TERZ 06.23 – STADTENTWICKLUNG
Der von der deutschen Stahlindustrie für Düsseldorf projektierte 500 Meter hohe Rheinturm sollte 1913 den Eiffelturm um 200 Meter überstrahlen: eine Leistungsschau deutscher Stahlbaukunst – eine Ansage an den französischen Erbfeind.
An der Kö werden in den nächsten fünf Jahren 2,4 Milliarden Euro in Um- und Neubauten investiert. Calatrava projektiert mit einer weiteren zu Kö parallel verlaufenden Passage eine Luxus-Kathedrale am Martin-Luther-Platz. Am Heinrich-Heine-Platz drücken sich Fußgänger*innen und Radfahrer*innen an der Baustelle des zukünftigen „Kaufhaus des Westens“ des Immobilienspekulanten René Benko vorbei. Weitere Großbaustellen, die die Aufenthaltsqualität in der Innenstadt wieder auf Jahre beeinträchtigen werden, sind abzusehen.
Düsseldorf möge mit seiner City seine Anziehungskraft als Premium-Konsummeile behaupten und seine Strahlkraft weit über Köln hinaus bis in die Niederlande – ja, bis in die Vereinigten Emirate – weiterentwickeln.
Derweil sind inhabergeführte Geschäfte in der Innenstadt ausgestorben, „normale“ Kaufhäuser wie Karstadt werden abgewickelt, für Düsseldorfers Normalverbraucher*innen mag das alles ein „Erlebnis“ sein, aber preislich eher unerschwinglich.
„Das alles bringt Zentralität nach Düsseldorf - es ist gut, wenn hier viel passiert. Am Ende des Tages bringt es Frequenz in die Stadt.“ so der Chef des Breuninger-Kaufhauses Rebelmund. Es geht um Traffic. Es geht um Event. Es geht auch darum, dass die Immobilienpreise in der Innenstadt weiter spekulativ steigen mögen und so für immer neue Investor*innen attraktiv werden. Das ist eine Rechnung, die im Sinne einer ökologischen und sozialen Stadtentwicklung nicht aufgehen kann.
Statt Vorhandenes zu pflegen, zu reparieren und weiterzuentwickeln, werden unmassen energieintensiven neuen Betons verbaut. Bestenfalls bleiben nur einige alte Fassaden stehen. Die Innenstadt wird zu einem zeitgenössischen Architekturmuseum, in dem jede*r Stararchitekt*in seine/ihre Footprint hinterlassen möchte.
Flächen werden weiter versiegelt, die Grünfläche Hofgarten immer weiter angeknabbert. Dachflächen werden begrünt, ganze Fassaden mit Hainbuchenhecken bepflanzt – Maßnahmen, um das Mikroklima in der Betonwüste einigermaßen erträglich zu gestalten – alles andere als die grundsätzlich notwendige Wende in Richtung eines ökologischen Städtebaus.
Besucherströme sollen von weit jenseits Stadtgrenzen hinaus angezogen werden. Dieses steigende Verkehrsaufkommen produziert nicht nur unnötige CO2-Emissionen – der ÖPNV ist für diesen Verkehr genauso wenig gerüstet wie das Parkraummanagement in der Innenstadt. Statt Mobilitätskonzepte zu fördern, die eine Grundversorgung vor Ort – im Quartier – ermöglichen, werden erhebliche öffentliche Ressourcen in der City verbuddelt. Vollmundige angekündigte Konzepte des Wohnens in der zweiten Reihe, der „zweiten Stadt“, wie sie noch im Düsseldorfer Raumwerk D propagiert wurden, sind angesichts der Bindung öffentlicher Ressourcen für die Entwicklung der Zentralität Düsseldorfs längst Makulatur.
