Fake News und Zensur in der westlichen Hemisphäre

„Vor wenigen Wochen wurden uns Bilder vom bunten Feuerwerk über Bagdad und dem computergesteuerten Zielanflug in die gute Stube eingespielt. Massenmord live – aber mit eingebautem Blutfilter: Verstümmelte Leichen und schreiende Opfer wurden wegen der demoralisierenden Wirkung auf Freund und Feind herauszensiert. Ein nettes Abendprogramm – so pervers, als hätten die Nazis das sanfte Rauschen des Zyklon-B über Volksempfänger übertragen.“

Diese Zeilen über die Zensurmechanismen in unserer westlichen Hemisphäre hatte ich 1991 im Vorwort zum Katalog „Schöne Bescherung II“ der Wandmalgruppe Düsseldorf geschrieben. Die Bilder bekamen wir nun frei Haus nachgeliefert – jedoch nicht aus dem Irak sondern der Ukraine. Merke: Wenn ein Angriffskrieg von einem Land vom Zaun gebrochen wird, das zu unseren Verbündeten zählt, fällt uns die Rolle zu, Beifall zu spenden und am Bildschirm beim Zielanflug mitzufiebern – wenn aber ein Land, wie z. B. Russland, einen Angriffskrieg beginnt, sollen wir uns über „den brutalen Angriffskrieg“ empören. Bilder von zerbombten Städten werden uns im zweiten Fall auf die Mattscheibe geliefert, klagende Mütter und Todesopfer in Großaufnahme. Unsere öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten helfen dabei mit, Freund von Feind zu unterscheiden. Trotz massiver TV-Propaganda sickerte allmählich durch: Sowohl der Angriffskrieg gegen den Irak von 1991 als auch jener der „Koalition der Willigen“(2003) basierten auf einer Lüge. 1991 waren es die Säuglinge, die angeblich in einer kuwaitischen Klinik von irakischen Soldaten aus den Brutkästen gezerrt und getötet worden seien, 2003 die Massenvernichtungswaffen, welche Saddam Hussein, „der neue Hitler“, besäße. Beides waren von US-Diensten fabrizierte Fake News. Im Folgenden möchte ich am Beispiel zweier Ausstellungen für Fake News und Zensur in unserer westlichen Hemisphäre sensibilisieren.

Fake News am Rhein

Zwei Ausstellungen, die 1989 jeweils über die Stadtgrenze hinaus Furore machten: Die Jenny Holzer-Ausstellung im New Yorker Guggenheim-Museum und die große Retrospektive der „Wandmalgruppe Düsseldorf“ im hiesigen Stadtmuseum. Das Herzstück der Holzer-Ausstellung war ein schnell rotierendes LED-Schriftband, das sich in der gigantischen Spiralarchitektur des Guggenheim-Treppenhauses bis unter die Decke hinaufschraubte. Zu ebener Erde hatte Holzer im Kreisrund 17 Steinbänke aufstellen lassen, in die wie auf Grabsteinen Inschriften von oft provokatorischer Doppeldeutigkeit eingraviert sind, z. B. „MEN DON’T PROTECT YOU ANYMORE“ oder: „USE WHAT IS DOMINANT IN A CULTURE TO CHANGE IT QUICKLY“.

