Rückführung statt Remigration

Über die bürgerliche Mitte und darüber wie symbolischer Antifaschismus auf realpolitischen Rassismus trifft.

In den Tagen vor der Großdemo gegen die AfD in Düsseldorf ist es gar nicht so leicht, jemanden zu finden, der nicht dazu aufruft. Von der Linkspartei bis zur CDU, von der Deutschen Oper bis zu den Broilers, von Fortuna bis zum Karnevalsprinzen sind alle dabei. Irgendwie fragt mensch sich, wie eigentlich der Rechtsruck der letzten Jahre entstanden ist, wenn die einzigen, die ihn wollen, die AfDler*innen sind, die ihn mangels Regierungsverantwortung noch gar nicht umsetzen konnten. Auf den zweiten Blick begegnen einem sonderbare Gleichzeitigkeiten. Die SPD-Innenministerin Nancy Faeser feiert in diesen Tagen in sozialen Medien die Demonstrationen gegen die Deportationspläne der AfD und sich selbst zugleich für 27% mehr durchgeführte Abschiebungen als noch im Vorjahr. Um diese Zahl weiter zu erhöhen, sollen „Migrationsabkommen“ Drittstaaten dazu bringen, in Zukunft bei Abschiebungen besser mit Deutschland zu kooperieren. Die Parteivorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, hatte im Herbst letzten Jahres ihre Koalitionspartner dazu aufgerufen, endlich mehr „Migrations- und Rückführungsabkommen“ abzuschließen. Ihre Forderung wird jetzt erfüllt. Mittlerweile regieren die Grünen auf allen Ebenen und führen überall Asylrechtsverschärfungen durch, von der europäischen GEAS-Reform mit Asylverfahren in Lagern an den Außengrenzen bis zum „Rückführungsverbesserungsgesetz“, das u.a. Abschiebehaft verlängert und ihre Anwendung erleichtert.

Menschen, die nach Deutschland migriert oder geflohen sind, werden entlang ihrer wirtschaftlichen Verwertbarkeit sortiert. Wer sich angesichts des Fachkräftemangels als ökonomisch nützlich erweist, darf auf eine Einbürgerung hoffen. Diejenigen, die dem Wirtschaftsstandort als überflüssig, unbrauchbar oder unangepasst gelten, sollen weg. Für die so stigmatisierten Menschen unterscheidet sich der realpolitisch-pragmatische Rückführungs-Rassismus der Ampel nicht von seiner völkischen Radikalisierung im Remigrations-Konzept der AfD. Ganz offen sprechen die bürgerlichen Parteien darüber, dass die soeben verabschiedete Verlängerung der sozialen Ungleichbehandlung durch das Asylbewerberleistungsgesetz und die Einführung von Bezahlkarten statt Bargeldauszahlungen hier lebenden Geflüchteten das Leben erschweren und andere von der Einreise abhalten soll.

Diese und andere Pläne der politik, Menschen abzuschieben, zu drangsalieren und zu entrechten kann, werden nicht im Geheimen geschmiedet. Sie wurden und werden ganz öffentlich verhandelt, etwa auf der Ministerpräsidentenkonferenz letzten November. Diejenigen, die sie planen und umsetzen, lassen sich bundesweit bei den aktuellen Demos ablichten und auf den Bühnen beklatschen. In Düsseldorf spricht die stellvertretende Ministerpräsidentin NRWs, Mona Neubaur, dazu der CDU-Oberbürgermeister Stephan Keller, dessen Partei im aktuellen Entwurf ihres neuen Grundsatzprogramms das Asylrecht in Deutschland abschaffen und auf „sichere Drittstaaten“ übertragen will. Im Endeffekt gehen gerade diejenigen, die keine Abschiebungen wollen, mit denen zusammen auf die Straße, die mehr Abschiebungen durchführen, um gegen diejenigen zu protestieren, die noch mehr davon fordern. Um zu verstehen, wie wir in eine solche absurde Situation gekommen sind, hilft es auf die einzelnen Akteur*innen in dieser Konstellation zu blicken und zu fragen, welche Funktion die Auseinandersetzung um Migration für sie einnimmt.

1. Die AfD

Erstens braucht die AfD die breiten zivilgesellschaftlichen Proteste gegen sie selbst. Das mag sich auf den ersten Blick widersprüchlich anhören, zumal in den Reaktionen der AfD auf die Remigrations-Pläne ein gewisser politischer Druck zu spüren war, der widersprüchliche Haltungen produzierte. Diese schwankten zwischen stolzer Anerkennung, Relativierung bis zu vorsichtiger Distanzierung. Auf den zweiten Blick sehen wir, dass inhaltliche Widersprüche und interne Auseinandersetzungen um Strategie und Auftreten (die heute allenfalls in Ansätzen zu erkennen sind) dem Aufstieg der Partei auf Dauer nicht im Weg standen. Was die Wähler*innenschaft der AfD mobilisierte, war nie eine programmatische Kohärenz, sondern das Gefühl, sich in einem Kulturkampf zu befinden gegen das allmächtige Bündnis von Zivilgesellschaft und nach links rückender Regierung. Schon die CDU unter Angela Merkel wurde so geframed, die Ampel-Regierung erst recht, völlig unabhängig von der realen politischen Entwicklung. Begünstigt wird diese Erzählung von der auch international zu beobachtenden Konstellation eines sogenannten „progressiven Neoliberalismus“. Das Adressieren von Forderungen kultureller Anerkennung, die Übernahme von sprachlichen Codes aus linken und feministischen Bewegungen sowie symbolische Zugeständnisse sind Regierungstechniken, um sich als fortschrittlich zu inszenieren. Im Ergebnis wird die Repräsentation derjenigen vorgespielt, die im Neoliberalismus weiterhin unter spezifischen Formen von struktureller sexueller und rassistischer Unterdrückung leiden.

