BLAURAUSCH
RAUSCHBLAU

Wie schon in einer der letzten Ausgaben angekündigt, waren im Juni mehrere Besuche des Blauen Rauschens Festivals an verschiedenen Spielorten im Ruhrgebiet fest eingeplant. Außerdem haben wir es uns nicht nehmen lassen, trotz des schlechten Wetters, das Raketenfestival auf der Raketenstation bei Neuss am 1. Juni zu besuchen. Die Vielfalt der Klang- und Soundwelten, Videoinstallationen, sowie die Diversität der Künstler*innen aus aller Damen- und Herrenländer war erneut so beeindruckend, dass wir jetzt noch davon zehren. Auf alles Gehörte und Gesehene können wir platzmäßig gar nicht eingehen, darum gibt es eine Mischung aus Hardware, sprich Vinyl und einer Fluxus-Aufführung, die einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen hat.

Das Eröffnungskonzert des Blauen Rauschen Festivals fand im Szene 10 im Essener Stadtteil Rüttenscheid statt, mit Martyna Basta, Krakau, dem Live-Coding-Kollektiv Codie, USA und Lau Nau (Laura Naukkarinen) aus Finnland: Die Musikerin, Komponistin und Produzentin überwältigte mit ihrer Performance aus analogen modularen Synthesizersounds und elektroakustischen Klängen, sie war für uns das Highlight des Eröffnungsabends. In ihrem Auftritt wollte Lau Nau die Meereswelt der Ostsee hörbar machen. Insbesondere der kleinen, oft unbeachteten Meereswesen, wie dem Plankton, den Crustaceen, Mollusken und Gastropoden. Widmen wir uns ihrem Album ‚Aphrillis‘ vom November letzten Jahres, erschienen auf Fonal Records (Finnland) und Beacon Sound (Portland, USA). Ruhig, besinnlich, mit finnischem Gesang untermalt, entfalten sich die zarten Klänge von ‚Aphrillis‘ mit jedem Hören immer weiter. Die Songtexte beschäftigen sich mit der mythischen finnischen Natur. Wir wussten bis dahin auch nicht, welche Poesie in der finnischen Sprache verborgen ist. Zum Glück liegen den Texten englische Übersetzungen bei! Eine tolle Platte für die besinnlichen Momente im Leben! Das Album ‚5 x 4‘, auch aus dem Jahr 2023, und der Soundtrack Själö von 2020 möchten wir euch ebenfalls empfehlen.

Der Besuch des Rabbithole Theaters und der Neuen Musik Zentrale am Viehofer Platz in Essen, einen Tag später, schloss dann nahtlos an das Eröffnungskonzert des Vortags an. Die Hamburgerin Kris Kuldkepp, Mia Zabelka aus Wien und Gida Labus, Ungarn, präsentierten uns drei packende und für uns innovative Shows. Wobei die Heavy Metal Violinen Performance von Mia Zabelka am eindrucksvollsten war. So wird gerockt ohne zu posen!

Im Rahmen des Blauen Rauschen hat es uns dann 2 Wochen später erstmalig nach Witten verschlagen. In den Abend starteten wir mit dem Film ‚Die Stille überlebt‘ von Peter Hesse im Raum-Café. Es geht um die Noise- und Elektroklang-Szene in NRW. Alleine für den Film hatte sich die Fahrt nach Witten gelohnt. Seitdem sehen wir Kaffee und Kuchen mit ganz anderen Augen! Nix mehr mit Omma, Oppa und den Tanten sonntags mit dem guten Meissner Porzellan... Vielleicht auch nächstes Jahr in Düsseldorf!

