TERZ 05.24 – AM PRANGER
Wie informiert mensch sich zum Thema Schwangerschaftsabbruch? Klar, im Web ist jede Menge zu finden. Wird das diesem komplexen Thema gerecht?
Ich ging zunächst zur Düsseldorfer Zentralbibliothek, fragte nach Büchern dazu, möglichst neu: „In der Tat haben wir sehr wenig darüber, nur diese beiden Bücher ...“, erfuhr ich an der Info. Buch 1: Schwangerschaftsabbruch - Fakten und Entscheidungshilfen (2013). Einleitend teilt Autor Thomas Schirrmacher mit, dass „Fakten und Basisinformationen (...) so angelegt [sind], dass ‚der Leser‘ sich in zwei bis drei Stunden das Thema in seinen Grundlagen aneignen kann.” Schirrmacher und Mitautorin Ute Buth geben einen Überblick über medizinische Aspekte, die Rechtslage, aber ethische und theologische Grundlagen nehmen auch einen nicht geringen Raum ein, sind alles andere als ergebnisoffen. Formulierungen wie „Tötung des Kindes” muten in einem Buch, das Fakten und Entscheidungshilfen verspricht, unpassend wertend an.
In ihrer „persönlichen Meinung” am Ende des Buches nennen Autorin und Autor den Mutterleib den „gefährlichsten Ort der Welt, in Deutschland wie in vielen anderen Ländern”. Nirgends sei der Mensch heute wehrloser, schutzloser und rechtloser. Die ökonomische und materialistische Dominanz unserer Kultur schlage gegen die Schwächsten der Gesellschaft durch. Bei der menschlichen Zeugung entstehe mit der Verschmelzung der Keimzellen eine neue biologische und geistige Realität, der Mensch mit seiner unverwechselbaren Würde. Später gebe es keinen Einschnitt, der in seiner Bedeutung diesem Ereignis auch nur nahekomme und aus einem Nichtmenschen einen Menschen mache. „Und doch werden allein in Deutschland täglich etwa 292 ungeborene Kinder im Mutterleib getötet.“ (...) „Es bleibt”, so im Schlusswort, „dazu aufzurufen, sich den Schutz des ungeborenen Lebens ganz persönlich zu eigen zu machen, um diese Gesellschaft zu einem sicheren Ort für ungeborene Kinder zu machen.”
Ergebnisoffen geht anders. Wie mag sich eine Person in einer Schwangerschaftskonflikt-Situation fühlen, die das liest?Meine Meinung: Das braucht kein Mensch. Und eine Mahnung, mit diesem Thema verantwortungsvoll umzugehen.
„(K)eine Mutter” von Jeanne Diesteldorf (2021), das 2. Buch porträtiert 12 Frauen, die abgetrieben haben. Das Buch gebe ihrer Geschichte Raum, zerbreche Sprachlosigkeit. Jede vierte Frau lasse einmal in ihrem Leben einen Schwangerschaftsabbruch durchführen, im Jahr 2020 rund 101.000 Frauen in Deutschland. „Die meisten von ihnen schweigen, (...) es ist das vielleicht letzte große Tabuthema unserer Gesellschaft.” Manche Frauen sprechen im Buch zum ersten Mal „darüber”. 12 sehr bewegende Geschichten, die zeigen, dass das Thema Schwangerschaftsabbruch viel stärker in die Öffentlichkeit rücken muss. Die 12 Frauen haben Zugang zu Informationen, Unterstützung durch Freund*innen und Familie - trotzdem fühlen sie sich hilflos, überfordert zwischen verpflichtender Beratungs- und Bedenkfrist, müssen innerhalb weniger Tage eine so schwerwiegende Entscheidung treffen, keine geht leichtfertig damit um. Für alle ist es ein tiefgreifender Konflikt: Ein Schwangerschaftskonflikt. Ihre Erfahrungen mit Ärzt*innen, Beratungsstellen, Krankenkassen und dem Eingriff als solchem sind vielfältig. Wie mag dieses komplexe Geschehen für Personen sein, die nicht in so einer privilegierten Lebenssituation sind? Die da ganz alleine durch müssen? Sprachbarrieren haben?
