Schwangerschaftsabbruch in Europa: Erschreckendes und Ermutigendes

Die Ergebnisse der Europawahlen von Juni 2024 zeigen: In mehreren Ländern Europas gibt es einen deutlichen Rechtsruck. Was das in den einzelnen Ländern in Bezug auf das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bewirkt, wird sich zeigen. Die Kirche sitzt vielerorts noch mit im Boot, ist aber nicht mehr der Steuermann, wie in Polen und Irland zu sehen ist.

Frankreich: Historisches Votum für die Frauen

Seit über 50 Jahren stand Schwangerschaftsabbruch in Frankreich schon nicht mehr im Strafgesetzbuch. Am 28.2.2024 sprach sich nach den Abgeordneten der Französischen Nationalversammlung auch der französische Senat mit 267 gegen 50 Stimmen dafür aus, Schwangerschaftsabbruch als „garantierte Freiheit“ in der Verfassung zu verankern. Definitiv beschlossen wurde diese in Europa und der Welt einmalige Verfassungsänderung, die Frauen das Recht auf Schwangerschaftsabbruch garantiert, am 4.3.2024 von Staatspräsident Emmanuel Macron. Voran gingen dieser bahnbrechenden Entscheidung lange und heftige Diskussionen, Widerstand kam vor allem von den mehrheitlich konservativen und männlichen Senatoren, die, so vermuten Medien und Ratskolleg*innen, unter „häuslichem Druck“ gestanden haben sollen. Der Einfluss von Gattinnen, Freundinnen, Töchtern, überhaupt Frauen, soll sich ausgezahlt haben. Die „alten weißen Männer“ wollten offenbar nicht als frauenfeindlich und rückständig gelten. Feministinnen hatten schlussendlich einen stärkeren Einfluss auf das Parlament als die oft religiös motivierten Abtreibungsgegner*innen.
Quelle: taz 29.2.24

Spannend bleibt, was der zu erwartende Rechtsruck nach den vorgezogenen Parlamentswahlen am 30.6. und 7.7. bewirken wird.

Niederlande: Weiterhin Option für Frauen aus Deutschland

Hier ist Schwangerschaftsabbruch legal und bis zur 24. Woche möglich, später nur aus schwerwiegenden medizinischen Gründen. Im Februar 2022 wurde die bisher gesetzlich vorgeschriebene Bedenkzeit von fünf Tagen vor dem Abbruch gestrichen. Eine große Mehrheit des Parlaments stimmte in Den Haag einem entsprechenden Gesetzentwurf zu. Nach dem geänderten Gesetz entscheiden Ärzt*innen und Schwangere gemeinsam über die Dauer der Bedenkzeit. Ein Abbruch kann aber auch bereits am Tag des Gesprächs stattfinden.

Die Kosten für einen Abbruch werden von den Behörden festgelegt. Frauen, die im Ausland wohnen und in den Niederlanden einen Abbruch vornehmen lassen wollen, müssen die Kosten dafür selbst tragen, die je nach Klinik und Methode zwischen 700 und 900 Euro betragen. Für Personen, die in den Niederlanden wohnen, ist der Abbruch durch einen Zuschuss des Ministeriums für Gesundheit und Sport kostenlos. Die Krankenkasse wird nicht informiert.

Erwartbar ist, dass in den nächsten Jahren mehr Frauen aus Deutschland die niederländischen Abtreibungskliniken in Anspruch nehmen werden, da der Zugang zu Abbrüchen in Deutschland schlechter wird (TERZ 5.2024 Schwangerschaftsabbruch in Deutschland).

Unter der neuen rechten Vier-Parteien-Koalitions-Regierung der Niederlande soll es nach bisherigen Verlautbarungen keine Änderungen in medizinisch-ethischen Fragen wie Schwangerschaftsabbruch und Sterbehilfe geben.

