TERZ 10.23 – TEURER WOHNEN
Das magische Denken, eine Sache würde verschwinden, wenn mensch sie nur anders nennt oder gar nicht erst darüber redet, lässt sich (zum Glück) nicht auf Dauer gegen die realen Verhältnisse durchhalten. Die kapitalistische Wirklichkeit war nie verschwunden, nur weil sie „soziale Marktwirtschaft“ genannt wurde.
Klassen und Klassenkampf waren nie aus der Welt, nur weil es lange verpönt war, die Dinge beim Namen zu nennen. Immobilienwirtschaft und Wohnungspolitik sind da keine Ausnahmen. Über Immobilienblasen wurde so lange geschwiegen, bis die Gefahr, die real existierenden Blasen könnten mit unabsehbaren Folgen platzen, nicht mehr zu leugnen war. Wer bis vor kurzem von Wohnungsnot in Deutschland oder gar im reichen Düsseldorf gesprochen hat, musste sich vorwerfen lassen, mit unzutreffenden Behauptungen übertriebene Panikmache zu betreiben. Inzwischen räumt aber selbst der Düsseldorfer Oberbürgermeister Dr. Stephan Keller ein: „Die Wohnungsnot ist in Düsseldorf ein Kernproblem“. (Rheinische Post 12.9. 2023)
Wenn lange gemiedene Begrifflichkeiten wieder Eingang in den politischen Sprachgebrauch finden, ist das gewöhnlich Ausdruck einer veränderten Realität. Auf die Immobilienwirtschaft trifft das jedenfalls zu. Nach einem über zehnjährigen Boom steckt die Branche inzwischen in einer schweren Krise. Die Zahl der Unternehmen, die Insolvenz anmelden mussten, hat in letzter Zeit stark zugenommen: Nach der De-facto-Pleite der Adler Group hat es inzwischen eine ganze Reihe weiterer Immobilienunternehmen getroffen, die meist auch mit Projekten in Düsseldorf vertreten sind: Project Immobilien, Centrum, Euroboden, Gerschgroup, Development Partner, Aka Group lautet die vorläufige Liste. „Sieht aus, als ob die Blase platzt“, lässt die Schweizer Bank UBS verlauten, die jährlich einen „Blasenindex“ herausgibt: „Wir haben den stärksten Preisrückgang seit gut 15 Jahren – seit der globalen Finanzkrise“ (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 21.9.23). Im besonders stark betroffenen Frankfurt am Main sind die Preise für Wohnimmobilien in einem Jahr um 20 % gefallen. Zugleich verschärft sich die Wohnungsnot, weil der Neubau von Wohnungen weitgehend zum Erliegen gekommen ist.Gleichzeitig steigen die Wohnungsmieten kräftig an. Die Nachfrage ist weiter hoch, auch weil jetzt potentielle Wohnungskäufer*innen, die sich den Erwerb von Eigentum nicht mehr leisten können, aber bereit sind, auch höhere Mieten zu zahlen, auf den Wohnungsmarkt drängen. In den sieben größten Städten in Deutschland, darunter auch Düsseldorf, sind die Wohnungsmieten in den vergangenen zehn Jahren im Durchschnitt um 55 % gestiegen, während das durchschnittliche Haushaltseinkommen nur um rund 32 % zugelegt hat. Immer mehr Haushalte müssen mehr als 30 % ihres Einkommens für die Wohnkosten aufbringen.
Wohnen ist für alle Menschen ein Grundbedürfnis, es ist eine elementare Existenzbedingung und die Voraussetzung für ein würdevolles Leben. Darüber hinaus ist Wohnen auch ein Grundrecht, das in der 1948 von der UN beschlossenen Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verbrieft ist. Leider lässt sich dieses Recht aber nicht individuell einklagen. Unter marktwirtschaftlichen Bedingungen wird dieses Grundrecht ständig und massenhaft verletzt. Während des über zehnjährigen Immobilienbooms wurde viel spekuliert, aber ebenfalls gebaut, auch Wohnungen, aber bei weitem nicht genug. Vor allem wurde aber viel zu wenig von dem gebaut, was dringend gebraucht wird: bezahlbarer Wohnraum nämlich. In der aktuellen Krise ist der Wohnungsneubau fast vollständig zum Erliegen gekommen, weil sich Bauen für Immobilieninvestoren derzeit nicht lohnt. Wohnungsmangel und damit die Wohnungsnot nehmen deswegen auch in Düsseldorf immer größere Ausmaße an. Daraus lässt sich nur ein Schluss ziehen: Egal ob Boom oder Krise – der Markt ist ganz offensichtlich nicht in der Lage, das Grundbedürfnis Wohnen für alle Menschen zu befriedigen! Das aber wirft die grundsätzliche Frage auf, welche Alternativen es zu den vorherrschenden, ganz offensichtlich untauglichen marktwirtschaftlichen Lösungen für das Wohnungsproblem gibt.