Schwangerschaftsabbruch in Deutschland ist im Strafgesetz geregelt (§218, §219) und somit für alle Beteiligten strafbar; unter bestimmten Voraussetzungen ist ein „Abbruch nach Verlangen” in den ersten 12 Schwangerschaftswochen straffrei, nach der 12. Woche nur nach der Indikationsregelung, wenn beispielsweise eine schwere Behinderung beim Ungeborenen nachgewiesen wurde. Weitere Bedingungen: Beratungspflicht bei einer hierzu autorisierten Beratungsstelle (z. B. Pro Familia, die den Beratungsschein ausstellt), eine „Bedenkfrist” von mindestens drei Tagen bis zum Abbruch, der nur von Ärzt*innen vorgenommen werden darf –die wiederum das Recht haben, dies aus Gewissensgründen abzulehnen. Die Kosten für einen Abbruch nach Verlangen müssen von der Frau selbst getragen werden, nur wenn sie ein geringes Einkommen hat (unter ca. 1383 €/monatlich) oder wenn die Schwangerschaft durch eine Vergewaltigung zustande kam, erfolgt eine Kostenübernahme durch die Krankenkasse,. Diese muss vor der Durchführung des Abbruchs ausgestellt und i. d. R. von der Frau persönlich abgeholt werden. In Düsseldorf kostet ein Schwangerschaftsabbruch ca. 600 €.
Medikamentöser Schwangerschaftsabbruch ist bis zur 7. Woche nach der Befruchtung möglich (bis zur 9. Woche nach dem 1. Tag der letzten Periode). Innerhalb von 36-48 Stunden werden zwei Mal Medikamente (Mifegyne o. ä.) eingenommen. Diese Form des Abbruchs kann bei der Frau zuhause erfolgen, die erste Tablette wird zumeist unter ärztlicher Aufsicht verabreicht, es soll sichergestellt werden, dass die Frau die Tablette schluckt, da es einen Schwarzmarkt für diese Medikamente gibt. Vorteil dieses Verfahrens ist, dass die Schwangerschaft in einer sehr frühen Phase abgebrochen und keine Narkose benötigt wird. Mögliche Nachteile: Der Abbruch kann mehrere Tage dauern und Nebenwirkungen haben, z. B. krampfartige Unterbauchschmerzen. In 2-4 % der Fälle gelingt der medikamentöse Abbruch nicht, ein instrumenteller Eingriff muss folgen.
Instrumenteller Abbruch ist bis zur 12. Woche nach der Befruchtung erlaubt (also bis zur 14. Woche nach dem 1. Tag der letzten Periode). Zumeist wird die Absaugmethode (Vakuumaspiration) angewandt. Die Durchführung des Abbruchs erfolgt durch Ärzt*innen, meistens mit Vollnarkose. Vorteile der Absaugung sind, dass der Abbruch sehr schnell und zu 100 % erfolgt, er ist bis zur 12. Woche möglich. Risiken: Die Narkose, in seltenen Fällen kann es zu Verletzungen oder Entzündungen kommen, Durchführung in den meisten Fällen erst ab der 6.-7. Schwangerschaftswoche (Wartezeit für die Frau). Nicht immer haben Frauen die Wahl, nach welcher Methode der Abbruch erfolgen kann, nicht jede*r Arzt/Ärztin bietet beide an, nicht für jede Frau ist die eine oder andere Art des Abbruchs möglich.