Großbritannien

In Großbritannien ist der Abbruch bis zur 24. Woche erlaubt, falls die Fortsetzung der Schwangerschaft ein größeres Risiko darstellt als die Beendigung, sowohl was die körperliche als auch psychische Gesundheit der schwangeren Frau oder ihrer bereits vorhandenen Kinder betrifft. Voraussetzung ist, dass der Abbruch ab der 10. Schwangerschaftswoche (SSW) in einer professionellen Klinik durchgeführt wird und zwei Ärzt*innen ihr Einverständnis gegeben haben. Demnächst stimmen die Abgeordneten im Unterhaus über die Entkriminalisierung von Abtreibungen nach der 24. SSW in England und Wales ab. In den letzten Jahren wurden vermehrt Frauen aufgrund des Vorwurfs illegaler Abtreibungen von der Polizei verfolgt, zwei wurden sogar zu Haftstrafen verurteilt. Nun soll das Parlament über die endgültige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen abstimmen, wofür es eine Mehrheit zu geben scheint. Den Parlamentarier*innen wird es freigestellt, nach ihrem Gewissen zu entscheiden.

Nordirland

Nordirland hat die fortschrittlichsten Gesetze für Schwangerschaftsabbrüche im Vereinigten Königreich. Sie sind seit 2020 bis zur 12. Woche bedingungslos legal, danach gemäß dem englischen Kompromiss. Es existieren nun Vorschriften und Gesetze, die den Zugang auf der Grundlage eines Menschenrechts auf Abtreibung regeln.

Irland

In Irland ist Schwangerschaftsabbruch künftig legal. Dafür votierte Anfang März 2024 mit 66,4 Prozent eine überraschend große Mehrheit. Das bedeutet für Irland, dass Frauen künftig im eigenen Land einen Abbruch vornehmen lassen können und nicht mehr ins Ausland fahren müssen. Frauen sollen selbst über ihren Körper bestimmen. In der Hauptstadt Dublin lag die Zustimmung bei insgesamt fast 80 Prozent. Premierminister Leo Varadkar von der konservativen Partei Fine Gael will mit seiner Minderheitsregierung bis Ende des Jahres ein Gesetz durchs Parlament bringen, wonach Schwangerschaftsabbrüche bis zur 12. Woche straffrei bleiben, danach sollen sie nur aus medizinischen Gründen erlaubt sein. Diese Neuregelung war von einer Versammlung irischer Bürger*innen vorgeschlagen worden, die zahlreiche Expert*innen dazu angehört hatte. Seit 35 Jahren sind in dem lange stark katholisch geprägten Land Abbrüche nur dann legal, wenn das Leben der werdenden Mutter in Gefahr ist. In allen anderen Fällen, auch nach einer Vergewaltigung oder bei einer schweren Missbildung des Fötus, gilt ein Schwangerschaftsabbruch als Straftat. Das sich abzeichnende Votum für eine Lockerung ist auch ein Beleg dafür, dass sich die Menschen in Irland in moralischen Fragen nicht länger von der katholischen Kirche leiten lassen, deren Autorität unter den Missbrauchsskandalen stark gelitten hat.

Belgien: Seit 2018 entkriminalisiert

Erlaubt ist der Abbruch bis zu 12 Wochen nach der Befruchtung (oder 14 Wochen nach der letzten Regelblutung), keine Einschränkung besteht bei „erheblichem Risiko“ für die Gesundheit der Frau oder „extrem schweren und unheilbaren Krankheiten“ des Fötus.

Mit dem Gesetz vom 15. August 2018 wurde die Abtreibung entkriminalisiert. Seit Dezember 2002 wird der Eingriff erstattet, so er in einer Abtreibungsklinik durchgeführt wird, die eine Vereinbarung mit dem Nationalen Institut für soziale Sicherheit (INAMI/RIZIV) unterzeichnet hat, was auf alle diese Zentren in Belgien zutrifft.

