Düsseldorf – Klimahauptstadt in NRW

Das will Düsseldorf werden: Klimaneutralität bis 2035 ist für Düsseldorf beschlossene Sache. Aber die Realität sieht anders aus: Nicht nur die Zahl von KFZ-Neuanmeldungen steigt in Düsseldorf - auch der PKW-Verkehr nimmt wieder zu. In einer detaillierten Analyse beschäftigt sich das Bündnis „Mobilitätswende Düsseldorf“ damit, warum die Verkehrswende in unserer Stadt aus der Kurve zu fliegen droht und stellt konkrete Forderungen für die Bereiche Tempo 30 und ein stadtweites Parkraummanagement.

Das Bündnis Mobilitätswende Düsseldorf wurde Ende 2019 nach einer Podiumsdiskussion über die (zweifelhafte) Zukunft des E-Autos gegründet; die dabei anwesenden Vertreter*innen von attac, BUND, Greenpeace, ADFC und Fridays for Future haben in einer Folgekonferenz beschlossen, in unserer Stadt für eine Verkehrswende zu kämpfen. Eine Langfassung des Beitrags als PDF ist mit zahlreichen Referenzen und anklickbaren Online-Links zum Weiterrecherchieren auf der Website https://mobilitaetswende-duesseldorf.de abrufbar.

Die Verkehrswende in Düsseldorf – bisher nur eine „Verkehrskurve“

Was ist eine Mobilitäts-„Wende“?

Eine Mobilitäts- oder Verkehrswende dient der Umgestaltung der Verkehrs-Infrastruktur hin zu einem nachhaltigen Umweltverbund in den Städten und umfasst
• einen kostengünstigen, komfortablen und gut erreichbaren ÖPNV
• ein sicheres und stadtweit ausgebauten Fahrradwege-Netz, idealerweise auf jeder Straße
• zumutbare und bequeme Fußwege.

Solche Konzepte gibt es bereits. Beispielsweise die „Stadt der 15 Minuten“ in Paris, oder das von Carlos Moreno entwickelte Konzept von Durchfahrverboten und autofreien Zonen, das im September 2021 für Barcelona eingeführt wurde. Eine solche Stadt bietet neben einem komfortablen, kostengünstigen ÖPNV auch Mobilstationen mit vielfältigen Sharing-Angeboten, zudem ein stadtweites Parkraum-Management, das öffentlichen Parkraum zugunsten von Aufenthaltsqualität reduziert. Zu einer umweltfreundlichen Stadt gehören auch eine Verkehrsberuhigung mit Tempo 30 für mehr Verkehrssicherheit und weniger Lärm, sowie autofreie Viertel, idealerweise wie die „Superblocks von Barcelona“, Vorbild zum Beispiel für die „Kiezblocks“ in Berlin. Das Ziel: eine lebenswerte „Stadt für Menschen“ statt für Autos.

Von der Utopie zur traurigen Praxis

Die Autodichte ist im Jahr 2021 bundesweit auf ein Alljahres-Hoch von 580 Autos pro tausend Einwohner gestiegen; in Verbindung mit fehlenden Klima-Maßnahmen im Verkehrssektor, der mit ca. 25 Prozent an den gesamten Schadstoff-Emissionen beteiligt ist, werden damit die Ziele des reformierten Bundes-Klimaschutzgesetz (2021) verfehlt: „Um die Klimaziele des Jahres 2030 zu erreichen, müsste Deutschland die Geschwindigkeit der CO2-Reduktion insgesamt mehr als verdoppeln. Im Verkehrssektor würde eine Verdopplung hingegen noch lange nicht reichen, hier müssten die Emissionen 14-fach so schnell sinken wie bisher.“

Symbolträchtig ist hier die Weigerung des FDP-geführten Verkehrs-Ministeriums, ein Tempolimit auf Autobahnen einzuführen oder Auto-Subventionen – z.B. zugunsten eines kostengünstigen ÖPNV-Tickets – zu kürzen, was als Lobby-Arbeit für die Auto-Industrie gewertet werden kann. Dabei geht es um gut 19 Milliarden Euro Subventionen, davon allein 3,1 Milliarden für das Dienstwagenprivileg.