Das Herzstück der Retrospektive der damals bereits 11 Jahre bestehenden Wandmalgruppe war die Inszenierung einer „politischen Geisterbahn“, die sich über eine ganze Raumfolge in der Bel Etage des Stadtmuseums erstreckte. Die Politiker*innen-Großkarikaturen, die für Straßenaktionen und Demonstrationen geschaffen worden waren, fanden sich hier zu einem politischen Horrorkabinett zusammengestellt. In einem Raum war z. B. das gigantische, über zwei Meter hohe Schwarzwälderkirsch-Tortenstück aus Schaumstoff auf einem Tisch drapiert, davor ein Schild: „Hier speist die Rüstungsindustrie“. Eine extra dicke Schicht war statt mit Kirschen mit Totenköpfen und Knochen gespickt. Die Torte hatte Klaus Klinger für eine Demonstration und Protestaktion zum 100. Geburtstag von Rheinmetall geschaffen. Ein weiterer Raum thematisierte das Apartheidsregime in Südafrika, ein anderer zeigte das zerstörte Düsseldorfer Opernhaus im Jahr 1945. Den Eingang zu dieser Gruselbahn bildete eine Installation von Anne Aumann. „Auf einem nach rechts abfallenden Holzweg betreten wir den eigentlichen Ausstellungsraum der Wandmalgruppe. ‚Rechtsrutsch‘ signalisiert ein Straßenschild“(Katalogtext). Aumanns Konzept sah vor, eine schiefe Ebene in den Raum einzuziehen, die sich links bis zur Unterkante der Fenster erhob, so dass ein tatsächliches nach rechts stark abfallendes Gefälle zu beschreiten war. Wieland Koenig, der damalige Direktor des Museums, begeistert von dem Konzept, gab die Konstruktion der schiefen Ebene sofort bei den Handwerker*innen des Hauses in Auftrag.

Anne Aumanns Arbeit besticht wie die Jenny Holzers am Times Square in New York durch Konsequenz. So wie Jenny Holzer 1982 an dem gigantischen LED-Billboard am Times Square die bunten Werbebotschaften mit ihren eingestreuten Textbotschaften bewusst konterkarierte, so ist Aumanns Installation als eine ironische Reflektion des stets weißgetünchten Kunstraums zu verstehen, des „White Cube“, den Brian O‘Doherty als einen „einzigartigen Kultraum der Ästhetik“ beschrieb, in dem das Publikum auf „Wahrnehmung rein formaler Werte“ gedrillt werde. An der Frontwand schimmerten Neo-Nazi-Runen durch, die offensichtlich hastig mit weißer Farbe übertüncht worden waren. Wer die schiefe Ebene abschritt, entdeckte rechts im Raum hängend ein gigantisches Minimalkunstwerk, rechts auf die Wand gemalt eine abstrakte Hakenform. Beim Weitergehen schob sich beides zu einem gigantischen Hakenkreuz zusammen. Die verordnete Inhaltsleere der Westkunst in den 50ern provozierte gerade durch ihre Leere einen Beuys, der sie mit schamanistischen Geschwurbel zu füllen begann und seinen Bomberabsturz im 2. Weltkrieg auf der Krim zum Mythos verklärte, dabei von einer „Parteiendiktatur“ in der BRD schwadronierte, ein Schlagwort, das von Rechten schließlich willig aufgegriffen wurde.

„Was darf die Kunst?“

Die Ausstellung der Wandmalgruppe wurde zum Anlass dafür, dass in Düsseldorf auf allen Ebenen, im Büro des Stadtdirektors, im Kulturausschuss, in den Medien und auch den Leserbriefspalten, über Rüstungsexporte, Apartheid und die Frage „Was darf die Kunst“ diskutiert wurde. Auslöser war, dass eine Gruppe CDU-Mitglieder kurz nach Ausstellungseröffnung behauptet hatte, in den Räumen würden „RAF-ähnliche Todeslisten“ gezeigt, und in der Folge eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Museumsdirektor angestrengten. Die angeblichen „RAF-Todeslisten“ waren eine Abschrift der offiziellen Uno-Liste, auf der all die deutsche Firmen aufgeführt waren, die trotz Uno-Boykottaufrufs weiterhin ihre Geschäfte mit dem damaligen Apartheidsregime in Südafrika machten. Der Uno indirekt zu unterstellen, sie sei Helfershelfer der RAF, war derart bodenlos, dass das auch der „Fankfurter Rundschau“ eine Meldung wert war. Die Dienstaufsichtsbeschwerde wurde vom Stadtdirektor Bolo Mayweg (CDU) zurückgewiesen. Mayweg stellte klar: „Die offene und kritische Auseinandersetzung über Fragen von Rüstung, Rüstungsindustrie und Apartheid muß in einem freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaat geführt werden können. Solche Äußerungen jeweils in die Nähe der RAF zu stellen, würde die grundgesetzlich garantierten Rechte auf freie Meinungsäußerung und die künstlerische Freiheit unterlaufen und gefährden.“ („Stadtdirektor: Pflicht zur Diskussion“; RP 20.12.1989)

