Katalog: ein Ort – ein Raum – eine Arbeit

30 Jahre Kunstprojekte in der ehemaligen Synagoge Stommeln

Seit 1991 gibt es alljährlich ein über mehrere Monate währendes Kunstprojekt in der alten Synagoge von Stommeln. Jedes Jahr wird ein*e Künstler*in eingeladen, jeweils ein Projekt zu realisieren. Und zu jeder Installation erscheint ein Begleitheft. Mischa Kuballs Lichtinstallation von 1994 stellt einen Wendepunkt dar. Armin Zweite hebt im damaligen Bändchen das Besondere von Kuballs Installation hervor: Es „erstrahlt das Gebäude von innen“, als wolle „das Zeichen sich selbst überblenden.“ Die einstige Synagoge sei „von der Hauptstraße kaum zu sehen“, liegt „eingeschachtelt und verborgen“ in einem Hinterhof. Doch werde sie „in der Nacht durch die enorme Helligkeit zum Anziehungspunkt, der unsere Neugier weckt“, zugleich weisen uns „die grellen Scheinwerfer ab“ und lenken „alle Aufmerksamkeit auf uns selbst zurück beziehungsweise auf das Umfeld, dessen Zentrum“ der einstige jüdische Kultraum ist. Dieser blieb wegen der versteckten Lage als einziger im Kölner Raum unversehrt. Aufgrund des gerade in ländlichen Regionen zunehmenden Antisemitismus hatte sich die Stommelner Gemeinde bereits vor 1933 aufgelöst, das Gebäude 1937 an einen Landwirt verkauft, der es als Scheune nutzte. In der Reichspogromnacht rückte ein SA-Trupp an, doch der Landwirt machte den Brandschatzern klar, dass dies sein Eigentum sei. Der Trupp zog wieder ab.

Durch das aus dem Inneren strahlende Licht erscheinen die „Scheiben gleißend“, fast „entmaterialisiert“, konstatiert Zweite. Es liege „ein scharfer Gegensatz zwischen der Konzentration des sich selbst überstrahlenden Monuments einerseits und der Diffusion eines Lichtes andererseits“, das „keine Bilder oder geometrischen Formen“ projiziere, „sondern gleichsam nur sich selbst.“ Kuballs Installation mache „seine Umgebung zur Bühne“, auf der uns „eine doppelte Identität“ zufalle: „Als Passanten und angereiste Kunstliebhaber sind wir Akteure und Beobachter in einem“, wobei in der Abenddämmerung „das Licht nun immer stärker auch die Anwohner trifft“, und, so unterstreicht Zweite, „ohne deren Bereitschaft, sich dem grellen Schein auszusetzen“ das Projekt nur „unverbindliche Idee geblieben wäre.“ Denn während der Dauer der dreimonatigen Installation „bricht die intensive Strahlung [...] teilweise in die Zimmer der Anwohner und macht deren private Sphäre zu einer halböffentlichen.“ Die Installation verschränke „die tagtäglichen Gewalttaten gegen Minderheiten im Gefolge der barbarischen Ereignisse von Mölln, Rostock und Solingen“ mit der Erinnerung, „wie sie sich in der Synagoge manifestiert.“ Kuball bediene sich bei der Installation eines Mediums, „das in Form Speerscher Lichtdome während des Dritten Reiches zum Synonym für die Ästhetisierung von Gewalt wurde.“ Doch der Künstler verfolge „absolut konträre Absichten“. Denn „weder senkrecht gebündelt noch parallel in den Himmel ausgerichtet, kann das Licht hier nicht als Verherrlichung von Macht missverstanden werden“: Durch Brechung und Beugung fungiere es hier vielmehr „als Mittel der Aufklärung“. In dem Faktum, dass von „refraction house“ (Haus der Brechungen), wie der Titel der Arbeit lautet, eben „kein materielles Substrat in Holz, Stein oder Stahl“ übrig bleibe, das auf Kunstmarkt oder Auktion meistbietend versteigert werden könnte, sieht Zweite die Chance, „dass die Installation als ortsspezifisches Kunstwerk in zukünftiger Vergangenheit überdauert, wenngleich materiell nur als fotografisches Dokument.“

In der Serie „Countermemories“ erläutert Kuball in einem online-Interview mit Paul Holdengräber ausführlich das Projekt, das er im Vorfeld mit den Anwohner*innen diskutiert und danach auch verändert hat. So bekamen etwa Kinderzimmer, in die die taghelle Lichtinstallation hineinstrahlte, einen Sichtschutz (https://www.goethe.de/ins/us/de/kul/art/stp/com.html). Blieb das Projekt „Synagoge Stommeln“ anfangs – den Auftakt machten Jannis Kounellis (1991) und Richard Serra (1992) – eine Sache für Kunstkenner*innen, so hatten während Kuballs Installation die Anwohner*innen diese und die Synagoge als Schauplatz zu ihrer Sache gemacht. Dies wurde auch deutlich, als im Januar im unmittelbar gegenüber dem einstigen Gebetshaus gelegenen Martinushaus der aktuelle Katalog vorgestellt wurde: Es war bis zum letzten Platz gefüllt.

An den Katalogtexten lässt sich aber ablesen, wie sehr Kunst und Kunst-Text mittlerweile auseinandergefallen sind. Oft spricht die Installation selbst eine viel klarere und verständlichere Sprache als der Text. Andererseits zeigt sich die Qualität der Texte aber darin, wie sensibel selbst ein so kontrovers diskutiertes Projekt wie das von Santiago Sierra besprochen wird. Der Künstler hatte 2006 Autoabgase in die Synagoge geleitet, so dass sie nur mit Gasmaske zu betreten war. Sicherlich war es richtig, das Projekt unmittelbar nach dem ersten Tag abzubrechen, da es schnell zum Mekka für Skandaltourismus hätte werden können. Aber es zeichnet eben den Katalog aus, dass sich auch hier eine sachliche Darstellung findet. Georg Imdahl zitiert gegen Ende seines Textes zum einen die in Tel Aviv erscheinende Tageszeitung Yedioth Ahronoth: „Der europäische Wahnsinn kennt keine Grenzen.“ Dem setzt er zwei in der Jerusalem Post zitierte Stimmen entgegen: „Ich bin richtig fertig, kein Projekt hat mich bisher so bewegt wie dieses.“ Die zweite: „Nein, Angst hatte ich nicht. Aber ich habe die Bedrohung gespürt. Und diese Erkenntnis sollte in dieser Zeit nicht verloren gehen.“

Jedes der 30 Projekte – unter den Ausführenden sind z. B. Rebecca Horn, Rosemarie Trockel, Daniel Buren und Richard Long – findet sich mit den Texten aus den jeweiligen Begleitheften erläutern und mit mehreren Fotos (insgesamt 140 Abbildungen) vorgestellt. Der Katalog ist 333 Seiten stark.

Thomas Giese

11. Mai, 19:30 Buchvorstellung im Heine-Haus, Bolkerstr. 53
„ein Ort – ein Raum – eine Arbeit - 30 Jahre Kunstprojekte in der Synagoge Stommeln.“
Mischa Kuball im Gespräch mit dem Kunsthistoriker Thomas W. Rieger, Direktor der Galerie Konrad Fischer.