Die Deutsche Umwelthilfe e. V. (DUH) hat deswegen die Bundesregierung wegen Nichteinhaltung des Klimaschutzgesetzes verklagt und eine Petition für eine „Verkehrswende jetzt“ gestartet. Auch in Düsseldorf ist die Autodichte gestiegen, auf 567 pro 1.000 Einwohner – damit besitzt mehr als die Hälfte ein Kfz. Vor diesem Hintergrund droht Düsseldorf sein Ziel, Klimaneutralität bis 2035 zu erreichen – im Stadtrat 2019 beschlossen – deutlich zu verfehlen. Denn auch die Klimastudie („Merit-Order“) des Umweltamtes, die „strikt umzusetzende“ Maßnahmen für Klima-Neutralität vorschlägt, wurde zwar Ende 2021 den Ausschüssen vorgelegt, nicht aber im Rat beschlossen – und wird nicht konsequent befolgt. Dies betrifft u. a. die Forderung nach Tempo 30; das ursprünglich enthaltene Ziel einer „Reduzierung“ des privaten Autoverkehrs (MIV) wurde auf Anordnung von OB Keller (CDU) abgewandelt in „Optimierung“.

In Düsseldorf fehlt der schwarz-grünen Ratskoalition offensichtlich der politische Wille, eine nachhaltige, umweltfreundliche Verkehrswende zu planen und umzusetzen, stattdessen begnügt man sich mit vereinzelten Maßnahmen, vor allem um die Vereinbarung mit der DUH aus 2021 (zur Abwendung ihrer Umweltklage) umzusetzen. Dagegen fordern wir:
- Tempo 30 stadtweit, nicht nur als Flickenteppich (u.a. nur vor „sensiblen Einrichtungen“).
- konsequentes Parkraummanagement mit Anwohnerparken stadtweit.
- weiterer Ausbau von sicheren Radwegen im Umland und besonders in der Innenstadt, wo weiter Radwege fehlen oder plötzlich enden.
- Beschleunigung des ÖPNV mit Taktverdichtung auf wichtigen Linien wie U75/U79.
- Bezuschussung des kommenden 49 -Tickets vor allem für sozial Schwächere.
- Entwicklung eines Gesamtkonzeptes, ausgehend vom „Mobilitätsplan D“, der Merit-Studie und dem Lärmaktionsplan III, als Rahmen für einzelne Maßnahmen.

Im Folgenden sollen die ersten beiden Bereiche genauer untersucht werden, für die anderen sowie für genauere Erläuterungen verweisen wir auf die Webseite des Bündnisses Mobilitätswende Düsseldorf (https://mobilitaetswende-duesseldorf.de).

Tempo 30 stadtweit

In Düsseldorf sind zahlreiche Straßenabschnitte vor sensiblen Einrichtungen als T 30-(Gefahren-) Zonen ausgewiesen worden – jeweils meist nur auf Abschnitten von 100 bis 300 Metern – sowie T 30-Zonen auf Straßen mit erhöhter Lärmentwicklung (>70 db tags, >60 db nachts) und zuletzt – entsprechend des Lärmaktionsplan III – auch Zonen mit zeitweiliger Tempo-Begrenzung, manchmal von 22 – 6 Uhr, manchmal von 1 – 5 Uhr.

Dadurch ist ein Flickenteppich von temporeduzierten Straßenabschnitten entstanden, manchmal im Wechsel von Gefahren- und nächtlicher Ruhezone auf derselben Straße. Teilweise lehnt das Amt für Verkehrsmanagement Anträge auf Einführung von T 30-Zonen auf kurzen Straßen ab, wenn sie mit 400 Metern länger sind als die nach StVO erlaubten 100 Meter (!), so geschehen z.B. in Kaiserswerth.

Die verkehrsberuhigten Straßenflicken gehen übrigens im Wesentlichen auf eine Vereinbarung mit der DUH zurück, die entsprechende Maßnahmen zur Luftreinhaltung vorschrieb. Das mit der DUH im Juni 2021 als Vergleich vereinbarte Maßnahme-Paket beendete deren Klimaklage. Erst unter dem neuen Verkehrsdezernenten Jochen Kral, vorgeschlagen von den Grünen, der seit August 2022 auch das Umweltamt leitet, werden die Maßnahmen entschlossen vorangetrieben.

