TERZ 07/08.23 – RECHT AUF STADT
Menschen, im Niedriglohnsektor tätig sind, Empfänger*innen von Transferleistungen oder zunehmend auch Rentner*innen sind aufgrund immer stärker steigender Inflation, steigender Mieten und Energiekosten, nicht in der Lage, sich gesund und ausgewogen zu ernähren. Frisches Obst und Gemüse, gutes Fleisch oder gar Fisch ist bei den hohen Preisen für die Betroffenen gar nicht bezahlbar. Diese Umstände führen dazu, dass immer mehr industriell gefertigte Produkte auf dem Speiseplan stehen (Backofenpizza und Co., Dosenfutter, Fast Food).
Ich hab` mal ein Kind gefragt wie`n Fisch aussieht und bekam die Antwort: „Na wie die Stäbchen bei meiner Mama im Kühlschrank!“ Die Folgen: schon bei den Jüngsten sind Adipositas (Übergewicht), allgemeine Mangelerscheinungen und speziell Vitaminmangel und Diabetes an der Tagesordnung. Den Rest überlasse ich den Wissenschaftler*innen und denen, die sich besser auskennen.
Man hört und sieht es in den sozialen Medien, sogar aus der Politik tönt es: „Wenn ihr nix habt, geht doch zur Tafel. Da kostet dat alles nix und is´ doch noch gut.“ Dazu
1. Die Tafeln in Deutschland sind am Limit oder schon total überlastet und können keinen mehr aufnehmen.
2. Eine hohe Zahl an Kund*innen bei weniger werdende Spenden von Supermärkten und anderen (die verkaufen die früher gespendeten Lebensmittel jetzt unter dem Deckmantel „Wir retten Lebensmittel, selbst!“)
3. Zuletzt tut sich bei mir (warum nicht bei den Zuständigen?) die Frage auf: Sind denn die Tafeln in unserem reichen Land für die Grundversorgung zuständig???
Kommen wir mal zum Thema Ausgrenzung: Ein Aufschrei erschallt durch unsere Republik „Gibt´s bei uns nich´, steht im Grundgesetz oder so!“ Fängt bei den Jüngsten an und geht bis in`s hohe Alter! Wie dat geht erzähle ich euch im nächsten Absatz.
Haste kein Geld, kannste nicht zum Frisör, schneidest dir und den Deinen die Haare selbst. Fällt ja gar nich auf!!! Warum gucken denn alle so blöd? Haste kein Geld, kannste keine guten und tollen Klamotten kaufen, musste in Billigläden oder und die Kleiderkammer. Oder wenn du Glück hast kriegste paar abgelegte Sachen geschenkt. Oder aus`m Sozialkaufhaus. Folge: Deine Kinder werden in der Schule zu Außenseiter*innen (Gruppenzwang z. B.). Du selbst wirst auf der Straße komisch angeguckt, (bist ja nicht up to date)! Ist das keine Diskriminierung??? Problematisch wird es insbesondere für Kinder! Wie bezahle ich die Klassenfahrt, den Ausflug, den Sportverein, die Sportklamotten? Du selbst steckst nur zurück. Urlaub, wat is dat? Hab vergessen was das ist. Treffen mit Freunden? War´n alle irgendwann weg als der Abstieg begann, keiner mehr da! Jetzt soll mir einer erzählen, ich befinde mich nicht außerhalb der Gesellschaft!!!
Wie alle wissen leidet der ÖPNV unter chronischem Geldmangel (wir auch!!!). Folge: hohe Ticketpreise z. B. Einzelticket A kostet in Düsseldorf 3.50 Euro. Das Sozialticket ca. 42.- Euro (im Abo 36.22 Euro) pro Person, wohlgemerkt! Wie soll eine Familie das stemmen?
Derjenige, der bei soviel Not kein Kopfkino kriegt und der Verzweiflung nah ist, muss schon ein ganz Besonderer sein. Nicht alle schaffen das. Der Sucht wird damit der Weg geebnet! Besonders krass wird die Kiste, wenn alle Stricke reißen: Konntest alles nicht mehr ertragen, wolltest nur ein bisschen vergessen. Als Du am nächsten Morgen wach wurdest, waren die Probleme immer noch da. Trinken wir noch einen, wird schon alles gut .Nix wird gut. Alkohol ist doch keine Lösung, erzählen dir die ganzen „Besserwisser*innen“! Stimmt doch garnicht: Alkohol ist das „beste Lösungsmittel aller Zeiten“!
Alkohol löst Ehen und Beziehungen auf.
Alkohol löst Wohnungen auf.
Alkohol löst Konten auf.
Alkohol löst Arbeitsverhältnisse (sofern vorhanden) auf.
Anmerkung: Gilt für alle Drogen!!!
