Frieden und Solidarität

Im November brachte der Nahost-Konflikt in Düsseldorf viele Menschen auf die Straße.

Am dritten November-Wochenende fanden in Düsseldorf reichlich pro-palästinensische Aktionen statt. Freitagabends zogen linke Gruppen um die SDAJ unter der Losung „Freiheit für Palästina“ von der Friedrich-Ebert-Straße zum Oberbilker Markt. Am darauf folgenden Tag initiierten Mediziner*innen eine Kundgebung vor dem Hauptbahnhof. Zudem nahm die Demonstration „Stopp die Aggression“ mit rund 1.500 Teilnehmer*innen von der Friedrich-Ebert-Straße aus Kurs auf den Landtag.

Nähere Auskünfte über „Stopp die Aggression“ waren im Vorfeld nicht zu erhalten. Es gab weder einen Aufruf noch eine Website mit näheren Informationen über die beteiligten Gruppen und die konkreten Forderungen. Ursprünglich wollten die Initiator*innen schon am 11.11. auf die Straße, weil dieses Datum aber den Beginn der Karnevalssession markiert und für entsprechend viel Trubel in der Stadt sorgt, einigten sich die Organisator*innen mit der Polizei auf eine Verschiebung um eine Woche.

Streit zogen dann die Auflagen nach sich. Die Polizei als Versammlungsbehörde untersagte es den Teilnehmer*innen, von „israelische(n) Verbrechen gegen den Gaza-Streifen“, „Genozid“, und „Völkermord“ zu sprechen. Die Demo-Anmelder*innen gingen dagegen vor und bekamen vom Verwaltungsgericht Köln Recht zugesprochen. Die Richter*innen sahen die inkriminierten Ausdrücke und Wendungen als noch von der Meinungsfreiheit gedeckt an.

Es mag vielleicht suspekt erscheinen, die Polizei die Grenzen des Sagbaren in einer politischen Auseinandersetzung bestimmen zu lassen und den Gerichten das letzte Wort darüber zu überlassen, wie zutreffend oder unzutreffend, grob oder noch ertragbar verletzend ein Begriff wie „Genozid“ zur Bezeichnung der Handlungen Israels ist. Aber noch suspekter erscheint es auf jeden Fall, sich das Recht, „Genozid“, „Völkermord“ und anderes im Mund führen zu dürfen, juristisch zu erstreiten.

Von diesem zugestandenen Recht wurde dann am 18. November voll umfänglich Gebrauch gemacht. „Was in Gaza geschieht, ist ein Genozid“, bekundete die Rednerin von „demonstration_nrw“ auf der Abschluss-Kundgebung und bezeichnete die Region als „Freiluft-Gefängnis“, sich als Quelle dafür auf die UN berufend. Danach gab es kein Halten mehr. Apartheid, ethnische Säuberung, Euthanasie, chemische Waffen – kaum etwas, dessen sich Israel in ihren Augen momentan nicht schuldig macht. Etwas überraschend dann der Einschub, dass sie die Geiselnahme der Hamas nicht relativieren wolle. Das Massaker vom 7. Oktober streifte sie dann zwar nicht mehr, aber immerhin …

Auf strafrechtlich Relevantes stieß die Polizei an dem Tag kaum; lediglich zu drei Anzeigen kam es. Die Ordnungshüter*innen prüfen derzeit, ob sie die Entscheidung des Kölner Verwaltungsgerichts, die Verbalinjurien gegen Israel zu erlauben, anfechten sollen. Die Einhaltung der schon bestehenden Verbote kontrollierten die Beamt*innen an dem Samstag akribisch. Transparent um Transparent ließen sie sich aus einem Lieferwagen vorlegen und nahmen es ab oder auch nicht. Einige Demonstrant*innen fanden deshalb einen „kreativen Umgang“ mit den Einschränkungen wie dem seit Anfang November nicht mehr erlaubtem Slogan „From the River to the Sea, Palestine will be free“ und hielten Schilder mit Aufschriften wie „From the *** to the *** will be free“ hoch.

Auch vor dem 18. November hatte es in Düsseldorf schon pro-palästinensische Demonstrationen gegeben. An pro-israelischen Aktionen fehlte es ebenfalls nicht. Allerdings fielen diese kleiner aus und hatten einen offizielleren Anstrich. Die „Spontanität der Massen“ brachte nicht groß etwas auf die Straße. Umso größer aber der Druck von oben. In Düsseldorf etwa bestellte der Kulturausschuss unter anderem die Intendant*innen von Schauspielhaus, Oper, Tonhalle ein, um sich berichten zu lassen, „mit welchen Veranstaltungen sie auf den Krieg in Nahost eingehen wollen“, wie es die „Rheinische Post“ formulierte. Zuvor hatte die „Interessensgemeinschaft Düsseldorfer Kulturfreunde“ sich gegen das „dröhnende Schweigen der Kulturszene“ gewandt und sich mit einem Statement an die Seite Israels gestellt.

Gegen einen solchen Bekenntnis-Zwang wendete sich der Schriftsteller Moritz Rinke in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“. „Warum ich keine der kursierenden Solidaritätsbekundungen unterschreibe“, erläuterte er ebenfalls am 18.11. in einem langen Artikel. „Ganz oft heißt es jetzt, dass man nach dem Mitgefühl für Israel ‚einen Punkt‘ zu machen habe. Nach dem Punkt gäbe es dann nichts mehr zu sagen. Und wenn doch? Dürfte ich vielleicht auch mal zwei Punkte machen? Einen nach meinem Mitgefühl für Israel und einen nach meinem Mitgefühl für die Palästinenser“, fragte er.

Ganz in diesem Sinne agierten dann zwei junge Frauen aus Köln. Die Künstlerin Kristina Bublevskaya und die Lehramtsanwärterin Zeynep Karaosman – die eine mit jüdischen, die andere mit palästinensischen Wurzeln – haben sich bei einer Fortbildung zum Thema „Rassismus und Antisemitismus“ kennengelernt und organisieren unter dem Namen „Palestinians and Jews for Peace“ Demonstrationen. Einzige Auflage: keine Fahnen. Zu derjenigen am 19. November fanden unter dem Motto „Solidarität mit allen Menschen, die vom Israel-Palästina-Krieg betroffen sind“ immerhin 2.000 Menschen zusammen. In Paris nahmen am selben Tag tausende Menschen an einem Schweigemarsch vom Arabischen Kulturinstitut zum Museum für jüdische Kunst und Geschichte teil, statt Spruchbänder und Parolen gab es nur weiße Fahnen. Das macht Hoffnung.

Jan