Die Düsseldorfer Wohnungskrise

Wirklich neu ist der Befund einer Krise auf dem Düsseldorfer Wohnungsmarkt nicht. Unabhängig von den jeweils regierenden Parteien wurde die Wohnungspolitik seit Jahren von dem Mantra eines „Weiter so wie bisher“ bestimmt. Und selbst als diese Politik längst als gescheitert gelten musste, war von einem wirklichen Umdenken nur wenig zu erkennen. Der Glaube, der Markt werde es schon richten, war stärker, und er ist immer noch stark. Aber die Zweifel wachsen.

Inflationsbedingte Zinssteigerungen haben die Finanzierungskosten für Investoren, aber auch für die Käufer von Immobilien, gerade auch von Eigentumswohnungen, drastisch steigen lassen. Ähnliches gilt für die Baukosten. Diese Kosten kommen nun noch auf die im Laufe des über zehnjährigen Immobilienbooms spekulativ in die Höhe getriebenen Bodenpreise oben drauf. Für die Wohnungen, die der Düsseldorfer Catella-Chef Klaus Franken gern auf dem derzeit noch der Adler Group gehörenden brachliegenden Teil des Grand Central-Projekts in Oberbilk bauen möchte, müssten nach seinen Angaben 17 € /qm für preisgedämpfte und sogar 20,50 €/qm für frei finanzierte Wohnungen verlangt werden. Das sind Preise, die sich am Markt kaum noch durchsetzen lassen. Das vorläufige Ende des Immobilienbooms ist inzwischen keine Befürchtung mehr, sondern ebenso eine Tatsache wie der damit einhergehende Einbruch des Wohnungsneubaus. Und mit der jüngsten Warnung des Deutschen Mieterbunds, die Mieten würden in den nächsten Jahren weiter drastisch steigen und dem Alarmruf des bundesweiten Verbändebündnisses „Soziales Wohnen“, im laufenden Jahr drohe mit 700.000 fehlenden Wohnungen „das größte Wohnungsdefizit seit 20 Jahren“ scheint nun doch etwas Bewegung in die bislang versteinerte wohnungspolitische Debatte zu kommen - nicht nur im Bund, auch in Düsseldorf.

Überfällig war das schon lange. Der Handlungsdruck wächst, denn die Bilanz der bisherigen Wohnungspolitik ist auch in Düsseldorf mehr als ernüchternd. Die selbstgesteckten Ziele beim Wohnungsneubau wurden in der Vergangenheit regelmäßig verfehlt. Die derzeitige schwarz-grüne Ratsmehrheit hat deshalb von vornherein darauf verzichtet, sich überhaupt noch solche Ziele zu setzen. Mieten und Immobilienpreise sind im Laufe des über zehnjährigen Immobilienbooms drastisch gestiegen. Und obwohl in diesem Zeitraum pro Jahr im Schnitt ca. 5 Mrd. € Investitionskapital in den Immobiliensektor der Landeshauptstadt geflossen sind, hat sich die Wohnungsnot weiter verschärft. Weil für renditeorientierte Investoren nicht der Gebrauchswert, sondern nur der Tauschwert einer Immobilie zählt, wurde vorzugsweise Hochpreisiges gebaut, nicht das, was dringend gebraucht wird: bezahlbarer und sicherer Wohnraum. Hagen Fischer, bis 2007 in leitender Funktion im Stadtplanungsamt tätig, hat deshalb schon vor zwei Jahren von der „Krise des in Düsseldorf betriebenen Investorenwohnungsbaus“ gesprochen. Die Versorgungslücke bei bezahlbarem Wohnraum ist weiter gewachsen: Nur noch knapp zehn Prozent des vorhandenen Bedarfs an öffentlich geförderten preisgebundenen Wohnungen können derzeit durch die vorhandenen 15.585 Sozialwohnungen gedeckt werden (Stand: Ende 2021). Sozialwohnungen machen in Düsseldorf aktuell gerade mal 4,3 % aller Wohnungen aus. Dieser schon äußerst geringe Anteil wird in den nächsten zehn Jahren noch weiter abschmelzen, weil viel mehr Sozialwohnungen aus der Preisbindung fallen - bis 2031 werden es 9.085 sein - als neue gebaut werden.

