TERZ 03.23 – INTERNATIONALE SOLIDARITÄT
Am 06. Februar 2023 jährte sich die Inhaftierung des mittlerweile 78-jährigen indigenen politischen Gefangenen Leonard Peltier zum 48ten Mal, woran in Düsseldorf eine Mahnwache erinnerte. Und zum Tag des politischen Gefangenen macht eine Veranstaltung im ZAKK auf das Schicksal des Aktivisten aufmerksam.
Der Fall „Leonard Peltier“ zählt aufgrund seines unrechtmäßigen Gerichts- und Auslieferungsverfahrens zu den größten Justizskandalen des 20. und 21. Jahrhunderts in der Geschichte der USA. 1977 wurde er für den Tod zweier FBI-Agenten während einer Schießerei auf der Pine-Ridge-Reservation (South Dakota) zu zweimal lebenslänglich verurteilt. Die US-Regierung wollte sich zu dieser Zeit Stammesland für den Uranabbau aneignen. Traditionelle Lakota und politisch aktive Native Americans wehrten sich dagegen. Mithilfe der paramilitärischen Einheit des korrupten Stammesvorsitzenden Dick Wilson wurden diese mit Waffengewalt terrorisiert. Es herrschten bürgerkriegsähnliche Zustände. Über 60 Menschen wurden in diesem Konflikt getötet. Eine AIM-Gruppe (American Indian Movement), zu der auch Leonard Peltier gehörte, errichtete auf dem Gelände der „Jumping Bull“-Familie ein Schutzcamp, in dem sich auch Frauen und Kinder aufhielten. Die Situation ist angespannt, und am 26. Juni 1975 kommt es zum „Incident at Oglala“: Zwei FBI-Agenten rasen in Fahrzeugen ohne Kennzeichen mit hoher Geschwindigkeit auf das Gelände. Es bricht Angst und Panik aus. Bei dem folgenden mehrstündigen Schusswechsel zwischen Camp und nachgerückten FBI- und Spezialeinheiten wurden die beiden FBI-Agenten Ronald Williams und Jack Coler sowie der 18 jährige AIM-Aktivist Joe Killsright Stuntz getötet.
Wer die tödlichen Schüsse auf die FBI-Agenten und den jungen Aktivisten abgefeuert hat, ist bis heute ungeklärt. Das FBI verfolgte aus taktischen Gründen die drei anführenden AIM-Aktivisten als Täter. Leonard Peltier floh nach Kanada, dessen Regierung ihn auf der Grundlage erpresster Zeug*innen-Aussagen 1976 an die USA ausliefert. Im Zuge des gut dokumentierten Gerichtsverfahrens wird deutlich, dass die vom FBI benannten Zeug*innen ihre Aussagen gegen Peltier nach Gewaltandrohung und Nötigung machten. Beweise werden manipuliert und Entlastungsmaterialien zurückgehalten. Dennoch wird Leonard Peltier für den Doppelmord zur Verantwortung gezogen. Das eigentliche Ziel seiner Verurteilung war die Zerschlagung des American Indian Movement.
Weltweit haben sich unzählige Menschen um seine Freiheit bemüht, darunter Prominente, hohe Politiker*innen und Würdenträger*innen. Es gibt zahlreiche Protestmärsche, Mahnwachen, Lesungen, Vorträge, Delegiert*innen-Reisen, Solikonzerte, Literatur und Filme, um für seine Begnadigung einzutreten. Das ständige Auf und Ab zwischen Hoffnung und Enttäuschung ist nicht nur Bestandteil des Leben seiner Unterstützer*innen und seiner Familie, sondern gehört auch zu Peltiers wechselhafter Geschichte selbst, dessen Alltag in einem Hochsicherheitsgefängnis durch Dauereinschlüsse und extreme Haftbedingungen belastet wird. Sein Gesundheitszustand ist aufgrund schwerer Krankheiten kritisch. Jeder Tag im Gefängnis erhöht die Wahrscheinlichkeit, dieses nicht mehr lebendig zu verlassen.
In letzter Zeit gab es wieder hoffnungsvolle Entwicklungen, wie etwa der Appell des ehemaligen Staatsanwalts James H. Reynolds, der Peltier hinter Gitter brachte, an US-Präsident Joe Biden: „Ich habe erkannt, dass die Verfolgung und anhaltende Inhaftierung von Mr. Peltier unrecht war und ist. Wir konnten nicht beweisen, dass Mr. Peltier persönlich im Pine-Ridge-Reservat irgendeine Straftat begangen hat (…) Ich bitte Sie dringend, Leonard Peltiers Urteil umzuwandeln und ihm Begnadigung durch den Präsidenten zu gewähren.“ Es folgte die Aufforderung des UN-Menschenrechtsrates im Herbst 2022, Peltier binnen sechs Monaten freizulassen und die Geschehnisse aufzuarbeiten. Das kürzlich erschienene Interview einer ehemaligen FBI-Agentin, die darauf verweist, das FBI wolle Blutrache und versuche, die Begnadigung Peltiers zu verhindern, sorgte für großes Aufsehen.
