Mit harten Bandagen

Gegen politische Gegner*innen

Es heißt Wahlkampf, wird aktuell mal wieder wörtlich genommen: brutale und blutige Übergriffe auf Politiker*innen oder Wahlhelfer*innen.

In unmittelbarer Nachbarschaft der TERZ-Redaktion auf der Himmelgeister Straße traf es am 26. April einen Grünen-Helfer beim Plakatieren für die Europawahl. Bei dem gewaltsamen Übergriff wurde der Ehrenamtler, der abends allein unterwegs war, von einem Mann angepöbelt und beschimpft. Nach dem Aufhängen der Plakate verfolgte ihn der Täter und schlug dann mit der Faust zu. Der Aktivist erlitt eine Prellung des Unterkiefers. Christian Fritsch, Sprecher der Düsseldorfer Grünen, hat den Fall in einer Videobotschaft in den sozialen Medien bekanntgegeben. Es sei Glück, dass es keine weitergehende Verletzung gegeben habe, so Fritsch, der Täter habe seinen Hass auf Grüne deutlich zum Ausdruck gebracht. Die Partei zeigte die Attacke an, obwohl sie sich anfangs aus Sorge vor Nachahmungstäter*innen entschieden hatte, den Fall nur intern zu kommunizieren. Doch nach dem aktuellen schockierenden Ereignissen und Angriffen wie den auf den SPD-Abgeordneten Matthias Ecke in Dresden sowie zwei Grünen-Politiker in Essen sei jetzt eine andere Dimension erreicht, so Fritsch. Aufgrund der naheliegenden politischen Motivation ermittelt der Staatsschutz wegen Körperverletzung, bestätigte ein Sprecher der Polizei Düsseldorf. Fritsch kündigte an, auch weiterhin konsequent rechtliche Schritte einzuleiten. So werde derzeit ermittelt, wie viele Wahlplakate bereits mutwillig zerstört wurden. Zur Anzeige gebracht werden solle auch, dass ein Plakat mit Hakenkreuzen beschmiert wurde. Im Vergleich zum Landtagswahlkampf 2022 sei jetzt eine ganz andere Stimmung wahrzunehmen. SPD-Politiker Matthias Ecke wurde bei einer Attacke in Dresden Anfang Mai durch vier 17- bis 18-jährige junge Männer schwer verletzt. Er erlitt Knochenbrüche und Prellungen im Gesicht, musste operiert werden. Damit ist das Thema endgültig wieder in der Öffentlichkeit gelandet, zumal mindestens ein Tatverdächtiger Mitglied der in diesem Jahr gegründeten „Elblandrevolte“ sein soll, einer Nachfolgeorganisation der „Jungen Nationalisten“, der Jugendorganisation der NPD (mittlerweile in „Die Heimat“ umbenannt). Inzwischen hat Ecke angekündigt, bald in den Wahlkampf zurückkehren und sich von dem Angriff nicht mundtot machen lassen zu wollen, er sei getroffen, aber nicht eingeschüchtert. Dennoch müsse er schauen, wie er mittelfristig mit der Erfahrung klarkomme. Ecke sieht „die AfD in der Mitschuld“, sie habe das gesellschaftliche Klima in den vergangenen Jahren vergiftet, das Ausmaß an Verrohung habe es bisher in Wahlkämpfen nicht gegeben.

Ebenfalls attackiert wurde die Berliner Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey (SPD) Anfang Mai in einer Berliner Bibliothek, ein Mann habe sie hinterrücks mit einem harten Gegenstand angegriffen. Sie wurde an Kopf und Nacken getroffen und leicht verletzt.

Konsequentere und härtere Bestrafung wird lautstark gefordert, im Vorfeld einer Sonder-Innenministerkonferenz hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) mehr Schutz für die demokratischen Kräfte und mehr sichtbare Polizeipräsenz gefordert. Täter*innen sollen ein höheres Risiko verspüren, erwischt und strafrechtlich belangt zu werden. Außerdem gebe es das Vorhaben, das Melderecht zu ändern, damit Privatadressen von Politiker*innen besser geschützt werden. Fae­ser will mit Polizei und Justiz „ein deutliches Stopp­signal“ geben. „Das klingt nur gut. Für schnellere Strafverfahren und mehr Polizei wird es im Ampel-Sparhaushalt weniger Geld geben, nicht mehr“, so die taz. Zivilcourage und die Wahrung der Verhältnismäßigkeit ist also gefragt.