2. Die Ampel

Dies führt zu der Funktion der aktuellen Mobilisierungen für die Ampel-Regierungsparteien. Sicher haben sie ein Interesse daran, die AfD als aufsteigende politische Konkurrenz zu bekämpfen. Noch entscheidender dürfte aber das Bedürfnis sein, angesichts der von ihnen durchgesetzten Verschärfungen in der Asyl- und Migrationspolitik die Fassade von gesellschaftlicher Progressivität, Moral und Demokratie aufrechtzuerhalten, die insbesondere für die Grünen zentraler Bestandteil ihres Selbstverständnisses ist. Eine fortschrittliche aktive Zivilgesellschaft spielt darin eine wichtige Rolle als Stütze der politischen Hegemonie und Vermittlerin der Regierungspolitik in die Bevölkerung. Die Krise der Zivilgesellschaft hängt damit zusammen, dass die einst mit ihr verbündeten Grünen nun die Politik machen, gegen die mensch früher protestiert hat. Zugleich wird sie gerade für das zukünftige Projekt einer ökologischen Modernisierung des Kapitalismus um so dringender gebraucht. Die Mobilisierungen gegen die AfD bringen Regierung und Zivilgesellschaft wieder zusammen auf der Basis dessen, was den progressiven Neoliberalismus ausmacht. Ein von jedem Inhalt entleerter symbolischer Antirassismus, der die reale rassistische Politik verschweigt und letztlich legitimiert.

3. Die Zivilgesellschaft

Stellt sich die Frage, wieso die Zivilgesellschaft das mitmacht, zumindest der Teil, der sich nicht aus den parteinahen sozialdemokratischen, grünen und liberalen Milieus rekrutiert, sondern sich der (radikalen) Linken zugehörig fühlt. Eine Rolle dürfte die chronische Weigerung der Bewegungslinken sein, ihre eigene Praxis kritisch zu reflektieren, anstatt direkt auf das nächste Mobilisierungspferd zu hüpfen. Niemand scheint sich zu fragen, warum die Politik der breiten Bündnisse in den 2010ern von „Aufstehen gegen Rassismus“ und „Unteilbar“ weder den weiteren Aufstieg der AfD verhindern konnte, noch den gesellschaftlichen Rechtsruck, der maßgeblich von den ehemaligen rotgrünen Bündnispartnern durchexerziert wurde. Exemplarisch dafür sei ein Zitat eines Bündnissprechers im Vorfeld der Düsseldorfer Demo in der Rheinischen Post genannt: „Wir sollten nicht mehr danach suchen, wer welche Fehler und die AfD so stark gemacht hat“. Es gehe jetzt darum, dass die Gesellschaft für ihre Grundüberzeugungen und die Demokratie eintrete. Dass die Linke damit nicht nur ihr eigenes Scheitern entschuldigt, sondern auch die Politik der bürgerlichen Regierungen, ist der Preis, den sie für ihre Bündnisfähigkeit zu zahlen bereit ist. Zu verlockend ist es, sich wieder als ein nützlicher Teil einer dynamischen Bewegung zu fühlen, auch wenn niemandem so recht klar zu sein scheint, welchen Inhalt und Zweck sie eigentlich genau haben soll.

Nie wieder

Sowohl das Interesse an der Schuldbefreiung als auch der unbedingte Wille zur breiten Bündnispolitik hängen zusammen mit einem spezifischen Blick auf Geschichte und Zeit in der Linken. Die AfD erscheint darin als historische Wiederholung der NSDAP. Überall werden Zitate von Bertolt Brecht und Erich Kästner als Mahnung vor dem kommenden Faschismus bemüht. „Nie wieder ist jetzt“ ist vielerorts der zentrale Mobilisierungs-Slogan. „Nie wieder“ sollen Überlieferungen zufolge befreite KZ-Häftlinge bei der Trauerfeier in Buchenwald im April 1945 gerufen haben, dort wo auch der „Schwur von Buchenwald“ entstanden ist, in dem es heißt: „Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig“. Es sind zuvorderst die in der Vergangenheit gemordeten, um deren Willen gehandelt werden soll, nicht die von der Zukunft bedrohten. Erst die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln (!) kann den Gemordeten Gerechtigkeit zuführen und gleichzeitig das Kontinuum der Geschichte aufsprengen, das die Ursachen des Faschismus produziert hat und seine Wiederholung möglich macht. Die Verteidigung der Demokratie als kleineres Übel gegen den drohenden Faschismus der AfD drückt ein gänzlich anderes Geschichtsbild aus. Die einzige Möglichkeit einer guten Zukunft liegt in der Auf-Dauer-Stellung der bürgerlichen Gegenwart. „Nie wieder ist jetzt“ - für immer. Die Verewigung einer Gesellschaft, die auf globaler Ausbeutung und Kolonialismus basiert, die immer neue Kriege und Lager produziert, das Leid der in ihr und durch sie Hungernden, Ertrinkenden, Entrechteten, Rassifizierten, erscheint als akzeptabler Preis für die Abwendung der Zukunft. Eine radikale Linke, die so denkt, hat sich und die anderen bereits aufgegeben.

Kuba