Nach dem Film ging es in den architektonisch interessanten Saalbau, ca. 5 Fußminuten entfernt, dem zweiten Highlight des Tages. Den Abend im Saalbau eröffnete Klaus Obermaier aus Linz mit vier Elektro-Tracks und einer beeindruckenden audiovisuellen Performance. Den Abschluss bildete Lachlan Turczan aus Los Angeles, der mit Hilfe von Wasser und Licht eine Echtzeit-Visualisierung von Sound erzeugte. Auch ein absolutes Fest für die Augen. Auf den zweiten Act, Tujiko Noriko und Joji Koyame wollen wir nun näher eingehen. Der gemeinsam Auftritt der Musikerin, Sängerin, Songwriterin und Filmemacherin Tujiko Noriko und dem Filmemacher, Animator und Grafiker Joji Koyame, beide in Japan geboren, präsentierte eine meditative Video Performance, die stimmgewaltig von Tujiko Noriko untermalt wurde. Joji Koyame ist unter anderem durch seine Musikvideos für Four Tet oder Mogwai bekannt und die Zusammenarbeit mit Tujiko Noriko an ihrem Langfilm ‚Kuro‘.

Sie wurde von der Presse aber auch schon als die japanische Version von Björk bezeichnet.

Leider war die Tape Edition des Albums ‚Crépuscule‘ ausverkauft, CD‘s kommen uns ja nicht ins Haus. Erhältlich war aber das Vinyl ‚Reissue‘ von From Tokyo To Naiagara, 2003 Original nur als CD erschienen und 2024 endlich als LP auf KeplarRev wieder veröffentlicht. Sehr japanisch komponiert, neben experimentellen auch poppige Momente!

Auf ein Magazin, welches kostenlos auslag, möchten wir noch kurz eingehen. NOIES (Musik Szene NRW) https://noies.nrw aus Köln beschäftigt sich mit neuer und experimenteller Musik in NRW. Schon der erste Artikel macht Lust auf mehr. „Wie klingen Gebäude und welche Klänge ermöglichen sie? Besuch bei Autobahnkapellen“ Oder der Bericht über das Sachsen-Anhaltener Festival für Neue Musik IMPULS und wie es mit den Angriffen der AfD auf die Kunstfreiheit umgeht. Ein wichtiges Thema!

Das Line Up des diesjährigen Raketenfestivals am 01.06.24, war auch wieder interessant und vielfältig zusammengestellt. Auf die Performance von Sven-Åke Johansson lohnt es sich aber besonders einzugehen. Hart verdaulich, aber auch unterhaltsam, wurden die anwesenden Besucher*innen über 45 Minuten lang sehr ungewöhnlich „rangenommen“. Sven-Åke bearbeitet ca. 35 bis 40 Pappkartons der Reihe nach abwechselnd mit zwei Geigenbögen, Lappen oder Schlagzeugbesen. Er fing dabei stoisch mit dem kleinsten an und nach einer gewissen Zeit wurde die Kartons Florian Bräunlich entgegen geschubst. Dieser klebte die Kartons dann der Reihe nach zu einem Turm zusammen, der am Ende der Show die Decke der Veranstaltungshalle erreichte. Unterstützt wurde die gesamte Performance von Carina Khorkhordina an der Trompete. Diese erzeugte nicht für möglich gehaltene Töne mit ihrem Instrument, teils an Maschinengeräusche erinnernd oder Tierstimmen. Diese Kakofonie an Tönen schaffte es dann auch einige der anwesenden Besucher*innen aus der Veranstaltungshalle zu vertreiben. Eine beanspruchende Show, aber Kunst darf auch mal „wehtun“!