Dänemark: Weitere Lockerung 2025

Ab Mitte 2025 sollen in Dänemark Schwangerschaftsabbrüche bis zur 18. Woche erlaubt sein. Bislang liegt die Grenze bei 12 Wochen. Die dänische Innen- und Gesundheitsministerin Sophie Løhde sagte, es gebe keinen medizinischen Beleg für die jetzige Grenze und es deute auch nichts darauf hin, dass es deutlich mehr oder spätere Abbrüche durch deren Anhebung geben werde. Die Gesetzesänderung sieht außerdem vor, dass 15- bis 17-Jährige auch ohne die Erlaubnis ihrer Eltern oder die Zustimmung durch eine Kommission einen Abbruch vornehmen lassen dürfen. Zukünftig sollen bis zum Ende der 18. SSW selbstbestimmte Abbrüche möglich sein. Dänemark war eines der ersten westeuropäischen Länder, die das Recht auf selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch gewährt haben.

Seit 1973 können Frauen mit Wohnsitz in Dänemark bis zum Ende der 12. Woche einen Abbruch ohne Angabe von Gründen vornehmen lassen, ohne die Kosten übernehmen zu müssen. Auch danach sind Schwangerschaftsabbrüche unter gewissen Bedingungen möglich, bedürfen jedoch der Erlaubnis einer Kommission. Der Abbruch darf nur von einer/m Ärztin/Arzt in einem Krankenhaus, das Mitglied des Kopenhagener Krankenhausverbandes ist, durchgeführt werden. Die Krankenhäuser sind verpflichtet, bei allen Frauen, die dies wünschen, einen Abbruch nach den gesetzlichen Bestimmungen vorzunehmen. Seit 2004 ist ein Abbruch auch für Ausländerinnen erlaubt, die den Eingriff jedoch selbst bezahlen müssen.

Italien: Lebensrechtsbewegung mischt mit

Offiziell ist Schwangerschaftsabbruch bis zu 90 Tagen (zwischen 12 und 13 Wochen) legal möglich, wenn die Fortsetzung der Schwangerschaft, die Geburt oder Mutterschaft die physische oder psychische Gesundheit der Frau, ihren Gesundheitszustand, wirtschaftliche, soziale oder familiäre Umstände ernsthaft gefährden würden. Die Umstände, durch die die Empfängnis eingetreten ist (z. B. Vergewaltigung), oder dass das Kind mit Fehlbildungen geboren würde, sind ebenfalls Indikationsgründe. Ein Zertifikat von einer vollständig medizinisch-sozialen autorisierten Agentur, einem öffentlichen Beratungszentrum oder einer/m Wahlärztin/Arzt der Frau wird benötigt. Außerdem gilt eine verbindliche Wartezeit von mindestens 7 Tagen, wenn der Abbruch nicht dringend erforderlich ist. In einigen Regionen (vor allem in Süditalien) und in ländlichen Gebieten können Unterschiede zwischen dem Gesetz und dessen Anwendung bestehen. Der Abbruch ist für alle Frauen, auch für Migrantinnen, Ausländerinnen sowie Frauen ohne gesetzliche Aufenthaltsgenehmigung kostenlos.

