„See, I‘m a steelworker, I kill what I eat!“

Im Gedenken an Steve Albini!

Am 7. Mai 2024 ist Steve Albini überraschend im Alter von 61 Jahren an einem Herzinfarkt verstorben. Die Trauer in der Punk-, Indie-, Alternative- und Pop-Welt ging wie eine Woge durch die sozialen Medien, die Kondolenzanzeigen nahmen genreübergreifend kein Ende. Hatte Steve Albini doch durch sein Mitwirken in Bands wie Big Black, Rapeman, Shellac und vielen mehr, sowie als Betreiber & Besitzer des Electrical Audio Studios in Chicago einen ikonenhaften Ruf erworben, der seinesgleichen suchte. Seine Arbeiten als Produzent, Mixer oder Aufnahme-Engineer waren Szene und Stil übergreifend. Sie beinhalteten Bands und Künstler*innen aus allen Teilen der Welt, von der kleinen Noise Rock Band Joe 4 aus Zagreb, den Noise Poppern Die! Die! Die! aus Neuseeland über Nirvana bis hin zu PJ Harvey.

Fangen wir aber von vorne an:

Ein Schulfreund spielte ihm mit 14 oder 15 Jahren die Ramones vor und seine Liebe zum Punk begann. In einem Interview ließ er verlauten: „I was baffled and thrilled by music like the Ramones, the Sex Pistols, Pere Ubu, Devo, and all those contemporaneous, inspirational punk bands without wanting to try to mimic them.“ Seine ersten Gehversuche startete er im August 1981 bei der Band Stations aus Chicago. Für 8 Wochen spielte er dort Bass und unterstützte die Band bei einem Auftritt im Exit, einem legendären Live-Club in der „Windy City“. Die Stations nahmen dann eine Einladung von Martin Hannett, Produzent bei Factory Records nach Manchester an. Mir persönlich ist die Stations Seven Inch Against The Grain zu poppig, New Wave lastig, im Gegensatz zu folgenden prägenden Bands:

1981 gründete Steve die Band Big Black mit Gitarrist Santiago Durango und Bassist Jeff Pezzati, beide auch Mitglieder bei Naked Raygun (ebenfalls Chicago). 1985 verließ Pezzati BB und wurde von Dave Riley ersetzt. Ein weiteres Bandmitglied war Roland. Der Roland TR-606 Drumatix Drum Computer trug explizit zum wegweisenden Sound von BB bei. Aggressive und abrasive Gitarren, dazu die monotonen Beats von Roland, gepaart mit nihilistischen Texten, die vor keinem gesellschaftlichen Tabu Halt machten, trugen schon sehr früh zum Kultstatus der Band bei. Wobei Steve Albini bewusst Grenzen überschritt, um auf gesellschaftliche Missstände aufmerksam zu machen und seine Abneigung gegenüber diesen Zuständen zu betonen.

BB veröffentlichten neben zwei Studioalben, Atomizer (1986) und Songs About Fucking (1987), diverse 12“ und 7“ Inches, sowie ein Live Album. Das Songs About Fucking Album war mein Einstieg in die laute Welt des Steve Albini. Ende der 80er Jahre noch musikalisch vom 77er England Punk geprägt, war SAF einfach nur laut, brutal und irre! Die Lungs EP, im Original 1982 auf Ruthless Records erschienen, wurde dann 1992 von Touch And Go wiederveröffentlicht. Der Opener Steelworker trat zum passenden Zeitpunkt in mein Leben. Für mich als gelernten Dreher und mit einem Iro ausgestattet, beschrieb der Song zu 100% mein Lebensgefühl: „The only good policeman is a dead one [….] See, I‘m a steelworker, I kill what I eat […]“.

Eine Single, die ich hervorheben möchte, ist die Coverversion von Kraftwerk - The Model. Ein Cover, nah am Original, aber für mich noch besser und von den End-80ern bis heute immer eine sichere Nummer in jeder Indie-Disco. Auf der anderen Seite nehmen sich Big Black dann von Cheap Trick - He‘s A Whore vor, auch großartig! Da es BB zu diesem Zeitpunkt schon nicht mehr gab und selbst die Rapeman auch schon wieder Geschichte waren, habe ich beide Bands leider nie live gesehen.

