TERZ 05.23 – MUSIC
Charlotte Rampling, 1946 in England geboren, dürfte vielen ja als Schauspielerin bekannt sein. Ihr Filmdebüt gab die Stilikone der Swinging Sixties 1964 in dem Beatle- Film A Hard Days Night. Als Sängerin hat „The Look“ bisher drei Alben veröffentlicht. Das letzte namens De L‘Amour Mais Quelle Drôle D‘Idée habe ich bei A&O entdeckt und fasziniert vom Cover – „The Look“ halt und kein Botox – sofort gekauft. Ihrer Kindheit geschuldet, sie wuchs teilweise in Frankreich auf, sind alle drei Alben auf Französisch eingesungen. Zur von Léonard Lasry komponierten Musik trägt sie auf „De L‘amour …“ Texte von Elisa Point vor. Die melancholischen Chansons handeln von Intimität, Zärtlichkeit und Einsamkeit. Ein Album für Fans von Charlotte Gainsbourg und dem Spätwerk von Marianne Faithfull.
Widmen wir uns Harry Dean Stanton, dem wichtigsten Nebendarsteller der Filmgeschichte, 2017 im Alter von 91 Jahren verstorben. „Ein Film, in dem Stanton mitspiele, könne nie wirklich schlecht sein!“ ist ein Zitat von Roger Ebert, dem sich Mrs. Cave und der Oberbilker nur anschließen können, verdanken wir HDS doch viele schöne und unvergessene Filmabende. Von Alien über Repo Man bis hin zu Pretty In Pink und Paris, Texas von Wim Wenders (eine seiner wenigen Hauptrollen!) nicht zu vergessen, reicht sein Lebenswerk. Mit Lucky, dem Regiedebüt von John Carroll Lynch, wurde ihm zu seinem Lebensende ein liebenswertes Andenken geschaffen. Durch die Gesangsszene am Ende des Films wurden wir auf sein Debütalbum Partly Fiction von 2014 aufmerksam. Ruhiger Country, Folk und Americana, in Stantons Wohnzimmer aufgenommen. Seine sanfte, brüchige, teils überkippende Stimme, manchmal mit von ihm selbst gespielter Mundharmonika begleitet, machen Partly Fiction zum krönenden Abschluss des Lebenswerkes des wichtigsten Nebendarstellers der Filmgeschichte. Wir werden ihn für immer vermissen!
Ein weiterer Film, der uns eine uns unbekannte tolle Sängerin nahegebracht hat, war Men - Was Dich Sucht, Wird Dich Finden aus dem letzten Jahr. Der Abschlusssong Love Song von Lesley Duncan war uns bisher nur als Coverversion von Marianne Faithfull bekannt. Das ganze Album Sing Children Sing aus dem Jahr 1971 ist es aber wert, angehört zu werden. Folk-Pop, getragen von Lesleys wunderschöner Stimme, klingt auch dank Elton Johns Pianospiel einfach nach 1971 und lässt Sing Children Sing gerne auf den Oberbilker Plattenteller wandern. Also im Kino immer den Abspann bis zum Schluss anschauen!
Auch durch das sonntagmorgendliche Byte-FM-Hören in der Küche während des Essenkochens sind einige schöne LPs in Oberbilk heimisch geworden. Eine weitere Sängerin möchten wir euch deswegen nicht vorenthalten. Susan Christie mit dem Album Paint A Lady. Eigentlich schon 1969 aufgenommen, wurde das Album von ABC-Paramount 1970 zurückgezogen, weil es der Plattenfirma zu unkommerziell war. Die drei Testpressungen schmorten bis in die 2000er Jahre in ihrem Keller, wurden durch Zufall wiederentdeckt und von Finders Keepers Records 2006 das erste Mal offiziell veröffentlicht. Unser Anspieltipp ist der Song Paint A Lady, Susan Christies Favorit ist Ghost Riders In The Sky, den sie als den besten von ihr aufgenommenen Song betrachtet. Christie selbst fasste das Album so zusammen: „Ich war immer stolz darauf – es war ein neuer Sound, eine Art ‚Funky-Folk‘.“ Mehr ist dazu nicht zu sagen.
Unsere Nachbarn Lewsberg aus Rotterdam und ihr 2021er Album In Your Hands sind auch eine Byte- FM-Entdeckung. Ruhiger Indie-Pop, stoisch & minimalistisch, Sprechgesang und kristallklare Gitarren haben es mich auch bei diesem Album nicht bereuen lassen, bei Bandcamp auf den Enter-Button gedrückt zu haben. Ich ärgere mich immer noch, dass ich zwischen den Jahren 2022/23 nicht den Arsch hochgekriegt habe und nach Wuppertal in den U-Club zu deren Show gefahren bin. Der 2022- Repress ist immer noch erhältlich und als Anspieltipp hier: Getting Closer
Der Sampler Ghost Riders, letztes Jahr im Oktober auf dem australischen Label Efficient Space erschienen, ist ebenfalls ein Byte-FM-Fund und eine wahre Schatzkiste! 17 Songs, mir alle unbekannt! Ich zitiere einfach nur den Hype-Sticker: „A North American Road Trip Of Coming Of Age Garage Ballads 1965-1974“!
