Die Häuser denen, die drin wohnen

Für den 1. Juni 2023 hat sich die Gerichtsvollzieherin angekündigt. Nach einem Urteil des Amtsgerichts Köln wird sie eine Zwangsräumung vollstrecken. Nach Jahren der Beharrlichkeit im Kampf gegen Verdrängung wird damit der fast 50-jährigen Geschichte des Wohn- und Freiraumprojektes in der Kölner Palmstraße 19 ein Ende gesetzt.

Der erste Räumungstitel wäre den Bewohner*innen des fünfstöckigen Mietshauses bereits für Dezember 2021 ins Haus geflattert. Eine Frist von drei Monaten hatte die Hausbesitzerin zuvor ihren Mieter*innen gesetzt, als sie im Corona-Sommer 2021 die Kündigung wegen „Eigenbedarfs“ aussprach. Anstatt aber ihr Zuhause zu verlassen und wie gefordert im Dezember 2021 auszuziehen, wehrten sich die Menschen im Hausprojekt „P19“. Sie stellten vor dem Amtsgericht Köln in Frage, ob die Kündigung zu Recht ausgesprochen oder ob der erklärte Wunsch der Vermieterin, das Gebäude selbst nutzen zu wollen, nur vorgeschoben, der „Eigenbedarf“ also vielmehr ein strategischer Trick war, um bis dahin vergleichsweise günstig vermieteten Wohnraum an allen Mietspiegel-Richtlinien vorbei in Wert zu setzen. Im Frühling 2023 hat das Amtsgericht Köln nun den Berufungsantrag der Mieter*innen zum erstinstanzlichen Urteil zu ihrer Klage gegen die Entmietung abgelehnt. Damit steht fest, dass Anfang Juni 2023 zwangsgeräumt wird.

Palmstraße 19 ist überall

Die Bewohner*innen der Palmstraße 19 haben die Öffentlichkeit Anfang Mai mit einer Pressemitteilung über die Hintergründe der bevorstehenden Räumung informiert. Sie ordnen die Entwicklung klar ein: Für sie ist die Zwangsräumung des Wohnhauses in bester Innenstadtlage ein weiteres Symptom für Verdrängungs- und Kapitalisierungsprozesse auf dem sich wie rasend zuspitzenden großstädtischen Wohnungsmarkt. Mit dieser Einschätzung sind die „P19“-Menschen nicht alleine – die Palmstraße 19 könnte nicht zuletzt auch in anderen Städten sein, ein Mietshaus, ein Hausprojekt, eine einzelne Wohnung in Köln oder überall.

In Düsseldorf versuchte etwa eine Immobilienentwicklungsfirma im Familienbesitz noch vor Kurzem an gleich mehreren Standorten, Wohnhäuser in „Bestlage“ zu entmieten – unter dem fadenscheinigen Kündigungsgrund, die Gebäude als „Familienmitglieder“ in „Eigenbedarf“ selbst nutzen zu wollen. Ihrem Mut, sich mit anderen Betroffenen zu vernetzen und sich gemeinsam gegen die Kündigung zu wehren, ist es zu verdanken, dass die Mieter*innen die Räumungen seinerzeit verhindern und die dreiste Immobilienentwicklungsmasche in ihre Schranken weisen konnten. Denn über das Düsseldorfer „Bündnis für bezahlbaren Wohnraum“ wurde bekannt, dass die Eigentümerfamilie zu gleich mehreren Mietflächen in der Stadt als Räumungsgrund angeführt hatte, den Wohnraum für ihre Töchter nutzen zu wollen. Nur dass die Familie, deren Geschäftsmodell als Immobilienentwickler die Vermietung und Veräußerung von Luxuswohnungen ist, weniger Töchter als Wohnungen hat, die sie selbst bewohnen zu wollen vorgaben. Die Klage der Mieter*innen gegen die Räumung war am Ende erfolgreich. Zu wenig glaubhaft wirkte Immobilienentwicklerfamilie H. mit ihrem vermeintlich privaten Nutzungsinteresse vor Gericht (die TERZ berichtete fortlaufend ab Ende 2019, etwa: „Um Himmels Willen. Eigenbedarfskündigungen, Luxussanierungen und Angriffe gegen die Meinungsfreiheit“, 12.2019).