Unsere Mahnwachengruppe in Düsseldorf besteht aus einem Bündnis der Ortsgruppen des Tokata-LPSG-RheinMain e.V. und der Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) sowie Einzelpersonen. Auch Amnesty International-OG Ddorf unterstützt uns regelmäßig. Wir folgen dem Beispiel der seit über acht Jahren in Frankfurt und Leipzig monatlich sattfindenden Mahnwachen des Tokata –LPSG e. V.[1]
Das Ziel ist es, über Leonard Peltiers Schicksal aufzuklären und Unterschriften für ihn zu sammeln. In einem Workshop bei dem Künstler Jaques Tilly hat die Gruppe eine Büste Peltiers angefertigt, die sie auf Mahnwachen begleitet. Zusätzlich initiierten sie – federführend dabe die GfbV – Aktionen zu den Mapuche, für die Yanomami und gegen das Tren-Maja-Bahnprojekt durch indigenes Regenwald-Territorium.
Gleichzeitig hat die Initiative ihre Mahnwache um das Thema der „Missing und Murdered Indigenous Women and Girls“ (MMIWG) ergänzt. An besonderen Tagen adaptiert sie das sog. „reDress-Projekt“ der kanadischen Künstlerin Jaime Black. Dabei werden rote Kleider in Bäume oder Strassenstrukturen gehängt. Sie versinnbildlichen die Vermissten und Getöteten. Das Wortspiel des Begriffs “reDress” steht für „Wiedergutmachung”. Auch eine rote Hand erinnert an diese Frauen[2]. Damit wollen die Aktivist’innen auf das respektlose, menschenverachtende Verhalten gegenüber Indigenen weltweit aufmerksam machen.
Das Risiko für indigene Frauen, ermordet zu werden, liegt 10-mal höher als der nationale Durchschnitt. Über 10.000 Fälle ermordeter und vermisster indigener Frauen und Mädchen in den USA und Kanada wurden offiziell erfasst. Die Dunkelziffer liegt um ein Vielfaches höher, und es fehlt eine verlässliche nationale Statistik. Leider finden kaum Ermittlungen statt, sodass nur wenige Fälle jemals aufgeklärt werden. Straftaten in diesem Kontext bleiben in der Regel folgenlos. Die Todesursachen werden oft durch pauschal unterstellte Drogen- und Alkoholsucht als typischer „Lebensstil der Natives“ relativiert. Auch Arbeiterlager der Öl-, Holz- und Gasindustrie, aus denen die Täter oftmals stammen, bedeuten für indigene Gemeinden eine permanente Bedrohung. Das alles sind Folgen von anhaltendem Rassismus, Sexismus und Kolonialismus.
Die Gruppe wird oft gefragt, warum sie diese Themen hier in Deutschland aufgreift, es gäbe doch wichtigere Dinge hierzulande anzumahnen. ist Sie jedoch der Meinung, es sind zu wenig Menschen auf der Straße, und es gibt zu wenig Protest zu all diese Themen.
Das Unrecht an den Indigenen hat seinen Ursprung in Europa, dem Expansions- und Eroberungsdrang und dem damit einhergehenden Kolonialismus, der bis heute nicht überwunden ist. Es waren Deutsche, Engländer und Angehörige anderer europäischer Nationen, die rücksichtlos und blutig ein Land in Anspruch nahmen, das ihnen gar nicht gehörte. Bis zum heutigen Tag werden dessen eigentliche Besitzer*innen entrechtet und bevormundet.
Es braucht für alle diese Krisen – ob menschenrechtlich, klima- und umweltthematisch, sozial- und gesellschaftskritisch – eine internationale Öffentlichkeit, um Druck und Sichtbarkeit zu erzeugen. Aus einer anfänglichen Solidaritätshaltung muss eine aktive Verbindung zwischen uns allen geschaffen werden, gegen das Unrecht, das uns Menschen und unserer Umwelt begegnet.