Handlungskonzept Wohnen ist tot

Kernelement der bisherigen kommunalen Wohnungspolitik ist das „Handlungskonzept Wohnen“ (HKW), eine im Jahr 2013 getroffene Vereinbarung zwischen Stadt und Wohnungswirtschaft. Diese Vereinbarung sieht bei größeren Neubauprojekten mit Bebauungsplan eine Quotierung für Sozialwohnungen und sogenannte preisgedämpfte Wohnungen vor, die nach einer Anpassung durch die schwarz-grüne Ratsmehrheit im April 2022 nun zusammen die Hälfte der insgesamt geplanten Wohnungen ausmachen müssen, davon mindestens 30 % Sozialwohnungen. Preisgedämpfte Wohnungen (Startmiete 2022: 9,80 €/qm) werden nicht mit öffentlichen Mitteln gefördert. Sie sollen auch Haushalten mit mittleren Einkommen, die inzwischen zunehmend Probleme auf dem freien Wohnungsmarkt haben, noch Zugang zu erschwinglichen Wohnungen unterhalb des spekulativ hochgetriebenen Mietpreisniveaus ermöglichen.

Das HKW hat durchaus Wirkung gezeigt. Die Zahl fertiggestellter Sozialwohnungen konnte seit 2019 zwar spürbar gesteigert werden, aber bei Weitem nicht in dem Umfang, der nötig wäre, um auch nur den prognostizierten Rückgang an Sozialwohnungen bis zum Ende des Jahrzehnts zu kompensieren. Das HKW hat nicht verhindern können, dass die Angebotslücke bei bezahlbarem Wohnraum weiter angewachsen ist. Und diese Lücke wird noch größer werden: Nach dem Ende des Immobilienbooms ist auch in Düsseldorf die Neubautätigkeit faktisch zum Erliegen gekommen. Angefangene Projekte werden noch fertiggestellt, neue kommen kaum noch hinzu. Und wenn keine neuen Wohnungen mehr gebaut werden, entstehen natürlich auch keine neuen Sozialwohnungen.

Die Feststellung des Catella-Chefs Franken, das Handlungskonzept Wohnen (HKW) sei tot (RP vom 13.5.23), ist insofern wenig überraschend. Es ist eine Bankrotterklärung der bisherigen kommunalen Wohnungspolitik – und zugleich auch ein Hilferuf der Immobilienwirtschaft. Weil sich die hochpreisigen Wohnungsprojekte am Markt nicht mehr realisieren lassen, ruft sie nun verstärkt nach staatlichen Hilfen. Konkret geht es darum, dass die bisher nicht öffentlich geförderten preisgedämpften Wohnungen nun auch in die staatlichen Förderprogramme aufgenommen werden. Dadurch ließe sich die Subventionierung dieser preiswerteren Wohnungen durch die frei finanzierten reduzieren, so dass auch Letztere günstiger angeboten und damit besser vermarktet werden könnten. Für Kaufinteressenten wünscht sich die Immobilienwirtschaft mehr staatliche Unterstützung beim Erwerb von Immobilieneigentum. Für ein kaufkraftstärkeres Klientel entspricht das dann dem Wohngeld für Menschen mit geringen Einkommen. Das Ziel ist in beiden Fällen gleich: Mit Steuermitteln sollen hochpreisige Angebote für mehr Menschen erschwinglich gemacht und so die Renditen der Anbieter stabilisiert werden. Es ist jedenfalls schon bemerkenswert, dass die Immobilienwirtschaft, die bisher jede staatliche Regulierung als ungerechtfertigten Eingriff in das Verfügungsrecht von Eigentümern kritisiert und abgewehrt hat, nun in wirtschaftlicher Notlage laut nach staatlichen Hilfen ruft.

