TERZ 03.23 – MUSIC
Wo fängt man bei The Wedding Present an? Bei Ihrem essentiellen Debütalbum George Best[1], den späteren, eher krachigen, Alben Bizarro und Seamonsters oder den bezaubernden Spätwerken El Rey und Going, Going? Anders gesagt, wie soll ich eine Band bewerten, die diverse Peel-Sessions herausgebracht und auch für alle anderen namhaften Radio-Moderator*innen Sessions eingespielt hat? Die einfach ihre Freund*innen einlädt und mitten im Lockdown 2020 ein Album herausbringt auf dem alle – OK fast alle – James-Bond-Titel gecovert werden? Einfach Bock hat, vom 2012er Album Valentina diverse Songs auf Französisch, Deutsch oder Walisisch zu veröffentlichen? The Girl From The DDR auf Deutsch, einfach großartig! Nun haben Wedding Present 2022 jeden Monat eine Single herausgebracht. 24 Songs hieß die Serie und die zeigt wieder einmal, dass David Gedge nicht umsonst eine/r der besten britischen Songwriter*innen ist! Nöliger, melancholischer Gesang, schrabbelige, knarzige Indie-Gitarren, very, very british halt. Mal ruhig und beschaulich, dann wieder laut und krachig. Das besondere an Singles ist ja, dass jeder Song für sich stehen muss. Bei jedem Umdrehen oder neuem Auflegen ist man aufs Neue gespannt: „All Killers, No Fillers!“ Schon die erste Single We Should Be Together mit Louise Wener von Sleeper (UK) zusätzlich am Gesang legt die Messlatte hoch. Souverän begleiten Wedding Present jeden Monat aufs Neue durch das Jahr. Z. B. mit einer Coverversion von A Song From Under The Floorboards von Magazine[2]. Die Dezember-Single schließt das WP-Single-Jahr mit The Loneliest Time Of Year (7“ Version) ab. Ein ruhiges Piano/Klavier leitet hier den Gesang von Davis Gedge ein und mündet in den klassischen Gitarrenriffs von Wedding Present. Auch hier unterstützt Melanie Howard den Gesang. Sie gehört Wedding Present seit 2018 an und ist Gründungsmitglied von Cinerama, David Gedges anderer Band. Mit einem geklauten Zitat von Norman Records schließe ich die Kritik, denn passender kann mensch es nicht formulieren: „They round the year off with ‚The Loneliest Time Of The Year‘, which might be a cover of the Mabel Christmas tune or just another song about the time Dave Gedge‘s girlfriend left him.“
Jedes Single-Cover zeigt schwarz-weiße Detailfotos brutalistischer Architektur[3] von Jessica McMillan[4]. Bei den ersten Singles dachte ich noch, alle 12 Cover zusammen würden ein Gesamtbild ergeben, aber dem ist nicht so. Trotz intensiver Beschäftigung ist es mir leider nicht gelungen, herauszufinden, welche Gebäude gezeigt werden. Ich habe nun WP angeschrieben, die Lösung kommt bestimmt. Anzumerken ist noch, dass alle 12 Singles in separate, unifarbige Innenhüllen verpackt sind. Von Hellgelb bis Dunkelgrau sind alle Farbtöne vertreten, die an eine Packung Origamipapier erinnern.
1992 haben Wedding Present übrigens schon einmal 12 Singles, The Hit Parade Series, in über die Dauer eines Jahres herausgebracht. Diese Singles sind dann 2015 als Doppel-LP wieder veröffentlicht worden. Das spart das Umdrehen und macht Hoffnung, dass auch die 24 Songs nochmal als reguläre LP das Licht der Welt erblickten.
Nun geht es noch nach Japan: Stefan Schneider veröffentlicht diesen März auf seinem eigenen Label TAL eine Single der Non Band aus Tokio. Vibration Army und Silence-High-Speed sind zusammen mit den Stücken für das selbstbetitelte Debütalbum 1981 aufgenommen worden, haben es damals aber aus finanziellen Gründen nicht auf die 10“-Inch geschafft und sind somit in Vergessenheit geraten. Bei den Recherchen für den Repress zum 40-jährigen Jubiläum des ersten Albums sind diese 2 Songs wieder aufgetaucht. Eigentlich war Stefan auf der Suche nach alten Fotos der Non Band für ein Beiblatt zum Album und war deswegen in Kontakt mit Jibiki Yuichi[5]. Dieser mailte Ihm auch sofort über 300 Bilder zu und die Information, dass es zwei unveröffentlichte Lieder aus der Zeit gibt. Für das Beiblatt zum Album wurden nur ein paar Fotos gebraucht, und da die restlichen viel zu schade dafür sind, auf dem Rechner in Vergessenheit zu geraten, gibt es nun die Vibration Army & Silence-High-Speed Single mit einem 48-seitigen Magazin. Liner Notes in Japanisch und Englisch, von Miki Yui übersetzt. Dazu seltene Fotografien der Non Band aus Japan von 1979 bis 1982, auf der Bühne, Backstage oder draußen in der Welt. Schon alleine das Magazin rechtfertigt den Kauf! Dazu zwei Post-Punk-Stücke, die sich schon durch die Instrumentierung aus der Masse hervorheben und neugierig machen. Non: Bass und Gesang, Mitsuru Tamagaki: Drum und Kinosuke Yamagihi: Violine. Auf dem Album kommen zudem noch eine Gitarre, Violine, Mandoline und Percussions zum Einsatz. Der Gesang von Non, mal kindlich verspielt, dann wieder treibend und peitschend oder schreiend trägt zur Extravaganz des Debüts bei. Die normale Album-Edition von 2017 sowie die 2022er Jubiläumsedition findet mensch mit ein wenig Glück noch in einem der Düsseldorfer Plattenläden, Stefan Scheider hat gerade keine Kopien mehr auf Lager. Kleiner Fun Fact: da es von dem Debüt-Album keine Masterbänder mehr gab, hat Stefan sich die Original 10“-Inch aus dem Jahr 1982 in Japan besorgt und davon ein neues Master gezogen. Die Non Band meinte wohl, das neue Mastering klingt besser als das alte. Die Single wird am 17.03.23 veröffentlicht und hat für mich persönlich die Messlatte für den Rest des Jahres, entsprechend hoch gelegt, das wird schwer zu toppen sein.
