Plattenpredigt

von Mrs. Cave und der Oberbilker

Nachdem wir im letzten Monat Sixto Rodriguez ein Special gewidmet haben und nächsten Monat hoffentlich Rikk von Raccoone Records interviewen können, wollen wir euch in der Oktoberausgabe Neuerscheinungen vorstellen.

Die Plattenpredigt wird von unserem Hohepriester David Eugene Edwards (16 Horsepower & Woven Hand) und seinem neuen Soloalbum Hyacinth eröffnet, erschienen im September auf Sargent House. DEE hat Hyacinth diesmal komplett alleine eingespielt und wurde dabei nur von dem Produzenten Ben Chisholm unterstützt. Der wiederum ist bekannt von den Produktionen für Chelsea Wolfe oder Converge. DEE nimmt uns an die Hand, die er uns bei seinem großartigen Köln-Konzert im Frühjahr diesen Jahres gereicht hat und führt uns noch tiefer in die Welt des mystischen Folk-/Americana-Genres ein. Gitarre, Klavier und Streicher, sowie seine, teilweise elektronisch verfremdete, verzerrte Stimme nehmen uns mit auf eine dunkle Reise. Die Klanglandschaften, die er dabei vor unserem inneren Auge erzeugt, sind wahrlich der Soundtrack für die düstere Apokalypse, die er heraufbeschwört. Er selber bezeichnet seine Musik als dräuenden Experimental-Folk und es scheint, dass er Hyacinth bewusst alleine eingespielt hat, um sich noch mehr der Spiritualität und seinem „christlichem“ Glauben widmen zu können.

Die Reise ist dunkel, aber am Ende des Tunnels ist immer ein Licht.

Wer erinnert sich noch an das Idles Konzert im zakk im November 2018 und den damaligen Support? John aus UK waren das, die damals die Abrissparty eingeleitet haben. Ein denkwürdiger Abend von dem Mrs. Cave und ich heute noch gerne erzählen. Der Name John bezieht sich auf die beiden Mitglieder, Johnny Healy (Gitarre) und John Henry Newton (Gesang, Schlagzeug). Die Eigendarstellung der beiden ist so etwas von zutreffend und drückt alles aus, was die Band ausmacht: Four arms, four legs, two heads, wood, metal and plastic. A band of two Johns from Crystal Palace, London, UK. Wo andere Bands mit vier, fünf oder sogar 6 Musiker*innen auf der Bühne stehen und die Crowd lediglich zum Wippen bringen, reichen hier einfach John (Times Two) aus. Eine unglaublich harsche Gitarre, Schreigesang und das druckvolle, treibende Schlagzeug machen John (Times Two) zu der Post-Punk-Version von Mantar! Das vierte Album A Life Diagrammatic, erschienen diesen September auf Brace Yourself Records und Pets Care Records, ist der momentane Höhepunkt der Bandkarriere. Geadelt wird ALD durch eine Spoken-Word-Performance von dem Schauspieler Simon Pegg (Shaun Of The Dead) beim Song Media Res und Backing Vocals von Barry Adamson (ehemals Nick Cave And The Bad Seeds) bei dem Song Riddley Scott Walker. Laute und leise Parts wechseln sich ab, bauen einen packenden Spannungsbogen auf und lassen Album #4 nie langweilig werden! Hoffentlich kommen Johnny und John noch mal auf das Europäische Festland um die Abrissparty zu vollenden. Noch sind unsere Ohren nicht komplett zerschossen!