Auf der Suche nach Antworten auf diese Frage fällt meist recht schnell der Name Wien. Was ist in Wien wohnungspolitisch anders als in deutschen Großstädten? Der Hauptunterschied lässt sich mit wenigen Angaben beschreiben. In Wien befinden sich rund 26% des gesamten Wohnungsbestandes im Eigentum der Gemeinde. In Gemeindewohnungen leben rund 500.000 Menschen, mehr als ein Viertel der Einwohner*innen Wiens. Keine andere Stadt in Europa besitzt so viel Wohnraum, der dem Zugriff des Marktes entzogen ist. Natürlich gibt es auch in Wien spekulative Wetten auf steigende Immobilienpreise. Möglich ist das aber nur mit Immobilien, die sich in privatem Eigentum befinden. Auf den beträchtlichen kommunalen Immobilienbestand haben Spekulant*innen keinen Zugriff. Die Stadt Wien hat sich mit der Bewahrung dieses historischen Erbes aus der Zeit des „Roten Wiens“ in den 1920er Jahren ein wichtiges Instrument gesichert, um gegen den Druck des Marktes handlungsfähig zu bleiben und dämpfend auf die Renditen der Immobilienwirtschaft einzuwirken.
In Wien unterliegen über 60% aller Mietwohnungen einer dauerhaften Preisbindung. Dazu tragen neben dem kommunalen Gemeindebau auch die Genossenschaften und gemeinnützige Wohnungsunternehmen bei. Diese Wohnungen bleiben damit langfristig auch für Haushalte mit geringeren Einkommen bezahlbar, da für sie das Prinzip der Kostenmiete gilt. Das ist möglich, weil anders als in Deutschland in Österreich die Wohnungsgemeinnützigkeit nicht abgeschafft wurde. Gemeinnützige Mietwohnungen bleiben dauerhaft bezahlbar und sicher. Sie sind dem Zugriff von Investoren entzogen, für die Wohnungen nur Anlageobjekte sind, die möglichst hohe Renditen abwerfen sollen.
Die Wiener Verhältnisse lassen sich natürlich nicht direkt auf andere Städte übertragen. Der Wiener Mietwohnungsbau hat eine lange Geschichte, die bis in die Zeit des „Roten Wiens“ in den 1920er Jahren zurückreicht. Damals wurde preisgünstiges Wohnen zum sozialen Recht erhoben, eine historische Leistung, die bis heute nichts an Aktualität verloren hat.
Von allen Großstädten Europas hatte Wien nach dem Ersten Weltkrieg die schlechtesten Wohnverhältnisse. Auf städtischen Freiflächen und neuen Rodungen am Rand des Wienerwaldes entstand ein Ring informeller Siedlungen („Bretteldörfer“) rund um die Stadt, getragen von einer schon vor 1914 existierenden Kleingarten- und Siedler*innenbewegung. Die Forderung zur Errichtung von Gartenstädten nach britischem Vorbild setzte sich allerdings nicht durch. Die sozialdemokratische Wiener Stadtregierung entschied sich damals für den Geschosswohnungsbau, der sich einfacher, schneller und kostengünstiger realisieren ließ. Ein im Jahr 1923 beschlossenes Wohnbauprogramm sah pro Jahr den Bau von 5.000 neuen Wohnungen vor. Insgesamt war zunächst ein Volumen von 25.000 Wohnungen geplant – bis 1934 wurden aber sogar 65.000 Gemeindewohnungen errichtet.[1] Es entstanden vor allem großformatige Wohnhöfe und „Superblocks“ wie zum Beispiel der Karl-Marx-Hof in Heiligenstadt: ein über einen Kilometer langer Gebäuderiegel mit insgesamt 1.300 Wohneinheiten.