Ja, die „Rapeman“ … Nach der Auflösung von BB 1987 gründete Steve Albini mit Reynolds Washam an den Drums und David William am Bass, die Rapeman. Der Bandname bezog sich auf einen beliebten japanischen Comic, der Albini und Washam faszinierte und sich erwartungsgemäß als kontrovers erwies. Dieser Name sorgte natürlich für Proteste und Demonstrationen bei der damaligen Tour. Rückblickend ließ Steve Albini im Jahr 2023 verlauten, dass er sich mittlerweile für den Namen schäme, er hat diesen als peinlich bezeichnet. Nachzulesen im Interview des Guardian aus dem Jahr 2023.

Die Rapeman veröffentlichten 1988 das Two Nuns And A Pack Mule Album sowie die Budd 12“ und die Hated Chinee / Marmoset 7“, alle ebenfalls auf Touch And Go. 1989 folgte dann noch die Inki‘s Butt Crack / Song Number One Single im Sub Pop Singles Club. Leider lösten sich die Rapeman, wegen interner Streitigkeiten, 1989 schon wieder auf. Ich weiß noch, dass ich auf einer Schallplattenbörse in Düsseldorf das D.O.A. Album Hardcore 81, eine sehr seltene Platte als originale Kanada-Pressung, gegen das Rapeman Album und die 12“ eingetauscht habe. Viele konnten das damals nicht verstehen, da das Hardcore 81 Album als der goldene Gral im kanadischen Punkrock galt. Für mich aber ein Tausch, den ich bis heute nicht bereue! Sind die Rapeman doch die konsequente Weiterentwicklung des kompromisslosen Big Black Sounds. Das brutale Schlagzeugspiel von Reynolds Washam sorgt für andere Momente als der Drummer Roland, ist aber nicht weniger treibend und intensiv. Trotz alledem, ein selten dämlicher Bandname, schon damals, und heute erst recht!

1992 gründet Steve Albini mit Todd Trainer an den Drums Shellac, auch als Shellac Of North America bekannt. Naked Raygun Bassist Camilo Gonzalez war bei den ersten Proben und der Aufnahme des Songs Rambler Song noch dabei, wurde dann aber von Robert „Bob“ Weston abgelöst, einem wichtigen Wegbegleiter Albinis in den kommenden Jahren. Weston betreibt seit 2007 sein eigenes Mastering Studio, den Chicago Mastering Service. Dort gab und gibt sich das Who Is Who der weltweiten Musikszene die Klinke in die Hand. Zudem hat er viele der Produktionen von Steve Albini gemastert und diesen so den letzten Schliff verliehen. Bei Nirvana‘s 3. Album In Utero hat er als Assistent Engineer Steve Albini unterstützt. Sein musikalisches Schaffen braucht sich also nicht hinter dem von Albini zu verstecken. Außerdem ist Bob Weston seit der Wiedervereinigung von Mission Of Burma im Jahr 2002 festes Mitglied der Band als Tape-Manipulator und Live Mixer. Beim Reunion Album ONoffON im Jahr 2004 war er als Mitproduzent tätig. Dieses nur als Information und Hinweis, weil Mission Of Burma auch einen sehr großen Einfluss auf die nordamerikanische Indie-Szene hatten und bis heute regelmäßig auf Tour sind.

Aber zurück zu Shellac. Im Jahr 1994 erschien das grandiose Erstlingswerk At The Action Park, natürlich, wie alle anderen Alben auch, auf Touch And Go. Kann man die Veröffentlichungen von Big Black und den Rapeman noch als „Lehr – und Gesellenjahre“ bezeichnen, begann mit Shellac die Meisterzeit. Das Debüt legte die Messlatte schon so hoch, dass sich jeder fragte: Was soll danach kommen? Obwohl noisig und verfrickelt, immer auf den Punkt gespielt. Schwere Rhythmen, kantige Gitarren, kombiniert mit Albinis surrealen, beißend sarkastischen Texten. Manch eine*r würde Shellac als amelodisch bezeichnen. Hier ist noch anzumerken, dass die Shellac Veröffentlichungen nicht nur hervorragend produziert sind, sondern alle in aufwendig designten Covern stecken.

Aber schon beim zweiten Album Terraform aus dem Jahr 1998 wurde noch eine Schippe draufgelegt, denn das Album wurde in den altehrwürdigen Abbey Road Studios aufgenommen und gemastert. Die Schrauben wurden beim dritten Album, 1000 Hurts aus dem Jahr 2000 noch mehr angezogen, denn dieses wurde bei Steve Albini im Electrical Audio Studio aufgenommen und wiederum in London in den Abbey Road Studios gemastert.