Das Parlament mit der rechten Regierungsmehrheit unter der ultrarechten Ministerpräsidentin Giorgia Meloni hat den Zugang von Abtreibungsgegner*innen zu Kliniken gesichert, in denen Frauen vor einem möglichen Schwangerschaftsabbruch beraten werden. Der Senat verabschiedete Anfang Mai 2024 die von der Opposition heftig kritisierte Regelung, die es den italienischen Regionen künftig ermöglicht, Gruppen „mit qualifizierter Erfahrung in der Unterstützung der Mutterschaft“ Zugang zu solchen Beratungsgesprächen für Frauen zu gewähren. Gruppen aus der „Lebensrechtsbewegung“ haben bereits seit Längerem in mehreren italienischen Regionen Zugang zu den Kliniken, in denen Beratungsgespräche stattfinden. Durch das nun verabschiedete Gesetz könnte dies nun italienweit erleichtert werden. Melonis Regierung argumentiert, dass die neue Regelung den Zielen des italienischen Abtreibungsgesetzes 194 von 1978 entspricht, mit dem Schwangerschaftsabbrüche in Italien erstmals unter bestimmten Voraussetzungen legal möglich waren, wie oben beschrieben. Durch das neue Gesetz können Frauen der Regierung zufolge „besser informiert“ und werdende Mütter „besser unterstützt“ werden. Die Chefin der größten italienischen Oppositionspartei, des sozialdemokratischen Partito Democratico (PD), Elly Schlein, sprach hingegen von einem „schwerwiegenden Angriff auf die Freiheit der Frauen“. Die Parlamentarier*innen der populistischen Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) erklärten, Italien habe „beschlossen, einen weiteren Rückschritt zu machen“. Meloni hatte mehrfach erklärt, das geltende Abtreibungsrecht nicht verändern zu wollen, was sie bislang auch nicht getan hat. Im Wahlkampf vor der Parlamentswahl 2022 hatte sie gesagt, ihre Partei Fratelli d'Italia (FdI) wolle jedoch, dass „Frauen wissen, dass es andere Optionen gibt“. Die Opposition wirft der Regierung vor, Frauen den Zugang zu Abtreibungen weiter erschweren zu wollen. Bereits jetzt ist es in weiten Teilen Italiens für Frauen schwer, Zugang zu einem Abbruch zu erhalten. In vielen Regionen weigert sich ein großer Teil der Frauenärzt*innen unter Berufung auf eine Bestimmung des Gesetzes 194 aus moralischen oder religiösen Gründen, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen.
Quellen: afp/aerzteblatt

Malta

Malta verbietet als einziges europäisches Land Schwangerschaftsabbruch in allen Fällen, ohne Ausnahme, nicht einmal dann, wenn das Leben der Frau auf dem Spiel steht.

Monaco

Am 24. April 2009 hat Fürst Albert II von Monaco ein Gesetz unterzeichnet, das vom Parlament des Fürstentums einige Tage zuvor nach mehrjährigen Beratungen verabschiedet wurde. Es erlaubt einen Schwangerschaftsabbruch, wenn das Leben oder die körperliche Gesundheit der Schwangeren gefährdet ist, bei schwerer Schädigung des Fötus oder nach Vergewaltigung. Die Gefahr muss von zwei Ärzt*innen bestätigt werden. Minderjährige brauchen die Zustimmung eines Elternteils. Der Eingriff darf nur in einem öffentlichen Spital vorgenommen werden. Was wie ein äußerst restriktives Abtreibungsgesetz aus der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts wirkt, bedeutet immerhin einen wichtigen Schritt nach vorn für das Fürstentum. Unter dem Protest der katholischen Würdenträger hat sich Monaco damit aus der Gruppe jener Länder verabschiedet, die einen Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulassen. Die Monegassinnen, die die strikten Bedingungen nicht erfüllen, werden weiterhin ins nahe Ausland fahren, um eine ungewollte Schwangerschaft abzubrechen.

Österreich: Eingeschränkte Möglichkeiten

Der Abbruch auf Verlangen und ohne medizinischen Grund ist vor der 16. SSW legal, wenn er von einem*r Arzt/Ärztin nach vorheriger Beratung durch diese*n vorgenommen wird. In der Praxis werden Schwangerschaftsabbrüche bis zu 12 Wochen nach der letzten Periode durchgeführt, auch wenn es keine Rechtsgrundlage dafür gibt. Der Abbruch darf nur von einem/r Arzt/Ärztin durchgeführt werden, auch medikamentöser Abbruch ist ausschließlich in Krankenhäusern und Kliniken erlaubt. In Österreich besteht, anders als in Deutschland, keine Beratungspflicht vor der Durchführung eines Abbruchs. Aufgrund der Option „Verweigerung aus Gewissensgründen“, sowohl seitens des medizinischen Personals als auch der Krankenhausleitung sind die Möglichkeiten für einen Abbruch in Österreich jenseits von Wien oft problematisch, das Land ist insgesamt schlecht versorgt, was den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen angeht. In manchen Bundesländern existiert nur ein*e einzige*r Arzt/Ärztin für Abbrüche.