Das Amtsgericht in Köln sah die Situation der „Eigenbedarfs“-Räumung der Kölner Palmstraße 19 ganz anders. Die Richter*innen folgten der Angabe der Immobilienbesitzerin, das fünfstöckige Wohnhaus mit ihrer dreiköpfigen Familie selbst bewohnen zu wollen. Ein langjähriger Bewohner des Hausprojektes sieht den Realitätsgehalt dieser Angabe jedoch skeptisch: „Fast 50 Jahre war die Palmstraße 19 ein Wohnprojekt für unterschiedlichste Menschen“, sagt er. „Mal sehen, wie lange es dauert, bis das Haus abgerissen wird und Luxusappartements entstehen.“ Tatsächlich liegt die Annahme nahe, dass die Eigenbedarfsklage der einzige legale Weg war, das Haus nach so langer Zeit zu entmieten.

Die TERZ sprach mit Bewohner*innen der P19 über die bevorstehende Zwangsräumung, über den zurückliegenden Mietrechtsprozess und über die Bedeutung, die ein sicheres Zuhause haben kann.

TERZ Hallo Ela und Fredi – vielen Dank, dass Ihr Euch so kurz vor dem Räumungstermin die Zeit für unser Gespräch nehmt. Wir sind über Euer Statement auf Eure Situation aufmerksam geworden – so wie es aussieht, ist die nahe Zukunft der Palmstraße 19 ja schon sehr konkret. Ihr werdet Euer Zuhause verlassen müssen, wenn die Gerichtsvollzieherin anrückt. Wie habt Ihr diese Entwicklung in den letzten Wochen diskutiert, was geht Euch durch den Kopf?
Ela Wir alle sind traurig und wütend – aber auch erschöpft von den letzten Monaten. Eine Besetzung war beim ersten Räumungstermin Anfang Februar schon sehr konkret organisiert. Als der nur ein paar Tage zuvor von Seiten des Gerichts aufgehoben wurde, waren unser Haus und unsere Hausgemeinschaft fast unverändert »im Originalzustand«. Wir alle, sechs Erwachsene und ein Kind, hatten keine Wohn-Alternative. Das war eine extrem aufreibende Zeit. Wenn ich aber auf diese Frage ganz persönlich antworte: Ich erlebe die Räumung als sehr gewaltvoll. Allein um die Idee der freien Verfügbarkeit über Eigentum zu verteidigen, wird hier mit einer staatlichen Zwangsmaßnahme eine große Zerstörung angerichtet. Denn für das Gericht war nicht der tatsächliche Bedarf entscheidend: Nachdem unsere Vermieterin ihr Einfamilien-Haus mit Garten am Kölner Stadtrand verkauft hat, lebt sie seit ein paar Monaten mit ihrer dreiköpfigen Familie in einer großzügigen, seit Jahren leerstehenden Etagenwohnung nur ein paar Gehminuten von hier entfernt. Uns ist aber auch wichtig zu betonen: So wie uns in der P19 geht es vielen Menschen, die schlimmstenfalls alleine darin sind, aus ihrem Wohnraum verdrängt zu werden. Wir haben Glück im Unglück und können auf ein großes, gut organisiertes Netzwerk an Unterstützer*innen zurückgreifen. Dafür sind wir sehr dankbar.

TERZ Könnt Ihr uns noch einmal schildern, wie die jetzige Besitzerin vorgegangen ist? Wie habt Ihr das Gerichtsverfahren wahrgenommen – gab es da einen Moment, wo der Ausgang noch unklar war?
Fredi Als im September 2021 die Kündigung wegen Eigenbedarf kam, haben wir sofort Klage eingereicht. Unser Anwalt, der uns und das Haus seit Jahrzehnten begleitet, hatte uns im Vorfeld gut auf diese Situation vorbereitet. Rückblickend würde ich sagen, dass nicht Hoffnung auf Erfolg unsere treibende Kraft war, sondern die Optionslosigkeit, hier unbedingt Widerstand zeigen zu müssen.
Ela Unser Ziel war es, die P19 zu erhalten. Aber schon beim ersten Termin, als das Gericht die Verhandlung mit den schrecklichen Worten »Eine Klage gegen Eigenbedarf? Naja, jedem das Seine!« eröffnete, war uns klar, dass das alles ziemlich zermürbend werden würde. Das Verfahren selbst habe ich häufig als inneren Zwiespalt empfunden: Sich den Mühlen der Justiz auszusetzen, mit all den juristischen Definitionen von Besitz und Eigentum, die ich ablehne – und sie trotzdem auf gewisse Weise erst einmal akzeptieren zu müssen.

