TERZ 03.24 – MUSIC
Eines der Konzerte, welches bei Mrs. Cave und mir im vergangenen Jahr einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat, war der Gig von I Am The Fly und den Dead Years am 9.9.23 im Linken Zentrum. Über I Am The Fly haben wir schon ausführlich in der TERZ vom Januar 2023 berichtet. Die zweite Band des Abends waren die Dead Years aus Bielefeld. Nun haben die sympathischen Bielefelder*innen Julia, Jonas und Hannes mit Night Thoughts das zweite Album veröffentlicht. Night Thoughts ist noch treibender als das Debüt, hat noch mehr Kante. Die für das erste Album so prägende Wipers-Gitarre ist diesmal nicht so prägnant, dafür stehen die Post-Punk Elemente mehr im Vordergrund. Weniger „klassischer“ Punk, dafür mehr Finesse, aber trotzdem kein Pop! Dennoch treibend und druckvoll knackig! Dazu harter aber nicht desto trotz harmonischer Gesang, teilweise mit Zweit - und Drittstimme. Arminia Bielefeld mag zwar drittklassig sein, die Dead Years spielen dafür in der ersten Liga! 3 Punkte gehen somit an die Dead Years und nach Bielefeld.
Beide Dead Years Alben sind eine Kooperation von My Ruin (für Europa) und Dirt Cult Records (USA). Anders gesagt, Osnabrück, Niedersachsen und San Antonio, Texas sind hier verbandelt. Wie klein die Welt doch sein kann!
Bei einem unserer letzten A&O Besuche erreichten verzaubernde Klänge unser Ohr. Ich fühlte mich sofort an die Mekons erinnert, mit einer Mischung aus Johnny Cash und David Gedge (Wedding Present) am Gesang. Im CD-Player lagen gerade die Blue Orchids mit ihrem neuen Album Magpie Heights, erschienen im November letzten Jahres. Erstmal aber ein paar Hintergrundinformationen zu den Blue Orchids. 1979 in Manchester von Martin Bramah aka Martin Beddington und Una Baines gegründet, nachdem Mark E. Smith die Beiden bei The Fall rausgeschmissen hat. Martin und Una gehörten also zur The Fall Urbesetzung (die einzige Konstante bei The Fall war Mark E. Smith). Das erste Blue Orchids Album The Greatest Hit (Money Mountain) erschien dann 1982 auf Rough Trade. Im selben Jahr trennte sich die Band, es gab aber bis 2004 zeitweise immer wieder kurze Lebenszeichen. Erwähnenswert ist da die Do Or Die Session mit Nico aka Christa Päffgen von 1982. Die Blue Orchids waren für die damalige Europa-Tour von Nico die Backing Band. 1982 als Tape auf ROIR (USA), 1/2 Records (UK) und Irmgardz... (Skandinavien) erschienen. (Da geht die Suche wieder los.) Die Files, die ich dazu im Netz gefunden habe, klingen sehr vielversprechend. Als CD dann 2017 auf Grey Scale wiederveröffentlicht, da wir aber keinen CD-Player besitzen... Seit 2015 ist aber normalerweise Tiny Global Productions konstant als Label für die Veröffentlichungen der Blue Orchids zuständig. Magpie Heights scheint das siebte Album auf TGP zu sein. Selbst die ansonsten sehr kritische Mrs. Cave hat bei Magpie Heights wohlwollend mitgewippt. Unser Fazit: Für Liebhaber*innen von The Wedding Present, The Fall und den Mekons absolut empfehlenswert. Einziger Wermutstropfen: Es gibt leider kein Textblatt.
Torres aka Mackenzie Scott aus Georgia, USA hat mit What An Enormous Room ihr sechstes Album auf Merge Records (USA) veröffentlich. Als Indie / Alternativrock mit vielen elektronischen Skills würden wir die Musik von Torres beschreiben. Vielleicht die amerikanische Variante zu Billy Nomates. Weniger Rotz, dafür mehr Melancholie und (Wüsten)-Staub. Torres hat alle Songs selbst geschrieben, was sich durchgehend in der Atmosphäre des Albums wiederspiegelt. Unterstützt wurde sie bei der Instrumentierung von Sarah Jaffe, einer befreundeten Musikerin aus Texas. Beide Frauen harmonieren hervorragend zusammen, die Chemie stimmt einfach. Von ruhigem, beschaulichem Indie-Pop über Alternativ-Rock hin zu dronigen Gitarrenwänden zurück zu lieblichen Balladen beinhaltet WAER alles, um nie langweilig zu werden. Die Mastering Engineerin Hebra Kardry hat in ihrem Studio in New York zusätzlich dazu beigetragen, die besondere Atmosphäre von WAER einzufangen. Das aktuelle Video Collect solltet ihr euch auch auf jeden Fall anschauen. Ein weiterer Anspieltipp ist das Video zu dem Song Don‘t Go Puttin Wishes in My Head, von dem 2021 Album Thirstier. So kann sich Liebe anfühlen!
Widmen wir uns einer weiteren Ausnahmekünstlerin aus den USA, diesmal in Kalifornien beheimatet. Chelsea Wolfe, eigentlich Chelsea Joy Wolfe, wobei das Joy in ihrem Namen genauso irreführend ist wie das Joy bei Joy Division, hat ihr siebtes Album She Reaches Out To She Reaches Out To She, auf Loma Vista veröffentlicht. Hat einer von euch damals Fear The Walking Dead gesehen, den Ableger von The Walking Dead? Carrion Flowers von ihrem 2015 Album Abyss ist der Trailer-, Intro- und Opening Credits Titel und die passende Einleitung zur Zombie-Apokalypse. Der erste Song Whispers In The Echo Chamber vom neuen Album legt dann noch eine Schippe drauf. Es dröhnt, knarrt und vibriert gnadenlos auf dem Plattenteller. Chelsea Wolfes glockenheller Gesang dazu, lässt mich unter der Kuscheldecke auf dem Sofa zusammenkauern. Track 2, House Of Self-Undoing, ist dann wieder metallischer, schneller nach vorne gespielt, beinhaltet aber trotzdem die grundlegende Dunkelheit, die Chelsea Wolfe auszeichnet. Auch bei diesem Album hat Hebra Kardry wieder das Mastering in ihrem Studio übernommen.