Wenn du soweit bist – ohne Wohnung, ohne Perspektive, ohne Sicherheit und haltlos – wird das Überleben auf der Straße extrem unruhig und teuer! Kannst ja nix auf Vorrat kaufen, hast ja keinen Schrank geschweige einen Kühlschrank. Kochen kannste auch nicht, hast ja keinen Herd. Klar, werden viele sagen, es gibt doch Tagestreffs, Armenküche und Co. Kriegste doch günstig wat zu Futtern. Stimmt alles, aber als Obdachloser ist man immer unterwegs. Da kriegste zwischendurch mal Hunger, Durst sowieso. Also belegtes Brötchen von Bäcker, wat Warmes zwischendurch brauchste auch. Also, Pommes / Mayo und ´nen Kaffee auf die Kralle. Geht auch, is´ nur sehr teuer auf Dauer!
Ach, fast vergessen: da ist ja auch noch unsere Sucht, also noch´n Bier und nen Schnaps! So, genug gelaufen. Da is `ne Bank – ausruhen angesagt. Hast gerade deine Klamotten abgelegt, durchgeschnauft, is´ et mit Ausruhen schon wieder vorbei: „Das Lagern ist im öffentlichen Raum verboten!“ Die Obrigkeit in Form von zwei kräftigen Jungs vom Ordnungsamt. „Ich lager doch gar nich´, will doch nur ein bisschen ausruhen. „Auch noch frech werden! Platzverbot!!!“. Komisch ist nur: Jeder andere sitzt stundenlang auf derselben Bank, aber der hat ja keinen Rucksack und keine Penntüte dabei. Soviel zu „Die Stadt gehört allen.“ Es sind nicht alle gleich.
Ach, hab ich fast vergessen, ich muss ja noch zum Doc, hab ja keine Medis mehr. Is weit dahin, und der Medi-Bus is´ nur zu bestimmten Zeiten da. Schaff ich zu Fuß gar nich´. Also rein inne Bahn. Mist, hab kein Geld mehr für`n Ticket. Muss aber hin, ohne Medis geht gar nich´. Hoffentlich kommt kein Kontrolletti ... „Die Fahrausweise bitte!“ Pech gehabt, zum vierten Mal in diesem Jahr. Das erhöhte Beförderungsentgeld kann ich nich´ zahlen, konnte mir ja auch kein Ticket kaufen. Kommt die ganze Sache vor Gericht. Hier werden die schweren Geschütze ausgepackt: §265a StGB - jener unsägliche §265a aus der dunklen Zeit 1935. „Erschleichen von Leistungen!“ Wird jedenfalls eine Geldstrafe und wenn du nicht zahlen kannst: Ersatzfreiheitsstrafe, bei Mehrfachtäter*innen sogar Strafhaft. Zahlen kann ich eh nich´, hätt´ mir ja sonst `n Ticket gekauft. Heißt in diesem Fall sechs Monate Knast! So, jetzt fangen wir mal an zu rechnen: vier mal fahren ohne Fahrschein - Hin und Rückfahrt - wären in Düsseldorf 28,- Euro. Ein Tag Haft in NRW kostet ca. 180,- Euro, das sind für sechs Monate ca. 32.400,- Euro. Von den Steuergeldern der Nation! Und das ist kein Einzelfall, in unserem Land sitzen tausende Menschen in Haft, weil sie arm sind und sich den teuren ÖPNV nicht leisten können. Welch´ eine Bestrafung für so ne schwere Straftat!!!
Mensch, wat kannste mit soviel Kohle Gutes tun, z. B. einen bezahlbaren ÖPNV. Das Ende meiner Geschichte – die nicht nur meine ist: du bist vorbestraft, also kriminell, du bist krank geworden und wirst von den „Normalos“ schief angeguckt und möglichst gemieden. Wir werden außerhalb der Gesellschaft abgestellt, das betrifft nicht mehr nur Einzelne sondern inzwischen fast ein Viertel der Gesamtbevölkerung.
Hallo Politik, hallo Gesellschaft! Wir wollen nix Gratis, wir wollen nur Leben, nicht nur Überleben.
An einem konkreten Beispiel möchte ich euch einmal zeigen wie viel Geld eigentlich zur Verfügung steht (die Zahlen sind mein eigenes Einkommen!):
508,04 Euro Erwerbsminderungsrente
236,71 Euro Grundsicherung
= 744,75 Gesamteinkommen.
Davon müssen nun alle Rechnungen und Verpflichtungen beglichen werden! Ausgaben:
293,75 Euro Mietanteil
32,00 Euro Stromanteil
36,22 Euro Sozial-Ticket
15,00 Euro Telefonkarte
13,00 Euro Anteil an Internet-Gebühr
12,50 Euro Anteil an Kredittilgung
4,45 Euro Anteil an Kontoführungsgebühren
4,50 Euro Versicherung
= 333,33 Euro Rest bei dreißig Tagen je Monat = ergibt sich ein Betrag von sagenhaften 11,11 Euro pro Tag!
Wer jetzt noch einmal erzählt, wir hätten doch genug zum Leben, den möchte ich bitten, mir einmal vorzumachen wie er das anstellt!
Django (aka Ludwig Marchlewitz)
Ehemals obdachlos und immer noch gerne FiftyFifty-Verkäufer. Besonderen Dank geht an meine Moni (meine Frau), ohne die ich nicht da wäre, wo ich mich jetzt befinde!