Die Begründung gegen eine Ausweitung von Verkehrsberuhigung auf ganzen Straßen oder gar Stadtvierteln ist immer wieder die bestehende Straßenverkehrs-Gesetzgebung. Insbesondere die Straßenverkehrsordnung geht vom Primat des „flüssigen Verkehrs“ aus und erlaubt nur bei erheblicher Gefahrenlage eine Temporeduzierung. Seit Dezember 2016 ist dies auch vor sogenannten sensiblen Einrichtungen erlaubt. Aber eine großflächige Verkehrsberuhigung ist untersagt: „Eine pauschale Beschränkung [auf Tempo 30] ist nicht möglich“ stellt beispielsweise das Verkehrsministerium Baden-Württemberg fest. Eine Reform der StVO – für lebendige Städte und Handlungsfreiheit bei T 30 – fordert auch eine „Städteinitiative für lebenswerte Städte“, die von mittlerweile 445 Städten und Gemeinden unterstützt wird: „Lebendige, attraktive Städte brauchen lebenswerte öffentliche Räume. (…) Ein wesentliches Instrument zum Erreichen dieses Ziels ist ein stadt- und umweltverträgliches Geschwindigkeitsniveau im Kfz-Verkehr – auch auf den Hauptverkehrsstraßen.“ Auch Düsseldorf ist Mitglied dieser Städte-Initiative, der OB Keller sei daran erinnert (https://lebenswerte-staedte.de).

Hier gilt es im Rahmen einer Kampagne für Tempo 30 innerorts anzusetzen mit Aktionen unter dem Motto „Verkehrsberuhigung für eine lebenswerte Stadt“. Dabei muss der Flickenteppich von T 30-Abschnitten größtmöglich ausgeweitet und verbunden aber auch eine Reform der StVO vorangebracht werden.

Besonderes Augenmerk sollte bei diesen Initiativen die Verkehrssicherheit haben: Bei plötzlichen Ereignissen im Straßenverkehr ist der Anhalteweg – zusammengesetzt aus Reaktionszeit und Bremsweg – bei T 50 mehr als doppelt so lang wie bei T 30 (27,7 zu 13,3 Metern). Das Gesichtsfeld ist zudem bei größerem Tempo stärker eingeschränkt, man nimmt weniger Details der Umgebung wahr. Bei Temporeduzierung würden also weniger (schwere) Unfälle in der Stadt entstehen. In Düsseldorf ist 2021 die Zahl der Verkehrsunfälle gegenüber dem Vorjahr zwar zurückgegangen, aber mit 2.630 Verunglückten – davon 804 verletzte Fahrradfahrer*innen – und 15 Toten ist sie immer noch viel zu hoch. Bei geringeren Geschwindigkeiten wäre dies zumindest teilweise vermeidbar. Städte, die hier „Vision Zero“-Strategie verfolgen, einer (Verkehrs-) Welt ohne Unfälle – wie beispielsweise Helsinki – verzeichnen im Stadtgebiet seitdem kaum noch Verkehrstote.

Auch bezüglich der Lärmbelästigung bringt T 30 in der Stadt eine erhebliche Beruhigung. Die Lärmwerte sinken nach dem jüngsten Forschungsprojekt „Umweltwirkungen einer innerörtlichen Regelgeschwindigkeit von 30 km/h“ um 25 bis 50 Prozent, was zu einer nachhaltigen Stadtentwicklung mit mehr Lebensqualität beiträgt. Eine Auswertung von Maßnahmen zur Verkehrsberuhigung (auch T 30) im Berliner Bergmannkiez kommt u.a. zu folgenden Ergebnissen: bis zu 77 Prozent weniger Kfz-Verkehr und über 12 Prozent weniger Stickstoffdioxid-Belastung.