Charly (Name geändert) hatte vor ein paar Jahren einen Schwangerschaftsabbruch, sie war Anfang 20, steckte mitten in den Abiturprüfungen, bewältigte zwei Jobs gleichzeitig und verfügte trotzdem über wenig Geld, lebte in einer WG. Sie hatte eine eher lose Beziehung. Mitten in dem Stress bekam sie starke Bauchschmerzen, machte vorsichtshalber einen Schwangerschaftstest (sie verhütete mit einem Hormonring), der negativ war. Eine Gynäkologin stellte fest, dass der Hormonring verrutscht war. Ein weiterer Test war negativ, Charly musste ihn bezahlen. Positive Tests bezahlt die Krankenkasse. Bei einem weiteren Besuch stellte die Gyn dann doch eine Schwangerschaft fest: schon die 10. Woche! Charly war geschockt, empfand die Ärztin als unsensibel, vorverurteilend und unfreundlich, besonders, als Charly ihr sagte, dass sie die Schwangerschaft abbrechen wolle. Die Ärztin stellte trotzdem einen Mutterpass aus und fügte ein Ultraschallbild dazu, wies auf die Beratungspflicht hin und gab Charly eine Liste mit Ärzt*innen, die Abtreibungen durchführen, „telefonieren Sie sich einfach durch”. Charly fühlte sich mit der Situation trotz Zugang zu Informationen und Unterstützung seitens Familie und Freund*innen überfordert, ebenso der „Erzeuger” der Schwangerschaft, der selbst Rat und Trost brauchte. Er sicherte Charly zwar Unterstützung zu, es entnervte sie jedoch, dass er ihr seine Sorgen darlegte, was sie unter Druck setzte. Sie brauchte ihre Kraft für sich selbst, musste innerhalb weniger Tage aufreibende Dinge erledigen: Die Beratung, die Pflicht ist, wenn eine Frau eine Schwangerschaft abbrechen will. Als eher ruppig empfand Charly die Beraterin: Ob sie wisse, was da auf sie zukomme mit Kind, welche Perspektiven ihr blieben? War Charly vor der Beratung noch nicht sicher, traf sie hier die endgültige Entscheidung, die Schwangerschaft abzubrechen. Der Beratungsschein lag schon bereit, war dann schnell ausgefüllt. Ein weiterer Hürdenlauf: die Kostenübernahme durch die Krankenkasse. Charly brauchte eine Bescheinigung der Bank über ihren Kontostand, denn die Kosten werden nur bis zu einem bestimmten Einkommen der Frau übernommen. Die Krankenkasse verlangte Charlys persönliches Erscheinen, war aber weit vom Wohnort entfernt. Schließlich konnte die Sache bei der AOK am Ort abgewickelt werden, wo Charly zwei Mal ihr Anliegen vorbringen musste, ehe sie nach einigem Hin und Her die Zusage für die Kostenübernahme-Zusage bekam.
Dann … ein paar Tage warten bis zum Termin. Die Ärztin, die den Abbruch durchführte, sei sehr unterkühlt und funktionell gewesen, erinnert sich Charly, hatte wenig Zeit für Erklärungen. Am Morgen des (instrumentellen) Abbruchs bekam Charly von ihr ein Medikament in die Scheide, um den Muttermund weich zu machen. Damit konnte sie erst mal wieder nach Hause. Kaum dort angekommen, bekam Charly unerträglich starke Bauchschmerzen, sie war alleine, weil sie damit überhaupt nicht gerechnet und die Ärztin sie über diese Wirkung nicht informiert hatte. Eine Freundin fuhr Charly dann in die Praxis für ambulante OPs, wo der Abbruch durchgeführt wurde. Die Mitarbeiter*innen hat Charly als freundlich und hilfsbereit in Erinnerung. Nach dem Eingriff ging es Charly gut, sie war sehr erleichtert, es hinter sich und keine Schmerzen zu haben. Ein Freund holte sie ab und versorgte sie ein paar Tage. Eine Person, der Charly sich anvertraut hatte, sagte später: „Du hast es weggemacht, nicht? Wärest du meine Tochter, hätte ich dich so unterstützt, dass du es bekommen hättest.” Charly war darüber wütend, denn ihre Entscheidung war anderen Gründen geschuldet als mangelnde Unterstützung durch ihre Familie: Charly fand sich zu jung, sie wollte studieren, ein selbstbestimmtes Leben führen, war absolut nicht bereit für ein Kind.