Deren Biographie ist wirklich beeindruckend, das Who Is Who der Musikszene hat sie schon gemastert und bei diversen Soundtracks Hand angelegt. Fast eine Stunde habe ich auf ihrer Webseite verbracht!
Jetzt wenden wir uns mal wieder den Seven Inches zu, die sind in letzter Zeit ein wenig zu kurz gekommen. Fangen wir an mit Pisse, den bekloppten Punks aus Hoyerswerda. Für ihre neue Single Jammertal / Vetschau haben sich die Ost-Punker prominente Unterstützung besorgt. Auf Jammertal gibt sich die Sängerin Franny Fränzen aka Theresa Ehrenberg die Ehre und präsentiert uns eine wunderschöne Ballade: Geh weg, hau ab, nimm den Zug raus aus der Stadt - hier sind alle Blumen verblüht... Bei Vetschau ist B.B. Casa De Roca am Gesang und das ist dann schon fast ein Stück Chanson. Die Stimme kam mir am frühen Morgen sehr bekannt vor und nach ein wenig Recherche stellte sich heraus, das B.B. Casa De Roca niemand anderes als Bela B. von den Ärzten ist! Überraschungssingle des Monats! Die Single wurde von Brezel Göring (Stereo Total) in seinem Berliner Studio aufgenommen.
Brezel Göring hat es sich schließlich nicht nehmen lassen, gemeinsam mit Anton Garber (von der Band P.U.F.F.) 2 Pisse Songs zu covern und ebenfalls als Single zu veröffentlichen. Brezel hat sich die Schauspielerin Lilith Stangenberg für den Gesang, Orgel & Gitarre und Chang Wang für die Ansage (Who the fuck is Chang Wang?...) als Verstärkung geholt und alle zusammen zerlegen den Fahrradsattel in seine 8-Bit-Bestandteile. Eine Cover-Version, die das Original neu interpretiert.
Anton Garber hat sich für seine Pisse Version, die Sängerin Danja Schilling aka. Anita Groschen für den Background-Gesang geangelt. Beide wagen sich an den Marlboromann vom ersten Pisse Album Mit Schinken Durch Die Menopause ran und auch hier wird das harsche Punk-Original in eine neue eigenständige, diesmal: „Es ist morgens um 6 und wir singen laut, falsch, langsam und besoffen in den Berliner Straßen“ -Version verwandelt. Beide Singles sind auf Phantom Records erschienen, wie fast der gesamte Pisse Backstock.
Eine weitere Single mit Cover-Versionen ist auf Numero Group, einem auf Wiederveröffentlichungen spezialisiertem Label aus Chicago endlich erhältlich. Codeine, die Slow-Core Könige aus New York covern Joy Divions Atmosphere und auf der anderen Seite nehmen sich Bedhead aus Dallas Disorder vor. Codeine haben Atmosphere als einen ihrer letzten Songs 1994 eingespielt, Bedhead haben Disorder ebenfalls im Jahr 1994 eingespielt, ist damals als CD-EP erschienen. Beide Songs sind noch langsamer, noch düsterer und noch depressiver, als die Originale von Joy Division. Essentiell für JD Fans, Devoties und solche, die es werden wollen!
Da wir gerade bei Cover-Versionen sind: Poison Idea, die Kings Of Punk aus Portland, Oregon, haben eine 7“ mit den Titel Tribute To G.I.S.M. veröffentlicht. Endless Blockades For The Pussyfooter und Death, Agonies And Screams sind zwar schon auf verschiedenen Alben und EP’s gepresst worden, aber alleine der neue Mix von Endless Blockades For The Pussyfooter ist so knackig, dass Kollektor*innen nicht drumherum kommen, sich die Seven Inch auch in das Regal zu stellen. Pig Scream ist eine von Jerry A und Andrew Stromstad neue komponierte Hommage an G.I.S.M. Der japanischen Hardcore Punk / Heavy Metal Legende aus Tokyo wird hier ein wirklich würdiges Denkmal gesetzt. Selbst Artwork und Aufnahmequalität sind authentisch! Erhältlich bei American Leather und TKO Records.
Mit der letzten Single geht es zurück in die Heimat, nach Aachen. FJØRT haben mit der Tour Single Puls die Messlatte in Bereich Post-Hardcore noch ein Stückchen höher gelegt. Die drei sympathischen Aachener haben am 3.2.24 im zakk mal wieder, nicht nur musikalisch, überzeugt, sondern auch politisch! Eine klare Haltung, die sich zum Beispiel darin wiederspiegelt, das Gästelistenplatzinhaber*innen eine Spende für die Seenotrettung im Mittelmeer abdrücken sollten; der Stand von Sea-Punks ist fester Bestandteil bei FJØRT Konzerten. Die Puls Single ist nur einseitig bespielt, was aber bei der Wall Of Sound egal ist, denn so wird das Umdrehen gespart und ihr könnt Puls in Heavy Rotation hören!
Mrs. Cave und der Oberbilker wünschen euch viel Spaß beim Singles auflegen und umdrehen, genießt die Musik und FCK AFD!