Denkbar für ein zu entwickelndes Rahmenkonzept wäre eine „Low Traffic Zone“ wie in Brüssel. Auch in Düsseldorf existiert ein System von Ringstraßen rund um die Innenstadt, sodass eine ähnliche Lösung sogar denkbar wäre. (Lastring: Brehmstraße (Norden) – Auf’m Hennekamp (Osten) / Südring/ Völklinger Straße – Kennedydamm (Westen)). Vielleicht sind Schritte in diese Richtung möglich, wie sie etwa in Berlin, Bremen und sogar in Neuss unternommen werden.

Zur Erreichung unserer Ziele werden wir Informationsveranstaltungen mit Expert*innen, u.a. vom Wuppertal-Institut, durchführen und zusammen mit anderen Initiativen Aktionen entwickeln, die bei Bürger*innen und Stadtpolitik ein nachhaltiges Denken für nachhaltige Mobilität befördern, damit die Vertreter*innen der Autokultur und -lobby eines Besseren belehrt werden (denn erst jüngst haben sich Kretschmann, Söder und Weil sozusagen als Allparteien-Lobbyisten bei Scholz für niedrigere Abgas-Normen eingesetzt). Ein zeitliches Ziel dabei könnte die Europäische Mobilitätswoche (16. bis 22.09.2023) sein, koordiniert und begleitet vom Umweltbundesamt, wobei ein Schwerpunkt auf Verkehrsberuhigung durch T 30 und damit zusammenhängende Verkehrsversuche gelegt wird. Vielleicht könnte – wie derzeit in Halle (Westfalen) – auch bei uns dafür einmal ein Verkehrsversuch durchgeführt werden, wofür man natürlich die Zustimmung der Stadtpolitik und auch der Verkehrsaufsicht – zudem eine langfristige Planung – braucht, eventuell angeregt durch ein Bürgerbegehren? Zukunftsmusik!

Stadtweites Parkraum-Management mit Anwohnerparken

Hierbei gibt es Fortschritte und – wie üblich in Düsseldorf – auch Rückschritte. So wurden zwar zwei weitere Gebiete für ein konsequentes Anwohnerparken ausgewiesen (Unterbilk und Flingern Nord) und eine Erhöhung der Gebühren von derzeit 30,- Euro auf über 300,- Euro jährlich diskutiert. Aber dann verschob OB Keller die von den Grünen gestartete Initiative auf unbestimmte Zeit. Denn die Verfechter*innen der Autokultur im Stadtrat (der CDU und FDP) und in den Medien – namentlich der RP – und in der Öffentlichkeit verteidigen die Tradition des freien Parkens hartnäckig. Immerhin hat der Stadtrat jüngst trotz des Aufschreis der Auto- und Parkplatz-Verteidiger*innen die Parkgebühren in der Innenstadt auf 4,50 Euro pro Stunde angehoben. Dadurch soll der Parksuchverkehr (ca. 30 Prozent des Innenstadtverkehrs) vermindert und der Umweltverbund gestärkt werden.

Seit 2022 hat die CMD (Connected Mobility Düsseldorf – https://mobildus.de) – eine Stadttochter zur Realisierung von Verkehrsprojekten – mit dem Aufbau von Mobilstationen begonnen. An ausgewählten Standorten werden Sharing-Angebote ermöglicht sowie Fahrrad-Garagen und Abstellanlagen für Anwohner*innen zur Verfügung gestellt. In den Stationen können Lastenfahrräder – 2022 wurden 1.500 Förderanträge bewilligt – sicher eingeschlossen und auch ausgeliehen werden. Viele (20 Prozent der fast 900 Befragten) haben daraufhin bereits ihr Auto abgeschafft. Erfolgreiche Beispiele sind die Mobilstationen am Bachplätzchen und am Friedenplätzchen (beide Ende 2022 eröffnet), wo die Berücksichtigung von Wünschen der Anwohner*innen zu großer Akzeptanz geführt hat, trotz wegfallender Parkplätze. Eine Übersicht über die Lage der bisher acht Mobilitätsstationen in Düsseldorf findet sich unter https://mobilitaetstation.de. Die mehr als 100 geplanten Mobilstationen bis 2030 werden das Bild der Stadt nachhaltig verändern, sie sind sinnvolle Bausteine für eine reale Utopie.

Detlev Wöske vom „Bündnis Mobilitätswende Düsseldorf“