Täuschungsmanöver

Dabei ist es mitunter schwierig, Freund und Feind zu unterscheiden. So sorgt in Baden-Württemberg (BW) eine Broschüre, die unaufgefordert u. a. in Briefkästen Freiburger Bürger*innen gelandet ist, für Irritationen: Das so genannte „BW-Journal“. Nicht direkt ersichtlich ist, dass die AfD Herausgeberin des Magazins ist, dafür muss mensch sich mindestens bis Seite 3 mit dem Blättchen befassen. Auf 8 Seiten lassen sich Rechte zu Themen wie Migration, Inflation und Bürokratieabbau aus, auf Seite 2 richtet der Fraktionsvorsitzende der AfD BW, Anton Baron, ein Grußwort an Leser*innen, darunter wird BW-Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als zweiköpfiges Monster karikiert. Die Aufmachung der Broschüre hat wegen der Verwendung des BW-Landeswappens (drei nach LINKS schreitende schwarze Löwen) einen behördlichen Charakter. Hauspost wie diese sei in der Tat rechtens, so das BW-Innenministerium, nach rechtlicher Prüfung liege kein Verstoß gegen das Landeshoheitszeichengesetz vor. Zensur sei nicht rechtens, beim „BW-Journal“ der AfD-Fraktion des Landtags von BW handele es sich um eine Broschüre im Rahmen der zulässigen Öffentlichkeitsarbeit der Fraktionen, so ein Sprecher der Landtagspressestelle. Auch Prof. Michael Wehner, Leiter der Außenstelle Freiburg der Landeszentrale für politische Bildung, hatte das „BW-Journal“ kürzlich im Briefkasten. Die Verwendung des BW-Landeswappens auf dem Titel wecke aus seiner Sicht den Eindruck einer staatlichen Broschüre. Der Hauptvorwurf verärgerter Bürger*innen, die ihn erreichten: Eine Partei inszeniere sich als Repräsentantin des Landes BW. So war der Plan, und der Zeitpunkt der Versendung der Infobroschüren kein Zufall. Wahlkampfzeiten werden genutzt, um auf Stimmenfang zu gehen, dafür scheint jedes Mittel recht.

Einen ähnlichen und noch verstörenderen Fall gab es Ende letzten Jahres durch einen von der AfD herausgegebenen „Abschiebekalender 2024“, in dem die Macher des Druckwerks fremdenfeindliche Sprüche platzierten, wie „Heimaturlaub? Nur mit One-Way-Ticket“, oder: „Deutschland zuerst heißt Remigration“. Auch hier wurde auf dem Deckblatt das Hoheitszeichen des Landes BW verwendet, neben den „12 schönsten Abschiebefliegern“. Geht‘s noch? fragt mensch sich, so eine Ekelhaftigkeit. Ein Video zu dem Kalender ging auf der Social-Media-Plattform „TikTok“ viral, dieses Medium ist gern genutzte Plattform der AfD, womit sie besonders junge Menschen erreicht und rekrutiert. Gekämpft wird mit harten Bandagen, verbal, mental und zunehmend brutal.

Studien zeigen, dass Kommunalpoliti­ker*in­nen nur jede siebte Bedrohung anzeigen. Aus Angst, als Opfer zu gelten und so noch mehr Hass zu provozieren.

Ein tieferes Übel

„Die Wut wächst und Schuldige werden gesucht“, sagte Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge in einem ZDF-Interview am 11.05.2024. Hinter den aktuellen Angriffen auf Politiker*innen sieht der ein tieferes Übel: wachsende soziale Ungleichheit. Soziale Gleichheit sei nicht identisch mit der Gleichmacherei eines Steinzeit-Kommunismus, es gehe um eine Gesellschaft, in der niemand arm ist, während andere unvorstellbaren Reichtum genießen. Er sieht Gleichgültigkeit in der Bevölkerungsmehrheit, der Aufschrei bleibe bislang aus. Dafür hauptverantwortlich sei der herrschende Irrglaube, dass wer sich anstrengt, fleißig ist und etwas leistet, belohnt wird und zu Wohlstand gelangt. Selbst Milliardenvermögen rechtfertigt man damit, so Butterwegge.

Christine

Quellen: RP Düsseldorf, Sächsische Zeitung, ZDF, dpa, SWR, taz