Möglich war das nur durch eine an den Bedürfnissen der Arbeiter*innenbevölkerung orientierten Finanzpolitik der damaligen Stadtregierung. Eine scharf gestaffelte Wohnbausteuer traf vor allem die Eigentümer*innen von Villen, noblen Stadthäusern und Luxuswohnungen. Der sozialdemokratische Finanzstadtrat Hugo Breitner wurde deshalb von den Konservativen als „Steuerbolschewist“ beschimpft. Die Einnahmen flossen in den Wohnungsbau. Die Mieten wurden auf Vorkriegsniveau eingefroren, Vermieten von Wohnungen wurde dadurch unrentabel, Immobilienspekulation war nahezu unmöglich. In der Folge brachen die Bodenpreise drastisch ein. Das versetzte die Stadt Wien wiederum in die Lage, in großem Stil innerstädtische Grundstücke zu erwerben, auf denen dann kommunale Wohnungen errichtet werden konnten. Nach heutigen Maßstäben entstanden damals eher kleine Ein- und Mehrzimmerwohnungen mit bescheidener Ausstattung. Sie hatten aber einen entscheidenden Vorteil: Diese Wohnungen konnten sich Arbeiter*innenfamilien tatsächlich leisten. Nur zwischen zwei und sieben Prozent eines normalen Einkommens mussten für die Miete aufgebracht werden![2] Im „Roten Wien“ gelang es auf diese Weise, die Wohnungsnot breiter Bevölkerungsschichten zu beseitigen.
Während in Österreich die Wohnungsgemeinnützigkeit nie aufgehoben wurde, hat der Deutsche Bundestag im Jahr 1990 mit CDU-CSU-FDP-Mehrheit dieses wohnungspolitische Instrument abgeschafft. Das Argument: Der Markt könne die Versorgung mit Wohnraum auch ohne staatliche Regulierung gewährleisten, bei sozialen Notlagen gebe es Einzelfalllösungen. Die über 30 Jahre zurückliegende Parlamentsentscheidung war ein schwerer politischer Fehler, wie man heute wissen kann. Öffentlich geförderte Sozialwohnungen unterliegen seitdem in Deutschland nur einer befristeten Preis- und Belegungsbindung, die Frist beträgt je nach Förderkonditionen zwischen 10 und 30 Jahren. Danach können die Eigentümer*innen diese Wohnungen zu Marktpreisen neu vermieten oder verkaufen. Die Beseitigung der Wohnungsgemeinnützigkeit hatte darüber hinaus zur Folge, dass kommunale Wohnungsbestände in großem Stil privatisiert und damit zu Anlageobjekten renditeorientierter Investor*innen wurden, für die nicht Bedürfnisse und Bedarf zählen, sondern nur die zahlungsfähige Nachfrage.
Die Auswirkungen lassen sich am Beispiel Düsseldorfs illustrieren: In der Landeshauptstadt haben ca. 148.000 Haushalte, ungefähr die Hälfte der Miethaushalte, Anspruch auf eine öffentlich geförderte, preiswerte Sozialwohnung. Allerdings klaffen Anspruch und Wirklichkeit weit auseinander, denn aktuell gibt es in der Stadt nur knapp 15.600 Sozialwohnungen, die gerade einmal 4,3% des gesamten Wohnungsbestandes ausmachen. Das bedeutet, dass von den anspruchsberechtigten Haushalten nur jeder zehnte überhaupt die Chance hat, tatsächlich in eine Sozialwohnung einziehen zu können! Verschärfend kommt hinzu, dass der ohnehin geringe Bestand an Sozialwohnungen noch weiter zurückgehen wird, da in Düsseldorf im Zeitraum 2021 bis 2031 über 9.000 Sozialwohnungen aus der Bindung fallen werden. Nach allen bisherigen Erfahrungen und vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Krise der Immobilien- und Bauwirtschaft wird es nicht gelingen, diesen Verlust durch den Neubau von Sozialwohnungen zu kompensieren. Und dabei ist noch gar nicht davon die Rede, wie die riesige Bedarfslücke bei Sozialwohnungen, die geschätzt bei über 130.000 Wohnungen liegt, geschlossen werden kann! Politische Antworten auf diese Frage gibt es bisher nicht. Von diesem Ziel wäre man selbst dann noch meilenweit entfernt, wenn die Ankündigungen der von Oberbürgermeister Keller ausgerufenen „Wohnbauoffensive“ tatsächlich umgesetzt würden – was aus heutiger Sicht ohnehin eher unwahrscheinlich ist.