Wenn Charly heute über ihren Abbruch redet, empfindet sie selbst bei vertrauten Menschen eine sonderbare Art von Betroffenheit: „ … es werden alle irgendwie still, wenn darüber gesprochen wird, woran liegt das?” Wir versuchen, das zu ergründen: Vielleicht versetzen sich empathische Menschen in deine Lage und fühlen deine Verzweiflung und Hilflosigkeit nach, das Wissen, etwas im Grunde Strafbares tun zu müssen, das nicht wenige Menschen in unserer Gesellschaft missbilligen? Dieses Procedere? So eine Entscheidung treffen zu müssen, was macht das mit uns? Es macht aus dem Thema Schwangerschaftsabbruch ein Tabuthema.
„Meine Entscheidung war richtig, ich will kein Mitleid! Höchstens für diesen beschissenen Prozess, den ich im Eiltempo durchlaufen musste, dieses Gefühl, dass ich keinen normalen medizinischen Eingriff hatte, dass ich mit so vielen Fremden über etwas so Intimes verhandeln musste! Irgendwie empfinde ich Scham, weil mir das passiert ist, trotz meines Wissens, mich nicht schämen zu müssen, nichts falsch gemacht zu haben.” Charlys Forderung: Schwangerschaftsabbruch muss entkriminalisiert werden!
Eine gesetzliche Neuregelung war zu Beginn der 1990er Jahre notwendig geworden, weil die strengen Gesetze der BRD und die deutlich liberalere Regelung der DDR nach der Wende aufeinandertrafen. Damals musste sich das Bundesverfassungsgericht mit dem §218 beschäftigen, den es seit 1871 gibt, 1995 erfolgte schließlich eine Neuregelung. Seit fast 30 Jahren ist die umstrittene Lage so wie zuvor beschrieben.
Gegen die Stimmen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion hat am 24.6.2022 die Ampel-Koalition die Abschaffung des §219a Strafgesetzbuch (StGB) beschlossen und damit das Werbeverbot für Schwangerschaftsabbrüche aufgehoben. §218 wird sobald nicht aus dem StGB verschwinden, auch wenn seit Ende März 2023 eine unabhängige und interdisziplinär besetzte Sachverständigenkommission der Bundesregierung („Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin“) beriet, um die Möglichkeiten für eine Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen außerhalb des StGB auszuloten. Der Abschlussbericht der Kommission aus Fachleuten der relevanten wissenschaftlichen Bereiche Medizin, Recht, Gesundheits- und Sexualwissenschaft sowie Psychologie liegt nun, zwölf Monate später, vor. Seit dem 8.4.2024 berichteten Medien wie der „Spiegel” unter Berufung auf diesen Bericht: Die Kommission ist für die Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den ersten 12 Wochen. Die bisherige grundsätzliche Rechtswidrigkeit einer Abtreibung halte einer verfassungs- und völkerrechtlichen Prüfung nicht stand, weswegen der Gesetzgeber Abtreibungen in der Frühphase der Schwangerschaft erlauben solle. Zugleich spreche sich die Kommission dafür aus, Abbrüche weiterhin im Grundsatz zu verbieten, sobald der Fötus eigenständig lebensfähig sei. Diese Grenze liege etwa in der 22. Schwangerschaftswoche.
Dagegen opponieren wird auch Bayerns Familien- und Frauenministerin Ulrike Scharf, die sich bereits entsetzt über die Pläne von Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne) zeigte, $218 aus dem StGB zu streichen: Für Scharf „ein Albtraum”, sie werde sich „mit ganzer Kraft dafür einsetzen, dass das Bundesverfassungsgericht das neue Gesetz überprüft.“ Im Nachhinein wurde die Expert*innenkommission von CDU/CSU-Politiker*innen als „nicht unabhängig” bezeichnet, sie liefere, was die Ampel bestellt habe.