Ein bisschen Bewegung

Aber auch auf der politischen Ebene sind interessante Entwicklungen zu beobachten. Die versteinerten Verhältnisse beginnen zu tanzen – zumindest ein bisschen. Für erheblichen politischen und medialen Wirbel sorgt gerade die Absicht der Grünen, den im Rat von CDU und Grünen schon 2021 beschlossenen Neubau der Oper nicht weiter mittragen zu wollen, sondern das Projekt angesichts der Belastungen durch die Folgen des Krieges in der Ukraine zu verschieben. Den schwarz-grünen Dissens in dieser Frage hat die SPD rasch genutzt, um dem Oberbürgermeister einen Deal anzubieten: Zustimmung zum Opernneubau, wenn zugleich bis 2030 8.000 kommunale oder genossenschaftliche Wohnungen auf stadteigenen Grundstücken realisiert werden und die Kulturförderung in den Stadtteilen verstärkt wird. Wie die SPD ihren wohnungspolitischen Vorschlag finanzieren und konkret umsetzen will, bleibt allerdings völlig im Dunkeln. Man gewinnt hier den Eindruck, dass es sich eher um einen politischen Coup der SPD handelt, um sich als Partei wieder stärker ins Spiel zu bringen, und weniger um ein durchdachtes wohnungspolitisches Konzept. Eine Entscheidung wird der Rat in seiner Sitzung am 15. Juni treffen.

Auch in anderen Bereichen, die sich weniger im Licht der Öffentlichkeit befinden, tut sich durchaus Interessantes (z. B. Einrichtung von Satzungsgebieten zur Nutzung des besonderen Vorkaufsrechts, Bericht der Verwaltung zum Stand der Erarbeitung einer Milieuschutzsatzung). Auf lokaler Ebene kommt wohnungspolitisch einiges in Bewegung, insgesamt aber noch viel zu wenig und zu langsam. Und vor allem: Bisher werden die systemischen Ursachen der sich weiter verschärfenden Wohnungsnot nicht berührt. Solange das private Eigentum an Grund und Boden nicht in Frage gestellt wird, ist eine am Gemeinwohl und nicht an der Rendite orientierte Wohnungspolitik kaum möglich.

Lehrstück Elisabethstraße

An der geplanten Bebauung der derzeit als Parkplatz zwischengenutzten Brachfläche an der Ecke Elisabethstraße/Bachstraße in Bilk wird das ganze Dilemma einer am Markt orientierten Wohnungspolitik deutlich. Das Grundstück gehört der Stadt Düsseldorf und soll dem Bauträger, der Städtischen Wohnungsgesellschaft Düsseldorf GmbH (SWD), unentgeltlich überlassen werden. Zwei ursprünglich ebenfalls beteiligte Baugenossenschaften sind wieder aus dem Projekt ausgestiegen, weil sie die finanziellen Risiken für unkalkulierbar hielten. Nach den jüngsten Plänen von Stadt und SWD sollen nun auf den Grundstück 180 Wohnungen entstehen: zu 60 % Sozialwohnungen und zu 10 % Seniorenwohnungen. Die restlichen 30 % sollen auf frei finanzierte und deshalb auch deutlich teurere Mietwohnungen entfallen.

Daran hat sich die Kritik vor allem seitens der SPD entzündet, die darauf verweist, dass nach einem Ratsbeschluss aus dem Jahr 2018 keine städtischen Grundstücke für freifinanzierten Wohnungsbau vergeben werden dürfen. Was die SPD allerdings nicht sagt: Nach diesem Beschluss ist die Grundstücksweitergabe an eine städtische Tochtergesellschaft explizit davon ausgenommen, sofern wohnungspolitische Ziele formuliert werden. Und genau solche Ziele reklamiert die SWD ausdrücklich für sich. In einem Antwortschreiben an die „Bilker Initiative Wohnen für alle – bezahlbar und sicher“ betont die SWD, bei dem fraglichen Neubau strebe sie „eine reine Kostendeckung“ an: „Es soll und kann kein Renditeobjekt geschaffen werden.“ Auch im frei finanzinerten Segment werde bezahlbarer Wohnraum entstehen, weil man sich mit schätzungsweise 13-14 €/qm deutlich unterhalb des Neubau-Marktniveaus bewege.

