Kriegsmüde?

Zur Gemütslage der Nation in Zeiten der Kriege

Milliarden einfach nur zum Leben?

„Statt Rüstungsmilliarden –
Milliarden für das Leben“

„Waffenstillstand in der Ukraine –
Öffnung des Weges zu Friedensverhandlungen“

Eine Handvoll Aktivist*innen des Düsseldorfer Appells gegen Hochrüstung und Krieg haben sich Sandwich-Plakate übergeworfen und stellen sich einem nicht abreißend wollenden Besucher*innen-Strom des Düsseldorfer Weihnachtsmarkts in den Weg. Die Reaktion des Publikums ist vorsichtig formuliert: verhalten bis desinteressiert. Nur wenige greifen bei den angebotenen Handzetteln und Flyern zu oder lassen sich gar auf ein Gespräch ein. Dabei ist die Stimmung am vorletzten Samstag vor Weihnachten zwischen Eislauffläche und Tritonenbrunnen eher gedrückt als feuchtfröhlich. Auch die Kauflaune ist eher gebremst.

Der Düsseldorfer Einzelhandel wird sich später enttäuscht über das maue Weihnachtsgeschäft äußern. Offensichtlich befindet mensch sich an der Schwelle zu einer Rezession. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einem für die Regierung niederschmetternden Verfassungsgerichtsurteil eine Konstruktion von Schattenhaushalten kassiert. Die Regierung zieht sich in Klausur zu Haushaltsberatungen zwecks Kürzungen zurück. Die Zustimmungswerte zur Ampelregierung sinken auf ein historisches Tief. Keine*r weiß, welche Zumutungen im kommenden Jahr auf einen persönlich zukommen könnten.

Wirkt da die Forderung der Aktivist*innen „Milliarden für das Leben“ nicht wie das wohlfeile Versprechen eines Weihnachtsmannes? Ist die Forderung nach zusätzlichen jährlichen 120 Milliarden für Soziales, Bildung, Gesundheit, Pflege und ökologischen Umbau nicht völlig aus der Zeit gefallen?

Poltikpause?

Angesichts der „multiple Krisen“, national bis international, wollen die meisten Menschen doch nur noch „Frieden“. Das heißt, endlich mal „Ruhe“ – zumindest über die Feiertage bis zum Jahresende. Die Politik hat bis dahin erstmal Pause.

Im Kreis der Aktivist*innen des Düsseldorfer Appells wird mensch sich später zur Aktion vom 16. Dezember fragen: Hat mensch den richtigen Ton getroffen? Den richtigen Zeitpunkt gewählt? Den richtigen Ort?

Das werden die Aktivist*innen des Düsseldorfer Appells sich bei ihrem monatlichen Treffen im Januar fragen. Und welche Ansatzpunkte gibt es für weitere Friedens-Aktivitäten? Schließlich steht am 24. Februar 2024 der zweite Jahrestag des Angriffs Russlands auf die Ukraine auf der Tagesordnung.

Der Düsseldorfer Appell ist ein offenes Bündnis von Einzelpersonen: Aktive der christlichen Friedensbewegung und der Verbände der Kriegsdienstverweigerer, Mitgliedern der VVN, Gewerkschafter und Linke ganz unterschiedlicher Herkunft und Couleur. Einige von ihnen haben sich aus dem konkurrierenden lokalen Friedensforum zurückgezogen, da sie sich hier majorisiert fühlen. Zumindest bewegt man sich bei Aktionen mit dem Forum schnell auf politisch vermintem Gelände.

Die Bombardierung Gazas und die zahlreichen pro-palästinensischen Demonstrationen in Düsseldorf sind beim Düsseldorfer Appell eher kein Thema. Die Menschen wissen ja nie so genau, an wessen Seite sie sich bei einer expliziten Unterstützung solcher Aktionen plötzlich wiederfinden könnten. Schließlich hat das Bekenntnis zum Existenzrecht Israels mit seiner Erhebung zur „Staatsräson“ quasi Verfassungscharakter bekommen. Da kann mensch durchaus ins politische Fettnäpfchen treten, zudem lauthals Antisemitismusvorwürfe gegen Teile der linken und migrantischen Bewegung erhoben werden.