Musikalisch hat mich persönlich an diesem Tag das Konzert von Mary Jane Leach abgeholt. Die amerikanische Komponistin, die in New York und Belgrad lebt, spielte in der Veranstaltungshalle auf einem Flügel. Parallel dazu hatte sie einen Bluetooth Speaker in dem Flügel installiert, auf dem sie ihre Kompositionen Playback abgespielt und dazu gesungen hat. Der Flügel diente also als Instrument und Resonanzkörper. Camilla Hoitenga, geboren in Michigan und jetzt wohnhaft in Köln, spielte zu den nächsten beiden Kompositionen Flöte. Eine sehr ruhige und bedächtige Show, die mit vielen Frequenzen gearbeitet hat. Auf der Webseite des Raketenfestival steht passenderweise: „In vielen ihrer Werke erschafft Leach mit Hilfe von Differenz-, Kombinations- und Interferenztönen eine jenseitige Klangwelt.“ Das 2023 Album ‚Woodwind Multiples‘ veröffentlicht auf Modern Love, spiegelt dann auch fast 1 zu 1 die Show in der Raketenstation wieder. Die Kompositionen werden mit Bass-Flöten, Oboen, Klarinetten und Fagotts instrumentiert und am Sonntagmorgen nach dem Festival verbreitete sich eine sakrale und andächtige Stimmung in Oberbilk!

Am 2.6.24 spielten dann die UK Subs im zakk, ohne uns! Denn zum Glück hatte ich den Tipp bekommen, dass die Cellistin Lori Goldston in einem kleinen Hinterhofatelier in Flingern spielt. Wer sich jetzt die nochmal die Credits von dem Nirvana – MTV Unplugged In New York Album anschaut, wird feststellen, dass Lori Goldston dort Cello gespielt hat. Außerdem war sie Mitglied bei der Drone Metal Band Earth, hat mit Dylan Carlson, dem Gitarristen von Earth, das hervorragende Album Feral Angel eingespielt, sowie viele weitere Solo Alben veröffentlicht. Nirvana nicht nur live, sondern auch im Studio unterstützt, wie auch The Wedding Present oder Laura Veirs. Die Show sonntags in Flingern schloss nahtlos an den Samstag auf der Raketenstation an. Leider ohne Mrs. Cave, denn die hatte Spätschicht. Ein durchgeknallter Mik Quantius, aus Köln unter anderem Mitglied bei Embryo, machte den Anfang mit einer völlig abgespacten und improvisierten Show, die einfach nur weird war.

Lori Goldston und ihr Cello waren danach fast schon Pop, obwohl sie in ihrer Darstellung schon sehr an ihre sperrigen Soloalben anschloss. Ihr 2023er Album ‚All Points Leaning In‘ (Broken Clover Records) mit Greg Kelly an der Trompete ist da eine Referenz für die Show. Es dröhnt und wabert vor sich hin und die Art, wie Trompete auf der LP gespielt wird, erinnert Mrs. Cave und mich an eine gewisse Performance auf der Raketenstation. Das 2021 Album ‚Very Old Songs‘ (Woodland Fauna) mit Jordan O‘Jordan am Gesang und Harmonium hatte Lori Goldston als Merch dabei. Alle 4 Stücke sind Traditionals, sehr Folk und Country lastig, harmonischer.

Um euch Lori Goldston näher zu bringen, ist ‚Very Old Songs‘ Album des Monats und wird wieder unter allen terz-Spender*innen verlost!

Ein Tipp für alle Schweden-Pop Fans in Düsseldorf und Umgebung. Im Rahmen des asphalt Festivals spielt Sina Holmquist am 19.7.24 auf der Seebühne am Schwanenspiegel in Düsseldorf. Die Debüt 12“ ‚It Dances On The Windowsill‘ sollten sich alle zu Gemüte führen, die die Cardigans mochten oder auch ansonsten gepflegter skandinavischer Pop-Musik nicht abgeneigt sind. 5 Songs, die gerade einfach Lust auf den Sommer machen und ‚I Do‘ dürften dann auch WDR 5 Hörer*innen bekannt sein. Leider können wir nicht, schade, ich ärgere mich wirklich!

Für alle, die den Punk in dieser Ausgabe vermissen: Unter keiner Flagge veranstaltet ein Konzert mit Bitter (Punk, Hamburg) und No War (Punk/HC, Kiel). Wir freuen uns darauf, euch am 5.07.24 ab 19 Uhr im Linken Zentrum auf der Corneliusstraße begrüßen zu dürfen! ³

Einen schönen Sommer wünschen euch

Mrs. Cave und der Oberbilker