Jetzt noch zwei Veranstaltungstipps, die Miki Yui uns hat zukommen lassen, sowie ein Last Minute Ausstellungstipp von uns: Fangen wir an mit der Ausstellung On Air – Der Klang des Materials in der Kunst der 1950er bis 1970er Jahre, im Kaiser Wilhelm Museum in Krefeld. Mrs. Cave und ich waren da und wollen euch die Klangkunst-Ausstellung wärmstens empfehlen. „Rund 50 Objekte, Installationen, Papierarbeiten und Bilder von 20 Künstler*innen sind auf der 2. Etage des KWM zu erleben.“ (Zitat aus dem Flyer zur Ausstellung). Beeindruckt hat uns z. B. die Rauminstallation „Rainforest V“ von David Tudor, die Besucher und Besucherinnen mit verschiedensten, von Alltagsgegenständen erzeugten Klängen empfängt. Andere Objekte laden zum Berühren und Mitmachen ein, z. B. die von Jean Tinguely oder Yaacov Agam. Schade ist, dass sich kaum Werke von Künstlerinnen finden, die mit Sound experimentiert haben. Das KWM ist übrigens per viertelstündigem Fußweg vom Krefelder Hbf aus zu erreichen, die Ausstellung läuft noch bis zum 26.03.23.
Am 12.03. findet der TAL-Labelabend im FFT, Konrad-Adenauer-Platz 1, ab 18:30 Uhr statt. Mit SO SNER (Wien/Düsseldorf) und Sam Prekop & John McEntire (Chicago). Vielleicht gibt es da auch schon die Non Band Single. (-:
https://fft-duesseldorf.de/spielplan/tal-labelabend
Zum Schluss noch die Eröffnung der Ausstellung von Klaus Dinger (Neu!, La Neu?, La Düsseldorf usw.), Dingerland[6] 6
, am 24.03.2023 um 18 Uhr in der Filmwerkstatt auf der Birkenstraße 47. Die Ausstellung wird vom vom 25.03. bis zum 02.04.2023 laufen. Zu der Schau gibt es Konzerte und Filme, sowie verschiedene Hinweise über Dokumentationen bei Arte usw.
https://klausdinger.com/news/
https://filmwerkstatt-duesseldorf.de/dingerland/
Mrs. Cave und der Oberbilker werden da bestimmt auch anzutreffen sein.
[1] George Best war ein nordirischer Fußballer, einerseits sehr beliebt, hat er sich andererseits – mensch kann es nicht anders sagen: einfach nur kaputtgesoffen! Die Vorwürfe von häuslicher Gewalt geben seinem extravaganten Lebensstil im Nachhinein einen bitteren Beigeschmack und lassen das Zitat: „Ich habe viel Geld für Alkohol, Frauen und schnelle Autos ausgegeben, den Rest habe ich einfach verprasst.“ nicht mehr ganz so amüsant erscheinen. Trotz alledem war er ein Ausnahmefußballer und das Wortspiel aus seiner nordirischen Heimat: „Maradona good; Pelé better; George Best.“ zeigt die andere Seite der Medaille. Geboren am 22. Mai 1946 in Belfast, gestorben am 25. November 2005 in London, er wurde also – seinem obsessiven Lebensstil geschuldet – gerade einmal 59 Jahre alt.
[2] Magazine. Englische Post-Punk-Band, gegründet 1977 von Howard Devoto, nachdem er die Buzzcocks verlassen hate. Aktiv von 1977 bis 1981 und von 2009 bis 2011
[3] Brutalismus. Ein Architektursstil der 60er bis 80er Jahre, der einfache Formen hauptsächlich aus Sichtbeton zeigt. Der Begriff leitet sich ab vom französischen béton brut (roher Beton).
[4] Jessica McMillan. Geboren in den USA, jetzt wohnhaft in Sussex, England, hat schon vorher Wedding Present Albumcover gestaltet und gilt als offizielle Bandfotografin.
[5] Jibiki Yuichi. Japanischer Promoter, Fotograf, Schreiber und Label-Inhaber. Bekannt als Schlüsselfigur der japanischen Punk/Post-Punk Szene.
[6] Dingerland. Name des Labels, das Klaus Dinger 1974 gegründet hat.