SPD und Grüne wollen $218 also abschaffen, die FDP sieht hierfür keine Notwendigkeit. Die frauenpolitische Sprecherin der SPD, Leni Breymaier: „… wenn Frauen immer das Damoklesschwert über sich hängen haben, dass sie kriminell sind, dann ist eine gut durchdachte persönliche Entscheidung nicht möglich, und deshalb gehören Schwangerschaftskonflikte raus aus dem Strafgesetzbuch.”
Die AfD will das Recht auf Schwangerschaftsabbruch weitgehend verbieten und nur noch in absoluten Ausnahmen erlauben: Medizinische Gründe oder bei Vergewaltigung (die von den Betroffenen bekanntlich erstmal nachgewiesen werden muss). So zu lesen im 92-seitigen Entwurf eines Leitantrags, der Grundlage für den Parteitag Ende Juli und Anfang August 2023 war und fast einstimmig angenommen wurde.
Im Mai 2023 hat der UN-Ausschuss für die Beseitigung der Diskriminierung der Frau überprüft, ob Deutschland die UN-Frauenrechtskonvention einhält. Im Abschlussdokument dieser Überprüfung findet sich viel Kritik an der gesetzlichen Regelung von Schwangerschaftsabbrüchen, kritisiert werden beispielsweise die verpflichtende Beratung, die anschließende dreitägige Bedenkfrist und dass die Kosten für den Abbruch in der Regel selbst getragen werden müssen. Das UN-Gremium empfiehlt Deutschland, sich an den Leitlinien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zu orientieren und Schwangerschaftsabbrüche vollständig zu entkriminalisieren. Weder eine Beratung noch eine Wartezeit sollten vorgeschrieben sein, Krankenkassen die Kosten uneingeschränkt übernehmen, genügend medizinisches Fachpersonal zur Verfügung stehen, um sicheren Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in ganz Deutschland zu gewährleisten.
Quelle: Amnesty International
„Menschenrechte dürfen nicht nur zur beliebigen Phrase der Politik verkommen, sondern müssen, bezogen auf reproduktive und sexuelle Selbstbestimmung, auch das Recht auf den Abbruch einer ungewollten Schwangerschaft einschließen”, sagt Ulrike Busch, deutschlandweit die erste Professorin für Familienplanung (Universität Merseburg). Busch forscht praxisbezogen u. a. zu ungewollten Schwangerschaften, Schwangerschaftsabbruch, Teenagerschwangerschaften, frühen Hilfen und Schwangerschaftsberatung. Sie hatte Anteil an der Einführung des deutschlandweit einmaligen Masterstudiengangs „Sexualpädagogik und Familienplanung“, der 2009 zum Masterstudiengang „Angewandte Sexualwissenschaft - Bildung und Beratung im Kontext von Familienplanung, Partnerschaft und Sexualität“ weiterentwickelt wurde. Den bis heute gültigen Kompromiss durch den $218 kritisiert sie: Er erinnere nur noch wenig an das freie Entscheidungsrecht von Frauen, weil er schon im ersten Satz formuliere, dass es sich bei einer Abtreibung um einen Straftatbestand handele, der mit Gefängnis oder Geldstrafe sowohl für die Frauen als auch Ärzt*innen geahndet werden könne.
Über das Thema Schwangerschaftsabbruch versuchen religiöse Rechte Einfluss auf die Politikgestaltung zu nehmen mit dem Ziel, anschlussfähige Mehrheiten nicht nur auf der Straße, sondern vor allem in den Parlamenten zu bilden. Dabei sei die AfD, so zeigen ZDF-Recherchen, ein wichtiger Akteur in einem engmaschigen internationalen Netzwerk aus rechtsextremen Politiker*innen, einflussreichen Geldgeber*innen und christlichen Fundamentalist*innen. Bei den Europawahlen im Juni 2024 wird sich zeigen, wie weit der Einfluss der religiös-rechten, radikalen Abtreibungsgegner*innen bereits reicht.