Aber das ist eben die entscheidende Frage: Kann eine Wohnung schon deswegen als bezahlbar gelten, weil der Mietpreis unterhalb des spekulativ in die Höhe getriebenen Marktpreises bleibt? Was sich ein Haushalt leisten kann, ist natürlich vom verfügbaren Einkommen anhängig. Deshalb gilt in der wohnungspolitischen Diskussion als Richtwert für eine angemessene und bezahlbare Wohnung, dass auf die Wohnkosten, d. h. die Grundmiete zuzüglich Umlagen und verbrauchsabhängigen Kosten, nicht mehr als 30 % des Haushaltsnettoeinkommens entfallen dürfen. Bei einem Quadratmeterpreis von 13-14 € kann davon für die meisten Haushalte mit niedrigen, teilweise aber auch mittleren Einkommen sicher nicht mehr die Rede sein!

Auch wenn die SWD bei dem geplanten Projekt nach eigenem Bekunden ohne Gewinnabsicht rein nach dem Grundsatz der Kostendeckung verfahren will, verlangt eine wirtschaftliche Umsetzung unter Marktbedingungen, dass auch keine Verluste entstehen dürfen („schwarze Null“). Das ist auch die Bedingung dafür, öffentliche Fördermittel in Anspruch zu nehmen, die nach den in NRW geltenden Richtlinien zudem auch nur für einen Teil des Vorhabens bewilligt werden.

Der Markt kann es nicht!

Welche Erkenntnisse lassen sich aus dem Bauvorhaben in Bilk ziehen? Das frei finanzierte Segment des Vorhabens geht preislich deutlich an dem vorbei, was sich viele Haushalte mit geringeren Einkommen überhaupt leisten können! Auch wenn die SWD es so nennt: In diesem Segment entsteht kein bezahlbarer Wohnraum! Um aber das Gesamtprojekt mit 70 % öffentlich geförderten und preislimitierten Wohnungen unter Marktbedingungen wirtschaftlich umsetzen zu können, bedarf es offensichtlich eines höherpreisigen frei finanzierten Projektteils zur Querfinanzierung.

Wenn aber selbst unter den hier vorliegenden optimalen Voraussetzungen – Bauherr ist ein städtisches Tochterunternehmen, das zusagt, ohne Gewinnabsicht nach dem Prinzip der Kostendeckung zu verfahren, und das über ein Baugrundstück zum Nulltarif verfügen kann – die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum nur in dem öffentlich geförderten, nicht aber zu Marktbedingungen in dem frei finanzierten Projektteil möglich ist, dann drängt sich die Schlussfolgerung förmlich auf, dass der Markt offensichtlich nicht in der Lage ist, das zu liefern, was dringend gebraucht wird: nämlich angemessene und bezahlbare bzw. leistbare Wohnungen für alle!

Das aber kann nur heißen: Um für alle Menschen bezahlbares und sicheres Wohnen zu ermöglichen und auch dauerhaft zu sichern, darf Wohnen nicht dem Markt überlassen werden! Jetzt, nachdem der Immobilienboom zumindest fürs Erste ausgebremst und die Bautätigkeit ins Stocken geraten ist, wird der Ruf der Immobilienwirtschaft nach staatlichen Hilfen lauter. Aber anstatt die private Wohnungswirtschaft immer weiter mit öffentlichen Mitteln zu subventionieren – über die Förderung von nur befristet preislimitierten Wohnungen, für die danach wieder die üblichen Marktbedingungen gelten, oder über die Zahlung von Wohngeld, um Haushalte in die Lage zu versetzen, die geforderten hohen Mietpreise zahlen zu können – wäre es an der Zeit, endlich darüber nachzudenken, ob diese Mittel nicht besser in die Schaffung eines kommunalen Wohnungssektors investiert werden sollten, der sich am Gemeinwohl und nicht an der Rendite orientiert.

Informationen und Einsichten, wie das gehen könnte und welche Erfahrungen andernorts schon damit gemacht wurden, werden sich im Rahmen einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Vertreter*innen der Stadt Wien gewinnen lassen, die das Bündnis für bezahlbaren Wohnraum als Teil eines größeren Veranstaltungsrahmens im kommenden Oktober plant. Der Arbeitstitel der Veranstaltung lautet: „Was kann Düsseldorf von Wien lernen?“

Helmut Schneider
Bündnis für bezahlbaren Wohnraum