TERZ 12.23 – TEURER WOHNEN
.. gibt es seit Oktober 2021, Schirmherr ist OB Stephan Keller, der betont, dass Wohnungsnot in Düsseldorf ein Kernproblem sei. Die Stadt Düsseldorf fördert Housing First, es werden drei Sozialarbeiter*innen mit 30 Stunden-Stellen finanziert. Die Übernahme in die Regelfinanzierung steht noch aus.
Doch zunächst zur aktuellen Situation Wohnungsloser in Düsseldorf:
Betroffen sind schätzungsweise 3.650 Menschen. Eine genaue Zahl zu ermitteln ist unmöglich, da es eine hohe Dunkelziffer gibt und einige wohnungslose Menschen immer mal wieder bei Freund*innen oder Bekannten unterkommen und/oder dort sogar gemeldet sind. Unstrittig ist jedoch, dass die Zahl der betroffenen Menschen seit Jahren steigt, zur Zeit stark. Hauptgrund für die Wohnungslosigkeit: fehlender bezahlbarer Wohnraum.
Aktuell steht die Räumung der Baugrube hinter dem Worringer Platz an, wo ursprünglich einmal das „Grand Central“ gebaut werden sollte. Hier hat sich seit Monaten eine Platte entwickelt, wo Wohnungslose unter völlig menschenunwürdigen Bedingungen ihr Dasein fristen. Aber es hat sich zudem auf der Brache auch „Schwerstkriminalität“ etabliert, wie Miriam Koch, Leiterin des Amtes für Migration und Integration der Stadt Düsseldorf, verlauten lässt. Von Crack-Szene, Dealer*innen-Strukturen und Zwangsprostitution wissen auch Streetworker*innen, die ihre Arbeit dort tun, um die Menschen zu unterstützen.
Zwar will Ordnungsdezernentin Britta Zur (im Amt seit 1. August d. J., vorher Polizeipräsidentin von Gelsenkirchen) „allen ein Angebot für Unterkunft machen“, ein Konzept scheint es jedoch nicht zu geben. Lippenbekenntnisse, Geschwafel. Wo sollen die Menschen hin? Wieder mal Vertreibungspolitik, die betroffenen Frauen und Männer sind zum Teil schon abgewandert, bevor es mit der Räumung konkret wird. Ein Beispiel von vielen.
Zurück zu Housing First: Das Projekt beschafft Wohnungslosen unbürokratisch eine Wohnung. Dabei kümmert sich Housing First um alle Angelegenheiten von der Wohnungsvermittlung, Organisation bis zur Bereitstellung der wohnbegleitenden Hilfen. Housing First bedeutet: Es besteht von Anfang an ein normales unbefristetes Mietverhältnis mit allen Rechten und Pflichten für die Ex-Wohnungslosen.
Das Konzept Housing First wurde in den 1990er Jahren in den USA entwickelt und wird mittlerweile weltweit angeboten.
Housing First beendet einer wissenschaftlichen Auswertung zufolge bei 8 von 10 Menschen Wohnungslosigkeit langfristig.
Den Start für Housing First Düsseldorf initiierte fiftyfifty mit dem Kauf eines Mehrfamilienhauses in Gerresheim 2015. Als eigenständiger Verein wurde Housing First 2021 ausgelagert, ist jedoch nach wie vor eng verzahnt mit fiftyfifty und Asphalt e.V.
Dieser neu gegründete Verein startete dann im Oktober 2021 mit dem Kauf von zwei Wohnungen, inzwischen sind es knapp unter 50, deren Finanzierung durch Spendengelder ermöglicht wird. Anfangs versuchte das Housing-First-Team auch, Mietwohnungen von Großeigentümern wie Vonovia oder LEG an die betroffenen Menschen zu vermitteln, was sich jedoch als nicht praktikabel erwies, da die Wohnungen zumeist in einem sehr schlechtem Zustand waren und Probleme mit Hausverwaltung oder Hausmeister*innen sich als nicht lösbar erwiesen. Wohnungslose sind Unmengen von Vorurteilen und Anfeindungen ausgesetzt und stehen dann „unter besonderer Beobachtung“. Durch den Kauf der Wohnungen ist Housing First der Vermieter und Ansprechpartner, dort laufen für die ehemaligen Wohnungslosen alle Fäden zusammen, eine soziale Durchmischung mit der Nachbarschaft wird ermöglicht. Die Wohnungen haben im Schnitt eine Größe von 30-40 Quadratmetern und werden in den meisten Fällen an Einzelpersonen vermietet.
Die neu gekauften Wohnungen renoviert Housing First mit tatkräftiger Unterstützung von Jugendberufshilfe (JBH, gemeinnütziger Verein) und Franzfreunde (Franziskanische Sozialwerke Düsseldorf). Vom Jobcenter gibt es Gutscheine für die Erstausstattung mit Möbeln für Menschen, die aus der Wohnungslosigkeit kommen, was im Sozialrecht vorgesehen ist. Von Housing First wird Startkapital für Inventar wie Geschirr und was es an Kleinkram im Haushalt braucht, beigesteuert. Eingekauft wird in Sozialkaufhäusern oder auch mal bei Ikea. Auf Antrag erhalten die ehemaligen Wohnungslosen auch Bekleidungsgeld vom Jobcenter. So bietet sich den Menschen eine echte Chance, dauerhaft ein Zuhause zu haben, nach ihren Möglichkeiten einen Job zu finden und am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen. Die Betreuung und Begleitung durch Housing First bleibt bestehen, solange und so umfangreich es im Einzelfall notwendig ist. Erfahrungsgemäß geraten die ehemaligen Wohnungslosen nach etwa einem halben Jahr in eine Krise oder haben einen Durchhänger, was durch intensive Betreuung aufgefangen werden muss. Grund hierfür ist, dass den Menschen, wenn sie zur Ruhe kommen, bewusst wird, was sie in der Zeit ihrer Wohnungslosigkeit durchlebt und ertragen haben. Traumata müssen aufgearbeitet werden, denn ein ehemals wohnungsloser Mensch ist nicht plötzlich ein glücklicher Mensch, es bedarf harter Arbeit, ein Leben neu zu ordnen und zu organisieren. Die drei Sozialarbeiter*innen von Housing First Düsseldorf betreuen jeweils 15 bis 16 Klient*innen und sind damit mehr als ausgelastet.