Ein Label, das Mrs. Cave und mich schon lange begleitet, ist Italians Do It Better aus Los Angeles. Label-Mastermind ist der umtriebige Johnny Jewel aka John Padgett. Pop, Synthi, Italo-Disco und Soundtracks verschmilzt er zu einem einzigartigen, einprägsamen, oft glasklaren, unterkühlten Sound. Was auch daran liegen mag, dass JW fast alle IDIB-Veröffentlichungen selber produziert bzw. federführend, mitwirkt. Der Soundtrack für den Film Lost River, das Regiedebüt des Schauspielers Ryan Gosling, wurde zum Beispiel von JW produziert und kuratiert. Auf diesem sind dann auch die beiden Aushängeschilder und Referenzbands des Labels, die Chromatics und Glass Candy vertreten. Widmen wir uns aber der letzten Veröffentlichung des Labels vom Oktober diesen Jahres. Main Character von Glüme aka Glüme Viola Harlow, einer amerikanischen Sängerin, Schauspielerin, Tänzerin sowie Model aus LA. Bittersüßer Elektro-Pop erwartet uns, teils an der Grenze zum Kitsch, der aber immer noch die nötigen Kanten hat, um auch so alte Metalheads und Punkrocker wie Mrs. Cave und den Oberbilker zu begeistern. Die hochkarätige Unterstützung trägt natürlich dazu bei, dass dieses abwechslungsreiche Pop-Album immer wieder auf dem Plattenteller landet. Sean Ono Lennon, Rufus Wainwright geben sich die Studioklinke mit Starfucker (STRFKR), Of Montreal, und Johnny Jewel in die Hand. Verpackt in Electro-Pop, Balladen, Dancetracks und Discohits bearbeitet Glüme ihre nicht gerade unbeschwerte Kindheit als Kinderstar in Hollywood.

Johnny Jewel hat in Interviews John Carpenter als einen seiner Einflüsse genannt. Da ist es naheliegend, dass wir uns, passend zum Herbst und Halloween der Anthology II (Movie Themes 1976-1988) zuwenden. Der Großmeister des Horrorfilms hat ja für einen Großteil seiner Filme die Soundtracks selber komponiert und so einen unvergleichlichen Wiedererkennungswert für seine Filme geschaffen. Erschienen diesen Oktober ist Anthology II die Fortsetzung von Anthology (Movie Themes 1974-1998) aus dem Jahr 2017. Waren auf Anthology hauptsächlich die Haupt-Titel seiner Filme vertreten, sind auf Anthology II diesmal verschiedene „Untertitel“ versammelt. Von Halloween, Laurie‘s Theme über Themes aus Halloween II und III, bis hin zu Julie‘s Dead, Assault On Precinct 13 oder Walk To The Lighthouse, The Fog. Wieder auf Sacred Bones Records in liebevoller Aufmachung mit ausgestanztem Cover, farbigem Vinyl[1], bedruckten Innenhüllen mit Fotos, Notizen und Flyer erschienen. Sacred Bones Records aus New York ist ja schon länger das neue Zuhause von John Carpenter und veröffentlicht seine Soundtracks und Alben. Ja auch Soloalben hat JC veröffentlicht, und die brauchen sich nicht hinter seinen Scores zu verstecken! In Lost Themes I, II und III solltet ihr unbedingt mal reinhören und dem Meister des Horrors huldigen.

Das Konzert der Holländer Lewsberg am 05.09.23 in der Kassette, die dann ja zum 30.09.23 ihre Türen leider für immer geschlossen hat, haben wir leider vergessen und somit auch verpasst. Was umso ärgerlicher ist, da Album Nummer 4, Out And About, nahtlos an das Mini-Album In Your Hands[2] aus dem Jahr 2021 anschließt. Jay Kay meinte zum Konzert nur: Wie alte Velvet Underground. Dem können wir uns beim Anhören des neuen Albums nur anschließen. Langsam, aber trotzdem catchy, ist Lewsberg mit IYH beim Low-Fi Indie-Pop wieder ganz weit vorne dabei! Shalita Dietrich (Bass, Gitarre & Gesang), Marrit Meinema (Schlagzeug, Gesang), Arie van Vliet (Gitarre, Violine & Gesang) und Michiel Klein (Gitarre, Keyboard) lassen uns vergessen, das wir einfach zu jung sind, um Velvet Underground jemals live gesehen zu haben. Bei der nächsten Show sind wir auf jeden Fall dabei!