So konnte Steve endlich seine eigenen Soundvorstellungen gänzlich umsetzen.

Mein persönlicher Liebling ist jedoch das Excellent Italian Greyhound Album aus dem Jahr 2007. Das liegt wahrscheinlich an dem gesamten Artwork Konzept, da kommt der alte Köter-Punk in mir durch. Wer mich lange genug kennt, erinnert sich sicherlich noch an meine langjährige Begleiterin Kira (natürlich benannt nach der Bassistin von Black Flag). Kira war von bemerkenswertem Aussehen, halb italienisches Windspiel, halb Terrier und dem Covermodel durchaus ähnlich.

Auch das 2014 Album Dude Incredible besticht durch die solide Kombination von Abbey Road vs. Electrical Audio und schließt sich nahtlos in die Reihe der Alben ein.

Nachdem ich mich über Pfingsten einmal komplett durch Shellac gefräst habe, muss ich sagen: Es gibt kein Album, dass mich nicht überzeugt!

Dann war es lange ruhig um Shellac, abgesehen von der Veröffentlichung der Peel Sessions - The End Of Radio (14 July 1994 Peel Session / 1 December 2004) im Jahr 2019. Die Aufnahmequalität der Sessions selber ist natürlich, wie bei allen Peel Sessions großartig und durch die Bandbreite der Songs für mich das ideale Einstiegswerk für alle Shellac Neulinge, die Liebhaber*innen werden wollen.

Von Steve Albini gab es im Jahr 2020 wieder ein Lebenszeichen. Er war an dem Soundtrack zu dem Film Girl On The Third Floor beteiligt, auch auf Touch And Go erschienen. Das klassische Horrorfilm Thema der unbedarften Familie, die in ein Haus einzieht und sich dann unerklärlichen Dingen stellen muss, wird hier von Alison Chesley, Steve Albini, Tim Midyett und Gaelynn Lea bei einem Stück am Gesang, eindrucksvoll instrumentiert und intensiv umgesetzt. In englischsprachigen Rezensionen fiel das Wort „creepy“ und das passt!

Anfang des Jahres dann die Ankündigung, dass Shellac nach 10 Jahren ein neues Album veröffentlichen. Die Erwartungshaltung war natürlich enorm, gerade auch bei mir, hatte ich Shellac doch noch nie live gesehen und meine Hoffnung war, dass zum Album eine Europa-Tour stattfindet. Doch 10 Tage vor dem offiziellen Veröffentlichungstermin schlug die Nachricht seines Todes ein wie eine Bombe. Das langersehnte Album ist zugleich der Abschied von Steve Albini. Eine beeindruckende Karriere als Musiker und Produzent fand ein abruptes Ende, und die Lücke, die Steve Albini hinterlässt, wird meines Erachtens nicht so schnell wieder geschlossen werden.

To All Trains bildet dann auch den würdigen Abschluss dieses Lebens für die Musik, und mehr möchte ich dazu auch nicht mehr schreiben.
Besorgt es euch gefälligst, hört es laut und immer wieder und genießt den Sound!

Es ist vielleicht noch kurz zu erwähnen, dass Steve und Bob bei diesem Album das erste Mal zusammen, sowie mit ihren beiden Studios an der Produktion beteiligt waren und das ganze Album CO2 neutral hergestellt worden ist. „This 180 gram Touch and Go Records album TG444LP is made with 100% Recyclable Material which is PVC & Phthalates Free and uses 79% less CO2 to produce.“

Vielen Dank an Mrs. Cave, die die Dauerbeschallung im Gedenken an Steve Albini stoisch ertragen und dann auch noch Korrektur gelesen hat. In der nächsten Ausgabe werden wir wieder diverser, versprochen!

Die Platte des Monats ist darum diesmal das Jane Weaver Album – Love In Constant Spectacle. Ich habe eine Gold-Glanz-Folien-Edition geschossen und verlose somit unter allen TERZ-Spender*innen mein Besprechungsexemplar der letzten Ausgabe!

Bis nächsten Monat und dann hoffentlich nicht wieder mit so traurigen Nachrichten.

Grüße Mrs. Cave und der Oberbilker