Parolen für ein freies Palästina, für einen Stopp der Bombardierung des Gazastreifens, die Verwendung des G-Wortes oder des Begriffs Apartheid stehen unter Generalverdacht. Solche Transparente und Sprechchöre sind oft bis kurz vor dem Start solcher Demonstrationen Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen und Verhandlungen mit der Polizei.

Die Mitglieder des Düsseldorfer Appells sind sich völlig einig in ihrer strikten Verurteilung des Terrors der Hamas, wie sie sich auch einig sind in der Verurteilung des russischen Angriffskrieges. Aber eine migrantische Perspektive fehlt in der Runde.

Der Krieg - das große Nicht-Thema?

Über die Weihnachtszeit wird der Krieg erwartungsgemäß zum Nicht-Thema. Politikmagazine, Talkrunden und Satiresendungen haben ohnehin schon vor den Feiertagen für vier bis sechs Wochen ihre festen Programmplätze geräumt. Meldungen über die israelische Bombardierung des Gazastreifens rutschen auf die hinteren Seiten der Tagespresse, während die Zahl der zivilen Opfer in die Tausenden geht, hunderttausende sich auf der Flucht befinden, praktisch der gesamten Zivilbevölkerung durch die Abriegelung die Grundlagen ihrer alltäglichen Existenzen entzogen wurden. Es fehlt an allem: Medizinischer Versorgung, nicht zerstörter Wohnraum, Nahrungsmittel, Wasser.

In der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit wird diese Verkürzung der Berichterstattung mit Erleichterung als eine gewisse „Entspannung“ wahrgenommen. Dass dies weltweit anders gesehen wird, zeigen die verschiedenen internationalen Initiativen, einen Waffenstillstand oder zumindest eine Feuerpause durchzusetzen. Interessant ist es, die aktuelle internationale mit der nationalen Berichterstattung zu vergleichen. Beispielsweise wenn mensch das in Frankreich produzierte deutschsprachige ARTE-Journal um 19:10 Uhr neben den ARD-Tagesthemen vom gleichen Tag sieht. Auf ARTE erhält die Berichterstattung über die Lage der palästinensischen Zivilbevölkerung einen sehr viel umfassenderen Raum, während dieses Thema in deutschen Nachrichtensendungen eher den Charakter von Randnotizen hat. Die Bundesregierung enthält sich in internationalen Organisationen fest an der Seite der USA konsequent der Stimme und verhindert so bindende Beschlüsse. Nach dem terroristischen Überfall der Hamas auf Israel muss der Krieg zur Vernichtung dieser Organisation weitergehen.

Entspannung?

Auch an einer anderen Front wird „Entspannung“ signalisiert. Wunschgemäß zum Fest vermeldet die Ampelkoalition, dass die fehlenden Milliarden für einen ausgeglichenen Haushalt gefunden wurden. Ja, offensichtlich ist sogar genug Geld da, um die Ukraine-Hilfen von 4 Milliarden auf 8 Milliarden zu verdoppeln. Das scheint zumindest der Punkt, über den fraktionsübergreifend Einigkeit besteht.

Schon rein rechnerisch scheint dieses Ergebnis merkwürdig. Und jede*r spürt, dass es hinter den Türen der Ampelkoalition knirscht – und zwar gewaltig.

Aber die offiziellen Verlautbarungen zum Fest werden dankbar hingenommen, es wird einen persönlich schon nicht so hart treffen. Schließlich möchte mensch wenigstens zum Fest „ein wenig Frieden“. Es ist schließlich die Zeit der Jahresrückblicke und der Ausblicke. Mensch möchte persönlich zumindest positiv gestimmt in das neue Jahr starten, was immer da noch kommen möge. Dieses weite Feld der unterschiedlichen Gemütslagen wird in den Medien traditionell mit recht allgemein gehaltenen Beiträgen über Optimismus, Pessimismus, unangebrachten Defätismus und psychische Leiden bedient. Eine nicht unerhebliche Anzahl von Menschen ist über die Feiertage atemwegserkrankt oder fällt in Depressionen.

Neujahrsreden und Weihnachtsansprachen tun ein Übriges. Man solle nicht allzu (selbst)kritisch auf das bereits Erreichte zurückblicken, sein persönliches Anspruchsdenken überprüfen, sich in Realismus und Kompromissbereitschaft üben, denn schließlich: „You never walk alone!“

Genug ist nicht genug?