Wie in der letzten TERZ angekündigt, haben die Ruhrpottler Menschenstaub am 14.10.23 mit einer beeindruckenden Performance Witching aus Philly im Linken Zentrum unterstützt. Mit im Gepäck ihr Debütalbum Fäule. Beim Anhören im heimischen Wohnzimmer meinte Mrs. Cave nur: Die verstehen ihr Handwerk! Dem kann ich mich nur anschließen, Sluge-Crust-Geballer wie es auch Mitte der 90ger bei den einschlägigen Festivals in Beverlo (B), Zichem (B) oder Lüttich bestens angekommen wäre. Wehmütige Erinnerungen an die Zeit, in der ich Deodorant nur vom Hörensagen kannte und wir mit dem (Koch-) Kommando Rote Rübe jedes Wochenende in der näheren oder auch weiteren Umgebung unterwegs waren. Keine Hausbesetzung oder Gegendemonstration zu den fast wöchentlich stattfindenden Naziaufmärschen, sowie Punk-/HC-Festivals bei denen wir nicht vegane VoKü kredenzten. Wir waren das erste und auch das trinkfesteste vegane Kochkommando, sahen alle aus wie Muttis Lieblingsschwiegertöchter und -Söhne. Wenn also der Bedarf besteht, die Gehörgänge mal wieder richtig durchzublasen, Menschenstaub können euch dabei behilflich sein! Witching haben im LZ nicht nur live entsprechend abgeliefert, sondern waren auch persönlich, wie auch Menschenstaub, einfach nur toll und dürfen jederzeit gerne wieder nach Düsseldorf kommen. Nicht unerwähnt bleiben soll Yürke, der mit seinem exklusiven 20-minütigem Live-Set zur Einstimmung auf das Konzert großes Kino abgeliefert und das anwesende Publikum mit offenem Mund stehen hat lassen! Alle drei Acts haben dem LZ einen wirklich „Runden Abend“ beschert, und wie heißt es so schön: Extreme Music for Extreme People.

Kurz vor Redaktionsschluss hat uns Yürke schon ein Exemplar seines Debütalbums Not Available zukommen lassen. Nach diversen selbstproduzierten Tapes, Vinyl-EPs und CDs erscheint sein allererster Longplayer (in sattlilafarbenem Vinyl) auf Hauch Records. Die Malerin Norika Nienstedt aus Düsseldorf legt mit der Covercollage „Brutalismus“ auch schon den visuellen „Klang“ vor. Not Available schleicht sich langsam um die Ecke, ist plötzlich da und dann drückt sich immer wieder der Bass mit einer Brutalität in den Magen, dass die Luft wegbleibt. Nicht so noisig wie die vorherigen Veröffentlichungen, sondern eher langsam und düster, baut sich in den 7 Tracks der dräuende Sound immer wieder neu auf, ergibt sich aber trotzdem in einen Fluss aus Bass, kratzenden Industriesounds, oder an Ascii Disko gemahnende elektronische Klänge. Bei Readiediedie habe ich zum Beispiel das Gefühl, bei der letzten Fahrt der Demeter in die Nacht und dem Grauen, das sie dort erwartet, mitzusegeln. Alle anderen Tracks sind aber auch nicht dazu geeignet, die Laune an trüben Herbsttagen zu heben und würden auch gut in einen der Carpenter-Filme wie Halloween, The Fog oder Assault On Precinct 13 passen. Vielleicht sollten wir Yürke und Carpenter mal zu einem gemeinsamen Bier einladen.

Wie schon erwähnt, wollen wir euch in der nächsten TERZ-Ausgabe Rikk und Marco von Raccoone Records näher vorstellen. Die Raccoone Records Jubiläums-Ausstellung wird noch bis zum 23.11.23 bei BiBaBuze gezeigt. Bis nächsten Monat, Mrs. Cave und der Oberbilker.

[1]  Unsere Anthology II Pressung hat zum Beispiel die Farbe Blue [The Thing]. Es gibt aber auch Green [The Fog Green Galaxy] oder Blue & Yellow [Prince Of Darkness Twister] usw.
[2]  Besprechung TERZ 05.2023