Nach wie vor haben viel zu viele Wohnungslose keine Aussicht auf eine dauerhafte selbstbestimmte Bleibe von Housing First, es sind einfach zu wenig Wohnungen vorhanden. Die Mitarbeiter*innen von Housing First sind ständig auf der Suche nach Wohnraum; Wohnungs- und Hausbesitzer*innen, die geeignete Wohnungen an das Projekt verkaufen würden, werden dringend gesucht. Auch hier leistet Housing First Beratung und Unterstützung bei der Kaufabwicklung.
Etliche sogenannte Stufenmodelle (die Wohnungslosen sollen stufenweise wieder „in Wohnung kommen“) bestehen, z.B. Ariadne für Frauen (Diakonie), Franzfreunde (Franziskanische Sozialwerke), Don Bosco (Caritas) und Axept, die auch die Armenküche in Düsseldorf betreiben. Hier ist die Unterkunft zeitlich begrenzt und an Auflagen geknüpft. Alkohol und Drogen sind verboten, die Menschen müssen ihre „Wohnfähigkeit“ beweisen, was viele nicht leisten können. Sie sind oft nicht in der Lage, Auflagen zu erfüllen oder Therapiebereitschaft zu zeigen.
Es gibt auch keine rechtliche Handhabe, sondern Stufenmodelle stellen lediglich eine Durchgangsstation dar. Und das für Menschen, die mit ihrer Kraft und ihren Nerven am Ende sind, die Ruhe, Zuwendung und kontinuierliche Betreuung benötigen. Ein Drehtüreffekt entsteht, immer wieder aufs Neue landen die Menschen auf der Straße, weil dieses bevormundende Konzept einfach nicht passt.
Finanziert werden die Stufenmodelle u.a. vom LVR, der das Projekt Housing First zwar lobt, die Stufenmodelle jedoch bevorzugt. Ein Zynismus: ohne weiter bestehende Wohnungslosigkeit wird die Finanzierung für die Wohlfahrtsverbände nicht fortgesetzt. Ein zutiefst neoliberales Konzept, so scheint es, und eine Mitleidsökonomie.
In Finnland wurde das Prinzip Housing First zur nationalen Strategie erklärt. Dadurch konnte die Obdachlosigkeit faktisch abgeschafft werden.
Bis es in Deutschland soweit ist oder wenigstens vorangeht, braucht es ein radikales Umdenken in Bezug auf den völlig entfesselten Wohnungsmarkt, der auf maximale Profitorientierung ausgelegt ist, führt Jutta von Lindern, Diplom-Sozialarbeiterin und Vorstandsvorsitzende von Housing First Düsseldorf, aus. Dem stehe das Interesse der Reintegration von Langzeit-Obdachlosen diametral entgegen.
„Statt einer weiteren kapitalistischen Verwertungslogik großer Wohnungskonzerne braucht es die konsequente Enteignung und Vergesellschaftung von Wohnraum, um das erklärte Ziel – nämlich die Beendigung der Wohnungslosigkeit – zu erreichen.“ Politisch sei das machbar, wenn der Wille denn da wäre. Bis dahin sei noch einiges zu tun, so Jutta von Lindern.
Dabei ist Wohnen ein Menschenrecht. Dass das „Recht auf Wohnen“ viel mehr umfasst als nur ein Dach über dem Kopf, kann z.B. auf der Homepage des „Deutschen Instituts für Menschenrechte“ nachgelesen werden.
Das Versprechen der Ampelkoalition, bis 2030 die Wohnungslosigkeit zu überwinden, kann bereits jetzt als gebrochen angesehen werden, denn seit Amtsantritt von Scholz, Habeck und Lindner Ende 2021 ist so gut wie nichts geschehen, Inflation und drastischer Anstieg der Energiekosten tun ein Übriges und bringen immer mehr Menschen, die schon am Limit leben, in große Not.
Erschütternd, wie weit Anspruch und Realität auseinanderklaffen in diesem reichen Land – in dem auch im kommenden Winter wieder Menschen erfrieren werden, die draußen leben müssen, im letzten waren es 21. No Country for Poor ...
Lukas Bäumer, Sozialarbeiter bei Housing First, zitiert Bertolt Brecht in der Novemberausgabe der fiftyfifty: „Es gibt viele Arten zu töten. Man kann einem ein Messer in den Bauch stechen, einem das Brot entziehen, einen von einer Krankheit nicht heilen, einen in eine schlechte Wohnung stecken, einen durch Arbeit zu Tode schinden, einen zum Suizid treiben, einen in den Krieg führen usw. Nur weniges davon ist in unserem Staat verboten.“
Christine