Gleichzeitig wird aber auch deutlich, dass die rüstungspolitischen Anstrengungen Deutschlands zur Erreichung des 2-Prozent-Zieles der NATO trotz 100 Milliarden Sondervermögen auf Dauer nicht ausreichen werden. Zu einer auch militärischen Führungsrolle Deutschlands bei der Unterstützung der Ukraine, die den Krieg gegen den Aggressor Russland in einem möglicherweise noch Jahre andauernden Konflikt schließlich gewinnen soll, ist es noch sehr, sehr weit.

Und genug ist hier nicht genug. Das wird schließlich deutlich, als die Ukraine-Unterstützung der Vereinigten Staaten unter die Räder des US-Vorwahlkampfes gerät: Bei einer immer weniger auszuschließenden zweiten Amtszeit von Trump könnte das bedeuten, dass dieser der NATO die kalte Schulter zeigt und es zu einem Totalausfall des Hauptzuwendungsgebers in diesem Krieg kommen würde.

Die Militärstrateg*innen haben schon in der Vergangenheit deutlich gemacht, dass es Deutschland, aber auch einer EU mit Unterstützung Großbritanniens, sehr schwer fallen dürfte, diese Lücke zu schließen. Dafür ist einfach mittelfristig kein Geld eingeplant aus dem einfachen Grund, weil es nicht vorhanden ist.

Schon heute wird deutlich, dass auch 2025 Milliarden im Bundeshaushalt fehlen werden, und der Kampf der einzelnen Ressorts hat längst begonnen.

Waffenlieferungen an Saudi-Arabien im Rahmen einer feministischen Außenpolitik! Nun, das ließe sich durchaus rechtfertigen, wenn es dem Schutze Israels dient. Das könnte ja schließlich zum industriepolitischen Vorteil Deutschlands auf den Exportmärkten gereichen.

Früher hätte es bei den Grünen einen Aufschrei gegeben, auch in großen Teilen der SPD. Jetzt wird allenfalls die fehlende Aufmerksamkeit und das angeblich mangelnde Interesse für die gescheiterte Gegenoffensive der Ukraine beklagt. Da könnte mensch doch zum Ausgleich zumindest Taurus-Marschflugkörper liefern! Wenn nur der Bundeskanzler nicht so unentschlossen wäre! Anfang Januar entdeckt die CDU diese offene Flanke und versucht mit einem Initiativantrag, diese Waffenlieferungen durchzusetzen. Und scheitert. Selbst die „Bellizist*innen in der Ampel wie Hofreiter, Roth, Strack-Zimmermann und Pistorius, die eigentlich die Lieferung der Taurus befürworten, sehen ein, dass eine solche konzertierte Aktion von Teilen des Regierungslagers mit der CDU nicht gut ankommen würde. Schließlich ist immerhin laut Meinungsumfragen eine Mehrheit der Bevölkerung (51 %) gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern.

Trendwende?

Nur noch 9% aller Deutschen haben die Hoffnung, dass 2024 der Krieg in der Ukraine endet. Das sind deutlich weniger als Anfang letzten Jahres. 44% der Menschen (+ 9%) glauben, dass es für die Beendigung des Krieges notwendig sei, dass die Ukraine bestimmte Gebiete an Russland abtritt. 41% meinen, dass die Unterstützung an die Ukraine zu weit geht, nur 12% gehen diese Unterstützung nicht weit genug. 43% sind gegen einen NATO-Beitritt der Ukraine (Umfrage infratest/dimap 4. Januar 2024). 51% sprechen sich gegen die Taurus-Lieferungen an die Ukraine aus.

Langsam werden auch die Widersprüche und Finanzierungslücken des Bundeshaushalts an allen Ecken und Enden immer deutlicher. Aber den Einzelprotesten fehlt zunächst jedes verbindende Element. Dabei ist schon jetzt klar, dass die Haushaltssituation sich 2025 weiter zuspitzen wird. Die Auseinandersetzung über die noch fehlenden Milliarden im kommenden Jahr zwischen den einzelnen Ressorts hat längst begonnen. Die FDP schließt jede Steuererhöhung und Lockerung der Schuldenbremse kategorisch aus. Der weiter steigende Rüstungsetat ist weiter sakrosankt. Die AfD verzeichnet in den Umfragen neue Höchstwerte und übertrifft im Osten die gesamten Ampelparteien. 41 % der Menschen gehen davon aus, dass die Ampelkoalition in diesem Jahr zerbricht. Es ist, als läge ein Mehltau über der Republik.