Und die Stadt Düsseldorf setzt mit ihren hochtrabenden „Kulturprojekten“ in der Innenstadt noch einen obendrauf: Eine neue Oper soll Besucher*innenströme in die Event-City locken. Das Bundesdeutsche Foto Institut hat man bereits erfolgreich der Stadt Essen abgejagt, obwohl der Beitrag der Folkwangschule zur Entwicklung der Fotografie in NRW wesentlich bedeutsamer gewesen sein dürfte als die ganze „Düsseldorfer Fotoschule“. Aber wäre es nicht sinnvoller, eine neue größere Deutsche Oper am Rhein (Duisburg und Düsseldorf betreiben sie zusammen) an den Duisburger Hafen zu setzen? Wenn es schon eine kleine Elbphilharmonie sein soll, dann bitte eine, die ins Ruhrgebiet strahlt.
Trotz steigender Zinsen für die Baufinanzierung scheint die Bauwut in Düsseldorf ungebrochen: Überall entstehen neue Hotels und neue Bürotürme. Dabei gibt es in Düsseldorf schon einen eklatanten Leerstand von Gewerbeimmobilien. Der Bedarf an Büroflächen sinkt – nicht zuletzt wegen der nach der Corona-Krise andauernden Nutzung der Möglichkeiten des Homeoffice . Der anhaltende Düsseldorfer Bauboom ist spekulationsgetrieben und geht am realen Bedarf vorbei. Die Umwandlung von leerstehenden Büroflächen in Wohnungen und Heime darf kein Tabu sein.
Dagegen liegen die beiden großen Düsseldorfer Wohnbauprojekte auf dem Gelände der Gerresheimer Glashütte und dem Postgelände nach der Pleite der Adler-Group erst einmal auf Eis. Die oppositionelle SPD im Düsseldorfer Stadtrat versucht sich ihre Zustimmung zum Neubau der Oper über einen Opern-Deal von der CDU abkaufen zu lassen: 8.000 kommunale oder genossenschaftliche Wohnungen sollen auf stadteigenen Grundstücken bis 2030 in Düsseldorf entstehen. Aber kann es bei der Situation des städtischen Haushalts hier überhaupt eine finanziell belastbare Zusicherung für ein solches Wohnungsbauprogramm im Austausch geben?
Die Düsseldorfer Grünen, die mittlerweile aus dem Opernprojekt ausgestiegen sind, machen für die Neue Oper mittlerweile eine ganz andere Rechnung auf. Die kulturpolitische Sprecherin der Grünen nennt nun 1,6 Milliarden Euro für den Bau und die Finanzierungskosten. Das würde der Stadt bei den ‘freiwilligen’ Ausgaben im kulturellen und sozialen, aber auch im wohnungspolitischen Bereich die Hände binden.
Die zukünftige Stadtentwicklung, das Verhältnis von Peripherie und Zentrum, muss sich am vorhandenen Bestand orientieren. Auch im kulturellen Bereich wird Düsseldorf von seiner Substanz leben müssen. Aufwendige futuristische Verpackungsbauwerke werden den Erfordernissen einer notwendigen ökologischen und sozialen Wende nicht gerecht. Es geht darum, vorhandene Strukturen im Bereich Wohnen, Mobilität und Kultur zu stärken und auszubauen, und den städtischen Haushalt auf diese Aufgaben zu fokussieren: Daseinsvorsorge gehört in öffentliche Hand.
Laut einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung fehlen in Düsseldorf rund 44.000 bezahlbare Wohnungen. In den letzten 20 Jahren haben sich die Sozialwohnungen von 36.366 auf 15.617 reduziert. Der aktuelle Neubau von Sozialwohnungen verhindert zurzeit nicht das weitere Abschmelzen auf 9.000 Sozialwohnungen im Jahre 2031.
Die Stadt muss ihre finanziellen Hebel nutzen, um als aktiver Player in den städtischen Wohnungsmarkt einzugreifen. Zum Beispiel durch eine extensive Ausnutzung von Vorkaufsrechten für Grundstücke und Bestandsgebäude. „Hierfür bräuchte es mit dem aktuellen Bedarf und rund 300 Millionen Euro pro Jahr über einen längeren Zeitraum hinweg. Im städtischen Haushalt sind derzeit aber gerade einmal zwei Millionen Euro für diesen Bereich vorgesehen“ so Uwe Fullong, scheidender Geschäftsführer von Verdi Düsseldorf.