Die Dokumentation „Schöne Bescherung II“ der Ausstellung wurde erst 1991 produziert, so dass dort auch die Aktionen gegen den Golfkrieg der Gruppe, wie z. B. der „Anwerbestand“ Eingang finden konnten.

Erwin, Trump, Putin, Erdoğan

Die 17 Steinbänke aus der Guggenheim-Ausstellung von 1989 und die kreisrunde Aufstellung sind in der aktuellen Ausstellung in einer Installation im Untergeschoss des K21 zu sehen. Von der Wandmalgruppenausstellung sind hingegen alle Spuren beseitigt. Unter Joachim Erwin, der als Oberbürgermeister ein Regiment führte, das in punkto „autoritäres Gebahren“ allenfalls noch mit dem von Trump, Putin und Erdogan vergleichbar ist, wurde das Stadtmuseum „gesäubert“. Der schmale Gang, in dem soziale und politische Bewegungen in Düsseldorf von 1945 bis zur Jetztzeit mit Bildern und Objekten dokumentiert waren und auch ein zu einem Tornado umgebauter Pappsarg der Wandmalgruppe und die Foto-Dokumentation der Retrospektive hing, verschwand über Nacht. Würde so etwas in Russland passieren, würde hier niemand von „Umstrukturierung“, sondern eindeutig von Zensur sprechen. Auch der Katalog „Schöne Bescherung II“ wurde aus dem Sortiment des Museumsshops genommen. Der Boden für diesen Ungeist wurde bereits 1989 vorbereitet. Unmittelbar am Tag nach dem Freispruch des Oberstadtdirektors erschien in der WZ ein Kommentar von Sophia Willems. „Gegen die Freiheit der Kunst wird niemand sein Wort erheben“, schreibt sie, um dann den Stadtdirektor zu belehren: „Es macht die Ausstellung der Listen“, welche „eine schockierende Ähnlichkeit mit den Todeslisten“ der RAF aufwiesen, „nicht besser, dass die Namen angeblich auch in UNO-Listen auftauchen.“ Das „angeblich“ ist wirklich eine Frechheit.

Nebenbei bemerkt: Das berühmte und von vielen Karikaturen und Fotomontagen bekannte Monumentalgemälde „Washington Crossing the Delaware“ – heute Metropolitan Museum, New York – war nur einen Steinwurf vom K21 entfernt 1851 in einem Großraumatelier am Graf-Adolf-Platz entstanden. Emanuel Leutze hat unmittelbar vor dem aufrecht stehenden Washington einen Schwarzen gemalt. Als 1864 das erste New Yorker ausschließlich aus Schwarzen bestehende Regiment in den Civil War aufbrach, führte es eine nach einem Entwurf von Leutze gestaltete Regimentsfahne mit. Heute in den USA als nationale Ikone verklärt, hatte das Bild eine durchaus politische Botschaft. Als im Dezember 1851 im Bulletin of the American Art Union in der Rubrik „Art and Artists in America” über den Erfolg des Gemäldes berichtet wurde endete der Artikel mit geradezu programmatischen Zeilen: „Art has nobler work to do than to invoke the ghosts of dead ideas. She must ally herself to the realities of daily life. She must link herself with the great thoughts that are stirring the hearts of living men and women.“ Die Kunst müsse wie Jeanne d’Arc eine Rüstung anlegen, „and lead the hosts in the great battle of Truth, marking by her bright oriflamme the spot where the contest is the hottest, and the victory most uncertain.”

Thomas Giese