsgruppe Süd-West e.V.
IBAN DE92 6009 0100 0524 5980 02
BIC VOBADESS (Volksbank Stuttgart eG)
Verwendungszweck: Spende

Paypal: https://paypal.me/demosanisddorf

Der Landesgruppenchef der CSU im Bundestag, Alexander Dobrindt, sprach Klartext in Bezug auf die Klimaaktivist*innen der „Letzten Generation“: „Es braucht deutlich härtere Strafen für Klimachaoten, um einer weiteren Radikalisierung in Teilen dieser Klimabewegung entgegenzuwirken und Nachahmer abzuschrecken. Die Entstehung einer Klima-RAF muss verhindert werden.“ (Bild am Sonntag, 6. November 2022) Der oberste Verfassungsschützer der Republik, Thomas Haldenwang, korrigierte den wütenden CSU-Mann bei einer Diskussionsveranstaltung des SWR und der Stiftung Hambacher Schloss: „Wenn ich diese Bemerkung von Herrn Dobrindt höre, kann ich nur sagen, aus meiner fachlichen Perspektive: Ich nenne das Nonsens … Also anders kann man eigentlich gar nicht ausdrücken, wie sehr man dieses System eigentlich respektiert, wenn man eben die Funktionsträger zum Handeln auffordert.“ (nach FAZ vom 17. November 2022) Umweltschützer*innen à la „Letzte Generation“ sollten sich überlegen, ob die Schlussfolgerung Haldenwangs ein Kompliment darstellt.