Es geht weiter darum zu verhindern, dass Mieter*innen durch Luxussanierungen und Umwandlung in Eigentumswohnungen aus bezahlbaren Wohnraum ‘herausmodernisiert‘ werden. Um den Bestand an bezahlbaren Wohnraum zu pflegen, sind Erhaltungssatzungen zum Milieuschutz ein Mittel erster Wahl.
Zum Beispiel im Öffentlichen Nahverkehr: Mit dem Deutschlandticket ist die Zahl der Rheinbahn-Abonnenten sprunghaft auf 207.000 gestiegen und erreicht damit jetzt fast wieder die Vor-Corona-Marke von 2019. „Um das Deutschlandticket finanziell auszugleichen, müssen wir 80.000 Abonnenten nach Einführung hinzugewinnen“ sagt Rheinbahn-Chef Klaus Klar, „deshalb sind wir auf den Ausgleich angewiesen, sonst müssen wir Leistungen kürzen.“
Eine solche Fahrgaststeigerung braucht dringend Reparatur und Ausbau der Fahrzeugflotte, sollen Neukund*innen nicht auf Grund eines unzureichenden Angebots dem ÖPNV wieder den Rücken kehren. Das ehemalige Aufsichtsratsmitglied der Rheinbahn Manfred Neuenhaus spricht von einem Investitionsbedarf von 1,5 bis zwei Milliarden Euro in den nächsten zehn Jahren. Zur Zeit werden hier von der Rheinbahn nur Ersatzbeschaffungen getätigt, für die notwendigen Ausbau des Angebots sind keine Mittel vorhanden. Die Rheinbahn schreibt weiter rote Zahlen. Hier müsste die Stadt mit ungebundenen Mitteln aus dem eigenen Haushalt einspringen, denn nennenswerte Mittel zum Ausbau des Düsseldorfer ÖPNV vom Land oder vom Bund sind nicht in Sicht.
Ja, Düsseldorf braucht eine Oper. Sie hat eine lange Tradition. Die Oper hat zur Zeit jährlich 170.000 Zuschauer*innen und damit eine Auslastung von 77 Prozent. 51 Prozent der Besucher*innen sind über 65 Jahre alt, 68 Prozent älter als 50 Jahre. Tendenz sinkend – Publikum ‘überaltert‘. Der Zuschuss pro Besucher*in beträgt 180€Euro.
Ja, die Deutsche Oper am Rhein muss sich neue Publikumsschichten erschließen – neue Konzepte entwickeln, um ihr Repertoire auch jüngeren Besucher*innengruppen zu vermitteln. Dazu braucht es erstmal neue künstlerische Ansätze und nicht zwingend zwei neue Seitenbühnen.
Ein neues Gebäude mit einer Aussichtsplattform in 50 Meter Höhe, eine Gastronomie sowie verglasten Wandelgängen drumherum machen aus einem Operhaus noch keine Oper für alle. Ja natürlich kann man mit Darbietungen wie die der akrobatischen japanischen Trommelgruppen Yamato auch ein anderes Publikum ins Opernhaus locken. Aber das passiert ja jetzt schon, aber damit hat man noch keine neuen Opernbesucher*innen gewonnen.
Wenn Einrichtungen wie zum Beispiel das zakk auch mal größere Veranstaltungsorte brauchen, dann brauchen solche Veranstalter*innen bestimmt nicht das Ambiente einer Oper.
Allerdings ist es auch Aufgabe der Deutschen Oper am Rhein, ihr Bestandsgebäude, ein wichtiges historisches Denkmal in Düsseldorf und für NRW, zu erhalten. Und auch die Narben des Gebäudes, die eine wechselvolle Geschichte hinterlassen hat, sollten sich bestandswahrend einer breiten Öffentlichkeit erschließen. Hier ist eine behutsame Opernsanierung angezeigt. Die Sanierungskosten als Fass ohne Boden darzustellen und künstlich aufzublähen, ist ein durchschaubares Spiel: Ein Opern-Neubau soll als praktisch alternativlos durchgedrückt werden.
Michael Flascha