TERZ Das Mietverhältnis ist ja schon 2016 zum ersten Mal in Frage gestellt worden, wenn wir das richtig verstanden haben. Die jetzige Vermieterin ist als Enkelin des ursprünglichen Vermieters auf den Plan getreten und hat Euch einen neuen Mietvertrag von wirklich zweifelhafter Rechtsauslegung aufgezwungen – wie genau ist das gelaufen?
Fredi Damals ist der Hauptmieter, auf den seit 1975 der Mietvertrag lief, verstorben. Der Vertrag wurde damit rechtlich hinfällig. Die jetzige Vermieterin, zu diesem Zeitpunkt Verwalterin des Hauses, stellte einen neuen Mietvertrag nur unter einer Bedingung aus: Die damaligen Bewohner*innen mussten eine Kündigung für in fünf Jahren, also für 2021, unterzeichnen. Das kommt einer Umgehung der nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässigen Befristung von Mietverträgen gleich. Sie hat damals auch klargemacht, dass sie keinerlei Kosten für die Instandhaltung übernehmen würde. Dazu muss man wissen: Das Haus befand sich bis zuletzt im Zustand von 1975, also einfach verglaste Fenster und Kohleöfen – bis auf eine marode Ölheizung für die beiden untersten Stockwerke. Die ist im letzten Winter dann ganz ausgefallen. Und 2021, also relativ erwartbar angesichts des vermeintlichen Kündigungsschreibens, hat die Vermieterin dann auch die Kündigung wegen Eigenbedarfs eingereicht. Das spielte vor Gericht übrigens keine Rolle, allein der Wunsch nach Eigenbedarf wurde verhandelt.

TERZ Und damit wird so viel kaputt gemacht! Die Palmstraße 19 ist ohne Zweifel ja viel mehr als ein Wohnhaus. Ihr habt in Eurem Statement berichtet, dass das Haus auch ein Ort der Kultur war, ein Schutzraum und lebenswerter Ort für die unterschiedlichsten Menschen. Es ist bestimmt nicht leicht, aber könnt Ihr für uns einen Rückblick geben auf das fast halbe Jahrhundert in der „P19“? Was erinnert Ihr am meisten?
Ela In unserem Treppenhaus hing eine Liste aller Bewohner*innen seit dem 1. Mai 1975: Sie alle würden wahrscheinlich sehr unterschiedliche Antworten geben, was die P19 in ihren Augen ausgemacht hat. Mit einigen von ihnen sind wir heute noch im Kontakt und wir haben viele Schwarzweiß-Fotografien aus den letzten Jahrzehnten. Die P19 war über mehrere Jahre Spielstätte eines Puppentheaters und das Zuhause von »KAOS«, einem linken Filmteam, das »unbequeme« Dokumentationen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen platzierte – etwa über die Neue Rechte, über Arbeitskämpfe oder Geflüchtete in Abschiebehaft.
Fredi Bis zuletzt haben sich hier außerdem Initiativen und Vereine getroffen, etwa im Widerstand nach dem NSU-Nagelbombenanschlag in der Keupstraße, aber auch Vereine wie die BG1006, die ein neues Hausprojekt in Köln-Dellbrück gründet. Die P19 war zudem – und dieser Verlust wiegt womöglich am schwersten – auch ein Safe Space für Menschen, die aus persönlichen Gründen für ein paar Wochen unterkommen mussten, und es war ein sehr schönes Zuhause über viele Jahre für sechs Erwachsene und ein Kind.

TERZ Die TERZ wird voraussichtlich genau an dem Tag erscheinen, an dem der Räumungstitel vollstreckt werden soll – in der ersten Juniwoche. Was erwartet Ihr von diesem Tag? Habt Ihr für Euch als Gruppe der Bewohner*innen eine gemeinsame Perspektive für die Zeit „danach“?
Fredi Von dem 1. Juni, dem Tag der Räumung, erhoffen wir uns vor allem viele Menschen, die symbolisch für all die vielen, »unter dem Radar laufenden« Zwangsräumungen, die in Köln und überall stattfinden, auf der Straße sind. Es wird eine Band spielen, verschiedene Netzwerke und Initiativen werden sich zusammentun –
Ela – und es wird auch ein Abschied sein, für ein Haus, von dem wir uns sehr gewünscht hätten, dass es auch für die nächsten 50 Jahre eine offene Tür haben wird.

TERZ Vielen Dank für Eure offenen Worte – sehr bewegend. Wir drücken Euch von Herzen die Daumen, dass Ihr am 2. Juni mit einem Paukenschlag auf Eure Situation aufmerksam machen und von einer großen Zahl Unterstützer*innen darin begleitet werdet. Was auch immer passieren mag, wir wünschen Euch alles Gute – und kommen auch vorbei am Tag der Räumung. Palmstraße 19 ist schließlich überall.