Schweiz: Viele Hürden

Abbruch ist auf Wunsch bis zur 12. Woche (10 Wochen ab der Empfängnis) möglich. Die Frau muss einen schriftlichen Antrag stellen, aus dem hervorgeht, dass sie sich in einer Notlage befindet. Nach der 14. SSW ist es, außer in Ausnahmefällen, immer noch schwierig, einen Abbruch zu erhalten. Ärzt*innen sind verpflichtet, der Schwangeren umfassende Informationen zu geben, die Entscheidung mit ihr im Detail zu besprechen sowie ihr ein Informationsblatt mit Adressen von Beratungsstellen und Dienstleistungen zu überreichen, wo sie sich moralische und materielle Hilfe holen und über eine Adoption informieren kann.

Die Krankenkasse übernimmt die Kosten für rechtskonforme Abbrüche, die meistens aus psychosozialen Gründen durchgeführt werden.
Quellen: Abtreibungskliniken in Europa, ARD

Polen: Frauen die Würde zurückgeben und Sicherheit garantieren?

Dies, erklärte Donald Tusk, Vorsitzender der „Bürgerplattform“, bei einem Wahlkampfauftritt im September 2023, sei ein zentraler Punkt in seinem Programm. Tusk versprach freien Zugang zum Schwangerschaftsabbruch in den ersten 12 Wochen, sowie die Abschaffung der Gewissensklausel, wonach Ärzt*innen an staatlichen Krankenhäusern einen Abbruch aus religiösen Gründen verweigern können.

Tusk wurde am 11.12.2023 zum Ministerpräsidenten Polens gewählt. Noch 2013, während seiner ersten Amtszeit als Regierungschef, stellte er sich gegen die Liberalisierung des als „Kompromiss“ bezeichneten Gesetzes, mit dem 1993 eine der restriktivsten Abtreibungsregelungen Europas eingeführt wurde. Diese erfuhr unter der ultrakonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PIS), die in Polen ab 2015 regierte, eine weitere Verschärfung, sehr zum Wohlgefallen der in Polen mächtigen katholischen Kirche. Dagegen protestierten im Oktober 2022 hunderttausende Frauen in ganz Polen.

Die äußerst strengen Regelungen von Schwangerschaftsabbrüchen reichen in Polen weit zurück, dabei hat die katholischen Kirche einen enormen Einfluss. In der Solidarność-Bewegung der 1980er Jahre waren katholischer Glaube und -Institutionen wichtige Machtfaktoren, während des im Dezember 1981 ausgerufenen Kriegsrechts spielte die Kirche eine wichtige oppositionelle Rolle, deren starkes politisches Engagement seinen Preis hatte: Sie wollte erneut eine zentrale Position im öffentlichen Leben einnehmen und ihre Moralvorstellungen in die Gesetze des neuen Staatswesens einbringen. An oberster Stelle stand der Kampf gegen den Schwangerschaftsabbruch.

1956 hatte das kommunistische Regime Abtreibungen in vier Fällen legalisiert: Nach Vergewaltigung, Missbildung des Fötus, Gefahr für das Leben der Mutter und bei „schwierigen Lebensumständen“ der schwangeren Frau, diese letzte Indikation ermöglichte jeder Frau eine Abtreibung. Nach Ende der kommunistischen Ära (1989-1993) wurden im Sejm, dem polnischen Unterhaus, mehrere restriktive Gesetzentwürfe debattiert, darunter auch einer der polnischen Bischofskonferenz. Etliche Mitglieder der antikommunistischen Opposition engagierten sich für die Kampagne, die der Papst persönlich unterstützte. Am 7.1.1993 verabschiedete das Parlament das „Kompromiss“ genannte Gesetz, das einen Schwangerschaftsabbruch nur nach einer Vergewaltigung, Inzest, bei Gefahr für die Gesundheit und das Leben der Frau oder bei Missbildungen des Fötus zuließ. Ärzt*innen, die Abbrüche auch in anderen Fällen vornahmen sowie allen Personen, die dazu Beihilfe leisteten, drohten drei Jahre Gefängnis ohne Bewährung. Damit waren jedoch weder die Befürworter*innen des Rechts auf Schwangerschaftsabbruch noch die besonders konservativen politischen Kräfte einverstanden. 1994 verhinderte der damalige Präsident Wałęsa mit seinem Veto ein von Frauen eingebrachtes liberaleres Gesetz, dem der Sejm und auch der Senat als zweite Kammer bereits zugestimmt hatten. Der „Kompromiss" von 1993 wurde eingefroren, ein Zeugnis des Machtverhältnisses zwischen Kirche und Staat.