Mensch geht wieder auf die Straße

Aber es sind weder die sozialen Verwerfungen und noch die hohen Rüstungskosten, die die Menschen im Januar zu Hunderttausenden über Wochen auf die Straße bringen wird, sondern die Angst vor einem Wiedererstarken des Faschismus. In diesem Protest bricht sich aber auch eine allgemeine Unzufriedenheit aus der „Mitte“ der Gesellschaft Bahn. Mitglieder der so titulierten „schweigenden Mehrheit“ hat lange, jeder für sich, ganz unterschiedliche Zumutungen empfunden. Diese Proteste könnten mehr sein als nur ein Ventil für den allgemeinen Unmut.

Es gibt Anzeichen, dass sich diese historisch breite Protestbewegung verstetigt und mehr sein könnte als nur ein Strohfeuer. Bäuer*innenverbände und Lokführer*innen kann mensch ja noch, wenn auch mit Mühe, einhegen. Aber sollte die Protestbewegung sich weiter verbreitern. indem sie etwa auch die sozialen Verwerfungen im Lande thematisiert, könnte nicht nur die Regierung ein weiteres Legitimationsproblem bekommen.

Schon meldet sich beispielsweise die Grüne Jugend zu Wort und macht ganz offen die Sozialpolitik der Ampelregierung für den Rechtsruck im Lande verantwortlich. Auch für die Friedensbewegung gibt es Anknüpfungspunkte zu den Protesten, deren Ende noch nicht abzusehen ist.

Michael Flascha

Frieden, Brot, Würde – in der Ukraine und weltweit!

AUFRUF ZUR NRW-WEITEN DEMONSTRATION IN KÖLN ZUM 2. JAHRESTAG DES UKRAINE-KRIEGES AM 24. FEBRUAR IN KÖLN

Der Krieg frisst seine Kinder. Die Politik der Hochrüstung frisst die Zivilgesellschaft.
Armeen heizen die Klimakatastrophe an….

Wir treten ein für die gleiche Würde und gleiche Rechte aller Menschen und gegen Rassismus, Judenfeindlichkeit und jede mörderische Ideologie der Ungleichwertigkeit des Menschen. Wir verurteilen jeden Krieg.
Wir verurteilen das Töten von Menschen. Wir treten Feindbildern und Militarisierung entgegen und wollen friedensfähig werden, nicht „kriegstüchtig“. Wir stehen an der Seite all derjenigen, die sich in Russland, der Ukraine, in Israel, Palästina und weltweit weigern, aufeinander zu schießen…

Wir fühlen mit den Opfern in der Ukraine, in Russland, wie auch in Israel, im Westjordanland und Gaza und in allen Kriegen. Unsere Solidarität gilt den Fliehenden aus Krieg, Armut und Not! Für sie braucht es Schutz und Aufnahme auch in unserem Land.

In der Ukraine wurden über 500.000 Menschen, Ukrainerinnen und Ukrainer, Russen und Russinnen durch den Krieg getötet oder verwundet! Wir fragen: Rechtfertigen geopolitische Interessen und die Gewinne von Rheinmetall, Diehl Defence und Konsorten die Lieferungen von Mordwerkzeugen?

Alle Mittel, die für Krieg verschleudert werden, brauchen wir für Bildung, Kultur, Wohnen, den Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen und ein menschenwürdiges Leben – hierzulande wie global…

Die Waffen müssen schweigen – in der Ukraine und weltweit!

Deutschen Friedensgesellschaft – Vereinigte Kriegsdienstgegerinnen und Kriegsdienstgegner NRW (DFG VK NRW) und das Kölner Friedensforum unterstützt vom Internationalen Versöhnungsbund Köln und Pax Christi Köln

Auch der Düsseldorfer Appell unterstützt den Aufruf Demonstration zum 2. Jahrestag der russischen Invasion in der Ukraine. Nach einer eigenen Kundgebung am Samstag, dem 24. Februar um 11:00 Uhr vor dem Düsseldorfer Hauptbahnhof, auf der die Europaabgeordnete Sevim Dagdelen reden wird, lädt der Düsseldorfer Appell alle Interessierten ein, anschließend mit dem Zug nach Köln zu fahren.