Am sogenannten „Marsch für das Leben” nahmen am 16.9.2023 in Köln ca. 1.000 Menschen teil, er findet seit 2002 alle 2 Jahre, seit 2008 jährlich statt, stets begleitet von Gegenprotesten. 2023 in Köln versuchten etwa 3.000 Gegendemonstrant*innen, den „Marsch für das Leben” zu blockieren. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, der umstrittene Marsch wurde vorzeitig beendet. Umstritten u. a., weil auch rechte und rechtsextreme Organisationen zur Teilnahme aufrufen und teilnehmen. Gezeigt werden beim Marsch meist Bilder von Föten und die heilige Maria, auf Plakaten steht z. B.: „In Deutschland wird alle 5 Minuten ein Kind abgetrieben”.
Die Jusos hatten sich vorab „entsetzt“ geäußert, auch weil die Demo von „christlichen Fundamentalist*innen“ organisiert werde, so Sercan Karaagac, Vorsitzender der SPD-Jugend in Köln. Dass die CDU genauso wie Vertreter der AfD zum Marsch aufrufe, zeige die „hässliche Fratze der politischen Rechten in unserem Land“.
Die Grünen zeigten sich nach eigenen Angaben „irritiert” und riefen ausdrücklich zur Gegendemo auf. Die katholische Kirche, mensch wundert sich nicht, unterstützt den Marsch. Der erzkonservative Bischof von Regensburg lief mit ca. 3.000 Abtreibungsgegner*innen beim „Marsch für das Leben“ am 16.9.2023 durch Berlin und wurde neben Rechten fotografiert. Der „Bund der Katholischen Deutschen Jugend” in Köln rief dazu auf, nicht am Marsch teilzunehmen, weil die Organisatoren sich nicht genug von Rechtsextremen abgrenzten und eine frauenfeindliche Rhetorik nutzten. Am 21.9.2024 marschieren die Abtreibungsgegner*innen wieder, in Köln und Berlin.
Auf Wikipedia kann mensch sich ausführlich über den “Marsch für das Leben” informieren
Zur Szene radikaler Abtreibungsgegner*innen gehören auch Aktivist*innen, die auf Bürgersteigen vor Beratungsstellen, Praxen oder Kliniken gegen Schwangerschaftsabbrüche demonstrieren. Sie berufen sich auf das Recht zur Versammlungsfreiheit. Ihr Tun wird besonders von Betroffenen als „Gehsteigbelästigung“ und Bedrohung empfunden. Die SPD im NRW-Landtag bewertet den Protest als massive Belästigung medizinischen Personals und betroffener Frauen. „In ihr Persönlichkeitsrecht wird massiv eingegriffen“, sagte Lisa Kapteinat, SPD-Abgeordnete. Sie sieht daher Handlungsbedarf, die Folgen könnten gravierend sein, denn es gebe immer weniger Fachpersonal für Schwangerschaftsabbrüche, Frauen würden sich nicht mehr zu der gesetzlich vorgeschriebenen Beratung trauen, Stellen dafür würden wegen der Belästigung schließen, so die SPD-Politikerin.
Die Situation für betroffene Frauen in Deutschland hat sich in den letzten Jahren deutlich verschlechtert. Vor 20 Jahren gab es hier über 2.200 Praxen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, mittlerweile nur noch unter 1.000. Insbesondere in Süddeutschland ist es schwierig geworden, Beratungsstellen zu finden (katholische Beratungsstellen dürfen den Beratungsschein nicht ausstellen!) – und Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen. Mittlerweile Realität in Deutschland: Frauen fahren wieder nach Holland zum Schwangerschaftsabbruch.
Christine
Und in der Juni-Terz: Schwangerschaftsabbruch bei Deutschlands europäischen NachbarLändern.