Im Wahlkampf von 2001 hatte sich die postkommunistische Linkspartei SLD für das Recht auf Schwangerschaftsabbruch ausgesprochen. Bischöfe jedoch drohten, die Bevölkerung gegen den von der Regierung geplanten EU-Beitritt zu mobilisieren, sollte die Reform weiter verfolgt werden, also gab Wahlsiegerin SLD klein bei. Sogar ein Appell gegen die Einmischung der Kirche in die Politik, unterschrieben von 100 Frauen, darunter die Nobelpreisträgerinnen Olga Tokarczuk und Wislawa Szymborska, blieb wirkungslos.

Die Wahlsiege der PiS von 2013 und 2019 intensivierten den Einfluss der Kirche noch. Im Herbst 2016 jedoch geriet die Regierung erstmals in Schwierigkeiten, als das Parlament über eine Gesetzesinitiative beriet, die katholische Fundamentalist*innen per Volksbegehren gestartet hatten. Unter dem Motto „Stoppt Abtreibungen“ sah der Entwurf fünf Jahre Gefängnis für Frauen vor, die einen Abbruch vornehmen ließen. Die Reaktion: Die „schwarzen Märsche“, als 100.000 Menschen in 143 Städten auf die Straßen gingen und die Regierung zum Rückzug zwangen. Auf diese Welle der Konfrontation zwischen der mit der Kirche verbündeten konservativen Regierung und einer feministischen Massenbewegung folgte im Oktober 2020 eine weitere, als der Verfassungsgerichtshof, seit der Justizreform von 2015 eine PiS-Pfründe, das Recht auf Schwangerschaftsabbruch bei einer Missbildung des Fötus für verfassungswidrig befand. Trotz des Demo-Verbots wegen der Corona-Pandemie eroberte eine gewaltige Welle von Demonstrant*innen die Straßen und besetzte sogar Kirchen. Obwohl an den Protestmärschen an die 430.000 Menschen teilnahmen, änderte die Regierung ihre Haltung nicht. Die Entscheidung des Verfassungsgerichts trat im Januar 2021 in Kraft. Der Einsatz der Protestierenden zahlte sich jedoch aus: Tusks „Bürgerplattform“, machte sich das Thema Schwangerschaftsabbrüche zu eigen und schlägt inzwischen deren vollständige Freigabe vor. Das wäre vor 2020 in Polen undenkbar gewesen. Auch ist der Einfluss der katholischen Kirche durch Missbrauchsskandale und die Enthüllung, dass Papst Johannes Paul II. als Erzbischof von Krakau in mindestens drei Fällen die Täter gedeckt hat, geschwunden.

Tusk hat inzwischen zwei feministische Aktivistinnen in sein Kabinett berufen, er will auch schon bald ein Gesetz zum Schwangerschaftsabbruch vorlegen, wie er es in seiner Regierungserklärung am 12.12.23 angekündigt hat.
Quelle: Le Monde diplomatique 1.2024

Die Uneinigkeit in der Politik Polens zum Schwangerschaftsabbruch scheint auch in der Bevölkerung vorzuherrschen: Laut einer Umfrage für einen polnischen Radiosender sind 51 Prozent der Polen dafür, einen Abbruch bis zur 12. SSW in jedem Fall zu erlauben. 43 Prozent sind dagegen.

Deutschlands Nachbarn Polen und Frankreich sind, was das Recht auf Schwangerschaftsabbruch angeht, noch sehr weit voneinander entfernt.

Christine