Mine Kutlu-Petersen

Leiterin Pro Familia Düsseldorf:

Pro Familia arbeitet seit 55 Jahren in Düsseldorf, bietet viele verschiedene Beratungsbereiche an, von denen die Schwangerschaftskonfliktberatung mit 438 von ca. 3.000 Beratungen in 2023 nur einen Teil ausmacht. Nicht alle der 438 Beratenen ließen die Schwangerschaft abbrechen. Viele, die zur Pflichtberatung kommen, haben sich bereits für den Abbruch entschieden, sind oft trotzdem dankbar für ein Gespräch, nehmen nicht nur die Notwendigkeit des Beratungsscheins, sondern auch die Gelegenheit wahr, sich bei einer neutralen, professionellen Person auszusprechen und Unterstützung zu holen. Die Ratsuchenden sind in unterschiedlicher Verfassung, manche pragmatisch, andere voller Ängste, Schuldgefühle und Selbstzweifel, auch wenn sie sich eindeutig entschieden haben. Das wichtigste für das interdisziplinäre Pro Familia-Team ist die Ergebnisoffenheit der Beratung, Zuhören, da sein, individuelle Unterstützung anbieten, auch bezüglich der Kosten für den Abbruch (ca. 600€ in Düsseldorf). Alle Mitarbeiter*innen sind speziell für Schwangerschaftskonfliktberatung weitergebildet, auch die Kolleg*innen im Erstkontakt an Telefon und Anmeldung, die die ersten Ansprechpersonen für Ratsuchende sind. Regelmäßige Fortbildungen, Supervisionen und reflektierende Gespräche gewährleisten die Professionalität. Mine Kutlu-Petersen ist Diplom-Psychologin mit therapeutischer Zusatzqualifikation, zum interdisziplinären Team gehören Sozialarbeiter*innen, Familien-Hebammen, Sexualpädagog*innen sowie eine Gynäkologin. Ähnlich sind auch z. B. städtische Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen ausgestattet, an die Pro Familia verweist, wenn die eigene Kapazität ausgeschöpft ist. In Düsseldorf können in der Regel alle Ratsuchenden zeitnah Hilfe erhalten und den Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Es gibt etwa 8 Praxen, die dies anbieten, nicht alle erwähnen es auf ihren Homepages. Damit hat Düsseldorf eine noch akzeptable Versorgungsdichte, was nicht überall in NRW so ist. Und auch hier droht durch den Generationenwechsel bei den Gynäkolog*innen die Unterversorgung, zumal Schwangerschaftsabbruch in der ärztlichen Ausbildung nicht vorgesehen und immer noch mit einem Stigma behaftet ist. So bleibt Nachwuchs Mangelware, vor allem, solange der §218 weiter besteht, Schwangerschaftsabbruch als einziger medizinischer Eingriff strafbar ist und Ärzt*innen Konfrontationen mit Abtreibungsgegner*innen befürchten müssen.

Die Pro Familia-Beratungsstelle in Düsseldorf ist von “Gehsteigbelästigungen” bisher verschont geblieben, Mine Kutlu-Petersen hat noch keine direkten Repressalien durch Abtreibungsgegner*innen erfahren. Nach ihrer Einschätzung könnte das auch an der Toleranz Düsseldorfs liegen.

Die Situation für Menschen in Schwangerschaftskonflikt-Situationen muss dringend deutschlandweit reformiert werden, der derzeitige Zustand ist aus menschenrechtlicher, feministischer und gesellschaftlicher Sicht nicht haltbar.

Pro Familia fordert daher:

Pro Familia stehen verschiedene Budgets zur Kostenübernahme von Verhütungsmitteln für Frauen ab 22 Jahren mit geringem Einkommen zur Verfügung (unter Nachweis von Bedürftigkeit und Wohnsitz in Düsseldorf), alle anderen müssen selbst zahlen.

Für Frauen mit Flüchtlingsstatus, egal welcher Wohnsitz, kann derzeit noch durch Landesmittel eine Kostenübernahme für Verhütungsmittel ausgestellt werden. Bei Bedarf werden bei den unterschiedlichen Beratungen vor Ort Dolmetscher*innen eingesetzt, hierfür entstehen den Ratsuchenden keine Kosten.

Schwangerschaftsabbrüche als Teil der medizinischen Grundversorgung wären erst möglich, wenn diese nicht mehr der Rechtswidrigkeit unterliegen. Wichtigster Schritt ist und bleibt die Streichung des §218, worüber die Ampel-Koalition entscheiden muss. Eine kurzfristige Gesetzesänderung ist eher unwahrscheinlich, eine längere gesellschaftliche und politische Debatte sowie erbitterter Widerstand u.a. von CDU/CSU, Katholiken-Verbänden und Rechten zu erwarten.

Christine

[1]  Kanada hat als einziges Land weltweit kein nationales Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch mehr, seit der oberste Gerichtshof 1988 das damalige Gesetz für verfassungswidrig befand. Beispiel Kanada widerlegt die Behauptung, dies führe zu steigenden Abbruchzahlen oder gar dazu, dass Frauen bis kurz vor der Geburt abtreiben, was von Konservativen und Rechten auch in Deutschland gerne vorgebracht wird. Die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche liegt in Kanada seit der Entkriminalisierung konstant bei etwa 100.000 im Jahr, 90% davon werden im ersten Trimester der Schwangerschaft durchgeführt.