Lernen lässt sich, die Wohnungsgemeinnützigkeit so rasch wie möglich wieder einzuführen. Lernen lässt sich darüber hinaus, seitens der Kommune alle verfügbaren Mittel des Vorkaufsrechts bis hin zur Enteignung zu nutzen, um die Kontrolle über ihren Grund und Boden zu erlangen, damit der Immobilienspekulation Einhalt geboten werden kann. Lernen lässt sich schließlich, dass es eines dem Markt entzogenen gemeinnützigen kommunalen Wohnungssektors bedarf, für den Wohnraum kein Spekulationsobjekt ist, sondern ausschließlich der Befriedigung eines menschlichen Grundbedürfnisses dient. Anders als die Stadt Wien kann Düsseldorf dabei nicht auf einem historischen Erbe aufbauen, das den Weg zu einer marktfernen Wohnungspolitik begünstigen würde. Es geht um nichts weniger als den Bruch mit einer investor*innengesteuerten Wohnungspolitik. Es geht um eine Wohnungspolitik, die sich am Gemeinwohl und nicht an der Rendite orientiert.
Realisieren lässt sich das nicht von heute auf morgen. Beginnen könnte mensch aber sofort mit dem Einstieg in eine andere, nicht an Markt und Rendite orientierte Wohnungspolitik. Das setzt allerdings den entsprechenden politischen Willen voraus. Die Stadt Düsseldorf könnte sich etwa darum bemühen, aus der Konkursmasse der derzeit reihenweise in die Insolvenz geratenden Immobilienunternehmen günstig Grundstücke zum Verkehrswert (nicht zum Marktwert) zu erwerben – aber nicht, um sie dann postwendend den nächsten Investor*innen weiterzureichen, sondern um selbst nach Wiener Vorbild in den kommunalen Wohnungsbau einzusteigen. Das wäre dann eine Wohnbauoffensive, die ihren Namen auch verdient hätte.
Helmut Schneider, Bündnis für bezahlbaren Wohnraum Düsseldorf
[1] Zum Vergleich: Die vom Düsseldorfer OB Keller verkündete „Wohnbauoffensive“ sieht den Bau von 8.000 Wohnungen bis 2030 vor, also 1.000 pro Jahr. Von wem und auf welchen Flächen diese Wohnungen gebaut werden sollen, ist allerdings noch genauso ungeklärt wie die Finanzierung.
[2] Zum Vergleich: In Düsseldorf müssen nach einer Erhebung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2018 über die Hälfte der Miethaushalte mehr als 30 % ihres Einkommens für die Wohnkosten aufbringen.
Eine andere Wohnungspolitik ist möglich! Was kann Düsseldorf von Wien lernen?
Di., 17.10., FFT, KAP 1, 18:30, Eintritt frei
Düsseldorf ist eine reiche Stadt – und eine wachsende Stadt, in der viel gebaut wird. Dennoch herrscht Wohnungsnot. Der Markt ist nicht die Lösung, sondern das Problem.
In Wien hingegen werden 60 Prozent der Mietwohnungen dauerhaft sozial gefördert. Keine andere Stadt in Europa besitzt so viel Wohnraum, der dem Zugriff des freien Marktes entzogen ist. Wie ist das zu erklären? Kann das Wiener Modell angesichts der anhaltenden Wohnraumkrise ein Vorbild für andere Städte sein? Und was kann eine Stadt wie Düsseldorf von Wien lernen?
Antworten auf diese Fragen verspricht der Vortrags- und Diskussionsabend mit Christian Schantl, Vertreter von „Wiener Wohnen“. Als städtische Institution ist „Wiener Wohnen“ für den kommunalen Wohnungsbestand und Wohnungsbau zuständig, darunter die 220.000 Gemeindewohnungen, in denen rund jede*r vierte Einwohner*in Wiens lebt. Im Anschluss daran sollen im zweiten Teil der Veranstaltung in einer Diskussion die Wiener Verhältnisse auf die wohnungspolitische Situation in Düsseldorf bezogen werden: Wie lässt sich hier bezahlbarer, sicherer und angemessener Wohnraum nicht nur für wenige, sondern für alle Bewohner*innen spürbar ausbauen und dauerhaft erhalten?