Der monatliche Protest soll einen kleinen Beitrag dazu leisten. Leonard Peltier steht mit seinem Einzelschicksal als indigener Gefangener gleichsam für all die anderen Gefangenen, die aus politischen und/oder rassistischen Gründen oft namenlos und ungesehen im weltweiten Justizsystem verschwinden. Auch Persönlichkeiten wie Mumia Abu-Jamal (Black-Panther-Bewegung, seit 41 Jahren in Haft) zählen beispielsweise dazu.
Wenn all diesen Zuständen nicht mit Protest begegnet wird, bleibt das Schweigen und bleibt das Unsichtbarwerden der Verschwundenen. Die Motivation der Gruppe ist es, dieses Unrecht anzumahnen und sichtbar zu machen.
Bis heute ist Leonard Peltier hinter Gittern. Sein fast fünf Jahrzehnten dauernder Kampf um Gerechtigkeit wurde aufgrund schwerer Erkrankungen zum Kampf um das eigenen Leben. Das seit 47 Jahren hinter Gefängnismauern verbrachte Leben wurde zu einem Leben für die Freiheit. So beschreibt es das gleichnamige Buch von Michael Schiffmann und Michael Koch[3].
Wir weisen daher mit großem Dank auf folgende Veranstaltung hin: Die Rote Hilfe e. V. – Ortsgruppe Düsseldorf/Neuss lädt Michael Koch zu einem Vortrag mit anschließender Diskussion ein. Er wird aus obigem Buch lesen, mit eigenen Songs und Erzählungen ergänzen und über den aktuellen Stand zu Peltier und dem davon niemals trennbaren Kampf der Indigenen in Nordamerika (und weltweit) um Selbstbestimmung, intakte Umwelt und Gerechtigkeit berichten. Michael Koch ist Mitbegründer des Tokata RheinMain e.V., Verein zur Unterstützung indigener Sozial-, Umwelt-, Kultur- und Menschenrechtsprojekte & Leonard Peltier Support Group.
Wie der Kampf um Leonards Freiheit unterstützt werden kann: Es können Postkarten beim Tokata bestellt und an das Weiße Haus gesendet werden, ebenso Briefe, auch Nachrichten über ein Onlineformular; Briefe an Leonard Peltier, um Solidarität zu zeigen und Mut zu machen; die Beteiligung an Mahnwachen oder der Initiierung anderer Aktionen.
Vanadis Bever
Jennifer Huppertz
Tokata-LPSG RheinMain e.V.-Ortsgruppe Düsseldorf
[1] Mit Bündnissen für Mumia Abu-Jamal und der Freundschaftsgesellschaft BRD-Kuba e. V.
[2] Deutschsprachige Zusammenfassung: Coyote-Indianische Gegenwart, 32.Jahrgang, Nr. 123/124-2020, Kapitel „MMIW- Die Unsichtbarkeit überwinden“
[3] Michael Koch/Michael Schiffmann: Ein Leben für die Freiheit- Leonard Peltier und der indianische Widerstand, Traumfänger Verlag
Ein Leben für die Freiheit. Leonard Peltier - politischer Gefangener des American Indian Movement - Vortrag und Diskussion
Mittwoch, 15. März, 19:30 Uhr, ZAKK, Fichtenstraße 40
Eine gemeinsame Veranstaltung der Roten Hilfe, Ortsgruppe Düsseldorf/Neuss und Tokata – LPSG RheinMain, Düsseldorf
Auf Grundlage mehr als fragwürdiger, seitens der Verfolgungsbehörden von eingeschüchterten Zeug*innen erpressten Aussagen und manipulierter Beweise wegen angeblichen Mordes an zwei FBI-Agenten zu einer doppelten lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt, fristet der indigene Aktivist Leonard Peltier seit fast einem halben Jahrhundert ein Dasein als politischer Gefangener im „Eisenhaus der Weißen“. Es liegt auf der Hand, dass das Ausmaß der gegen ihn ausgeübten Repression maßgeblich auf sein tatkräftiges Engagement für das American Indian Movement (AIM) zurückzuführen ist.
Michael Koch gilt als profunder Kenner der Situation von Leonard Peltier, steht im regelmäßigen Austausch, war selbst in verschiedenen Native-American-Reservations und ist ehrenamtlicher Menschenrechtsaktivist, der sich für die Rechte indigener und politischer Gefangener in den USA, Kanada und Lateinamerika einsetzt. Er beleuchtet in dem Vortrag Geschichte und aktuelle Situation eines der langjährigsten politischen Gefangenen weltweit. Gebührenden Raum nehmen hierbei die bis heute andauernde rassistische Unterdrückung der Native Americans wie auch ihr ungebrochener Widerstand ein. Die Veranstaltung findet anlässlich des Tages der politischen Gefangenen (18. März) statt.