Das Vorwort dazu von Sonic Boom aka Pete Kember (Spacemen 3) erübrigt jede weitere Beschreibung:
There Are In-Love Songs And There Are These ... The Break-Up Blues.
... The Flip-Side Of Love. The Scratched B Side Of Infatuation ...
Minor Chords Are The Order Of The Day ... And Rainy Days Are One Of Them.
When There Seems Like No Hope, In That Darkest Cold Hour Before Dawn, Put On This & Know Someone Else Already Felt That Way To ...
Cos You Know What Follows A Bad Patch?? … Right??
Liebe, Liebe, Liebe, mit all ihren Schattenseiten und auch Freuden.
Wenden wir uns noch einmal England vs. Frankreich zu. Jarvis Cocker (Pulp) hat mit Freund*innen 12 Klassiker des French-Pop neu eingespielt, und das Ergebnis Chansons d‘Ennui kann sich hören lassen. Inspiriert von Wes Anderson’s The French Dispatch zieht Jarvis hier die Register seines Könnens und verwurstet alles, was in Frankreich Rang und Namen hat. Brigitte Bardot, Françoise Hardy, Alain Delon, Serge Gainsbourg und viele mehr werden von ihm hingebungsvoll interpretiert und einzigartig gecovert. Soviel Sexyness und Attitude habe ich schon lange nicht mehr in einem Stück Vinyl gehört. Außer auf dem oben erwähntem Album von Charlotte Rampling.
Eine Radio-Entdeckung von Mrs. Cave ist Arctic, das letzte Album von Eldbjørg Hemsing und dem Arctic Philharmonic Orchestra. Eldbjørg Hemsing ist eine norwegische Violinistin, die Fans der Neo-Klassik wohl schon länger bekannt sein müsste, hat sie doch schon mehrere Preise gewonnen. Zum Arctic Philharmonic Orchestra kann ich nicht so viel sagen, die Webseite ist auf Norwegisch. Wenden wir uns aber der Musik zu: Eldbjørg Hemsing und das Arctic Philharmonic Orchestra entführen uns in die Weite der Arktis. Die Kälte, Einsamkeit und das „Weiße“ sind förmlich spürbar. Verschiedene internationale Komponist*innen werden zur Aufführung gebracht, was auch dazu beiträgt, dass jedes Stück sich anders und neu erschließt. Von Folkelementen über Klassik bis hin zu Soundtrack-Strukturen werden auf Arctic die Soundlandschaften verwoben und lassen uns so an der kalten Reise teilnehmen. Randnotiz: Arctic ist das erste Vinyl-Album in unserer Sammlung, welches aus recyceltem Material hergestellt wurde, wir sind überrascht, wie brillant der Klang ist.
Zum Schluss gibt es aber nochmal etwas auf die Ohren. Wednesday aus Asheville, NC haben auf Dead Oceans ihr drittes Album Rat Saw God veröffentlicht. Eine Orgie an Feedback, Krach und Gitarrenwänden, gepaart mit Low-Fi und noisigem Indie-Rock. Der Gesang von Karly Hartzman, nölig und ein wenig disharmonisch tut zusammen mit dem Sound ein Übriges, um Rat Saw God in den Olymp der Gitarrenalben zu heben mit Parts, die ruhig beginnen, aber irgendwann dann doch in das nächste Lärmmassaker gleiten. Ein komplett abwechslungsreiches und durchstrukturiertes Album –bei aller Disharmonie! Bis jetzt auf Heavy Rotation im Tape-Deck mit Auto-Reverse. Die ersten beiden Alben, I Was Trying To Describe You To Someone und Twin Plagues sind auch Dank Dead Oceans wiedererhältlich, das hat mich glücklich gemacht.
Bonus Track: Den Samstag vor Redaktionsschluss hat es mich mal wieder in das AK47 verschlagen, Esclapo aus Brasilien spielten zum Tanze auf und wurden dabei von No Purity und Thrufall, beide aus Düsseldorf, unterstützt. Von Thrufall habe ich mir die Zweitauflage ihrer Debüt-EP, auch wieder als Tape veröffentlicht, eingepackt. Derbster Hardcore Punk mit Gesang, der an Tobias Scheiße von Hammerhead in seinen besten Tagen erinnert, erwartet uns auf 11. Brutal, krachig und laut, Basti schreit sich dazu die Seele aus dem Leib. Lustig ist anders! Dafür, dass die Jungs von Thrufall aussehen wie schlecht gekleidete Mantafahrer*innen, mit Oberlippenschnöres und schlecht blondierten Haaren, gibt es voll das Hassbrett. Die Vier hauen einem 100 % Wut auf die Ohren, und darauf kommt es an! Ach ja, orangenes Tape, orangene Hülle, ich bin irgendwie in meine Jägermeisterphase von vor knapp 30 Jahren zurückversetzt!
So, das war es dann für den Frühlingsanfang, mal schauen, was der Mai so bringt, Grüße von,
Mrs. Cave und der Oberbilker
PS: In der letzten Ausgabe haben wir ihn noch erwähnt und auf seine Krebserkrankung hingewiesen. Ryuichi Sakamoto hat uns leider am 28.03.23 verlassen, FCK CNCR!